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DER ORGANISATOR DES „MÜNCHNER SOMMER 1947"

Prof. Dr. h. c. Hans Ludwig HELD, Direktor der städtischen
Bibliotheken und Beauftragter für Kultur der Stadt München.

WIR WOLLEN JETZT RUHIG DARÜBER SPRECHEN

Bisher wurde man als Banause, Spießer und noch
Schlimmeres entlarvt, wenn man kritisch darüber
sprach, wenn man eine Gegenmeinung äußerte.
Aber jetzt spricht man ja schon wieder über
alles. Man betreibt diskutive Kalorien-Politik.
Man ereifert sich über Bücher, deren Titel einem
nur aus Zeitschriften bekannt werden. Man äußert
sich kritisch zu den existentialistischen Philoso-
phistereien flachbrüstiger junger Mädchen, die so
charmant antike Namen haben. Man spendet Bei-
fall, man lächelt und pfeift wieder im Theater.
Wobei mir persönlich das Belächeln immer als
das Erfreulichste, weil akustisch Wohltuendste,
erscheint. Zum Beispiel das Belächeln jenes arm-
seligen jungen Mannes, der, anders als König
Drosselbart im Märchen, keine Mittel und Wege
fand, seinem Bräutlein Antigone die hysterischen
Verstiegenheiten auszutreiben. Denn Hysterie ist
ein Unglück, aber durchaus nicht so tragisch zu
nehmen, vor allem nicht im Theater. Weil es
dort komisch wirkt. Am komischsten durch die Wir-
kung, die es auf junge Männer hat, die keine sind.
Apropos, Hysterie, — wir wollten ja von Kunst
sprechen. Von der bildenden Kunst. Oder was
uns zur Zeit als solche von der „Neuen Gruppe"
in der Lenbach-Galerie dargeboten wird. Aber
das hat seine Schwierigkeiten. Weil, wie schon
eingangs gesagt, man leicht als Banause, als
Spießer oder als noch Schlimmeres verschrien
wird, wenn man das sakrosankte Tabu der „neuen"
Kunst durch eine immer sehr unheilige Kritik ent-
weiht. Doch selbst wenn, ich das Odium eines
Banausen gelassen auf mich nehme, so sind einer
solchen von uns angestrebten sachlichen Kritik
eine Menge Schwierigkeiten in den Weg gestellt.
Genauer gesagt: es werden der Kritik gar keine
Wege und Weisen zugebilligt, an die „neue"
Kunst heranzukommen. Denn alle überkommenen
ästhetischen Grund- und Schulbegriffe, behauptet
die neue Kunst, gelten für sie nicht mehr.
Nun gut, sollen sie nicht. Aber irgendwie muß ja
emmal eine Plattform geschaffen werden, von der

eine beispielsweise abstrakt irreale oder eine kon-
kret surreale Malerei sachlich kritisch betrachtetund
festgestellt werden kann, ob sie gut oder schlecht
ist, das heißt, ob sie ihren eigenen Wesensgeset-
zen, die ja in ihr liegen müssen, entspricht oder
nicht entspricht, — kurz, ob wir es mit Kunst oder
Unkunst zu tun haben. Denn so einfach wollen
wir es uns und der neuen Kunst nicht machen,
daß wir alles Neue einfach für gut und richtig
und für bedeutend nehmen, bloß weil es neu ist.
Und geistig so anspruchslos sind wir auch nicht,
uns nur immer mit dem zarten Gesausel einfühl-
samer Deutungen und geheimnishafter Vergleiche
zu begnügen oder uns von den künstlichen Wohl-
gerüchen literarischer Papierblüten betäuben zu
lassen. Wir hoffen, daß man uns das nicht gleich
als ,,Roh"heit auslegen und dieserthalben zum
Kadi laufen wird. Das würde uns zu innerst be-
trüben. Aber auch das wollten wir, notfalls mit
Würde, zu tragen wissen. —

Bei unserem Eintritt in die Ausstellung erhalten
wir an der Kasse ein literarisches Manifest in die
Hand gedrückt, das uns auf dem schweren Wege
Geleit und Weisung geben soll. In den bekannt
schlichten Worten des geistigen Hauptes dieser
Bewegung wird uns -gesagt, daß sie nur die
„eigenwilligen Individualitäten" vertritt, ganz
gleich, an welche „formalen. Ergebnisse" welcher
Ismen auch diese ihre Kunst anknüpften. Dabei
sei sie „intransigent gegen bequemes Epigonentum
und unaufrichtige Mache".

Hoppla, da scheint mir aber ein Denkfehler vor-
zuliegen, der, wenn er in die Praxis der neuen
Bildnerei mit eingeflossen sein sollte, verheerende
Folgen haben muß. Denn ist schließlich Epigonen-
tum etwas anderes als das Anknüpfen an die
„formalen Ergebnisse" irgendwelcher vorausgegan-
gener Kunst-Ismen?

Aber lassen wir diese heikle Frage vorerst ein-
mal beiseite und schauen wir uns unter dem Ge-
botenen um. Und da finden wir bald, daß sich das
Ganze wie eine Torte schichtet. Zu unterst der

solide Tortenboden der Traditionalisten, wie wir
sie für uns benennen wollen. Das sind die netten
alten Herren mit und ohne weiße Spitzbärte, die
mit Kultur, Geschmack und guter Münchener Ate-
liertradition nette Bilderchen malen. Die als stim-
mungsvoller Wandschmuck über dem Sofa auf-
gehängt werden sollen. Die Bilderchen natürlich.
Und die in jeder guten Kunsthandlung zu kaufen
sind. Für fünfhundert, für tausend, für. zweitausend
Mark, je nach Goldrahmen. Wir wünschen den
alten Herren weiterhin viel Vergnügen bei ihrer
Arbeit und wenden uns der nächsten Schicht zu.
Vielleicht steckt da das „Neue" drin.
Dudala, duda, — tschengbum, lallidul Na, das
klingt ja ganz vielversprechend. Das sind schein-
bar die Dudalallisten? Ja, das sind sie. Sie machen
reizende Entwürfe für Kekspackungen, Kissenplat-
ten, kunstgewerbliche Vorhangstoffe und Tapeten,
hübsche Einband- und Vorsatzpapiere und deko-
rativen Wandschmuck. Wenn ich als künstle-
rischer Berater bei den Deutschen Werkstätten
etwas zu sagen hätte, würde ich zu den Herren
Direktoren sagen: diese hier, wie Levedag, Acker-
mann, Gilles, Kunz, Trökes, Best, Kuhn, Legher
und andere, die holt euch mal als Musterzeichner
und Entwerfer. Der fundamentale künstlerische
Irrtum dieser Musterzeichner besteht nur darin,
daß sie ihre kunstgewerblichen und dekorativen
Sächelchen für sinndeutfähige, echte Kunst an-
sehen. Aber solche Dinge werden auch dann noch
nicht zu Kunstdingen, wenn sich ihre Hersteller
die „formalen Ergebhisse" beispielsweise von Franz
Marc zunutze machen, wie etwa Imkamp, Nay,
Winter und andere. Oder wenn Geitlinger an den
heiter verspielten Klee „anknüpft", ohne doch
dessen farbigen Tiefenklang auch nur zu erspüren,
dessen köstliche Zwitschermascrnne auf jener Hof-
garten-Ausstellung zu sehen war, die uns die ent-
arteten Reichskunstbanausen 1937 bescherten. —
Unter, die durchaus nicht absolut unbegabten Du-
dalallisten unserer Ausstellung haben sich noch
ein paar absolute Nichtkönner eingeschmuggelt.
Oder sollte das die Gruppe der „Stammelnden
und Sucher" sein, von denen das Geleitwort des
Kataloges spricht? Das kann doch kaum sein.
Denn wo sollen in den vorgewiesenen Blättern
und Leinwanden von Spaeth, Vogel, Uder, Loher,
