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DER SIMPL RUFT. DIE JUGEND

MIT TONFILM UND VOLLBART

Her mit dem Umhängevollbart! Reicht mir die Silberstreifen von der Wasch-
kommode und bindet sie mir ins schüttere Blondhaar. Ich will Brusttöne reden
Man lasse Enkel um meine Knie spielen und rufe Jugendliche vom Schwarzen
Markt herbei. Wir Alten wollen mal Jugendparlament spielen. Der Harfner schlage
dazu die Zehn der Woche. Jeder, der sich alt fühlt, muß mal zur Jugend reden.
Der Jugend gehört bekanntlich die Zukunft, es zittern die morschen Knochen.
Wer länger lebt, hat mehr vom Leben und länger recht.

Ihr seid die abgedroschenen Phrasen satt? Bravo! Nun aber wollen wir sie
dreschen, daß das Knochengerüst blank herausschaut, die schieren Phrasen. Es
kann gar nicht genug gedroschen werden.

Ich weiß, Ihr habt das . Kriegserlebnrs, es ist viele Schüsse Pulver wert. Haben
wir auch, die wir in den Kellern steckten. Aetsch, diesrrtil habt Ihr nichts voraus!

DER RUF

DER JUNGEM GENERATION

Wir wollen sie hören

Wir wollen sie hören, weil wir unsere künftige
politische Gestalt erarbeiten müsseh, und sie uns
nicht aufgesetzt werden kann wie der Deckel dem
Topf.

Wir wollen sie hören, weil die politische Erziehung
des deutschen Volkes nur von Deutschen geleistet
werden kann.

Wir müssen sie hören, weil wir die Diskussion in
diejenigen Kreise hineintragen wollen, die vor allem
der „Erziehung" bedürfen.

Sie sollen sprechen, damit wir wissen, welche Kon-
sequenzen sie aus der deutschen Katastrophe, die
ihre Katastrophe ist, ziehen.

Sie sollen sprechen, damit die Konservierung des
Nationalsozialismus endlich aufhört und wir an-
fangen können, den Riß zu heilen, der mitten durch
"das Volk geht.

Wir halten den Zeitpunkt für gekommen, wo in
gewissen Fällen von der bürokratischen Norm ab-
gewichen werden sollte, weil Vertrauen an Stelle
des Fragebogens getreten ist.

DER SIMPL

KUNST-KARIKATUR • KRITIK

Wir wollen sie nicht hören

Wir wollten sie nicht hören, eben weil wir unsere künf-
tige politische Gestalt erarbeiten müssen, die nicht
mehr der ihrigen ähnlich sein soll.
Wir wollen sie nicht hören, weil die politische Erziehung
des deutschen Volkes nur von großzügigen und welt-
offenen Deutschen geleistet werden kann und nicht noch
einmal in ihre blutigen Hände fallen darf.
Wir müssen sie nicht hören, weil sie uns zwölf Jahre
hindurch täglich bewiesen haben, daß mit ihnen eine Dis-
kussion nicht möglich ist.

Sie sollen nicht sprechen, sie haben schon zu lange und
zuviel gesprochen und versprochen. Ihre Konsequenz aus
der deutschen Katastrophe, die leider auch unsere Kata-
strophe ist, verbergen sie uns ja nicht: Sie wollen für
nichts verantwiortlich sein.

Sie sollen nicht sprechen und mögen ihren National-
sozialismus konservieren, bis er ihnen selbst lästig
wird. Es gehen viele Risse durch das deutsche Volk,
nicht nur einer; wir werden sie nie heilen können,
wenn wir s i e sprechen lassen.

