Fr. Büek
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TRAKTATCHEN VOM KITSCH
Sie wissen nicht, was Kitsch ist? Beruhigen Sie sich, die andern wissen's auch
nicht. Womöglich glauben Sie's zu fühlen; Sie fühlen falsch. Wenn Sie ein nor-
mal veranlagter Mensch sind, gefällt Ihnen womöglich der Kitsch. Beruhigen
Sie sich, den andern gefällt er meist auch recht gut, sie sagen es nur nicht.
Was Kitsch ist, ändert sich nämlich alle Jahrhunderte oder alle Jahre
oder manchmal sogar von heute auf morgen. Für die Menschen der,
Renaissance war Gotik Kitsch und Goethe und die Seinen rümpften die'
Nase über den schlechten Geschmack des. Rokoko und Max Liebermann
hielt die Sixtinische Madonna für kitschig. Wenn einer ein ganz aus-~
gekochter Abstrakter ist, wird er wohl Max Liebermann für kitschig
halten. Um zu wissen, was zur Zeit gerade kitschig ist, muß man schon
sehr auf dem Laufenden sein, und noch mehr auf dem Laufenden, fast
schon auf dem Rasenden muß man sein, "wenn man darüber Bescheid
wissen will, was gerade nicht mehr kitschig ist von all dem, was gestern,
nein, was vorhin noch kitschig war. Aber das sind allerhöchste Fein-
heiten. Man kommt ganz gut damit aus, wenn man das für kitschig hält,
was dem Vater gefallen hat.
Sobald etwas allen oder fast allen gefällt, wird es für die bessern Leute
kitschig, denn als bessrer Mensch, als Kenner, als Mann von morgen will
man sich doch von den andern unterscheiden. Zur Zeit, als man Volks-
lieder sang, was man so Volkslieder nennt,' kamen die feinen Leute und
fanden, daß das nichts für sie' sei, dieser sentimentale Kitsch mit den
wilden Buben und den Mädeln mit dem kirschroten Mund, und sie machten
sich eine gebildete und gelehrte Poesie im Gegensatz zum süßen, wehen
Kitsch. Und was geschah? Eines Tages dichteten alle hochgeistig und
raffiniert, und da kippte der Karren um, und die Kenner und Adepten
erkannten, daß sie nicht nackt waren. Flugs entdeckten sie die Primi-
tiven und die Volkskunst. Das geschieht so alle fünfzig Jahre, und manch-
mal ruft man dazu: Zurück zur Natur! Alles, was anders ist, nennt man
kitschig, oder man hat dafür einen zur Zeit tragbaren Ausdruck. Nein,
es gibt keinen Kitsch, es gibt nur Volkskunst, sei es Negerplastik, sei es
Courths-Mahler. Wenn die Volkskunst alt genug ist, wird sie museums-
reif und geschmackvolle Leute stellen sie auf die Kommode.
Sollte sich dasjenige, was heute erst von den wenigen, von den Adepten
geschätzt und gefeiert wird, nämlich die Bilder der Surrealisten und
Abstrakten, durchsetzen, und ihre Werke im Stübchen jedes Landarbeiters,
jedes Fabrikdirektors, jedes Steuerberaters die Wände zieren, dann wird
die Stunde kommen, wo auch diese Kunst von neuen, jungen Propheten
als Kitsch gescholten wird. Manchmal scheint es so, als ob wir schon
dicht davorstünden, denn schon pfeifen es die Ministerialräte von den
Schreibtischen, daß an diesen Dingen etwas dran ist, und wenn erst die
Ministerialräte pfeifen, dann ist die Zeit meistens vorbei.
Ach, es ist ein Kreuz mit dem Kitsch, man muß sich höllisch dranhalten,
daß man ihn rechtzeitig merkt. Foitzick
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TRAKTATCHEN VOM KITSCH
Sie wissen nicht, was Kitsch ist? Beruhigen Sie sich, die andern wissen's auch
nicht. Womöglich glauben Sie's zu fühlen; Sie fühlen falsch. Wenn Sie ein nor-
mal veranlagter Mensch sind, gefällt Ihnen womöglich der Kitsch. Beruhigen
Sie sich, den andern gefällt er meist auch recht gut, sie sagen es nur nicht.
Was Kitsch ist, ändert sich nämlich alle Jahrhunderte oder alle Jahre
oder manchmal sogar von heute auf morgen. Für die Menschen der,
Renaissance war Gotik Kitsch und Goethe und die Seinen rümpften die'
Nase über den schlechten Geschmack des. Rokoko und Max Liebermann
hielt die Sixtinische Madonna für kitschig. Wenn einer ein ganz aus-~
gekochter Abstrakter ist, wird er wohl Max Liebermann für kitschig
halten. Um zu wissen, was zur Zeit gerade kitschig ist, muß man schon
sehr auf dem Laufenden sein, und noch mehr auf dem Laufenden, fast
schon auf dem Rasenden muß man sein, "wenn man darüber Bescheid
wissen will, was gerade nicht mehr kitschig ist von all dem, was gestern,
nein, was vorhin noch kitschig war. Aber das sind allerhöchste Fein-
heiten. Man kommt ganz gut damit aus, wenn man das für kitschig hält,
was dem Vater gefallen hat.
Sobald etwas allen oder fast allen gefällt, wird es für die bessern Leute
kitschig, denn als bessrer Mensch, als Kenner, als Mann von morgen will
man sich doch von den andern unterscheiden. Zur Zeit, als man Volks-
lieder sang, was man so Volkslieder nennt,' kamen die feinen Leute und
fanden, daß das nichts für sie' sei, dieser sentimentale Kitsch mit den
wilden Buben und den Mädeln mit dem kirschroten Mund, und sie machten
sich eine gebildete und gelehrte Poesie im Gegensatz zum süßen, wehen
Kitsch. Und was geschah? Eines Tages dichteten alle hochgeistig und
raffiniert, und da kippte der Karren um, und die Kenner und Adepten
erkannten, daß sie nicht nackt waren. Flugs entdeckten sie die Primi-
tiven und die Volkskunst. Das geschieht so alle fünfzig Jahre, und manch-
mal ruft man dazu: Zurück zur Natur! Alles, was anders ist, nennt man
kitschig, oder man hat dafür einen zur Zeit tragbaren Ausdruck. Nein,
es gibt keinen Kitsch, es gibt nur Volkskunst, sei es Negerplastik, sei es
Courths-Mahler. Wenn die Volkskunst alt genug ist, wird sie museums-
reif und geschmackvolle Leute stellen sie auf die Kommode.
Sollte sich dasjenige, was heute erst von den wenigen, von den Adepten
geschätzt und gefeiert wird, nämlich die Bilder der Surrealisten und
Abstrakten, durchsetzen, und ihre Werke im Stübchen jedes Landarbeiters,
jedes Fabrikdirektors, jedes Steuerberaters die Wände zieren, dann wird
die Stunde kommen, wo auch diese Kunst von neuen, jungen Propheten
als Kitsch gescholten wird. Manchmal scheint es so, als ob wir schon
dicht davorstünden, denn schon pfeifen es die Ministerialräte von den
Schreibtischen, daß an diesen Dingen etwas dran ist, und wenn erst die
Ministerialräte pfeifen, dann ist die Zeit meistens vorbei.
Ach, es ist ein Kreuz mit dem Kitsch, man muß sich höllisch dranhalten,
daß man ihn rechtzeitig merkt. Foitzick
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Die Übergabe Oberbayerns an Graf Maurus mit der offenen Hand (im Frühling, 911 n. Chr.)"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 2.1947, Nr. 20, S. 242.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg