R. Nefzer; FISCHE
MIJflATÜREJf
Als sich Xerxes entschlossen hatte, seinen Heeres-
zug gegen Griechenland anzutreten, kam der Mi-
nister des Auswärtigen zu ihm und sprach also:
„Hochedler Großkönig! Ich stimme mit Euerer Ab-
sicht, Griechenland zu überfallen und zu unter-
jochen, vollständig überein, Meiner unmaßgeblichen
Ansicht gemäß wäre es jedoch zweckmäßig und
auch vom ethischen Standpunkt aus empfehlens-
wert, einen Grund unseres Angriffes zu erfinden.-
Es ist nun eben einmal der Stolz der Menschheit
geworden, seit der Steinzeit fortgeschritten zu sein
und sich nur mehr aus zwingenden Gründen tot-
zuschlagen. Von dem schlechten Eindruck, den ein
unprovozierter Angriff bei späteren Schulklassen
erwecken müßte, will ich ganz schweigen. Wir wol-
den dieser Jugend den Sinn für edle Menschlich-
keit, Gesetz und Gerechtigkeit überliefern. Ich
schlage deshalb vor: Das persische Volk braucht
mehr Lebensraum. Oder: Persien fühlt sich durch
Griechenland bedroht. Oder: Griechenland betreibt
den wirtschaftlichen Zusammenbruch Persiens, in-
dem es seine Datteln aus Aegypten importiert."
,,Unsinn!" mäkelte Xerxes, „das glaubt uns selbst
nicht das dümmste Wildschwein vom unteren
Euphrat. Da mußt du dir schon besseres ersinnen!"
„Ein anderer Vorschlag ginge dahin", fuhr der
Minister fort, „daß wir einen Freundschaftsbund
mit Griechenland abschließen. Die Verhandlungen
darüber werden die Möglichkeit ergeben, die Ver-
handlungen abzubrechen und unser Recht mit der
Waffe zu suchen." „Hört sich schon etwas besser
an", meinte der Großkönig, „doch merke dir: Im
Jahre 480 v. Chr. ist man noch aufrichtig. Dies
eine wenigstens wollen wir der Nachwelt voraus
haben. Ich überfalle Griechenland, und was die Welt
dazu saet. ist mir gleichgültig."
Gewissenhaft hatte Klio alle Ereignisse der Welt-
geschichte seit den ältesten Tagen auf Steintafeln
verzeichnet. Nun lagen bereits 178 Millionen davon
im Archiv. Während aber der erste Jahrgang nur
*cchs Tafeln stark war, hatte "der letzte bereits
einen Umfang von 37 000 erreicht. Dieser steigende
Bedarf an Schreibmaterial hatte zu einer empfind-
lichen Verknappung der Steintafeln geführt, die
Klio schwere Sorgen bereitete. Kaum daß sie noch
genügend Platz fand, eine Revolution jn Ecuador,
Bandenüberfälle auf dem Balkan oder Befriedungs-
aktionen auf Indonesien zu verzeichnen. Ihre Freun-
din, die allerdings etwas leichtfertige Terpsichore,
suchte sie zu trösten: „Was brauchst du noch viele
Tafeln? In der Weltgeschichte ist Ruhe eingetreten,
und die Ergebnisse der Konferenzen wirst du schließ-
lich mit einem einzigen Satz verzeichnen können.
In absehbarer Zeit wird es ein Pan-Europa geben,
die Völker werden sich friedsam zu den .Vereinigten
Staaten der Welt zusammenschließen, und die roten,
blauen, grünen und gelben Grenzlinien von den
Landkarten verschwinden. Damit kannst du aber
auch deine Vorbestellung auf Steintafeln streichen."
„Hast du 'nc Ahnung!" seufzte Klio auf, „ich
schätze den Bedarf der nächsten zwanzig Jahre
auf 12 Millionen Tafeln und 400 000 Griffel "
Als Sokrates eines Tages im Kreise seiner Schüler
über die Agora ging, begegnete ihnen eine merk-
würdige Erscheinung. Es war ein alter Mann, der
Viel trägst du Kind — und bist doch noch so klein,
Und Onkel darfst du nicht mehr zu mir sagen.
Das durfte ja zu einer Zeit nur sein.
Da ich noch keinen gelben Stern getragen.
Die Mutter trägt ein Hakenkreuz voll Stolz,
„Wie gut Sie sind", sagte sie früher oft.
Heut schaut sie grad, als war ich ein Stück Holz,
lang hab ich auf ein tröstend Wort gehofft!
Viel fragst du Kind, schwer kannst du es verstehn —
Wer denn die Juden einst auf diese Welt gesandt?
So etwas ließ doch nur ein Gott geschehn,
Doch Gott spielt jetzt ein Mensch in diesem Land.
