DEM KRIEG SIND SIE ENTKOMMEN, NUN SCHÜTZT SIE VOR DEM HUNGER!
W. Menno
(EIGENBERICHT) — Die Festlichkeiten anläßlich der
100. Zuteilungsperiode fanden gestern im Rahmen einer
feierlichen Kundgebung ihren würdevollen Abschluß. Der
Festsaal war zu diesem Zwecke auf das appetitlichste
hergerichtet. Schier endlose Girlanden aus Regensbur-
gern und Weißwürsten schmückten die Wände, untersetzt
von den Reklametafeln der ehemals führenden deutschen
Schokoladefabriken. Es handelte sich dabei um frei-
willige Spenden aus Niederbayern (bei den Tafeln!).
Der Hintergrund der Bühne stellte ein ebenso geschmack-
volles wie buntes Mosaik dar, zusammengesetzt aus
allen Kk, Jgd, E, Eier-, Milch-, Kartoffel-, Selbstver-
sorger-, Schwerarbeiter- und anderen Karten, in der
Mitte durch eine Art Scheunentor unterbrochen, aus dem
ein überlebensgroßer und bengalisch beleuchteter Kuh-
kopf schaute. An Stelle der Soffitten überdachten in
origineller Weise ganze Reihen von Speckseiten, Gänse-
biüsten usw. (Herkunft Polnisch-Pommern) grottenartig
die Bühne. Das Rednerpult bestand hingegen nur aus
einer kunstvollen Konstruktion Berliner Schaupackungen.
Der Saal war bereits am Abend vor der Kundgebung von
einer ungeheuren Menschenmenge belagert, und das Über-
füllkommando wurde in der Nacht nicht weniger als sieben-
mal alarmiert, so daß ec sich gegen morgens 4 Uhr wegen
Benzinmangcls entschloß an Ort und Stelle zu bleiben.
Die Feierlichkeit wurde unter den Klängen von L. van
Beethovens „Verlorenem Groschen" eröffnet. Nach den
einleitenden Worten des Dekans der Gruppe Milchbewirt-
schaftung ergriff unter tosendem Beifall ein Vertreter
der Militärregierung das Wort. Er erklärte in knappen
und trockenen Sätzen, der Amerikaner liebe zwar auch
Feierlichkeiten, indessen sei er (der Vertreter) noch nicht
darauf gekommen, was es an der 100. Zuteilungsperiode
zu feiern gäbe. Die Amerikaner seien aber keine Spiel-
verderber und er habe schon an so vielen deutschen
Feierlichkeiten teilgenommen, ohne im voraus ein rechtes
Bild von ihrem Sinn gehabt zu haben, daß er auch dies-
mal hoffe, im Verlaufe der Angelegenheit Näheres darüber
zu erfahren. Im übrigen möchte er noch einmal ganz
entschieden betonen, daß die Militärregierung vieles ver-
EIN JUBILÄUM
suche, um die deutsche Not zu lindern, daß sie jedoch
Washington keine Vorschriften machen könne.
In der nun folgenden Ansprache schilderte der Präsident
der Union deutscher Bauernverbände (UDBV) :ioch ein-
mal die schwere Not der Bauern in den schwärzesten
Farben und unterstrich wiederholt, daß das Ablieferungs-
soll auf keinen Fall erhöht werden dürfe, wenn man
nicht Gefahr laufen wolle, die Substanz unserer Ernährer
selbst anzugreifen. Zu dem Thema des Umtauschs jeder
Kuhhaut gegen elf Pfund Leder erklärte er, die Behaup-
tung, diese Massenablieferungen gäben ein schönes Bild
von dem Umfang der Schwarzschlachtungen, als eine
ganz böswillige Verleumdung. Diese Häute seien das
sauer verdiente Produkt einer langen und harten Sclbst-
beschränkung und Sparsamkeit und überdies ein Beweis
mehr für den festen Willen der Bauern, dem Volk seine
Werte zu erhalten.
Der Präsident streifte dann kurz die Bodenreform unter
Hinweis auf die zu erwartenden Mißernten im Falle ihrer
OER SPIRITIST
Ich ging zu einem Spezialisien
und Meister aller Spiritisten
und fragte ihn bei seiner Ehre,
ob es denn wirklich möglich wäre,
mit federn Geist, den man von ihnen
verlange, augenblicks %u dienen.
Als er befahte, bat ich dreist
und roh um einen Himbeer-Geist.
Der Spiritist hat tiefgekränkt
um Mitternacht sich aufgehängt.
