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DER METZGER UND DIE BÜRGER

der südlichen Vorstadt 0., eine halbe Minute von der Endstation der Linie 14
entfernt, am Marienplatz und vis-ä-vis von einer durch den Bonibenkrieg schwer
beschädigten öffentlichen Bedürfnisanstalt, hatte der verwitwete Metzgermeister
Anton Flaum seinen Laden. Er und seine Schwester, die geschiedene Frau
Traube, könnten zwar ihrer voluminösen Körperformen wegen nicht neben-
einander durch die Ladentür'gehen, doch führten sie. das Geschäft mit außer-
ordentlicher körperlicher Geschicklichkeit und mit einem Tempo, wie es selten
Menschen und wenn, dann besonders zuweilen dicke Leute zeigen, kurz, mit
der sogenannten „Eleganz der Dicken". Das ständige Personal — zwei Ver-
. käuferinnen und eine Putzfrau — fiel dagegen schon bedeutend ab und konnte
auch in allem nicht die Zeichen von Mächtigkeit und Souveränität jener beiden
erreichen, wozu unter anderem das feine Gitterwerk von roten Aederchen auf
den hervorquellenden Backen der Geschwister gehörte.

Im Schaufenster unter dem Wurstrechen, an dem manchmal . Rcgensburger,
Weiße, falsche Salami und Fleischstücke an S-Haken baumelten, und unter der
länglichen Marmorplatte, auf der die aufgeschnittene Blutwurst oder die Blasen-
wurst oder die Innereien sauber in gemusterten Schalen aufgeschlichtet lagen,
stand auf einem weiß gestrichenen Holzpodest ein lächelndes Majolikaschwein,
das gerade von einer bunten Zervelat eine Scheibe abschnitt, links und rechts
von zwei Geranienstöcken flankiert, deren Töpfe rosa Schleifen zierten.
„Das nennt man sich ins eigene Fleisch schneiden", sagte der Kunstmaler
Hclger bezüglich der schaugestcllten Tierplastik und um einen Witz zu machen
und erntete damit bei Frau Traube ein süßliches und bei Herrn Flaum ein
-dreckiges Lachen. Helger gehörte auch zu den „Spezialkunden"; er sagte dies
und ähnliches nicht etwa'im vollen Laden vor versammelter Hungerschlange,
sondern in des • Geschäftes Nebenzimmer, wohin man von der Straße durch
einen Toreingang (mit besonderem Oeffne-Griff), durch ein kleines Höfchen
und durch die Küche gelangte. Zu den „Spezialkunden" gehörten meist Leute
aus mehr oder weniger ansehnlicher bürgerlicher Kaste. Sozial tiefer gestellte
Schichten, im althergebrachten kultur-moralischen Sinne versteht sich, nicht
irnmer im materiellen, stellten wohl auch Bevorzugte, die bei Flaum durch den
kleinen Hof eindrangen, jedoch waren dies meistens Job-Männer von kräftigem
Schlage, mit deren „Geschäftsabschlüssen" und „Dingdrehereien" die schwäche-
ren Bürgerlichen nicht konkurrieren wollten und konnten. Diese Bürgerlichen
waren vielmehr im Lauf der Notjahre und Monate durch Empfehlungen und
kleinere Beziehungen, meistens verbunden mit einer gewissen vorstadtnachbar-
lichen Nähe, zu Vertrauten Flaums und der Traube geworden, vor allem aber
wohl dadurch, daß sie den kulturpolitischen Interessen Anton Flaums entgegen-

DÄMMERSTUNDE

Ein müder Lichtstrahl küßt eine Ruine,
In feuchten Kellern wird es langsam Nacht.
Ein blasser Mond verzieht höhnisch die Miene —
Das ist die Fratze dieser Zeit, — die lacht.

Aus kahlen Trümmern kriecht ein fahles Dämmern,
Der Abendwind umsäuselt einen Baum.
Von irgendwo erklingt noch müdes Hämmern,
Vier Menschen drängen sich in einem Raum.

Verfaultes Leben schleimt auf allen Gassen,
Die Abfallgruben stinken widerlich.
Und während in den Luxusvillen Bonzen prassen,
Gehn Huren müde auf den Abendstrich.

Vor einer Haustür steht ein fetter Mann,
In einer nahen Gosse spielen Kinder.
In einer Kirche betet's dann und wann:
Herrgott! Wir sind doch alle arme Sünder!

Und irgendwo lieben sich frohe Menschen,
Und irgendwo lauert der kalte Mord.
In einem kleinen, reichen Ländchen
Schmieden die Dichter noch das Rettuhgswort.

Der letzte Lichtstrahl küßt eine Ruine,
In feuchten Kellern ist stockdunkle Nacht.
Zu eines bleicheiuAbendhimmels Miene —

Die graue Elendsfratze höhnisch lacht. Heinz Schneekloth *

kamen. A. F. hatte nämlich, was bei Männern seines Standes nicht geradezu
häufig vorkommt, lange schon eine verborgene Liebe zur Kunst und zur Schön-
heit in sich gespürt, oder jedenfalls die Anlage dazu, die in diesen Jahren nun
aufbrechen und sich entfalten sollte, gemäß dem Grundsatz, daß da, wo Wohl-
stand ist, geistig-ästhetische Werte leichter blühen. — In Wohlstand aber war
Flaum — das wäre noch zwischen zu bemerken — gerade in dieser Notzeit
der Kriegs- und Nachkriegsjahre gekommen, was er nun allerdings wieder mit
vielen seiner Berufskollegen und denen ähnlicher Erwerbsbranchen gemein hatte.
Denn hatten Hinz und Kunz keine Mittel hinten oder vorn, um Kriegsschäden
wieder gutzumachen, und hatte selbst die Stadt vorläufig scheinbar keine
Möglichkeit, den bösen Anblick der einseitig geöffneten Bedürfnisanstalt mit
dem freigelegten, halbzersplissenen Pissoir durch Reparatur des" Büdchens zu
beseitigen, so konnte Flaum doch immerhin inzwischen die etwas beschädigte
Außenwand seines Geschäftes völlig ausbessern lassen, das Schaufenster ver-
größern, den ganzen Laden von oben bis unten mit weißen Kacheln und Plat-
ten auslegen, verchromte Beschläge und Gitter anbringen, einen wunderbaren,
neuen Kühlschrank und zwei SchneHwaagen herbeischaffen und eben alles tipp-
topp herrichten lassen. Doch dies alles und noch viel mehr auf der ganzen Erde
hätte nicht gereicht, werrn Flaums kultureller Durst nicht gestillt worden wäre
von der Frau Professor M., der Witwe des berühmten Chirurgen Professor M.,
oder von dem genannten Kunstmaler Helger "oder von dem weißhaarigen Baron
von Bohlau und dessen Gemahlin oder von dem Steueroberinspektor Hans Sch.,
der ein leidenschaftlicher und schlechter Violinspieler war und politisch in
allen Dingen firm (schon vor dem Kriegsende), oder von dem Kunsthändler
Taubenschlag oder manchmal auch 'von Herrn und Frau Studienrat Xylander
oder... ja von so vielen, die kamen und.sich mehr oder weniger tief bückten
auf das Geistesplateau Flaum-Traube, so den beiden leise, vorsichtig, schmei-
chelnd Kulturnahrung gebend, um sich vorm Gehen die Gegengaben eines
Wurstzipfels oder eines Fleischstückleins zu erhoffen.

