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MITTERNACHTS-SPUK

Szene: Weg im Randgebiet einer deutschen Ruinenstadt.

Hinter dem Weg ein niedriger Lattenzaun. Etwa in

der Mitte eine Gaslaterne, die brennt.
Zeit: 1946.

Von einem Kirchturm schlägt es die zwölfte Stunde:
Mitternacht. Von rechts kommt Maxe mit einem schwe-
ren Rucksack auf dem Rücken dahergetrottet. Sein
Anzug: typisches Heimkehrerzivil, umgefärbter Uni-
formrock, umgefärbte Militär-mütze.

*

Maxe: (macht halt) Herrgott nochmal, ist das Ding
schwer! (Geht ein paar Schritte weiter, macht wieder
halt) Nee. Bißchen Pause machen! (Er stellt sich
so an den Zaun, daß er den Rucksack darauf stützen
kann. Hebt das Gesicht zur Laterne) Nanu, was ist
denn mit dir los? Du brennst ja!

Laterne: (mit hoher, pfeifender Stimme) Ich erlaube
mir. Im Rahmen des friedlichen Wiederaufbaus. Auf
Befehl des Führers —

Maxe: Den gibt's doch nicht mehr.

Laterne: Ach, was Sie sagen! Und kein neuer Führer?

Maxe: Hat sich ausgeführt. Total.

Laterne: Total? Aber das klingt doch immer noch nach —
Wissen Sie, ich bin zu wenig orientiert. Wenn man
so lange nicht brennen durfte — die ganzen Verdun-
kelungsjahre —, weiß man ja nichts aus eigenem
Augenschein. Immer nur Geräusche und Gerüchte!

Maxe: Die Geräusche müßten dich informiert haben.
Hier in der Gegend hat's doch kräftig gebumst.

Laterne: Aber wer hat wen gebumst? Der Radau dürfte
bei den - Kriegsmaschinen aller Kombattanten der
gleiche gewesen sein.

Maxe: Es gab gewisse unterschiedliche Nüancen.

Laterne: Ich bin Beleuchtungskörper, also Lichtspezi-
alistin. Auf Schallwellen nicht geeicht.

Maxe: Kann man gelten lassen. Aber ich zum Beispiel
war auf Politik auch nicht geeicht und muß jetzt die
ganze Schweinerei mit ausbaden.

Laterne: Mit versagt, mit geplagt!

Maxe: Bißchen doppeldeutig. — Apropos, wieso sprichst
du eigentlich? Schließlich bist du 'ne Laterne.

Laterne: Pah! Ich möchte wissen, was die Menschen so
bedeutendes auszusagen haben, daß sie sich einbilden,
sie allein hätten zu sprechen,

Maxe: Auch wieder richtig. Von mir aus
sprich also ruhig weiter! Aber, falls du
dich für besonders erleuchtet hältst: gar
so üppig ist das nicht. Guck' dir mal
den schäbigen Lichtkreis um dich herum
an!

Laterne: Immerhin, ich brenne zu Belcuch-

tungszwecken. Können Sie das?
Maxe: Beim besten Willen nicht. In mir

sieht's zappendüster aus.
Laterne: Sie haben kein Rückgrat, lieber

Herr.

Maxe: O doch, o doch!

Laterne: O nein. Sonst hätten Sie nämlich
den nationalen Kampf gegen den Ansturm
der Feinde aus West und Ost durch-
gehalten.

/ Maxe: Habe ich ja. Und viel zu lange.
Eben weil die Sache mit dem Rückgrat —
Jetzt weiß ich nicht, habe ich nun Rück-
grat bewiesen, indem ich bei dem Blöd-
sinn aushielt, oder hätte ich Rückgrat
beweisen sollen, indem ich den Krempel
einfach hingeschmissen hätte . . .

Laterne: Erlauben Sie mal, was reden Sie
denn da ehrloses Zeug zusammen? Es
steht ein für alle Mal fest, daß der
deutsche Soldat der beste Soldat der
Welt ist. Mithin —

Heldengespenst Osfear; (taucht plötzlich
hinterm Zaun aus seinem dort befind-
lichen Grabe auf und schlägt ein wie-
herndes Gelächter an) Hahahahahaha —
hahahahahaha!

