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JA, SPRECHEN WIR RUHIG DARÜBER

Soeben fällt mein Maler- — pardon — mein
Graphikerauge auf die heutige Nummer des
SIMPL. Sehe ich recht? Ein neuer Kunstkritikus?
Der Gesuchte?" Was lese ich: „Wir wollen jetzt
ruhig darüber sprechen". Na, das ist ja famosl
Erlauben Sie mir, Ihnen, wenn auch in Eile, eben-
so ruhig zu erwidern:

Nein, auch wir wollen keine „diskutive Kalorien-
politik" betreiben, wir überlassen diese Tätigkeit
gerne jenen, die, animiert durch die Zeichen der
Zeit, gereizt aus ihren provinziellen Hundezwin-
gern kriechen, um mit männischer Gebärde flach-
brüstige Mädchen existentialistischer Provenienz
zuschanden zu lächeln. Und die dabei so mimo-
senhaft empfindlich sind, daß sie vor jeder künst-
lerischen Eigenwilligkeit, die nicht in irgendeine
ihrer allgemein gängigen Vorstellungen hinein-
paßt, zurückschaudern wie eine säuerliche Jung-
fer vor dem Anblick ungewohnter Triebäuße-
rungen. Ihre Kritik, Herr Pähl, ist weder sachlich
noch schlicht, geschweige denn ruhig; es ist auch
nicht richtig, daß der Kritik von uns keine „Wege
und Weisen" zugebilligt werden, an die neue
Kunst heranzukommen. Ich billige ihr bloß nicht
zu, dies von den verlassenen Schützengräben von
1919 aus zu tun, in denen man sich inzwischen
häuslich eingerichtet hat, um dort, denkfaul und
empfindungsarm, immer wieder dieselben schon
bekannten Gerichte aufzuwärmen und uns als ein-
zig bekömmliche Nahrung vorzusetzen. Der Ver-
such, von dort aus zu entscheiden, was an der
heutigen Bildnerei Kunst oder Unkunst ist, hat
etwas von der peinlichen Komik eines senilen
Conferenciers, der uns mit jahrzehntealten Witzen
traktiert. Allerdings, so einfach wie Sie es wün-
schen, wollen wir es uns und der heutigen Kritik
nicht machen, andererseits wollen wir auch nicht
jede Magenverstimmung, die Leute wie Sie beim
Betrachten abstrakter, sur- oder irrealer Bilder
befällt, allzu ernst nehmen. Ich mute Ihnen weder
zu, „geistig anspruchslos" zu sein noch sich mit
dem „Gesäusel einfühlsamer Deutungen und ge-
heimnishafter Vergleiche" abzumühen; Ihren Ab-
scheu davor verstehe ich durchaus, habe ich doch
selbst sehr wenig Geschmack an solchen sublim
gefügten Kreuzworträtseln. Aber nach Ihren ein-
gangs getanen Äußerungen ,über „existentialisti-
sche Philosophistereien" vermute ich, daß Ihnen
selbst zur Abfertigung jener einfachen Taschen-
spielertricks die dazu nötigen Kalorien fehlen.
Ebenso ist Ihr „Hoppla, Denkfehler" ganz fehl am
Platz, sozusagen an die falsche Adresse gerichtet.
Wenn Sie zum Beispiel — um mir diesen Denk-
fehler nachzuweisen — Epigonentum mit dem
Versuch, an die von unseren Vorgängern ge-
machten Erfahrungen anzuknüpfen und sie weiter
auszubauen, verwechseln, so ist dies eine bedenk-
liche Entgleisung; zumal es Ihnen genau so wie
mir bekannt sein -dürfte, daß man meist auf
diesem Weg zu neuen Entdeckungen vorstößt.

Oder glauben Sie etwa, daß Cezanne
oder van Gogh ohne die impressioni-
stischen Vorläufer zu denken sind?
Daß nachher etwas Neues entstand, ist
nicht zuletzt diesen Auseinanderset-
zungen zu verdanken. Seien Sie doch
nicht so voreilig und erwarten Sie
nicht, daß Ihnen bei dieser ersten
Schau glejch die fertig gebratenen
Tauben einer nagelneuen Kunst ins
empfangsbereite Journalistenmündchen
fliegen. Bemühen Sie sich, bitte, selbst
ein wenig, so leicht wird es ja uns
allen nicht gemacht; um etwas zu
finden, muß man wie in aller Zeit auf
die Pürsch gehen, auch wenn's nicht
immer bequem ist, so früh die ein-
lullende Bettwärme verlassen zu
müssen. Sicher — ich kann es Ihnen
nachfühlen — ist es müheloser, aus
einem dreihundertfünfzigmal wieder-
holten Hoferschen Mädchen einen
„gedämpften Schmerz" herauszulesen
als aus einer so unverschämt süß-
lichen Bonbonniere, als welche sich
Ihnen mein Liebesbild darstellt. (Mer-
ken Sie übrigens, wie Sie dabei selbst
plötzlich in jenes „zarte Säuseln"
geraten, das Sie bei anderen so bissig ankreiden?)
Daß meine Kollegen und ich Ihnen den Trost nicht
spenden können, den Sie aus den Bildern der
Kollwitz und anderer, die sich übrigens auch
meiner Schätzung erfreuen, ziehen, tut mir auf-
richtig leid. Vielleicht gelingt es uns, wenn wir
eist museumsreif geworden sind, doch einmal, dies
zu erreichen. Feste Börsenwerte vermögen da viel.
Es ist mir durchaus verständlich, daß Sie vieles
an dem Neuen und zumal an meiner Person ab-
stößt. Dieses Gefühl teilen Sie mit jenen, die es
ärgert, wenn man nicht im Gleichschritt von
gestern marschiert. Wenn Sie beispielsweise meine
„grellbunten" Farben „platt" und als Widerlegung
meines existentialistischen Bemühens empfinden, so
zeigt mir dies nur, wie ahnungslos Sie selbst vor
der grell-bunten Nacktheit Ihrer eigenen Existenz
stehen. Sie haben sich der unbequemen Aufgabe,
herauszufinden, warum ich mich gerade solcher
„platten" Farben bediene, einfach entzogen, mit
einer leichtfertigen Flanke über dies Hindernis
hinweggesetzt und dabei offensichtlich eine Gehirn-

