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KLEINER BUMMEL DURCH DIE ZEITGENOSSEN

IN EINEM METZGERLADEN

Wenn ich einen Metzgerladen hätte, würde ich öfter,
als mir den Karten nach zusteht, ein Kalbsschnitzel oder
ein Hammelkotelettchen essen. Ich würde mir auch die
Leberwurst so dick aufs Brot schmieren, daß ich beim
Reinbeißen sofort wüßte, ob Wurst, Käse, Quark oder
Margarine drauf wäre oder markenfreier Milcheiweiß-
aufstrich oder Hefepaste oder falsche Mayonnaise. Ja,
das wüßte ich — und das ist der grundlegende Unter-
schied zwischen mir (wenn ich den Laden hätte) und
der Frau Summerer (die ihn in Wirklichkeit hat): Diese
nämlich, so sagt sie, weiß schon lange nicht mehr wie
ein Schweinefleisch ausschaut oder eine feine Wurst
schmeckt, sie kriegt keine mehr zu sehen, geschweige
denn zu essen. Aber sie verzichtet auch gern darauf,
wenn sie. nur ein Gemüse, ein Kraut oder gelbe Rüben
oder einen Rannensalat hat. So was wenn sie kriegt,
dann ist der Tag schon gerettet, denn als Hausfrau
weiß man wirklich nicht mehr, was man auf den Tisch
stellen soll. Sagt sie. Und die Leute hören ihr an-
dächtig-versonnen zu, wie die Araber in den Straßen
von Damaskus einem Märchenerzähler.
Aber die Leute sind auch wieder schlecht und nehmen
gern von ihren Mitmenschen Schlechtes an. Wenn i c h
den Metzgerladen hätte, würden sie bestimmt von mir
auch sagen, daß sich mir die Karbonaden ums Doppel-
kinn angesetzt hätten, daß sich mir die Würste- schon
um den Hals ringelten und der geräucherte Speck aus
den Augen glänzte, wie sie es von der Frau Summerer
sagen. Da aber würde ich antworten: meine Lieben,
sehet, man soll dem Ochsen, der da drischet, das Maul
nicht verbinden (auch wenn er ein Mastochse ist!).
Wisset, mein Laden ist eiskalt und es ist keine schöne

Arbeit den ganzen Tag das blutige Fleisch auszuhauen
und mit erfrorenen Fingerspitzen am eisigen Kuttelfleck
hängen zu bleiben. Ich vermeinete, damit das Recht auf
einen Extranierenbraten und ähnliches verdient zu
haben. So würde ich sagen.

Die Frau Summerer aber bringt diese Rede nur halb,
erzählt nur den Teil von der Arbeit und der Kälte und
unterschlägt den Nierenbraten und manchmal geht's
auch so:

Da möchte einer ein möglichst fettes Stück Fleisch.
,,Fett?" sagt sie, „Fett ist halt so knapp — es langt
halt bei keinem — es langt halt nicht hinten und langt

Wölfe und Menschen

Eines Nachts, kurz nach zwölfe
(wo ist einerlei)
begegneten sich im Wald zwei Wölfe;
sie gingen still aneinander vorbei
und jeder dachte für sich:
Ein Wolf wie ich.

In derselben Nacht,
einerlei wo,
ging es zwei Menschen ebenso.
Kaum war der eine am andern vorbei,
hat jeder gedacht,
daß der andre ein Dieb oder Mörder sei.

Mir soll keiner mehr auf die Wölfe schelten:
sie lassen einander doch als Wölfe gelten.

R. Mayt

halt nicht vorn' — nicht hint' und nicht vorn'". — und
sie sagt es so oft, bis alle den mächtig gebauschten
Rock und die gewaltig gerundete Bluse gespannt darauf-
hin anschauen, ob sie herumlangen — hinten und
vorn. Aber von solch aufrührerischen Betrachtungen
merkt die Frau Summerer nichts, wenn sie in ihrem
vorbildlich vegetarischen Fahrwasser ist. Sie persönlich
tat' sich ja etwas leichter, berichtet sie, denn sie bräuchte
kaum ein Fett und nur ganz wenig Fleisch. Daß sie so
stark ist, das kommt bei ihr nämlich nicht vom Essen,
das kommt von den Drüsen. Und der Arzt sagt, die
Drüsen sind bei ihr schon ganz schlimm und sie drücken
bereits aufs Herz.

Ja, was sie denn tun soll gegen die Drüsen? Auf dieses
Stichwort hin umfaßt die bedauernswerte Metzgerin mit
dem Blick eines sterbenden Rehes die Kränze herrlich-
ster Würste über ihrem Haupt, die Nieren und Lebern
vor sich auf dem Tisch, die Kalbsschlegel und Ochsen-
lenden ringsum an den Haken, seufzt tief und sagt
mit dumpfer Stimme und kleinen erschütternden Pausen:
,.Ich darf — nicht mehr — dicker werden!"
Tiefes Mitgefühl weht, durch den Laden. „Ja, die
Drüsen", murmelt eine und nickt bedeutungsvoll. Eine
andere aber bittet um Ochsenschwanz für 50 Gramm
Marken und fragt dabei voll ehrlichen Interesses: ..Sie,
Frau Summerer—wie kriegt man denn solchene Drüsen,
von denen man dick wird?"

Und aus der langwierigen Erläuterung der Frau Sum-
merer geht hervor, daß das Schicksal bezüglich der
Drüsen ganz blind zuschlägt, daß man nichts dafür und
nichts dawider tun kann, daß es auch Drüsen gibt, die
einen ganz dünn machen, aber sie hat die anderen, die
dicken. Vim.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Das Karnickel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Blisch, Kurt Jan
Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Der Simpl, 2.1947, Nr. 1, S. 2.
 
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