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KLEINE FILMCHRONIK / Drei Berichte

1937 Für unsere lieben Filmnarren haben wir uns
diesmal eine besondere Ueberraschung ausgesucht,
denn wir besuchen am .... Platz unsere bezau-
bernde Pritty Loraine, den Liebling der Leinwand,
der alle Herzen höher schlagen läßt. Die in rosa-
farbenen Chintz bescheiden bespannten Wände
des Vorraums und die kleine, dezente elfenbein-
verzierte Garderobe lassen uns schon den ganz
persönlichen Geschmack der großen Künstlerin
ahnen. Da strömt uns aus dem angrenzenden Tee-
zimmer mit der anmutigen Kerzenlampe und den
bequemen Sesseln um den geschwungenen Tisch
ein betörender Orchideenduft entgegen — Orchi-
deen, die Lieblingsblume Prittys — (für unsere
Autogrammjäger!). Die Künstlerin sitzt gerade in
einem violett gestreiften Kimono vor ihrem
schweren, behagliche Wärme ausströmenden
Backsteinkamin und ist in eine ihrer' neuen Rol-
len vertieft. An ihrem rechten, silbern verzierten
Pelzschuh hat sich die grüne, niedliche Haus-
schlange „Grit" zum Schläfchen geringelt. — Wie
sie zum Film kam? Oh, ihre Begabung reicht weit
zurück. Schon als Kind spielte sie immer ihren
Geschwistern vor. Bis sie eines Tages von dem
großen Danielo Danubo entdeckt wurde; sie
lächelt schelmisch. Ueber den „Blonden Traum"
kam sie dann zum „Brennenden Geheimnis", um
einige Zeit später mit Willy Sanders den „Schuß
im Zirkus" zu machen. Eine ihrer Lieblings-
beschäftigungen ist Reisen. Die Riviera und Si-
zilien kennt sie. schon. Im nächsten Sommer will
sie — Sie werden staunen -— an die Ostsee. Es
muß ja nicht immer das Ausland sein. Auch
unsere Heimat bietet Schönheiten. Und dann be-
ginnt sie zu schwärmen von den Natureindrücken,
die sie während der Außenaufnahmen zu ihrem
letzten Film „Der Heideschulmeister" mit Clas
Petersen erlebte. Kurz bevor wir gehen, werfen
wir noch einen flüchtigen Blick durch den Vor-
hang in das japanische Lesezimmer Pritty Lorai-
nes. Da stehen in der geschmackvollen, schmalen
Bibliothek die Liebesgedichte Verlaines neben
den Klassikern und Balzacs entzückende Novellen
neben einigen deutschen Philosophen. Denn bevor
sie zum Film kam, war Pritty eine Zeitlang im
Buchhandel tätig und daher weiß sie Bescheid.
Augenblicklich - liest sie in ihrer Freizeit Freud,
um sich nach der anstrengenden Atelierarbeit zu
erholen. Aber jede Woche kommt ein anderer
Schriftsteller dran. Wie ein Schmetterling, von
Blume zu Blume. Als wir sie verlassen, ist der
Ernst der kleinen Philosophin wieder von ihrem
blond umrahmten Gesichtchen gewichen, und sie
lächelt uns nach — bezaubernd wie immer.

1937 Im sportlich engen Reitdreß kommt uns Hanna
Rehmann aus den lichtdurchfluteten Garten-
anlagen ihrer „Heideburg" entgegen. Auf ihrem
sonnengebräunten Gesicht strahlt ein Lachen:
Autogramme? Und als wir fast eingeschüchtert
von soviel Lebenskraft ihr unseren Besuch er-
klären, lächelt sie spitzbübisch und klopft kurz
mit der Gerte an ihren Stiefelschaft, daß Harro,
ihr großer, deutscher Schäferhund, freudig auf-
springt. — Ich habe alles ganz einfach gehalten,
erklärt sie uns in der Diele, in der sechzehn
mächtige Deckenbalken über dem eichenen Tisch
und ein Brett mit alten, friesischen Tellern dem
Raum eine feierliche Stille geben. Bei uns daheim
gab's nie viel Sinn für Schmuck oder dekadente
Kultur, plauderte sie weiter in dem schlichten
Eßzimmer mit den hellen Lärchenholzmöbeln, —
ich stamme aus einer alten Offiziersfamilie; dabei
funkeln ihre nachdenklich-klugen Augen viel-
sagend. Wir vergleichen ihr scharfgeformtes und
doch auch träumerisches Gesicht mit der Photo-
graphie eines jungen Soldaten auf ihrem sauber
aufgeräumten Schreibtisch. Die Aehnlichkeit ist
frappant. Hanna lächelt stolz: Ja, mein Bruder
Alf, er ist jetzt schon im zweiten Jahr und dann
wird er bald als Leutnant heimkommen. — Ihr
größter und schönster Erfolg waren die Friede-
ricus-Filme. Die Berliner hätten ihr nach der
Premiere von „Des Königs Grenadiere" fast die
Kleider vom Leib gerissen (im Gedränge und vor
Begeisterung), und dann der Höhepunkt: als ihr
der Führer persönlich ein echtes sechsunddreißig-
teiliges Meißener Porzellanservice überreichte. —
Aber nach den anstrengenden Tagen in der Stadt
ist die Einsamkeit in der Heide besonders wich-
tig. Schwimmen, Reiten, Wandern! Ich möchte
mal durchs- ganze große Deutschland wandern!
Hin und wieder kommen Freunde zu Besuch,
neulich war auch ein Dichter dabei. Ob sie auch
viel liest? Nein, das verwirrt zu sehr den Kopf
und den muß man beim Film immer klar haben.
Nur manchmal, wenn man unbedingt ein Buch

