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VORZIMMER ZUM FRIEDEN

H. Beyer

Einer wartet noch draußen

LUZZI

EINE ERINNERUNG VON A. WISBECK

Damals, das heißt vor einem halben Jahrhundert, war
die Luzzi noch ein resches Wassermadl im Münchner
Cafe „Luitpold". Heute würde man dies der Frau
Lukretia Zanklmaier freilich nicht mehr ansehen, denn
nun sitzt sie als verschrumpeltes Weiblein im Vorraum
eines städtischen, dem Gemeinwohl dienenden Häus-
chens und streicht mit krummen Fingern die Zeh-
ne-rln ein. Ohne zu einer kritischen Würdigung des
Lebens aufgefordert zu sein, verneint sie seinen
Wert im allgemeinen und besonderen mit so unan-
ständigen Ausdrücken, daß von einer Wiedergabe
abgesehen werden muß. In der Tat, das Leben hat
seine Härten, und das konnte Luzzi, die zu Höherem
bestimmt schien, besonders schmerzlich empfinden.
Was ist ein „Wassermadl"? wird der Fremdling
fragen. Es ist die Elevin des Kassierinnen-Berufes
und damit betraut, den Cafegästen das Trinkwasser
zu bringen, die Fliegen von den Torten zu scheu-

HOLZBESCHAFFUNG

Es gab schon immer Leute
mit einem langen Zopfe
und viele tragen heute
erst recht ein Brett vorm Kopfe.

Könnt' man sie nur bewegen,
— so was gelingt bisweilen —
die Bretter abzulegen
und sterweis' zu verteilen,

man brauchte — Kinder, Kinder —

mit Brennholz nicht zu geizen

und könnte noch zehn Winter

von diesem Vorrat heizen. w. Bemmet

chen und von der Kassierin Thea Ohrfeigen in
Empfang zu nehmen. Läuft es nicht von Tisch zu
Tisch, so lehnt es versonnen in einer Ecke und
träumt von einer märchenhaften Zukunft. Denn die
Berührung mit den Begüterten und Vornehmen die-
ser Welt hat übertriebene Vorstellungen vom Aus-
maß des einem Menschen zustehenden Glückes er-
weckt. Nur abwarten! Man war doch erst sechzehn
Jahre alt! Mit zwanzig wird man einen Nerzpelz
tragen, wie die „Zaunlatte" auf Service 5, und einen
Brillantring funkem lassen, wie das „greisliche
Weibsstück" am Tisch 17. Daß Luzzi aber schön
war, konnte in einer Zeit, die noch fleischliche Sub-
stanz höher wertete als Sehnen, nicht bestritten
werden. Mancher Männerblick folgte dem molligen
Wassermadl, dessen Goscherl nach einem Kuß
förmlich zu fiebern schien. Aber Luzzi hatte von
Thea so viele ungünstige Berichte über die bessere
Herrenwelt erhalten, daß sie beschloß, äußerste Zu-
rückhaltung zu üben. Dieser Plan wurde allerdings
schon durch den ersten Fasching, an dem Luzzi teil-
nahm, zum Scheitern gebracht.
Als üppigste und vornehmste Feste galten damals
die im Deutschen Theater allwöchentlich statt-
findenden „Bai pares", für deren Besuch der „Do-
mino" vorgeschrieben war. Er bestand für die
Frauenwelt aus einer mächtigen, rosenroten oder
himmelblauen Pleureuse, einem kurzen, bis zu den
Grenzen der Zugkraft verschnürten Korsett und
einem langen, weit ausladenden Spitzenrock. Heidi!
Wenn man derart angetan im Draher durch den Saal
wirbelte oder im tobenden Ringelreihen des „Fra-
säh" von Männerarm auf Männerarm flog, gab es
kein reich und kein arm, kein oben und unten mehr.
Um Luzzi versank die Welt im Schwall beseligender
Walzerklänge. Und als sie ein junger Mann in
tadellos geschnittenem Frack solange linksherum
schwenkte, bis ihr das Korsett platzte, glaubte sie,
als Engerl geradenwegs in den Himmel zu fliegen.
„Jetzt gch'n wir zu die Weißwürscht'!" entschied der

junge Herr. Man begab sich in die unteren Räume,
wo eine bayerische Landlerkapelle -aus bierseligen
Trompeten frenetische Lust schmetterte. „Was bist
denn eigentli'?" wagte Luzzi nach dem sechsten Paar
Würsten und der zweiten Maß ihren Kavalier zu
fragen. „Was werd' i scho' sei'?" lachte der, —
„a Graf bin i' halt." Ein Graf — ein Graf! Luzzi
blieb die Weißwurst im offenen Goscherl stecken.
Was würde die Thea, die nur mit einem
simplen Herrn Edenhofer ging, zu dieser Bekannt-
schaft sagen? „Hast' a Schloß aa?" forschte sie
weiter. „Bloß zwei" antwortete der junge Herr be-
scheiden, „ein's auf Ruhpolding drob'n und ein's
auf Straubing d'runt. Und was bist nacha du?"
Nun, mit dem Rang konnte man nicht konkurrieren,
aber vielleicht würde Reichtum zum Ausgleich dienen.
,,Mei' Vata hat an' Rennstall", log sie munter, wo-
mit sie den Besitz eines Droschkengaules beträcht-
lich übertrieb. „Ah", rief der Graf begeistert, „da
springt 'was dabei 'raus, bal' so ä Außenseiter 's
Renna macht." „Dös glaub' i'", bestätigte Luzzi,
denn nun kam es auf eine Lüge mehr oder weniger
nicht mehr an, „so um ara Million 'rum hat's
G'schäft scho' ei'trag'n. Aber unsere Villa in
Starnberg verschlingt halt manches Geld." Der Graf
geriet in einen Taumel der Freude. „Was, a Villa
habt's aa? — Ich hab' di' so lieb!" Als man dann
in der Gastwirtschaft „Zum Bayerischen Donisl" bei
grauendem Morgenlicht vor dem vierundzwanzigsten
Paar Weißwürsten saß, konnte über eine baldige
FJieschließung kein Zweifel mehr bestehen.
In der Folgezeit trafen sich die Liebenden freilich
nur selten. Denn der Graf mußte zwischen seinen
beiden Schlössern hin und her reisen und verbrachte
nur die Freitage in München. Luzzi hingegen war
nur an Dienstagen von ihrer elterlichen „Villa" ab-
kömmlich, denn da hatte sie ihren Ausgang. Einmal
saß sie ■— es war Sommer geworden — unter den
blühenden Kastanienbäumen des Hofgarten-Cafes
und ließ ihr kleines Herz in Glück und Sehnsucht
schwelgen. Ein wenig noch, nur noch ein wenig,
dann war es da, das große Glück, von dem man mit
müden Beinen Tn verräucherten Ecken so gerne ge-
träumt hatte! Plötzlich ließ sie eine bekannte
Stimme aufschrecken: „Bitte ■— schwarz, mittel,
oder dunkel?" Jawohl, da oben, am Frack des jungen
Mannes saß noch die Spur des Schminkefleckcns,
den ihr Gesichtchen beim Tanz hinterlassen hatte.
„Schwarz" stammelten Luzzi's bebende Lippen. Aber
auch die Hand des Obers zitterte ein wenig, und der
Strahl der Kaffeekanne ergoß sich mehr über den
Tisch, als in die Tasse. —

SI.Ul'L-JtKlEI'J^lSlJtJA

„Wien, Wien nur du allein. . ." Weisen Sie als be-
geisterte Hörerin der gemütvollen Wiener Wein- und
Heurigenlieder mit Empörung die Vermutung zurück,
daß das Auspfeifen einer polnischen Sängerin in Wie»
und die Anpöbelung des im Dritten Reich rassisch
verfolgten Dirigenten Krips von Seiten echter Öster»
reicher erfolgt sei! Es hat in Österreich nie boden-
ständige, sondern ausschließlich aus dem Altreich im-
portierte Nazis gegeben, von denen demnach immer
noch einige der, wie man meinte, scharfen und wohl-
verdient rüden Ausweisung entgangen sein dürften.
Wir sind überzeugt, daß das scharfe Auge der Wiener
Polizei sich auf diese Übelstände richten wird, sobald
es nicht mehr durch fremde Splitter am Erkennen des
eigenen Balkens gehindert wird.

,,Sangesbruder aus Br." Nein, die Zugehörigkeit zur
„Sudetendeutschen Partei" belastet nicht. Es war vor-
eiliger Defaitismus Ihres Führers Konrad Henlein, sich
selber umzubringen, statt sich zu gegebener Zeit um
den Posten eines Flüchtlings-Obmannes zu bewerben.
„Voltaire-Verehrer aus M." Sie können wirklich
keinerlei Anspruch darauf machen, als gebildeter
Mensch zu gelten. Kultusminister Dr. Hundhammer
erklärte, das oberste Bildungsziel der bayerischen
Schulen sei die Ehrfurcht vor Gott. Demnach wären
die alten Weiblein, die allmorgendlich die Dorfkirchen
bevölkern, die gebildetsten Einwohner Bayerns. Wahr-
scheinlich um ihr Bildungsniveau sicherzustellen, tritt
Dr. Hundhammer dafür ein, die Flüchtlinge nach
Glaubensbekenntnissen getrennt in katholischen und
evangelischen Landstrichen anzusiedeln.
Daß „Unbildung" jedoch auch vor den eigenen Reihen
nicht haltmacht, mußte die Regierung Ehard merken,
als sie bei der Abstimmung über ihre Regierungs-
erklärung von 180 Stimmen nur 98 erhielt. Da die mei-
sten verweigerten Stimmen in den Reihen der CSU
zu suchen sind, ist anzunehmen, daß diesen miß-
ratenen Abgeordneten der Besuch bayerischer Volks-
schulen empfohlen werden wird, wo sie neben der
Ehrfurcht vor Gott auch Respekt vor seiner Union
bekommen!

Unglücklicher Mitläufer. Versuchen Sie eine Verurtei-
lung als Aktivist zu erzwingen! Sie haben dann Ihre
Strafe im Arbeitslager abgebüßt, ehe Ihre gering be-
lasteten Parteigenossen überhaupt vor die Spruch-
kammer kommen und können so noch vor diesen ins
Wirtschaftsleben zurückkehren.

DIE MITARBEITER DIESES HEFTES
soweit sie nicht in den bisherigen Nummern ver-
zeichnet waren: Hertha Bartsch 2. 11. 1805, Walter
Bemmer 21. 11. 1913 Köln, Helma Flessa 14. 3. 1880 In-
golstadt, Xaver Fuhr 23. 9. 1898 Mannheim, Josef
Hegenbarth 15. 6. 1886 Kamenz, Alfred P. Hora 15. 7.
1910 Zgoda (Polen), Otto Nückel 6. 9. 1888 Köln, Carl
Sturtzkopf lo. 5. 1896 Berlin, Rüdiger Syberberg 6. 2.
1900 Köln, Jörg Wisbeck 30. 1. 1913 München.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Vorzimmer zum Frieden"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Beyer, Helmut
Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 2.1947, Nr. 3, S. 32.

Beziehungen

Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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