IV. Bemmer
Durchführung. „Denn," so führte er wörtlich aus, „Ich
kann mir wahrhaftig nicht vorstellen, mit welchen Mitteln
Neubauern z. B. meine Ländereien nach einer Aufteilung
bewirtschaften wollten." Der Redner befürwortete
schließlich auf das wärmste eine möglichst umfangreiche
Einfuhr ausländischer Lebensmittel, jedoch nur auf Grund
sehr kurzfristiger Verträge, da man letzten Endes dem
Bauern, der jetzt so viel leiden müsse, nicht spätere
Absatzmöglichkeiten verschließen dürfe, und schloß mit
einem Appell an die Städter, doch Einsicht walten zu
lassen und für die nächste Ernte eifrigst zu beten.
Als nächster sprach der Rektor der Mallersdorfer Wirt-
schaftsakademie. Er gab einen umständlichen Bericht über
die in der Ernährung bereits geleistete wissenschaftliche
Arbeit und verlor sich in einer gewissenhaften Auf-
zählung sämtlicher seit dem Weltkrieg erfundenen syn-
thetischen Nahrungsmittel. Das Publikum verlor sehr
schnell die Geduld und rief den Professor unter Hinweis
auf die Girlanden und Speckseiten' zur Ordnung. Der
Redner, sichtlich verwirrt, bat um ein Glas Heißgetränk.
Leider konnte er damit seine nervöse Heiserkeit nicht
überwinden. Seine außerordentlich interessanten Ausfüh-
rungen über die Entrahmung von Kuhfladen und deren
Weiterverwendung für die Brennstoffversorgung gingen
in dem wachsenden Lärm unter. Es gelang zwar dem
schnellen Eingreifen der MP, die Ordnung wieder herzu-
stellen, jedoch nicht die dreißig Meter Regensburger der
Saalrückwand zu retten.
Der Rektor war nach diesem respektlosen Zwischenfall
sichtlich bemüht, schnell zum Ende zu kommen. Er kam
aber nicht mehr bis dorthin, denn, als er von den Ver-
suchen sprach, durch ein vollkommen neuartiges Ent-
keimungs- und Raffinierungsverfahren die Diabetiker zur
Zuckergewinnung heranzuziehen, hagelte es Zwischenrufe,
wie: — Pfui! — Nach Nürnberg mit ihm . . . ! Unglück-
licherweise bestand der Redner auf den Hunderten von
Tonnen Zucker, die auf diese Weise täglich der Volks-
wirtschaft verlorengehen, und entfesselte damit den
Sturm. — „Jawohl! Säue!" so griff er einen der Zurufe
auf, „ich sehe, die Wissenschaft wirft hier Perlen vor
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W. Menno
(EIGENBERICHT) — Die Festlichkeiten anläßlich der
100. Zuteilungsperiode fanden gestern im Rahmen einer
feierlichen Kundgebung ihren würdevollen Abschluß. Der
Festsaal war zu diesem Zwecke auf das appetitlichste
hergerichtet. Schier endlose Girlanden aus Regensbur-
gern und Weißwürsten schmückten die Wände, untersetzt
von den Reklametafeln der ehemals führenden deutschen
Schokoladefabriken. Es handelte sich dabei um frei-
willige Spenden aus Niederbayern (bei den Tafeln!).
Der Hintergrund der Bühne stellte ein ebenso geschmack-
volles wie buntes Mosaik dar, zusammengesetzt aus
allen Kk, Jgd, E, Eier-, Milch-, Kartoffel-, Selbstver-
sorger-, Schwerarbeiter- und anderen Karten, in der
Mitte durch eine Art Scheunentor unterbrochen, aus dem
ein überlebensgroßer und bengalisch beleuchteter Kuh-
kopf schaute. An Stelle der Soffitten überdachten in
origineller Weise ganze Reihen von Speckseiten, Gänse-
biüsten usw. (Herkunft Polnisch-Pommern) grottenartig
die Bühne. Das Rednerpult bestand hingegen nur aus
einer kunstvollen Konstruktion Berliner Schaupackungen.
Der Saal war bereits am Abend vor der Kundgebung von
einer ungeheuren Menschenmenge belagert, und das Über-
füllkommando wurde in der Nacht nicht weniger als sieben-
mal alarmiert, so daß ec sich gegen morgens 4 Uhr wegen
Benzinmangcls entschloß an Ort und Stelle zu bleiben.
Die Feierlichkeit wurde unter den Klängen von L. van
Beethovens „Verlorenem Groschen" eröffnet. Nach den
einleitenden Worten des Dekans der Gruppe Milchbewirt-
schaftung ergriff unter tosendem Beifall ein Vertreter
der Militärregierung das Wort. Er erklärte in knappen
und trockenen Sätzen, der Amerikaner liebe zwar auch
Feierlichkeiten, indessen sei er (der Vertreter) noch nicht
darauf gekommen, was es an der 100. Zuteilungsperiode
zu feiern gäbe. Die Amerikaner seien aber keine Spiel-
verderber und er habe schon an so vielen deutschen
Feierlichkeiten teilgenommen, ohne im voraus ein rechtes
Bild von ihrem Sinn gehabt zu haben, daß er auch dies-
mal hoffe, im Verlaufe der Angelegenheit Näheres darüber
zu erfahren. Im übrigen möchte er noch einmal ganz
entschieden betonen, daß die Militärregierung vieles ver-
EIN JUBILÄUM
suche, um die deutsche Not zu lindern, daß sie jedoch
Washington keine Vorschriften machen könne.