Maxe: (erschrickt, möchte fortrennen, kann
aber von seinem auf dem Zaun fest-
gehakten Rucksack nicht los und sieht
sich das Gespenst einmal genauer an)
Mensch, dich kenne ich doch!

Osfear: Es ist nicht zu fassen: „der beste
Soldat der Welt"! Und jedesmal, wenn
im Umkreis von einer deutschen Meile
jemand diesen Nonsens verzapft und es
ist gerade Gespensterstunde, dann muß
Ich raus aus meinem Erdloch und spuken.
Das passiert nun schon das dritte Mal
in dieser Woche.

Laterne: Es ist bereits die Nacht von Sonnabend auf
Sonntag.

Osfear: Es reicht mir trotzdem! Dreimal diese Woche!
Wie soll das erst werden, wenn sie sich einen neuen
Dolchstoßschwindel erfunden haben; denn das kommt
ja auch noch.

Maxe: Hör' mal zu, ich kenn' dich.

Osfear: Du kennst mich? Nee. Wir sehen nämlich alle
ziemlich egal aus, wenn wir erst mal im Grabe liegen.
Und beim Militär haben wir ja auch schon ziemlich
egal ausgesehen... Es muß 'ne Verwechslung sein.

Maxe: Aber du bist doch der, der das Techtelmechtel
mit der Frieda hatte, als ich das letztemal von der
Front auf Urlaub kam.

Osfear: Wie geht's denn Frieda? Ist sie gut durch-
gekommen?

Laterne: Was eine richtige Frieda ist, die weiß sich's

zu arrangieren.
Maxe: Quatsch! Es hat sie erwischt, drei Tage vor

Schluß: Granate, als sie über die Straße nach Wasser

rannte.

Osfear: Ach, du liebe Güte! Da hat sie mich also nur

um einen Tag überlebt.
Maxe: Du bist also doch derjenige, welcher...
Osfear: Ich war, ich war... Lassen wir doch die leidige

Geschichte! Hin ist hin, das mußt du wohl zugeben.
Maxe: Und ob!

Laterne: Bei Ihnen, meine Herren, scheint leider das
Wichtigste hin zu sein, worüber ein Mann von echtem
Schrot und Korn verfügt: das Ehrgefühl.

Osfear: Solange ich das noch hatte, hat es über mich
verfügt und nicht umgekehrt. Und deswegen bin ich
jetzt tot. i

Laterne: Was hätten Sie auch von einem ehrlosen Leben!

Osfear; Das Leben. Schließlich nicht zu verachten. (Zu
Maxe) Du, ich garantier' dir, es ist nicht zu ver-
achten. Sogar dann, wenn's schwer ist und man sich
abrackern muß vom Morgen bis zum Feierabend und
nachher auch noch: es ist nicht zu verachten!

Laterne: Sie sind als Held im Kampfe gefallen. Sie
sollten dem Leben nicht nachtrauern.

Osfear: Ich tu's aber. Und als Held gefallen bin ich
auch nicht, sondern als Angsthase.

Laterne: Pfui!

Osfear: Als Angsthase, wie die meisten andern.
Laterne: Nochmals pfui!

Osfear: Angst vor den Vorgesetzten und dazu noch eine
Heidenangst vor den feindlichen Panzern. So sah der
ganze heldenhafte Kampf aus.

Laterne: Schweigen Sie! Verunglimpfen Sie nicht das
Andenken an eine Generation von Heroen!

Osfear: Zwei Generationen von Dummköpfen, basta! Mir
reicht's jetzt! Wenn ich noch daran denke, wie ich
hier, wo ich jetzt begraben bin, im Schützenloch lag
und wie dort drüben die russischen Panzer anrollten!
(Er bricht in Gelächter aus)

Laterne: Skandalös! Man könnte sich schämen, eine
deutsche Gaslaterne zu sein, wenn man so etwas hört!
(Zu Maxe) Sagen Sie doch ein Wort! Sie waren ja
ebenfalls Soldat in der Armee des Führers.