Kerkovius und Loher-Schmeek, um nur die
meines Erachtens eindeutigsten Untalente nam-
haft zu machen, jene „notwendigen bildne-
rischen Fähigkeiten" sichtbar sein, die, wie das
Geleitwort besagt, doch auch der Arbeitsausschuß
der Neuen Gruppe als „selbstverständliche Vor-
aussetzung" für den „verantwortungsbewußten
Künstler" der neuen Kunst ansieht? Wir empfeh-
len dem Berufsverband bildender Künstler, mit
der auch auf der letzten Generalversammlung wie-
der diskutierten künstlerischen Durchkämmung
seiner Mitglieder nun endlich Ernst zu machen. —
Als Oberschicht des seltsamen Tortenwerkes die-
ser Ausstellung gebärden sich die Hyperdaliisten,
schlichter gesagt: die epigonalen oder die Ueber-
surrealisten." Sie sind durchgängig einfallsreiche
Graphiker, mit einer für empfindsame Gemüter
vielleicht oft allzu grausigen und abstoßend blut-
rünstigen Phantasie behaftet., „Unser Geist ist zer-
stört!" gesteht einer von ihnen (C. W. Rauh) ein-
prägsam bildhaft auf einem Blatt. Das hindert aber
R. Schlichter nicht, seinen geistigen Führungs-
anspruch über die gesamte Neue Gruppe mit fünf
bunten Bildern zu belegen, die jedoch nur ihn
selbst widerlegen und, durch die platte Farbe, den
Denkfehler seines existentialistischen ' Bemühens
enthüllen. Denn soll etwa, abgesehen von dem
„grausam schmückenden" Stil seiner Nachtmahr-
Bilder, den Monsieur Dali in Paris weit eleganter
und geistreicher beherrscht, in der grellbunten
Bonbonsüßlichkeit des romantischen Liebespaars
auf der Terrasse demnächst das Neue der neuen
Kunst gezeugt werden? Es gibt sich den Anschein,
aber wir glauben es nicht. —
Wir wenden uns lieber dem Hoferschen Bilde zu
und lassen uns von dem gedämpften Schmerz sei-
ner Farbigkeit durchströmen. Und die Blätter von
Barlach und Käthe Kollwitz strahlen uns immer
noch die gleiche Tröstlichkeit und tiefe Wärme
zu wie vor Jahren. Otto Dix hat in seiner „Kreu-
zigung" und seinem „Hiob" neue Ausdruckskräfte
freigelegt, die die Erinnerung an seinen „Krieg"
in der Hofgarten-AussteHung 1937 wachrufen.
Willi Geiger zerbricht hemmende Fesseln durch
seine magische Realistik. Caspar und Fuhr geben
ein Versprechen in ihren hellfarbigen Bildern und
Westphal in seinen traumhaft gelockerten und
heiter abstrahierenden Aquarellen. Aber sie allein
werden Münchens „alten Glanz als führende
Kunststadt Deutschlands", wie es zum Geleit die-
ser Ausstellung erhofft wurde, auch nicht wieder-
herstellen. Auf das Neue, das dieser watirhaft
edlen und allen Schweißes werten Aufgabe ge-
recht wird, werden wir noch eine Weile warten
müssen. Günter Pähl

Siehe auch die Antwort: „Ja, sprechen wir ruhig
darüber" Seite 138 (d. Red.).

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Organisator des 'Münchner Sommer 1947"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
Bildunterschrift: "Prof. Dr. h. c. Hans Ludwig HELD, Direktor der städtischen Bibliotheken und Beauftragter für Kultur der Stadt München."

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Schlichter, Rudolf
Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Held, Hans Ludwig
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Der Simpl, 2.1947, Nr. 11, S. 130.
 
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