MODERNES MARCH
E N
Unlängst halte ich einen äußerst merkwürdigen Traum:
Das Bild dieses unvollkommensten aller Planeten hatte
sich grundlegend gewandelt; und es hatte den Anschein,
als sei tatsächlich das sogenannte ..goldene Zeitalter",
von dem bekanntlich schon die Dichter der Antike aller-
hand gefaselt haben, hereingebrochen,
Mußte man sich zum Beispiel die Schuhe besohlen oder
eine Fensterscheibe einsetzen lassen, dann brauchte man
nicht, wie sonst, ein Päckchen Chesterfield oder Camel
zu opfern. Hatte man Appetit auf eine Tafel Schoko-
lade, dann konnte man getrost den Hundertmarkschein
behalten, es gab nämlich keinen Schwarzen Markt mehr.
Alles, was das Herz begehrte, konnte man zu Preisen,
an die sich nur noch Leute über fünfzig Jahre erinnern
konnten, in den unzähligen, vor Ware strotzenden Läden
kaufen.
Demzufolge fanden natürlich auch keine Razzien mehr
statt. Wer hätte die aber auch veranstalten sollen?
Es gab ja keine Polizisten mehr!
Staatsanwälte, Gefängnisse und Gerichtsvollzieher waren
auch unbekannte Begriffe geworden; das heißt, das stimmt
nicht so ganz. Gerichtsvollzieher gab's schon noch ver-
einzelt. Infolge mangelnder Beschäftigung tanzten sie
aber mit den Kindern auf der Straße nur Ringelreihen.
Karrten sich irgendwo ein paar Chauffeure an, dann
betitelten sie sich nicht, wie in früheren Zeiten: ,,Ochse,
Affe, blöder Hammel, Rhinozeros", beide Herren
ergingen sich vielmehr in unzähligen Beteuerungen des
größten Bedauerns, so daß man überhöfliche Asiaten vor
sich zu haben glaubte. Es wurde überhaupt wenig ge-
schimpft; merkwürdigerweise nicht mal mehr auf die
„Amis", denn selbst ehemalige Pg.s hatten sich zu der
Erkenntnis durchgerungen, daß all die frühere Not ledig-
lich dem Naziregime' unseligen Angedenkens zuzuschrei-
ben sei. Wer hätte denn aber auch noch meckern sollen?
Da es keine Arbeits-, Wohnungs- und Finanzämter mehr
gab, hatte jeder Arbeit, seine Wohnung und sein Bank-
konto! Angesichts dieser paradiesischen Zustände war es
für die Menschen ein leichtes geworden, die Worte des
Geheimrats Goethe ,.Edel sei der Mensch, hilfreich und
gut!" zu beherzigen. Und so gehörten auch derart unlieb-
same Vorkommnisse, daß ein Parteivorstand in einer
öffentlichen Wahlversammlung einen Oberbürgermeister
beschimpfte, einer sagenhaften Vorzeit an.
In Anbetracht meiner fünfundfünfzig Jahre bedauerte
ich's daher sehr, daß mir nicht mehr allzuviel Zeit ver-
bleiben würde, diese herrlichen Zeiten zu genießen; und
mehr als einmal verwünschte ich die frühere, mir be-
kannte Welt mit ihren verständnislosen Beamten, hart-
herzigen Brotgebern, zanksüchtigen Zimmervermieterinnen,
frechen Kellnern und was dergleichen ,.unerfreuliche"
Dinge mehr waren.
Tief beeindruckt verließ ich die Stadt und wanderte die
Chaussee entlang. Merkwürdigerweise traf ich nun hier
einen völlig zerlumpten und beinahe verhungerten Bettler
an; und da dieser müde und gebrochene Greis nun so
gar nicht in das-frohe Bild paßte, erregte er logischer-
weise meine größte Verwunderung. Teilnahmsvoll fragte
ich ihn daher sofort: ..Aber lieber Freund, wie kommt
es denn nur, daß Sie hier in Lumpen sitzen, während
DEM IDEALISTEN
Gut sollst du sein, doch nicht zu gut!
Laß nicht die frechgewordnen Wanzen
In deinem Bette Polka tanzen:
Gut sein ist Mangel oft an Mut.
Für alle gilt das gleiche Recht.
Was sollst du dich vor jenen ducken,
Vor denen selbst die Schweine spucken!