Maxe: Stimmt. Nichts wie angeführt und immer wieder
angeführt. Und Angst. Jawoll: Angst! Vor den Vor-
gesetzten, vor den Kameraden: als Ehrgefühl getarnte
Angst! Und auch das verletzte Ehrgefühl von wegen
Frieda: Angst, daß die andern lachen könnten, Angst,
daß so schnell keine neue Frieda da wäre. Aus Angst
ist der Mensch gemacht!

Osfear: Sag' das möglichst vielen, Mensch; du bist noch
am Leben! Sag's ihnen! Vielleicht hilft's, den Masken-
plunder runterzureißen, den sie sich aus tausend
Ängsten überhängen.

Laterne: Oh, hätte ich diese Zeit nie erlebt! Die Heiligsten
Güter in den Kot getreten! — Ich folge meinem
Führer! (Sie gibt sich einen Ruck, bricht kurz über
dem Straßenpflaster ihre Existenz ab und liegt gleich
darauf lang und lichtlos da.)

Osfear: Diese Leiche hat's in sich. Sie stinkt sofort nach
Gas und gefährdet ihre nähere Umgebung. — Mach's
gut, Maxe! Ich rutsche zurück in meine Heldengruft.
(Gespenst Oskar verschwindet.)

Maxe: Ich bin wieder mal übriggeblieben. — Er meinte,
das Leben wäre nicht zu verachten . . . Schließlich muß
er's wissen; denn er ist tot... Und wozu würde ich
mich auch sonst mit dem schweren Rucksack voll
Kartoffeln abschleppen! (Er geht langsam davon.)

Walther C. F. Lierfee

DER STEIN

DES ANSTOSSES

H. Nleyev-Mengede: HOFFNUNGSLOSER AUGENBLICK

Zum erstenmal reisen mohammedanische
Pilger, wie gemeldet wird, in Flugzeu-
gen von Bagdad nach Mekka. Wer meckert
da? Im Koran steht, sie sollen pilgern. Es
steht nicht da, daß sie laufen müssen.
Auch nicht, daß sie nicht fliegen dürfen.
Es ist nur von ,,pilgern" die Rede. Das
spricht für die Weisheit und Weitsicht des
Propheten, der das Grün der Hoffnung in
seine Fahnen wirkte. Sie fliegen also nach
Mekka, um die Kaaba, den heiligen Stein,
zu küssen. Eine schöne Sitte.
Auch wir haben Steine, die uns heilig (und
teuer) sind. Viele. Und wenig Brot. Was
uns noch heiliger ist! Bei uns liegen die
Steine nicht in einer Moschee — sondern
unsere Moscheen liegen teilweise unter den
Steinen. So viele Steine haben wir, dij
auch von oben herunter gefallen sind, wie
die Kaaba. Niemand pilgert freiwillig zu
ihnen; wir müssen dazu gezwungen werden.
Freilich, es geht auch nicht darum, sie zv
küssen, sondern sie wegzuräumen, zu
säubern, zusammenzusetzen. Auch fehlt uns
der Koran, der diesem Tun einen Sinn ge-
ben könnte und uns einen Blick in das
kommende Reich, das von dieser Welt ist,
zu eröffnen vermöchte. Das Buch unseres
Propheten spricht gegen seine Weisheit
und Weitsicht. Er gilt nichts mehr in seinem
Vaterlande. Bei uns auch nicht. Heute haben
wir nur die sogenannten seltsamen Heili-
gen und allzuviel Ungläubige. Wer aber
trotzdem nicht mittut, wenn wir zu den
Steinen pilgern, das heißt, wer sich an
der Wallfahrt zum' Aufbau der neuen
Wohlfahrt nicht beteiligt, wird künftig
auch bei uns fliegen! Beim Barte des
Proleten! Qualm

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Hoffnungsloser Augenblick"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Meyer-Mengede, Heinz
Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Der Simpl, 2.1947, Nr. 4, S. 50.
 
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