Soweit die Bürger; und Kulturnahrung, das war etwa, wenn die Frau Pro-
fessor M. schweren Herzens sich entschloß, die porzellanene Hero-und-Leandcr-
Gruppe auf ihrer Vitrine einzufleischen, und auch schon bereit war, den präch-
tig gerahmten Farbdruck der Böcklinschen Toteninsel folgen zu lassen, oder
das war, wenn ■ der Steueroberinspektor H. Sch. Stunden und Stunden seiner
wertvollen Zeit opferte, um, anstatt für sich im Kämmerlein die Serenade von
Toselli zu üben, den Metzger über die neuesten politischen Nachrichten und
die allgemeinen kulturpolitischen Perspektiven zu orientieren, dabei viel Allzu-
volkstümliches und — zur Traube gewandt — auch Schlüpfriges einflechtend,
auf daß das Wohlbehagen und die Stimmung steigen. Uebrigens, sprechen muß-
ten alle; fast alle Bürgerlichen konnten „so interessant erzählen" und wehe,
wenn sie sich nicht gesellschaftlich „d'aecord" zeigten und zu sehr durch-
blicken ließen, daß sie nur wegen der Wurst oder ähnlicher Zuwagen das
immerhin noch in der-Vorstellung existierende Niveau ihres Standes verlassen
hatten. Nein, sie behandelten den Bürger Fleischermeister eben wie einen edlen
Bürger und ihresgleichen, so auch wenrt zum Beispiel der Kunsthändler Tauben-
schlag ein ca. metzgerhandgroßes Oelgemälde der Offenburger Schule (wie er
sich geheimnisvoll erfolgssicher ausdrückte) für die „Sammlung Flaum" be-
stimmte, in der schon Helgers stark gefirnißtes „Alpenglühen" einen wirkungs-
vollen Platz einnahm. Helger, der,raffinierte Spezialkunde, hatte sogar in seiner
Arbeit selbst unkünstlerische Konzessionen gemacht; das erwähnte Alpenglühen
entsprach nicht seinem Geschmack, wohl aber fand es Flaums und seiner
Schwester Beifall. Dies aber zu erkennen und sich entsprechend zu verstellen,
verdankte er der geistigen Höhe seines surrealistischen Standpunktes und nur
zur Beruhigung sei noch gesagt, daß er seine echten \¥erke in der Frühjahrs-
Kunstausstellung der „Neuesten Gruppe" der Stadt zeigte. Es waren wahre
„Opfergänge", wie Helger sie nannte, die diese hungrigen Alt-Individualisten
so oft zum Marienplatz antraten, um im Nebenzimmer hinter der Küche, aus
der es anregend roch, zu plaudern," daß die Runden sich freuten.
„Barons" brachten bei ihren Besuchen auch Bücher mit — okkultistische und
Werke über das alte bayerische Militär —, auch luden sie Herrn Flaum und
Frau Traube zu sich zum Wein ein, den Flaum mitgebracht hatte; der Traube
Eleganz überschlug sich dabei; sie wäre wie aus einem Modejournal, sagte
lächelnd die hagere Baronin und biß ins Wurstbrot, den kleinen Finger noch
immer dezent abgespreizt . . .

Ein Jüngling — noch nicht erwähnt, weil selten da — war Max, der Studiosus.
Sohn Flaums und dessen Hoffnung, einst anzutreten das materielle und geistige
Erbe, also mal Ueberriehmer der vorstadtberühmten „Sammlung Flaum", war
er der erklärte Liebling der Jiürger. Er wurde verhätschelt und über seine
neuesten tiermedizinischen Studien stets mit stark geheucheltem Interesse aus-
gefragt. Mancher „Spezialkunde" sprach Max. wie den Sohn eines Kommilitonen
an und offenbarte Erinnerungen aus alter Burschenherrlichkeit.
Aussicht eröffnend, daß er sich durchsetzen möge, der junge Demokrat, im
Kampf ums Geistige, wurden die Leiden der heutigen Jugend bagatellisiert,
Mut zugesprochen und Wurst gemeint.

So log und opferte das Bürgertum vor dem Altar seiner Freiheit und eine
neue Klasse klomm also auf und setzte sich im Blütengarten der Kultur
(zwischen den Ruinen) vorläufig noch oft zwischen zwei Stühle oder ins Mist-
beet, aber immerhin hinein, auf daß vielleicht dermaleinst ihre Urenkel kauni"
mehr sich ihrer fleischfressenden Vorstämmlinge in ihren ästhetischen Räuschen
erinnern würden, Cyrill

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