Was wüchse da für ein Geschlecht!
Wahr sollst du sein, doch nicht zu wahr!
Sonst werden sie dir Fallen stellen.
Auch dann ein Todesurteil fällen,
Wenn deine Unschuld offenbar.
Sei gut und wahr am rechten Ort
Und wäge, ob es Segen bringe.
Und geht es nur um eitle Dinge,
Spar deine Tat und spar dein Wort!
Gerty Spies
Von Gerty Spies erscheint, im Januar ein Gedichtband „Theresien-
stadt' mit Zeichnungen von Otto Nückel im Freitag-Verlag, München.
überall nur Jubel, Freude und Glück ist?" Trübe lächelnd
blickte er mich an und erwiderte dann lakonisch:
,.Angesichts dieser Zustände, die Ihnen vielleicht para-
diesisch erscheinen mögen, bin ich auf dem sogenannten
toten Punkt angelangt; ich weiß nämlich nicht, worüber
ich noch schreiben soll ... ich bin leider... ein. . .
Dichter!"
Da ich nun auch dafür sorge, daß sich auf der Welt
nicht allzuviel unbeschriebenes Papier befindet, bekam
ich daraufhin einen Ricsenschreck. Und als er mir er-
zählte, daß er sich aufmachen wolle, um sich beim lieben
Gott zu beschweren, erklärte ich ihm sofort, daß ich
mitgehen wolle.
Nach kurzer Zeit gelangten wir dann in die Himmels-
kanzlei, wo zu meinem größten Erstaunen ein Gedränge
herrschte, wie in früheren Zeiten auf der Münchner
Trambahn. Offenbar gab es also doch noch sehr viele
MÄDCHENKOPF * Sichhart
Unzufriedene, was mir auf der Erde merkwürdigerweise
gar nicht aufgefallen war. Nachdem wir unsere Registrier-
scheine und Arbeitspässe vorgezeigt und unser Begehr
genannt hatten, drückte man uns zwei Nummern in die
Hand und bedeutete uns, zu warten.
Da die Schlange der Unzufriedenen aber größer war, als
die vor einem irdischen Fischladen nach Aufruf einer
Sonderzuteilung, mußten wir leider stundenlang anti-
chambrieren. Hatten aber auf diese Weise Gelegenheit,
die Sorgen, Nöte und Wünsche der andern kennen zu
lernen, da ja jeder, genau wie wir, sein Anliegen vor-
bringen mußte, ehe er zur Audienz vorgemerkt wurde.
Da kam zum Beispiel gleich nach uns ein ordenüber-
säter deutscher General, der es als einen groben Unfug
bezeichnete, daß der Krieg ein überwundener Standpunkt
sei und daß etwaige Streitigkeiten nur durch Fußball-
matches ausgetragen würden. Er begründete seine lang-
atmigen Ausführungen damit, daß außer ihm auch ein
großer Teil des Volkes in einem neuen Krieg das einzige
Heil für Deutschland sähe.
Nach ihm erschien ein Schwarzhändler, der kategorisch
die Wiederherstellung der alten Zustände und in Anbe-
tracht seiner bisherigen enormen Verluste eine Erhöhung
des Butterpreises um fünfzig Mark pro Pfund verlangte.
Ihm auf dem Fuße folgte ein Erfinder, der Pläne aus-
gearbeitet hatte, in künftigen Kriegen ganze Erdteile in
die Luft zu sprengen. Da ich von Physik und Chemie
nie viel verstanden habe, wurde ich aus seinem Vortrag
nicht so recht klug. Es genügte mir aber schon, daß er
sich dahingehend äußerte, die Atombombe gehöre ange-
sichts seiner Erfindung in ein Altertumsmuseum.
Er wurde von einem Beamten abgelöst, der schluchzend
erzählte, er sei früher von allen Seiten bestochen wor-
den, müsse aber jetzt, da er, wie so unzählige andere
aueh, nur auf sein Gehalt angewiesen sei, genau so be-
scheiden leben, wie diese.
Nach ihm tauchte der Besitzer eines großen Restaurants
auf, der dem Engel, der die Eintragungen ins Beschwerde-
buch machte, des langen und breiten auseinandersetzte,
daß er stets einen monatlichen Ueberschuß von ein paar
Zentnern Fleisch und Fett gehabt habe, den er dadurch
erzielt hatte, daß er seinen Gästen immer nur die
Hälfte von dem gegeben hatte, was ihnen an Marken
zustand. Und dringlichst verlangte er die Wiederher-
stellung des Kartensystems!
