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DIE GRENZE ' J B1Sscb

DER UNBEKANNTE SOLDAT

Drunten in Italien hatte er einen Arm und ein
Auge verloren, ganz im Anfang, und nun war er
wieder ein Zivilist. Er war vierundzwanzig Jahre
alt und sehr still und scheu, seit er zurückgekom-
men war. Er hatte Arbeit. Nicht, was er erwartet
hatte, aber es war Arbeit, und er war zufrieden.
Sein Mädel hatte ihn daheim mit Tränen emp-
fangen, ihm trotz seiner Verstümmelung ewige
Treue geschworen und dann eiron andern gehei-
ratet. Er schwieg -und wurde noch stiller und
scheuer als zuvor. Alles, was er von der Welt ver-
langte, war, daß sie ihn in Ruhe lassen sollte.
Er lag lange Nächte hindurch wach und starrte in
die Dunkelheit und dachte. Und viele Dinge gingen
wie ein großer, schwarzer Strorn durch sein Herz.
Wenn er unter Menschen war, lächelte er beschei-
den. Und manchmal trank er.
Er saß hinter der Bar, sie sagten Hello zu ihm,
well, er war in Italien gewesen, er hatte einen Arm
und ein Auge verloren, für ihn war der Krieg -zu
Ende, poof guy, und das war das. Er haßte sie
für ihre albernen Reden, für ihr Mitleid, für ihre
Oberflächlichkeit. Wenn sie ihn baten, vom Krieg
zu erzählen, zahlte er schweigend und ging. Dann
saß er daheim in seinem Zimmer und hatte Kopf-
schmerzen: ein heißes, schmerzhaftes Hämmern in
den Schläfen.

Er dachte an S...... Einst war es ein Meines

Weinbauerndörfchen im südlichen Italien gewesen,
mit Häusern und Kindern und Mädchen und Wein,
und die Artillerie hatte es in Stücke geschossen.
Dann hatten sie das Dorf besetzt und die Deut-
schen hatten angefangen, in das Dorf hineinzu-
schießen, daß kein Stein auf dem andern blieb.
Dann kamen die deutschen Truppen zurück, und
dann kamen die amerikanischen wieder. Es war ein
Höllendurcheinander. Er war müde, der rollende
Donner der Artillerie-Brigaden raste in seinem
Kopf, Tag und Nacht. Auf den Straßen, in den
Weinbergen, lagen tote Zivilisten, tote Kinder tage-
lang, ehe sie begraben werden konnten. Er sah
einen sechzehnjährigen Knaben auf einem Bein und

Krücken davonhumpeln. Er sah eine Mutter auf
einem abendlichen Friedhof in Lumpen gehüllt über
einem Grabe knien, ihr schwarzes Haar flog wirr
und wild im Winde, ihre Zähne schimmerten im
offenen Munde und mit den Fingernägeln wühlte
sie in der Erde, unter der ihre drei kleinen Mäd-
chen begraben lagen. Er sah einen alten Priester
mit weißem Haar, unrasiert, ungewaschen, der ging
um seine zerschossene Kirche herum und lachte mit
verdrehten Augen und kicherte: ,,Und Friede auf
Erden, hihihihi, und Friede auf Erden, hihihihi. . ."
Als sie vorrückten, sahen sie einen Galgen, an dem
ein junger Mann im Abendwind baumelte. Er hing
steif in der Dämmerung und baumelte im Winde.
Von einem Berg aus sah er Dörfer brennen und
manchmal sah er Feldlazarette voller Soldaten und
Zivilisten. Einmal, in der Nacht, als sie vorrückten,
verlor er den Kontakt mit seiner Truppe und spä-
ter stolperte er und sein Gewehr fiel über eine
Felswand. Er wanderte weiter und traf einen feind-
lichen Soldaten, der ebenfalls allein war und keine
Waffen hatte. Sie verstanden einander nicht, aber
der Mond schien und sie verständigten sich durch
Zeichen. Er legte sich schlafen, und der feindliche
Soldat legte ^ sich ebenfalls schlafen. Sie waren

beide so hungrig und müde, und die Artillerie

schwieg in dieser Nacht. Am Morgen saßen sie auf
den Felsen und aßen, was sie bei sich hatten und
sahen auf das Tal unter ihnen und auf die zer-
schossenen Häuser und Kirchen. Später fing die
Artillerie wieder an zu brüllen. Sie sahen sich an:
müde, schmutzig und heimwehkrank. Eine einsame
Möve flatterte hqch über ihnen. Sie stolperten süd-
wärts. Am Wege lag ein zertrümmerter Karren,
und eine tote Bauernfamilie lag zerstreut in der
Nähe. Granattreffer. Er kniete neben dem kleinen
Mädchen nieder, das sanftes, dunkelbraunes Haar
hatte. Er schnitt sich eine kleine Locke ab und
steckte sie in die Brusttasche über seinem Herzen.
Die Einschläge kamen näher, sie begannen zu ren-
nen, und dann sah und hörte und fühlte er plötz-
lich nichts mehr.

*

Wenn sie ihn baten, vom Krieg zu erzählen, zahlte
er schweigend und ging. In der Brieftasche über
seinem Herzen trug er die weiche, dunkelbraune
Locke eines kleinen Mädchens aus Italien. Er war
scheu und schweigsam, und viele Dinge gingen wie ein
großer, dunkler Strom durch sein Herz. F. Zorn

ABEND

Du, — du bist mein Widerspruch,
Wenn du abends von uns scheidest.
Es umspielt dein gold'ner Strahl
Ungerechte und Gerechte.
Prasser so wie Darbende,
Hungernde und Satte auch. —
Mir kommt dann allabendlich
Der Gedanke, daß wir doch
Nurmehr alle Brüder sind. —

SONNE

Aber deine gold'nen Strahlen

Spielen nur, dir folgt die Nacht..

Dann ist alles Gold'ne fort.

Hungernde und Darbende

Betten nicht ihr müdes Haupt

So wie satte, ungerechte

Prasser; ihnen fehlt das Dach.

Und das ist auch mondbegossen

Häßlich.-- Ff. Sdmeekloth

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Grenze"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Blisch, Kurt Jan
Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 2.1947, Nr. 10, S. 118.

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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