Wir halten den Zeitpunkt noch nicht für gekommen,
wo Vertrauen an Stelle des Fragebogens treten kann.
Sie sollen sich das Vertrauen erst verdienen.
Sie, die Erfinder der „künstlich produzierten Gemein-
schaft", werden sich freuen, den Satz zu hören: Künst-
lich produzierte Gemeinschaften, die vom natürlichen
Strom des Volkslebens abgetrennt werden, sind aber die

In Deutschland sind Enklaven des Nationalsozialis-
mus geschaffen worden' Künstlich produzierte Ge-
meinschaften, die vom natürlichen Strom des Volks-
lebens abgetrennt werden, sind aber die Ent-
stehungsherde für Geisteskrankheiten, weil sie sich
ohne echte Auseinandersetzung mit den die Wirk-
lichkeit gestaltenden Kräften entwickeln. Lager,
welchem Zweck sie auch dienen, sind die Begräbnis-
stätten der Vernunft. Die hinter Stacheldrähten ein-
geweckten, jeder Beeinflussung von außen entzogenen
Nationalsozialisten können keine Demokraten wer-
den, auch wenn sie wollten.

Die Enklaven bewhränken sich jedoch nicht auf jene
Gebiete, die buchstäblich von Stacheldraht umzogen
sind. Sie sind überall dort zu finden, wo der Zu-
sammenprall der Meinungen unterbunden wird, wo
man glaubt, politisch desinfizierte Räume schaffen zu
können.

Es wäre notwendig, demgegenüber Enklaven der
Demokratie zuzulassen, in denen Ausnahmebestim-
mungen gelten. Der von der jungen Generation aus-
gehende Ruf muß ohne sein wichtigstes Echo bleiben,
wenn wir die Auseinandersetzung nicht mit unseren
verbohrtesten Widersachern führen dürfen. Wird
uns die Frage nach dem Fragebogen nicht erlassen,
werden wir nicht in die Lage versetzt, von jenen
Stößen von Briefen und Beiträgen Gebrauch zu
machen, in denen sich die andere Seite endlich, end-
lich zum Worte meldet, angerührt von dem Ton der
Wahrheit, den sie in unserem Blatt findet, dann
werden, wir eines Tages in unserem Ungestüm von
der Frage gelähmt werden, wofür wir uns eigentlich
ins Zeug legen. DER RUF

Entstehungsherde für Geisteskrankheiten, weil sie sich
ohne echte Auseinandersetzung mit den die Wirklichkeit
gestaltenden Kräften entwickeln. Sie werden sich freuen,
daß i h r Stil, ihre „gestaltenden Kräfte" noch leben.
Sie werden sich freuen, daß dieser Satz um den „rech-
ten" Winkel herum langjährige KZ-Häftlinge als mög-
licherweise „geisteskrank" qualifiziert. Und sie werden
sich über einen anderen Satz nicht weniger freuen: Die
hinter Stachcldraht eingeweckten Nationalsozialisten kön-
nen keine Demokraten werden, auch wenn sie wollten.
Natürlich wollen sie Demokraten -werden, um aus dem
Stacheldraht herauszukommen. Haben wir denn noch
nicht genug Scheindemokraten außerhalb des Stachel-
drahtes?

Es ist traurig, daß wir in Deutschland überhaupt ideo-
logische Enklaven haben müssen, in denen der Zusam-
menprall der Meinungen gehemmt wird. Aber wir ver-
danken diese Tatsache ja gerade denen, die heute an-
geblich hinter Stacheldraht neuen Formen von „Geistes-
krankheiten" ausgesetzt sind.

Es wäre notwendig, demgegenüber Enklaven der Demo-
kratie zuzulassen, in denen Scheindemokraten die Min-
derheit bilden. Eine solche Enklave sollte aber Deutsch-
land heißen. Wenn sich auf dem Schreibtisch der „Un-
abhängigen Blätter der jungen Generation" Stöße von
Briefen und Beiträgen sammeln, deren Verwendung in
Anbetracht des Fragebogens nicht möglich ist, so wird
niemand behaupten können, dieser — wie sie sagen —
von der jungen Generation ausgehende Ruf bliebe „ohne
sein wichtiges Echo". Wir wollen dieses Echo nicht hören;
hören wir doch zu gut, wie es in den Wald (bzw. in den
Stacheldraht) — ruft.

Wir wollen aber jene junge Generation hören, die von
Natur kein Echo ist, die noch heute schweigt und die
allein morgen sprechen soll. Für die wallen wir uns ins
Zeug legen. , DER SIMPL

Ich weiß, ich weiß, das Abenteuer! Ihr werdet einst an Stammtischen sitzen in
Silberhaar und Euch davon unterhalten, womöglich schwärmen und dazu taktaktak
sagen wie Maschinengewehre, und pfft wie Flintenkugeln, und krachbum wie
Einschläge. So tun's alte Krieger, wenn es vorüber ist. Kerls, wollt Ihr denn ewig
sterben?