Und zum Schluß erschien der Teufel! Ich traute meinen
Augen kaum, aber es war tatsächlich der Teufel in
höchsteigener Person. Lind es war uns allen, die wir
da versammelt waren, klar, daß ein äußerst triftiger
Grund vorliegen mußte, daß Beelzebub sich zu diesem
ungewöhnlichen Schritt entschlossen hatte. Na, und das
war denn auch der Fall: Hitler hatte die Ortsgruppe
Höllk gegründet!
Alle Nichtparteigenossen befiel ein eisiger Schreck; und
einige Ueberängstliche sahen schon in Gedanken die
Bewohner der Hölle in braunen Uniformen und mit den
bekannten Standarten die Erde überschwemmen. Es ent-
stand nun eine große Debatte darüber, ob man den
Versicherungen des Teufels, daß er vorläufig noch da-
gegen sei, so ohne weitetes Glauben schenken konnte,
Auch ich hätte die wahre Meinung des Teufels gern
erfahren, aber wir wurden leider aufgerufen und standen
binnen kurzem vor dem lieben Gott.
Gütig hörte der liebe Gott unsere bewegten Klagen
mit an; und als ich besonders hervorhob, daß es uns
Schriftstellern schon in der Nazizeit infolge der enormen
Papierknappheit sehr belemmert gegangen sei, fing er
an, sich eifrig Notizen zu machen. Da ich von irdischen
Verhandlungen her wußte, daß dies ein äußerst günsti-
ges Zeichen sei, erzählte ich freimütig weiter und kam
auf den Kernpunkt der Sache zu sprechen. Ich machte
geltend, daß wir jetzt, wo Papier in Hülle und Fülle
vorhanden sei, Tausende und Abertausende verdienen
könnten, um so mehr, da wir doch eine Lizenz hätten, daß
dies jetzt aber aus dem Grunde unmöglich sei, weil wir
absolut keinen Stoff mehr für unsere Humoresken,
Novellen und Romane hätten. Und da der liebe Gott
bei meinen Ausführungen mehrmals zustimmend genickt
hatte, faßte ich mir ein Herz und bat ihn darum, die
alten Verhältnisse auf der Welt wieder herzustellen.
Da er uns daraufhin nicht rausschmiß, glaubte ich
schon, gewonnenes Spiel zu haben, aber da stürmte
plötzlich der Teufel herein, schrie laut „Heil Hitler!",
und da war es aus. Der liebe Gott machte nämlich
einen derartigen Krach, daß der ganze Himmel wackelte
und rief immer und immer wieder in größter Wut:
„Sogar der Teufel kriecht diesem Friedensstörer auf den
Leim!" Als er sich dann endlich ein bißchen beruhigt
hatte, gab er Petrus den Auftrag, unverzüglich den"
Erfinder des Sprengmittels herbeizuholen. Ja, und da
wußte ich, was die Glocke geschlagen hatte: Die Geduld
des lieben Gottes mit dem entarteten Menschengeschlecht
war jetzt erschöpft, und er wollte die Welt vernichten.
Trotz der Aussichtslosigkeit, auch in diesem „dritten"
Krieg heil davonzukommen, machte ich aber doch An-
stalten, so schnell wie möglich wieder auf die Erde zu
gelangen, denn ich dachte unwillkürlich an meine drei
geretteten Koffer! Und dann erwachte ich; und war offen
gestanden froh, daß trotz der „katastrophalen Zustände"
auf unserer Mutter Erde alles nur ein Traum gewesen war.
A. Sommerfeld
DAS NEUE BUCH
Egon Frieden: DIE REISE MIT DER ZEITMASCHINE.
R. Piper-Verlag. München 194C.
In dem Wiener Schauspieler und Schriftsteller Egon
Friedeil vereinigte sich Geist, Wissen, Wesensart und
Lebensstil zu einer Eintracht, wie man ihr sonsthin
nur bei Menschen vergangener Jahrhunderte begegnet.