Mein Stübchen muß dir nun verschlossen bleiben.
Wie wird der alte Dackel auf dich warten —
Und wenn ich weg bin, schläft er wohl bald ein.
Leg ihn zur letzten Ruh in unsern Garten.
auf Öen Händen ging und eine Zigarette zwischen
den Zehen hielt, die er hin und wieder zum Mund
hinab führte. Die Schüler erstarrten vor Erstaunen.
„Sage uns doch, Meister", frugen sie aufgeregt,
„wer ist dieser Mann?" „Die Frageform ,wer
dürfte er sein?' wäre in diesem Falle besser ge-
wesen", antwortete Sokrates, ohne den Mann zu
beachten. „Gut", meinten die Schüler, nun etwas
beruhigt, „wie kommt er aber dazu, eine Zigarette
zu rauchen, die es noch gar nicht gibt?" „Er wird
schon wissen, warum er es tut", antwortete der
Meister kurz und ging seines Weges. — Diese Art
der Weisheit ging in unserem, dem Cau^alen nach-
spürenden Zeitalter, leider ganz verloren. Würden
wir uns beispielsweise angewöhnen, dieser und
jener Maßnahme der Regierung mit sokratischer
Weisheit zu begegnen, statt sie, von materialisti-
scher Gesinnung befangen, auf ihren Grund und
ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, so müßte dies
eine wesentliche Erleichterung unseres Lebens be-
deuten. A. W/sbecfe
.Viel fragst du Kind, was fällt dir alles ein,
Was mich so lange in diesem Lande hielt?
Der alte Lindenbaum, der könnt's wohl sein
Und das Klavier, das Vater schon gespielt.
Ich seh ihn noch, mit steifweißen Manschetten,
„Ahnst du wer Mozart ist", rief er, „hör zul
Das ist, als ob die Elfen Hochzeit hätten".
Ich war damals so alt wie heute du
Viel fragst du Kind, könnt es doch schönres sein.
Den gelben Stern, den möchtest du probieren?
Ich drück mich in die dunklen Ecken rein
Und fürchte stets den Blick voll Haß zu spüren.
Herausstaffiert, als ging's zum Maskenball,
So holt man uns zum graus'gen Totentanz —
Und immer hör ich einen dumpfen Fall
Und sehe Massengräber ohne Kranz.
Carola Bauer
KIND UND STERN
178
MIJflATÜREJf
Als sich Xerxes entschlossen hatte, seinen Heeres-
zug gegen Griechenland anzutreten, kam der Mi-
nister des Auswärtigen zu ihm und sprach also:
„Hochedler Großkönig! Ich stimme mit Euerer Ab-
sicht, Griechenland zu überfallen und zu unter-
jochen, vollständig überein, Meiner unmaßgeblichen
Ansicht gemäß wäre es jedoch zweckmäßig und
auch vom ethischen Standpunkt aus empfehlens-
wert, einen Grund unseres Angriffes zu erfinden.-
Es ist nun eben einmal der Stolz der Menschheit
geworden, seit der Steinzeit fortgeschritten zu sein
und sich nur mehr aus zwingenden Gründen tot-
zuschlagen. Von dem schlechten Eindruck, den ein
unprovozierter Angriff bei späteren Schulklassen
erwecken müßte, will ich ganz schweigen. Wir wol-
den dieser Jugend den Sinn für edle Menschlich-
keit, Gesetz und Gerechtigkeit überliefern. Ich
schlage deshalb vor: Das persische Volk braucht
mehr Lebensraum. Oder: Persien fühlt sich durch
Griechenland bedroht. Oder: Griechenland betreibt
den wirtschaftlichen Zusammenbruch Persiens, in-
dem es seine Datteln aus Aegypten importiert."
,,Unsinn!" mäkelte Xerxes, „das glaubt uns selbst
nicht das dümmste Wildschwein vom unteren
Euphrat. Da mußt du dir schon besseres ersinnen!"
„Ein anderer Vorschlag ginge dahin", fuhr der
Minister fort, „daß wir einen Freundschaftsbund
mit Griechenland abschließen. Die Verhandlungen
darüber werden die Möglichkeit ergeben, die Ver-
handlungen abzubrechen und unser Recht mit der
Waffe zu suchen." „Hört sich schon etwas besser
an", meinte der Großkönig, „doch merke dir: Im
Jahre 480 v. Chr. ist man noch aufrichtig. Dies
eine wenigstens wollen wir der Nachwelt voraus
haben. Ich überfalle Griechenland, und was die Welt
dazu saet. ist mir gleichgültig."
Gewissenhaft hatte Klio alle Ereignisse der Welt-
geschichte seit den ältesten Tagen auf Steintafeln
verzeichnet. Nun lagen bereits 178 Millionen davon
im Archiv. Während aber der erste Jahrgang nur
*cchs Tafeln stark war, hatte "der letzte bereits
einen Umfang von 37 000 erreicht. Dieser steigende
Bedarf an Schreibmaterial hatte zu einer empfind-
lichen Verknappung der Steintafeln geführt, die
Klio schwere Sorgen bereitete. Kaum daß sie noch
genügend Platz fand, eine Revolution jn Ecuador,
Bandenüberfälle auf dem Balkan oder Befriedungs-
aktionen auf Indonesien zu verzeichnen. Ihre Freun-
din, die allerdings etwas leichtfertige Terpsichore,
suchte sie zu trösten: „Was brauchst du noch viele
Tafeln? In der Weltgeschichte ist Ruhe eingetreten,
und die Ergebnisse der Konferenzen wirst du schließ-
lich mit einem einzigen Satz verzeichnen können.
In absehbarer Zeit wird es ein Pan-Europa geben,
die Völker werden sich friedsam zu den .Vereinigten
Staaten der Welt zusammenschließen, und die roten,
blauen, grünen und gelben Grenzlinien von den
Landkarten verschwinden. Damit kannst du aber
auch deine Vorbestellung auf Steintafeln streichen."
„Hast du 'nc Ahnung!" seufzte Klio auf, „ich
schätze den Bedarf der nächsten zwanzig Jahre
auf 12 Millionen Tafeln und 400 000 Griffel "
Als Sokrates eines Tages im Kreise seiner Schüler
über die Agora ging, begegnete ihnen eine merk-
würdige Erscheinung. Es war ein alter Mann, der
Viel trägst du Kind — und bist doch noch so klein,
Und Onkel darfst du nicht mehr zu mir sagen.
Das durfte ja zu einer Zeit nur sein.
Da ich noch keinen gelben Stern getragen.
Die Mutter trägt ein Hakenkreuz voll Stolz,
„Wie gut Sie sind", sagte sie früher oft.
Heut schaut sie grad, als war ich ein Stück Holz,
lang hab ich auf ein tröstend Wort gehofft!
Viel fragst du Kind, schwer kannst du es verstehn —
Wer denn die Juden einst auf diese Welt gesandt?
So etwas ließ doch nur ein Gott geschehn,
Doch Gott spielt jetzt ein Mensch in diesem Land.
Mein Stübchen muß dir nun verschlossen bleiben.
Wie wird der alte Dackel auf dich warten —
Und wenn ich weg bin, schläft er wohl bald ein.
Leg ihn zur letzten Ruh in unsern Garten.
auf Öen Händen ging und eine Zigarette zwischen
den Zehen hielt, die er hin und wieder zum Mund
hinab führte. Die Schüler erstarrten vor Erstaunen.
„Sage uns doch, Meister", frugen sie aufgeregt,
„wer ist dieser Mann?" „Die Frageform ,wer
dürfte er sein?' wäre in diesem Falle besser ge-
wesen", antwortete Sokrates, ohne den Mann zu
beachten. „Gut", meinten die Schüler, nun etwas
beruhigt, „wie kommt er aber dazu, eine Zigarette
zu rauchen, die es noch gar nicht gibt?" „Er wird
schon wissen, warum er es tut", antwortete der
Meister kurz und ging seines Weges. — Diese Art
der Weisheit ging in unserem, dem Cau^alen nach-
spürenden Zeitalter, leider ganz verloren. Würden
wir uns beispielsweise angewöhnen, dieser und
jener Maßnahme der Regierung mit sokratischer
Weisheit zu begegnen, statt sie, von materialisti-
scher Gesinnung befangen, auf ihren Grund und
ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, so müßte dies
eine wesentliche Erleichterung unseres Lebens be-
deuten. A. W/sbecfe
.Viel fragst du Kind, was fällt dir alles ein,
Was mich so lange in diesem Lande hielt?
Der alte Lindenbaum, der könnt's wohl sein
Und das Klavier, das Vater schon gespielt.
Ich seh ihn noch, mit steifweißen Manschetten,
„Ahnst du wer Mozart ist", rief er, „hör zul
Das ist, als ob die Elfen Hochzeit hätten".
Ich war damals so alt wie heute du
Viel fragst du Kind, könnt es doch schönres sein.
Den gelben Stern, den möchtest du probieren?
Ich drück mich in die dunklen Ecken rein
Und fürchte stets den Blick voll Haß zu spüren.
Herausstaffiert, als ging's zum Maskenball,
So holt man uns zum graus'gen Totentanz —
Und immer hör ich einen dumpfen Fall
Und sehe Massengräber ohne Kranz.
Carola Bauer
KIND UND STERN
178
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Fische"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)