Ihr habt das Kriegserlebnis, man wird es Euch einflüstern. Aber aufgepaßt, das
Friedenserlebnis ist auch nicht von Pappe. Ich sage Euch, so ein Frieden ist eine
tolle, abenteuerliche Sache. Man geht zum Bahnhof, sagt: Eine Fahrkarte nach
Rom, steigt in ein leeres Abteil, schert sich um einen Dreck, um Devisen, um
Grenzen und Schlagbäume, der Reisepaß ist ein Märchen aus der Ritterzeit. Seht
Ihr, das zum Beispiel ist Frieden, ausgekochter Frieden. Vom Essen und Trinken
will ich nicht reden, Ihr seii es satt, wenn Ihr auch nicht satt seid.
Ich sage Ihnen, meine Herren, sehr sehr abenteuerlich ist so ein Frieden. Pro-
bieren Sie ihn mal, einmal daran gewöhnt, läßt man ungern davon, aber einer

neuen Jugend müßt Ihr auf die Finger sehen, so
einer, die noch kein Pulver roch und keine bren-
nenden Städte. Ich meine natürlidi nicht'Euch, ich
meine Eure Enkel. In der Jugend wird man nämlich
leicht vergeßlich.

(Mein Vollbart rauscht, hört Ihr's Kinder? Gar nichts
hört Ihr, sprich weiter Opapa Methusalem, Dein
Gebrabbel ist eine gute Tonkulisse für unsere Tanz-
musik.)

Habt Ihr's gehört, es soll Euren Enkeln einmal
besser gehen. Ach diese ewigen Enkel! Die Erde
wird immer kleiner und eines Tages sitzt auf ihr
dieser ekelhafte letzte Enkel und hat alle Fragebogen
ausgefüllt. Ob's dem dann besser geht? Heute gehört
Euch die ganze Welt und morgen vielleicht sogar
Deutschland oder doch Bebra oder ein Schreber-

garten

In der Ferne verklingt der Schritt der Marschkolon-
nen, und von vorne kommt der Schritt der Arbeiter-
bataillone. Um Gotteswillen keinen Gleichschritt!
Daß mir keiner Tritt faßt! Wir brauchen neue
Schlagworte. Fort mit dem handgearbeiteten alt-
modischen Zeug, wir brauchen das fabrikneue Mas-
senscb.Iagwort, Schlagwerk und gestopfte Trompete.
Wer stopft dem Alten die Trompete?
Wann kommt die Zeit, daß aus Jugendlichen wieder
Kinder werden. Es muß viel mehr gelacht werden!
Nieder mit dem tierischen Ernst!
O.ke Du mein lieb Heimatland. W. Foitzick

SCHfin-STlDEXTEK

DE\ liXMATBIKlLIliRTEIV IXS STAMMBUCH

Sie hatten noch nie

etwas Rechtes getan,

immer nur privatisiert.

So lebten sie wie

der erlauchte Ahn:

Bei armen Hühnern als stolzer Hahn.

Affektiert, degen'riert und borniert.

Dann rollte ihr Trick

und ihr Rausch und ihr Wahn,

lange schon organisiert.

Dann wurde im Krieg

jeder andere Mann

nur mehr ihr Knecht und als Untertan
gut dressiert, alarmiert, bombardiert.

Das Ende zerschlug

ihren sauberen Plan.

Macht nichts. Nun wurde „studiert".

Sie fanden den Pflug

und den Hammer profan

und lebten nach altem Schlendrian:

Nichts kapiert; amüsiert; rebelliert.

Nun ward, wer erkannt

als Studier-Scharlatan,

schleunigst exmatrikuliert!

Man schob ihn galant

auf die nützliche Bahn

und zog ihm den faulen „Weisheits"-Zahn!

Dispensiert — Demaskiert — und blamiert...

Applaudiert!

Heinz Hartwig

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