Kaum glaubhaft, daß es der gleiche Mann ist, der in
seiner „Kulturgeschichte des Altertumes" und „der
Neuzeit" voll Ernst und erstaunlichem Wissen über
sechs Jahrhunderte europäischer Geistesgeschichte ge-
lehrt hat, und als Schauspieler der Reinhardt-Bühnen
seinen Beifall in Lustspielen ernten konnte. Und nun
hinwiederum begibt sich Friedeil auf ein weiteres,
scheinbar ganz abseitiges Gebiet, und schreibt mit
seiner „Reise mit der Zeitmaschine" eine phanta-
stische Novelle. Dem englischen, im vergangenen Jahre
verstorbenen Sozialisten H. G. Wells geistig verwandt,
erinnert sich Frieden dessen utopischen Romanes „Die
Zeitmaschine", in dem Wells den „Zeitreisenden" mit
seiner sinnreich konstruierten Maschine in die Zu-
kunft segeln läßt. An diese Erfindung Wells' knüpft
Frieden die geistreichen Phantasien seines Buches an.
Daß es erst heute erscheinen konnte, hat seine tragische
Vorgeschichte. Frieden war jüdischer Abstammung
und entzog sich 1938 durch Selbstmord den Nach-
stellungen der Wiener SS. So blieb es ihm allerdings
auch erspart, zu erleben, daß kurz darauf seine
Bücher, die hirnlose Berliner Studenten schon 1933
der Verbrennung gewürdigt hatten, verboten und von
der Gestapo beschlagnahmt wurden. A. Wisbeck
„DER SIMPL" erscheint im Monat zweimal.
Bezugspreis im Vierteljahr RM 6.— zuzüglich 24 Ptg. Zustell-
gebühr. Einzelbestellungen nehmen die Postanstalten entgegen.
Verlag „DER SIMPL" (Freitag-Verlag), München 23, Werneck-
straße 15a, Fernruf 362072. Postscheckkonto: München 37023 —
Verantwortlicher Hauptschriftleiter: Willi Ernst Freitag, Stellv.:
J. Gutbrod. — Sprechstunden: Dienstag und Donnerstag von
9 bis 12 Uhr. — Druck: Süddeutscher Verlag, München 2. Send-
linger Straße 80. — Copyright by Freitag-Verlag 1946. —
Published under Military Government Information Control License
No. US-E-148.
10
E N
Unlängst halte ich einen äußerst merkwürdigen Traum:
Das Bild dieses unvollkommensten aller Planeten hatte
sich grundlegend gewandelt; und es hatte den Anschein,
als sei tatsächlich das sogenannte ..goldene Zeitalter",
von dem bekanntlich schon die Dichter der Antike aller-
hand gefaselt haben, hereingebrochen,
Mußte man sich zum Beispiel die Schuhe besohlen oder
eine Fensterscheibe einsetzen lassen, dann brauchte man
nicht, wie sonst, ein Päckchen Chesterfield oder Camel
zu opfern. Hatte man Appetit auf eine Tafel Schoko-
lade, dann konnte man getrost den Hundertmarkschein
behalten, es gab nämlich keinen Schwarzen Markt mehr.
Alles, was das Herz begehrte, konnte man zu Preisen,
an die sich nur noch Leute über fünfzig Jahre erinnern
konnten, in den unzähligen, vor Ware strotzenden Läden
kaufen.
Demzufolge fanden natürlich auch keine Razzien mehr
statt. Wer hätte die aber auch veranstalten sollen?
Es gab ja keine Polizisten mehr!
Staatsanwälte, Gefängnisse und Gerichtsvollzieher waren
auch unbekannte Begriffe geworden; das heißt, das stimmt
nicht so ganz. Gerichtsvollzieher gab's schon noch ver-
einzelt. Infolge mangelnder Beschäftigung tanzten sie
aber mit den Kindern auf der Straße nur Ringelreihen.
Karrten sich irgendwo ein paar Chauffeure an, dann
betitelten sie sich nicht, wie in früheren Zeiten: ,,Ochse,
Affe, blöder Hammel, Rhinozeros", beide Herren
ergingen sich vielmehr in unzähligen Beteuerungen des
größten Bedauerns, so daß man überhöfliche Asiaten vor
sich zu haben glaubte. Es wurde überhaupt wenig ge-
schimpft; merkwürdigerweise nicht mal mehr auf die
„Amis", denn selbst ehemalige Pg.s hatten sich zu der
Erkenntnis durchgerungen, daß all die frühere Not ledig-
lich dem Naziregime' unseligen Angedenkens zuzuschrei-
ben sei. Wer hätte denn aber auch noch meckern sollen?