Ueber allem Geistigen ist Ruh.
Als Normalverbraucher spürest du
Kaum was im Bauch.
Daheim ist es öde und kalde.
Warte nur, balde

Schiebest du auch. H.Scharpf

O. Nückel

erschütterung davongetragen. Nun, nicht jedem ist
es gegeben, in turnerischen Leistungen zu brillieren.
Sie bezeichnen einige von uns und in erster Linie
mich als epigonale Hyperdaliisten. Obwohl ich
fast versucht bin, dies als Kompliment aufzu-
fassen, muß ich doch sagen: Der Witz ist schal,
Herr Pähl! Zum Glück gehöre ich nicht zu den
beharrlichen Patentanmeldern, die der Öffentlich-
keit durch ständige Prioritätsansprüche jahraus,
jahrein auf die Nerven fallen. In diesem Fall sehe
ich -mich nun allerdings gezwungen, Ihnen einige
Winke zu geben, um der Verbreitung allzu grober
Irrtümer vorzubeugen. Sie sind augenscheinlich
schlecht informiert, Herr Kritikus. Was Sie und
Ihresgleichen — ich habe nämlich den Verdacht,
Sie sprechen nicht nur für sich, sondern auch
noch im Auftrag anderer — als Daliismus bezeich-
nen, habe ich längst vor dem Bekanntwerden
dieses interessanten Malers in Deutschland prak-
tiziert. Lassen Sie Ihre von meiner platten Bunt-
heit alterierten Augen für kurze Augenblicke in
die Vergangenheit zurückschweifen, dann werden
Sie einen Schlichter entdecken, der bereits damals
vieles von dem vorwegnahm, was heute mit dem
Imprimatur aus Paris versehen als letzte Errun-
genschaft angepriesen wird. Eines jener Bilder —•
es entstand 1921 — genoß sogar die Ehre, als
abschreckendes Beispiel bolschewistischer Kunst-
zersetzung in der prächtigen Broschüre Herrn
Willrichs „Reinigung des Kunsttempels" reprodu-
ziert zu werden. Lassen Sie also den epigonalen
Hyperdaliisten ruhig fallen, Sie-liaben kein Glück
damit. Und Ihr Einwand, daß Monsieur Dali den
Stil der Nachtmahrbilder weit eleganter und
geistreicher beherrscht als ich, trifft ebenfalls da-
neben. Vergessen Sie nicht, daß er Pariser und
New Yorker Nachtmahre malt, während die Nacht-
mahre, die ich ans Licht fördere, aus einer Alp-
druckwelt kommen, der jene versöhnlichen Eigen-
schaften ganz und gar fehlen, sie ist vorwiegend
von schleimigen Kakerlaken, Spinnenkobolden und
bösartigen Stechmücken bevölkert, und die sind
völlig geistlos und erschreckend unelegant.
Nehmen Sie dies alles als freundlichen Hinweis
auf und außerdem noch den guten Rat von mir
an: Seien Sie künftig vorsichtiger auf Ihren kunst-
kritischen Spritztouren; es könnte Ihnen dabei
vielleicht noch Schlimmeres zustoßen als diese
Antwort. Ich könnte Ihnen noch manche andere
Tips geben, doch würde dies für Sie blamabel
werden — versäumtes Studium nachzusitzen ist
nicht vergnüglich. Lassen Sie mich noch zum
Schluß für die meinen Kollegen und mir gnädig
gewährte Anerkennung als einfallsreiche Graphi-
ker meinen verbindlichsten Dank aussprechen.
Ihren Entschluß, aus alter Übung die Rolle des
Banausen nicht aufzugeben, kann ich nur bewun-
dern, ich könnte Sie mir in einer besseren Rolle
auch gar nicht vorstellen. Rudolf Schlichtet

DIE MITARBEITER DES HEFTES

soweit sie nicht in den bisherigen Heften verzeichnet
waren: Joachim Balke, 31. 7. 21, Beelitz; Johann
Schöll, 3. 7. 25, München; Hans Glöckle, 25. 1. 22,
München.

Fr. Bilek: DAS BILD DES GELIEBTEN

„DER SIMPL" erscheint Im Monat zweimal

Bezugspreis im Vierteljahr RM 6.— zuzüglich 25 Pfg. Zustell-
gebühr. Einzelbestellungen nehmen die Postanstalten entgegen.
Verlag „Der ,SIMPL" (Freitag-Verlag), München 23, Werneck-
straße 15a, Fernruf 362072. Postscheckkonto: München 37023. —
Herausgeber: Willi Ernst Freitag. — Red. M. Schrimpf. — Sprech-
stunden: Dienstag und Donnerstag von 9 bis 12 Uhr. — Für
unverlangt eingesandte Manuskripte und Zeichnungen wird keine
Gewähr übernommen. Rückporto ist beizulegen. — Druck: Süd-
deutscher Verlag, München 2, Sendlinger Straße 80. — Auflage:
50 000. — Copyright by Freitag-Verlag 1946. — Published under
Military Government Information Control License No. US-E-H8.

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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Das Bild des Geliebten"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Nückel, Otto
Bilek, Franziska
Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Der Simpl, 2.1947, Nr. 11, S. 138.
 
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