braucht: dann liebe ich sehr Frenssen. — Als
wir gegen Abend die „Heideburg" verlassen,
winkt sie uns nochmal vom Garagentor, vor dem
ihr schnittiger, weißer Mercedes-Kompressor
leuchtet, zwischen den schwankenden Birken
einen fröhlichen Deutschen Gruß zu.

1947 In dem fast völlig zerstörten Stadtteil von ...
hat sich im dreiundsechzigsten Haus der Fellman-
straße oben im Dachgeschoß der bekannte Film-
star Belinde Daune sein kleines Wohn- und Be-
helfszimmerchen ausgebaut. Vorläufig muß sie
noch ihre Koch- und Schlafnische mit ihrer Kol-
legin, der Tänzerin Flitta Bensch teilen, aber fürs
kommende Frühjahr hat Flitta bereits die Ge-
nehmigung erhalten, eine Garage in der ... straße
zu beziehen, so daß Belinde dann ganz allein in
ihrem „Reich" regieren kann. Nun arbeiten sie
ganz gut zusammen unter dem Motto: „Zu. zweit
geht es immer noch besser als zu dritt" Ifwofür
wir völliges Verständnis haben). Kein Schritt, der
nicht ausprobiert worden wäre, und kein Griff,
der nicht berechnet wäre. Koffer, Kocher und
Plattenspieler (wie durch ein Wunder gerettet)
stehen auf einem aus Kistenbrettern" zusammen-
genagelten und mit noch guter (organisierter)
Tarnfarbe gestrichenem Regal, das elektrische
Bügeleisen, ein Geschenk von einem guten Be-
kannten Wilhelm Dieterles aus Hollywood, hängt
an einer Schnur in der Luft. Wir rauchen (eine
Zigarette von dem Bekannten) und kommen von
der Vergangenheit auf die Zukunft: Wenn alle
Vorschriften eingehalten werden, können wir i in
zehn Jahren mit den Außenaufnahmen zu unse-
rem großen Farbfilm „Der Ruin" beginnen. Die
Proben finden schon täglich; statt. Abends werden
am Sparherd die Rollen nochmal studiert. —
Macht Flitta ihre Tanzgymnastik, dann zieht sich
Belinde in ihre' Schriftsteller-Ecke zurück, denn
sie arbeitet ehrenamtlich im Auftrag ihrer Partei
für den Stadtrat. Sie will helfen, wo sie kann,
und sie denkt sich, wenn der Farbfilm in zehn
Jahren doch nichts werden sollte, könnte sie
vielleicht immer noch im Stadtrat Unterschlupf
finden. Denn sie steht mitten im Leben. Cyrill

T II E A T E R — THEA T E K

E. Sichhart

Es gibt heute genügend Persönlichkeiten in der Welt, die
im Staate un d im Theater eine bedeutende Rolle spielen.
Sie kommen vom Staate und gehen zum Theater oder
kommen vom Theater und gehen zum Staate. Auf jeden
Fall liegen für sie beide Bühnen dicht nebeneinander.
Hier dominieren die Frauen. Eva Peron zum Beispiel,
einst argentinischer Filmstar. Sie spielt auch heute wieder
bewunderungswürdig, mit schauspielerischer Anmut und
diplomatischem Geschick. Zwischen Madrid und Paris
werden allerdings statt Blumen Schweizer Tomaten auf
sie geworfen. Doch was tut's! Das kommt beim besten
Theater vor. Nächste Szene. Empfang beim
Papst. Kostüm: wallendes schwarzes Ge-
wand mit Schleier. Und würdige Haltung,
Signora Peron. Sie ist übrigens nicht die
einzige „hohe" Frau, die im Rampenlicht
stand und steht und zwischen Blumen und
Tomatenwürfen pendelt. Aber es ist vielleicht
voreilig, über Emmi Göring-Sonnemann schon
jetzt zu sprechen. Denn noch ist nicht ent-
schieden, ob und wo sie wieder ins Engage-
ment gehen wird, da sie sich erst einmal
auf (Spruch-) Kammerton umstellen muß.
Aus der älteren Generation wäre noch der
Herzog von -Windsor als Verfasser von
Filmdrehbüchern zu erwähnen. Hier liegt
der Fall allerdings etwas schwieriger, da
seine königliche Familie bei der Wahl der
Themen ein gewichtiges Wort mitzureden
hat. Auf ihn werden keine Tomaten ge-
worfen, aber dafür legt man ihm. Steine
in den Weg.

Besondere Beachtung aber fand schon zu
allen Zeiten der Nachwuchs. In der Politik
und beim" Theater auch. Ihm gelterf stets
Sorge und Fürsorge. Doch manchmal macht
man um ihn mehr Theater als nötig. Denn
schließlich kommt es auf Anlage und Be-
gabung an. Und Begabung vererbt sich.
Beweis: Nach Beendigung des Krieges er-
öffneten die Kinder Benito Mussolinis (ein
Sohn und eine Tochter) in Oberitalien ein
politisches Kabarett. An Stoff , und Publi-
kum dürfte es ihnen kaum mangeln. Die
Tochter dos Präsidenten Truman hingegen
konnte jüngst ihre ersten Erfolge als Sän-
gerin verzeichnen. Carmen Franco, die
Tochter des Caudillo, beabsichtigt als
Schauspielerin Karriere zu machen, während
Miß Churchill bereits zu den Fortgeschrit-
tenen gehört und einige Filmverträge in der
Tasche hat. Man sieht: der Nachwuchs
marschiert. Und man sieht weiter: Von der
Politik zum Theater ist nur ein kleiner
Schritt. Beide Begriffe sind einander sehr
„verwandt", gehören gewissermaßen zur

gleichen Familie. Die getroffene Auswahl jedoch ist
international, wie die Namen beweisen. Berühmte Namen.
Namen aus vielen Ländern. Wenn das so weiter geht und
diese beiden Begriffe noch mehr miteinander verschmel-
zen, wird man eines Tages kaum noch unterscheiden
können, was Politik und was Theater ist und welche
Bretter nun wirklich die Welt bedeuten. Hans Job.

Einer Berliner Pressemeldung nach wurde die Aufführung
der Operette „Der Zigeunerbaron" für das Land Thü-
ringen verboten, weil sie eine „Verherrlichung des Groß-
grundbesitzes" (wahrscheinlich durch das Lied „Der ideale
Lebenszweck ist Borstenvieh und Schweinespeck") dar-
stelle. Damit verstößtsie also gegen die Pläne der Boden-
reform und ist somit, wie es bislang hieß, „untragbar".
Vielleicht darf dafür „Der Bauer als Millionär" gespielt
werden, da die Aussicht auf derartigen Reichtum bekannt-
lich jedem Neusiedler offensteht.

Diese inhaltliche Betrachtung von Theaterstücken eröffnet
jedoch, sollte sie, wie zu hoffen ist, auch auf andere
Zonen übergreifen, weitreichende Möglichkeiten gesin-
nungsgestaltender Art. So könnte man z. B. für Bayern
im Sinne des hochschulfreundlichen Kultusministers den
„Bettelstudenten" verbieten, da es sich bei dem Titel-
helden bekanntlich um einen „hergelaufenen" (d. h. nicht
bodenständig-einheimischen, bayerischen Steuerzahlern
entsprossenen) Studiosus handelt. Dafür könnten hier
aufbauende Stücke wie „Rosa von Tannenburg" und „Das
Glöcklein des Eremiten" häufiger gezeigt werden.
Der „Freischütz", der mit seiner Anleitung zur Her-
stellung fernlenkbarer Kugeln geeignet ist, den deutschen
Militarismus wieder aufleben zu lassen, wäre vor allem in
preußisch sprechenden Gebieten vom Spielplan abzusetzen.
In den west-nördlichen Zonenstrichen wäre dringend die
Aufführung des „Weißen Rößls" zu unterbinden, da
dieses in unverantwortlicher Weise Ferienfreude und Reise-
lust erzeugt und damit, unter weiterer Schwächung der
Arbeitsmoral, zu einer allmählich untragbaren Belastung
der nach dem Süden führenden Eisenbahnstrecken führt.
Mit Rücksicht auf den holländischen Nachbarn wäre in
rheinischen Städten der „Vetter aus Dingsda" nicht mehr
aufzuführen, da es anläßlich der in Ostindien notwendigen
Polizeiaktionen aufreizend wirken muß, einen Tenor zu-
frieden singen zu hören „Sieben Jahr war ich in Batavi-a".
Im eigensten Interesse der Bevölkerung von Notstands-
gebieten sollten „Die lustigen Weiber von Windsor" des
freßlustigen Falstaff wegen nicht gezeigt werden. Für
dort wird „Das Land des Lächelns" empfohlen, da Lächeln
immerhin etwas ist, wenn man nichts zu lachen hat.
„Trauer muß Elektra tragen" verbietet sich angesichts
der Spinnstofflagc ohnehin von selbst.
Im übrigen sollten sich sämtliche Parteien sämtlicher
Zonen dafür einsetzen, daß Grillparzers „Weh' dem, der
lügf!" mit Rücksicht auf die Parteiprogramme nicht in
Erscheinung tritt. V/m

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Theater - Theater"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Sichhart, Evi
Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Der Simpl, 2.1947, Nr. 17, S. 214.
 
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