Da es keine Arbeits-, Wohnungs- und Finanzämter mehr
gab, hatte jeder Arbeit, seine Wohnung und sein Bank-
konto! Angesichts dieser paradiesischen Zustände war es
für die Menschen ein leichtes geworden, die Worte des
Geheimrats Goethe ,.Edel sei der Mensch, hilfreich und
gut!" zu beherzigen. Und so gehörten auch derart unlieb-
same Vorkommnisse, daß ein Parteivorstand in einer
öffentlichen Wahlversammlung einen Oberbürgermeister
beschimpfte, einer sagenhaften Vorzeit an.
In Anbetracht meiner fünfundfünfzig Jahre bedauerte
ich's daher sehr, daß mir nicht mehr allzuviel Zeit ver-
bleiben würde, diese herrlichen Zeiten zu genießen; und
mehr als einmal verwünschte ich die frühere, mir be-
kannte Welt mit ihren verständnislosen Beamten, hart-
herzigen Brotgebern, zanksüchtigen Zimmervermieterinnen,
frechen Kellnern und was dergleichen ,.unerfreuliche"
Dinge mehr waren.
Tief beeindruckt verließ ich die Stadt und wanderte die
Chaussee entlang. Merkwürdigerweise traf ich nun hier
einen völlig zerlumpten und beinahe verhungerten Bettler
an; und da dieser müde und gebrochene Greis nun so
gar nicht in das-frohe Bild paßte, erregte er logischer-
weise meine größte Verwunderung. Teilnahmsvoll fragte
ich ihn daher sofort: ..Aber lieber Freund, wie kommt
es denn nur, daß Sie hier in Lumpen sitzen, während
DEM IDEALISTEN
Gut sollst du sein, doch nicht zu gut!
Laß nicht die frechgewordnen Wanzen
In deinem Bette Polka tanzen:
Gut sein ist Mangel oft an Mut.
Für alle gilt das gleiche Recht.
Was sollst du dich vor jenen ducken,
Vor denen selbst die Schweine spucken!
Was wüchse da für ein Geschlecht!
Wahr sollst du sein, doch nicht zu wahr!
Sonst werden sie dir Fallen stellen.
Auch dann ein Todesurteil fällen,
Wenn deine Unschuld offenbar.
Sei gut und wahr am rechten Ort
Und wäge, ob es Segen bringe.
Und geht es nur um eitle Dinge,
Spar deine Tat und spar dein Wort!
Gerty Spies
Von Gerty Spies erscheint, im Januar ein Gedichtband „Theresien-
stadt' mit Zeichnungen von Otto Nückel im Freitag-Verlag, München.
überall nur Jubel, Freude und Glück ist?" Trübe lächelnd
blickte er mich an und erwiderte dann lakonisch:
,.Angesichts dieser Zustände, die Ihnen vielleicht para-
diesisch erscheinen mögen, bin ich auf dem sogenannten
toten Punkt angelangt; ich weiß nämlich nicht, worüber
ich noch schreiben soll ... ich bin leider... ein. . .
Dichter!"
Da ich nun auch dafür sorge, daß sich auf der Welt
nicht allzuviel unbeschriebenes Papier befindet, bekam
ich daraufhin einen Ricsenschreck. Und als er mir er-
zählte, daß er sich aufmachen wolle, um sich beim lieben
Gott zu beschweren, erklärte ich ihm sofort, daß ich
mitgehen wolle.
Nach kurzer Zeit gelangten wir dann in die Himmels-
kanzlei, wo zu meinem größten Erstaunen ein Gedränge
herrschte, wie in früheren Zeiten auf der Münchner
Trambahn. Offenbar gab es also doch noch sehr viele
MÄDCHENKOPF * Sichhart
Unzufriedene, was mir auf der Erde merkwürdigerweise
gar nicht aufgefallen war. Nachdem wir unsere Registrier-
scheine und Arbeitspässe vorgezeigt und unser Begehr
genannt hatten, drückte man uns zwei Nummern in die
Hand und bedeutete uns, zu warten.