In der nun folgenden Ansprache schilderte der Präsident
der Union deutscher Bauernverbände (UDBV) :ioch ein-
mal die schwere Not der Bauern in den schwärzesten
Farben und unterstrich wiederholt, daß das Ablieferungs-
soll auf keinen Fall erhöht werden dürfe, wenn man
nicht Gefahr laufen wolle, die Substanz unserer Ernährer
selbst anzugreifen. Zu dem Thema des Umtauschs jeder
Kuhhaut gegen elf Pfund Leder erklärte er, die Behaup-
tung, diese Massenablieferungen gäben ein schönes Bild
von dem Umfang der Schwarzschlachtungen, als eine
ganz böswillige Verleumdung. Diese Häute seien das
sauer verdiente Produkt einer langen und harten Sclbst-
beschränkung und Sparsamkeit und überdies ein Beweis
mehr für den festen Willen der Bauern, dem Volk seine
Werte zu erhalten.
Der Präsident streifte dann kurz die Bodenreform unter
Hinweis auf die zu erwartenden Mißernten im Falle ihrer
OER SPIRITIST
Ich ging zu einem Spezialisien
und Meister aller Spiritisten
und fragte ihn bei seiner Ehre,
ob es denn wirklich möglich wäre,
mit federn Geist, den man von ihnen
verlange, augenblicks %u dienen.
Als er befahte, bat ich dreist
und roh um einen Himbeer-Geist.
Der Spiritist hat tiefgekränkt
um Mitternacht sich aufgehängt.
IV. Bemmer
Durchführung. „Denn," so führte er wörtlich aus, „Ich
kann mir wahrhaftig nicht vorstellen, mit welchen Mitteln
Neubauern z. B. meine Ländereien nach einer Aufteilung
bewirtschaften wollten." Der Redner befürwortete
schließlich auf das wärmste eine möglichst umfangreiche
Einfuhr ausländischer Lebensmittel, jedoch nur auf Grund
sehr kurzfristiger Verträge, da man letzten Endes dem
Bauern, der jetzt so viel leiden müsse, nicht spätere
Absatzmöglichkeiten verschließen dürfe, und schloß mit
einem Appell an die Städter, doch Einsicht walten zu
lassen und für die nächste Ernte eifrigst zu beten.
Als nächster sprach der Rektor der Mallersdorfer Wirt-
schaftsakademie. Er gab einen umständlichen Bericht über
die in der Ernährung bereits geleistete wissenschaftliche
Arbeit und verlor sich in einer gewissenhaften Auf-
zählung sämtlicher seit dem Weltkrieg erfundenen syn-
thetischen Nahrungsmittel. Das Publikum verlor sehr
schnell die Geduld und rief den Professor unter Hinweis
auf die Girlanden und Speckseiten' zur Ordnung. Der
Redner, sichtlich verwirrt, bat um ein Glas Heißgetränk.
Leider konnte er damit seine nervöse Heiserkeit nicht
überwinden. Seine außerordentlich interessanten Ausfüh-
rungen über die Entrahmung von Kuhfladen und deren
Weiterverwendung für die Brennstoffversorgung gingen
in dem wachsenden Lärm unter. Es gelang zwar dem
schnellen Eingreifen der MP, die Ordnung wieder herzu-
stellen, jedoch nicht die dreißig Meter Regensburger der
Saalrückwand zu retten.
Der Rektor war nach diesem respektlosen Zwischenfall
sichtlich bemüht, schnell zum Ende zu kommen. Er kam
aber nicht mehr bis dorthin, denn, als er von den Ver-
suchen sprach, durch ein vollkommen neuartiges Ent-
keimungs- und Raffinierungsverfahren die Diabetiker zur
Zuckergewinnung heranzuziehen, hagelte es Zwischenrufe,
wie: — Pfui! — Nach Nürnberg mit ihm . . . ! Unglück-
licherweise bestand der Redner auf den Hunderten von
Tonnen Zucker, die auf diese Weise täglich der Volks-
wirtschaft verlorengehen, und entfesselte damit den
Sturm. — „Jawohl! Säue!" so griff er einen der Zurufe
auf, „ich sehe, die Wissenschaft wirft hier Perlen vor
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Dem Krieg sind sie entkommen, nun schützt sie vor dem Hunger"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)