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LIZENZIERTER RINGTAUSCH

Jetzt hab' ich sie. Ein Paar wunderbare! Sie müssen
einem alten Stuttgarter Baron oder Oberlehrer ge-
hört haben. Passend zu Frack oder schwärzlichem
Anzug. Noch nie besohlt gewesen. Fielen mir-gleich
ins Auge, als ich schnuppernd den Ringringtausch-
ringladen betrat.

Aber was hergeben dafür. Das war die Frage. ,,Am
liebsten wieder Schuhe", sagte das Fräulein. Ich
flog hinaus und nach Hause. „Am liebsten wieder
Schuhe, hat sie gesagt", sagte ich.
Wir suchten und fanden. „Eigentlich wollte ich für
diese Schuhe —-", stöhnte meine Frau verhalten.
„.Eigentlich —'", wiederholte ich bedeutungsvoll;
„wenn i c h erst nicht mehr für uns herumlaufen
kann —" „Nein, nein, nimm sie nur, geh, geh."
„Acht Mark", schätzt das andere Fräulein in der
Ecke. „Acht bloß —?" „Ja!" sagte sie vorwurfsvoll
und schrieb alles in ein großes dickes Buch ein.
Name, Adresse, letzte Impfung. Dann reichte sie
mir den begehrten Tauschringschein.
„Acht Mark bloß", sagte ich wehmütig zu meinem
ersten Fräulein, „und zehn Mark fünfzig kosten
die, die ich haben will." Wir sahen uns fragend
an. „Zehn Prozent dürfen Sie ja in bar bezahlen.
Das wäre eine Mark fünf. Fehlten noch — eine
Mark fünfundvierzig. Haben Sie nicht noch irgend-
etwas für eine Mark fünfundvierzig oder zwei
Mark zu Hause? Etwas kleines ■—" Ich sann nach.
„Kinder —", murmelte ich. Eine blühende junge
Dame sah mich mitleidig von der Seite her an.
„Haben Sie nicht ein Buch?" gab mir die Ver-
käuferin einen Tip; „das könnten Sie bei der Buch-
handlung Schinkel, die unserem Ringtausch ange-
schlossen ist, gegen einen Tauschringschein abgeben
und damit hierher kommen. Der Schein muß aber,
wie gesagt, ungefähr über zwei Mark lauten."
Ein Buch! Natürlich! Als ob ich nicht ein Buch
hätte! Ich besitze nicht ein Buch mehr. Aber ein
Buch hat man immer. Ich flattre hinaus und um

Fr. Bilek: ZENTRALISMUS

die Ecke. Nach Hause. — Nach Hause? — Unsinn!
— Mache kehrt und flattre um die andre Ecke.
Zu Pohls Buchhandlung. Mensch, sei helle!

.....und hätte gern ein Geschenk, ein kleines."

Hm. . . Und habe großes Glück, bekomme eine
hübsche kleine Novität, eine belanglose Geschichte,
sinnig eingebunden und bemalt von einem sinnigen
belanglosen Verlag. Macht fünf Mark neunzig.
„Vielen herzlichen Dank! Auf Wieders —"
Auf! zum ringtauschangeschlossenen Buchtausch-
ringladen Schinkel, zwei Straßen weiter. Dort ist
ein grauer Herr mit Spitzbart und Brille. Er schlägt
mein Buch auf, das ich ihm fromm zum Tausch
vorlege, und liest laut vor. „Herausgegeben unter
der Lizenznummer sowieso der Nachrichtenköntrolle
der Militärregierung. Auflage: fünftausend. Printed
in Germany. 20. 5. 47. Druck und Verlag von so-
wieso, dortunddort." Der Mann schiebt die Brille
auf die Stirn und klärt mich auf. „Lizenzierte
Bücher,, also Neuerscheinungen, dürfen wir nicht
mehr zum Tausch annehmen. Die Leute sind in
Scharen aus der nahen französischen Zone, wo es
mehr neue Bücher geben soll, gekommen, haben die
Bücher zentnerweise als Tauschware abgegeben und
mit Hilfe der Tauschringscheine uns hier die Schuhe,
Anzüge und Kleider aus der Stadt fortgetragen.
Das soll nicht mehr sein. Bringen Sie ein altes
gutes Buch, einen Roman, oder ein altes schönes
Kinderbuch vielleicht —"

Natürlich! Bringe ich! Ich fing Feuer. Ich wurde
ringtauschwarm. —• Vielleicht konnte ich in einer
Buchhandlung meine Lizenzbuchnovität 1947 gegen
einen alten, guten Schmöker — ...
„Könnten Sie mir bitte für dieses vollkommen
neue, wertvolle Buch hier — eine wunderhübsche
Geschichte übrigens —"

„Sie waren doch eben bei mir und haben das Buch
gekauft —?"

„Oh — ach — das war hier? Ich dachte, ich wäre

schon im nächsten Laden! Hahaha —!" lachte ich
künstlich und wand mich angstbebend rückwärts
zur Tür. Der Verkäufer versuchte auch so schön
zu lachen wie ich, aber seine Maske krachte zu-
sammen und erstarrte in staunender Wut.

Ich beschloß, die Novität für mich zu behalten.
Als Belohnung dafür schenkte mir das Schicksal in
der fünften Buchhandlung für neun Mark neunzig
ein richtiges gutes altes antiquarisches Buch mit
dickem Pappdeckel, in Quartformat, mit Goldbuch-
staben oben drauf—...

,, Ju—gend—kraft'", buchstabiert mir der Herr
mit dem Spitzbart wieder vor; „eine alte gebundene
Zeitschrift von 1909. Da haben Sie sich einen
Ladenhüter aufbinden lassen — das kann ich un-
möglich —" „Doch, das können Sie. Wo ein Wille
ist, ist auch ein Weg. Ich werde es selbst bei Ihnen
zurücktauschen, Herr. Ich bringe Ihnen dafür einen
Roman, wie er im Buche steht. Einen echten, alten,
prima —. Kann nur jetzt in der Eile nicht nach
Hause —." — Ich bekomme meinen Ringtausch-
schein. Ueber runde zwei Mark. .
„Da!" strahlte ich meinem Fräulein entgegen und
reiche ihr meine beiden Tauschringscheine über die
Häupter der tauschringheißgelaufenen Frauen hin-
weg. „Acht und zwei macht zehn! Die restlichen
fünfzig Pfennig zahle ich an der Kasse in bar." —
„Wenn du nun in die französische Zone führst und
Bücher —", grübelt meine Frau am Abend laut und
wirft einen Blick auf meine glänzenden neuen
Schuhe. „Ist doch schon vorbei, Mädel. Ich sagte
dir doch —." „Ach so, stimmt. Aber mein Koch-
buch? Oder dein Kursbuch? Der Professor hat dir
doch auch Bücher angeboten?" „Leihweise." „Richard
wollte dir neulich ein Buch schenken —. Du weißt
doch, ich brauchte so dringend—" „Ich weiß—"...
Die ganze Nacht sammelte ich In Alteuropas
Städten Bücher, Bücher . . , — K. R. Neumann

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Zentralismus"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Bilek, Franziska
Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Der Simpl, 2.1947, Nr. 21, S. 254.
 
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