Da die Schlange der Unzufriedenen aber größer war, als
die vor einem irdischen Fischladen nach Aufruf einer
Sonderzuteilung, mußten wir leider stundenlang anti-
chambrieren. Hatten aber auf diese Weise Gelegenheit,
die Sorgen, Nöte und Wünsche der andern kennen zu
lernen, da ja jeder, genau wie wir, sein Anliegen vor-
bringen mußte, ehe er zur Audienz vorgemerkt wurde.
Da kam zum Beispiel gleich nach uns ein ordenüber-
säter deutscher General, der es als einen groben Unfug
bezeichnete, daß der Krieg ein überwundener Standpunkt
sei und daß etwaige Streitigkeiten nur durch Fußball-
matches ausgetragen würden. Er begründete seine lang-
atmigen Ausführungen damit, daß außer ihm auch ein
großer Teil des Volkes in einem neuen Krieg das einzige
Heil für Deutschland sähe.
Nach ihm erschien ein Schwarzhändler, der kategorisch
die Wiederherstellung der alten Zustände und in Anbe-
tracht seiner bisherigen enormen Verluste eine Erhöhung
des Butterpreises um fünfzig Mark pro Pfund verlangte.
Ihm auf dem Fuße folgte ein Erfinder, der Pläne aus-
gearbeitet hatte, in künftigen Kriegen ganze Erdteile in
die Luft zu sprengen. Da ich von Physik und Chemie
nie viel verstanden habe, wurde ich aus seinem Vortrag
nicht so recht klug. Es genügte mir aber schon, daß er
sich dahingehend äußerte, die Atombombe gehöre ange-
sichts seiner Erfindung in ein Altertumsmuseum.
Er wurde von einem Beamten abgelöst, der schluchzend
erzählte, er sei früher von allen Seiten bestochen wor-
den, müsse aber jetzt, da er, wie so unzählige andere
aueh, nur auf sein Gehalt angewiesen sei, genau so be-
scheiden leben, wie diese.
Nach ihm tauchte der Besitzer eines großen Restaurants
auf, der dem Engel, der die Eintragungen ins Beschwerde-
buch machte, des langen und breiten auseinandersetzte,
daß er stets einen monatlichen Ueberschuß von ein paar
Zentnern Fleisch und Fett gehabt habe, den er dadurch
erzielt hatte, daß er seinen Gästen immer nur die
Hälfte von dem gegeben hatte, was ihnen an Marken
zustand. Und dringlichst verlangte er die Wiederher-
stellung des Kartensystems!
Und zum Schluß erschien der Teufel! Ich traute meinen
Augen kaum, aber es war tatsächlich der Teufel in
höchsteigener Person. Lind es war uns allen, die wir
da versammelt waren, klar, daß ein äußerst triftiger
Grund vorliegen mußte, daß Beelzebub sich zu diesem
ungewöhnlichen Schritt entschlossen hatte. Na, und das
war denn auch der Fall: Hitler hatte die Ortsgruppe
Höllk gegründet!
Alle Nichtparteigenossen befiel ein eisiger Schreck; und
einige Ueberängstliche sahen schon in Gedanken die
Bewohner der Hölle in braunen Uniformen und mit den
bekannten Standarten die Erde überschwemmen. Es ent-
stand nun eine große Debatte darüber, ob man den
Versicherungen des Teufels, daß er vorläufig noch da-
gegen sei, so ohne weitetes Glauben schenken konnte,
Auch ich hätte die wahre Meinung des Teufels gern
erfahren, aber wir wurden leider aufgerufen und standen
binnen kurzem vor dem lieben Gott.
Gütig hörte der liebe Gott unsere bewegten Klagen
mit an; und als ich besonders hervorhob, daß es uns
Schriftstellern schon in der Nazizeit infolge der enormen
Papierknappheit sehr belemmert gegangen sei, fing er
an, sich eifrig Notizen zu machen. Da ich von irdischen
Verhandlungen her wußte, daß dies ein äußerst günsti-
ges Zeichen sei, erzählte ich freimütig weiter und kam
auf den Kernpunkt der Sache zu sprechen. Ich machte
geltend, daß wir jetzt, wo Papier in Hülle und Fülle
vorhanden sei, Tausende und Abertausende verdienen
könnten, um so mehr, da wir doch eine Lizenz hätten, daß
dies jetzt aber aus dem Grunde unmöglich sei, weil wir
absolut keinen Stoff mehr für unsere Humoresken,
Novellen und Romane hätten. Und da der liebe Gott
bei meinen Ausführungen mehrmals zustimmend genickt
hatte, faßte ich mir ein Herz und bat ihn darum, die
alten Verhältnisse auf der Welt wieder herzustellen.
Da er uns daraufhin nicht rausschmiß, glaubte ich
schon, gewonnenes Spiel zu haben, aber da stürmte
plötzlich der Teufel herein, schrie laut „Heil Hitler!",
und da war es aus. Der liebe Gott machte nämlich
einen derartigen Krach, daß der ganze Himmel wackelte
und rief immer und immer wieder in größter Wut:
„Sogar der Teufel kriecht diesem Friedensstörer auf den
Leim!" Als er sich dann endlich ein bißchen beruhigt
hatte, gab er Petrus den Auftrag, unverzüglich den"
Erfinder des Sprengmittels herbeizuholen. Ja, und da
wußte ich, was die Glocke geschlagen hatte: Die Geduld
des lieben Gottes mit dem entarteten Menschengeschlecht
war jetzt erschöpft, und er wollte die Welt vernichten.
Trotz der Aussichtslosigkeit, auch in diesem „dritten"
Krieg heil davonzukommen, machte ich aber doch An-
stalten, so schnell wie möglich wieder auf die Erde zu
gelangen, denn ich dachte unwillkürlich an meine drei
geretteten Koffer! Und dann erwachte ich; und war offen
gestanden froh, daß trotz der „katastrophalen Zustände"
auf unserer Mutter Erde alles nur ein Traum gewesen war.
A. Sommerfeld
DAS NEUE BUCH
Egon Frieden: DIE REISE MIT DER ZEITMASCHINE.
R. Piper-Verlag. München 194C.
In dem Wiener Schauspieler und Schriftsteller Egon
Friedeil vereinigte sich Geist, Wissen, Wesensart und
Lebensstil zu einer Eintracht, wie man ihr sonsthin
nur bei Menschen vergangener Jahrhunderte begegnet.
Kaum glaubhaft, daß es der gleiche Mann ist, der in
seiner „Kulturgeschichte des Altertumes" und „der
Neuzeit" voll Ernst und erstaunlichem Wissen über
sechs Jahrhunderte europäischer Geistesgeschichte ge-
lehrt hat, und als Schauspieler der Reinhardt-Bühnen
seinen Beifall in Lustspielen ernten konnte. Und nun
hinwiederum begibt sich Friedeil auf ein weiteres,
scheinbar ganz abseitiges Gebiet, und schreibt mit
seiner „Reise mit der Zeitmaschine" eine phanta-
stische Novelle. Dem englischen, im vergangenen Jahre
verstorbenen Sozialisten H. G. Wells geistig verwandt,
erinnert sich Frieden dessen utopischen Romanes „Die
Zeitmaschine", in dem Wells den „Zeitreisenden" mit
seiner sinnreich konstruierten Maschine in die Zu-
kunft segeln läßt. An diese Erfindung Wells' knüpft
Frieden die geistreichen Phantasien seines Buches an.
Daß es erst heute erscheinen konnte, hat seine tragische
Vorgeschichte. Frieden war jüdischer Abstammung
und entzog sich 1938 durch Selbstmord den Nach-
stellungen der Wiener SS. So blieb es ihm allerdings
auch erspart, zu erleben, daß kurz darauf seine
Bücher, die hirnlose Berliner Studenten schon 1933
der Verbrennung gewürdigt hatten, verboten und von
der Gestapo beschlagnahmt wurden. A. Wisbeck
„DER SIMPL" erscheint im Monat zweimal.
Bezugspreis im Vierteljahr RM 6.— zuzüglich 24 Ptg. Zustell-
gebühr. Einzelbestellungen nehmen die Postanstalten entgegen.
Verlag „DER SIMPL" (Freitag-Verlag), München 23, Werneck-
straße 15a, Fernruf 362072. Postscheckkonto: München 37023 —
Verantwortlicher Hauptschriftleiter: Willi Ernst Freitag, Stellv.:
J. Gutbrod. — Sprechstunden: Dienstag und Donnerstag von
9 bis 12 Uhr. — Druck: Süddeutscher Verlag, München 2. Send-
linger Straße 80. — Copyright by Freitag-Verlag 1946. —
Published under Military Government Information Control License
No. US-E-148.
10
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Mädchenkopf"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 2.1947, Nr. 1, S. 10.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg