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DER STAATSMENSCH (homo autoritatisj

Dies ist die neueste Spezies der Gattung Mensch: Der homo autoritatis, der
Staatsbürger des zwanzigsten Jahrhunderts. Dies ist der Mensch, der vor
dem Schalter steht, der Mensch in der Schlange, der Mensch mit dem
unvollständig ausgefüllten Fragebogen und dem nicht ordnungsgemäß
abgestempelten Identitätsschein, der Mensch mit der fehlenden Dringlich-
keitsbescheinigung, der Mensch der dritten Kategorie. Er gehört zu der
Klasse, deren gemeinsames Kennzeichen die Formel ist: „Alle Personen,
welche ... haben sich ... widrigenfalls ... gemäß § Soundso, Absatz 2,
Buchstabe a ... bestraft werden." Er ist nichts weiter als der in der Ver-
fügung näher Bezeichnete. Er hat nichts außer seiner laufenden Nummer.
Er darf nichts, wozu er nicht eine behördliche Genehmigung hat. Sein
Wunsch gilt nichts ohne behördliche Befürwortung. Sein Wort ist Lüge,
solange nicht die Behörde es bestätigt. Er muß dagegen alles, was der
Staat braucht. Er muß melden, angeben, sich einfinden, dartun, nach-
weisen, unaufgefordert vorzeigen, freiwillig abliefern, gewissenhaft aus-
füllen, eigenhändig unterzeichnen, sich unbedingt verpflichten, eidesstatt-
lich erklären, das letzte leisten, alles einsetzen, willig büßen und gehor-
sam dienen. Er darf nicht zweifeln, ungläubig sein, Pessimist sein, miß-
trauisch sein, Defaitist sein, sich seinen Pflichten entziehen wollen, sich
außerhalb der Gemeinschaft stellen wollen, das Gesetz umgehen, etwas
unternehmen oder unterlassen, behördliche Maßnahmen vereiteln wollen,
unbefugt sein, auf den Boden spucken und ohne Zustimmung der Reisen-
den das Fenster öffnen.

Er ist das Atom Null im Bau der Menschheit, der Dienstgradlose der welt-
lichen Hierarchie, das Sandkorn im Beton, der den Tempel der Könige
und Präsidenten trägt. Sehet das achte Wunder der Weltgeschichte, das
Individuum ohne Individualität, das Perpetuum mobile der Weltgeschichte,
den ewigen Marschblock, das ewige Kollektiv! Er schleppte Steine zum Bau
von Pyramiden und Tempeln, Domen und Polizeidirektionen. Er schrie
„Cruciflge!" für römische Statthalter, Pharisäer und Schriftgelehrte, für
Päpste, Mönche, Könige und Fürsten, für Republikaner, Jakobiner und
Girondisten, für Heilige und Schacher, für Hexen und für Dirnen, für
Imperatoren, Diktatoren und Konquistadoren, für Standartenführer, Kom-
missare und Kommandanten, für jeden, der immer den Purpurmantel
trug, der das Recht gab, Rechte zu brechen.

Er kämpfte für die Freiheit, die nicht die seine wurde. Er litt für das
Recht, das nicht das seine wurde. Er starb für die Zukunft, die nicht ihm
gehörte. Er gewann den Krieg und verlor den Frieden. Ihm ist alle Frei-
heit nur Futter, das er verschlingt, um wieder hungrig zu werden. Er hat
tausend Namen und einen Charakter, tausend Forderungen und eine
Pflicht. Er wandelt sich tausendmal und bleibt immer dasselbe: Der homo
autoritatis.

Ecce homo autoritatis: Die letzte Satire Europas, die Konkursmasse der
großen Pleite, die Makulatur des großen Reinemachens, der Schrotthaufen
zerschossener Waffen. Er ist das traurige Werkzeug, das nicht einmal
mehr zu etwas nütze ist, der Abfall, für den keine Verwertung mehr be-
steht, ein Etwas, das erhalten wird, ohne daß man weiß wozu. Das noch
lebt, weil niemand da ist, der ihm zu sterben befiehlt, das noch meint zu
leben, weil ihm doch niemand gesagt hat, daß es tot ist, das glaubt, es sei
Person, weil es bescheinigt ist, und es sei jemand, weil es vorgemerkt ist,
und es könne etwas, weil es etwas glauben darf, und es werde etwas, weil
es etwas möchte. Und ist doch nichts weiter als ein Evidenzblatt einer
großen Erfassungs- und Verteilungsstelle, aufgeschichtet in den Regalen
des großen Ersatzteillagers der Weltpolitik unter der Rubrik „Kriegs-
waffen — Soldaten". Dabei nicht einmal wichtig, weil in genügender Zahl
vorhanden. Bis zum Bedarfsfall notgedrungen geduldet und erlaubt, auf
dem Existenzminimum staatlicher Rentabilität erhalten und sogar in einer
Art demokratischer Freiheit belassen, weil ohnehin unter behördlicher
Kontrolle stehend.

Ecce homo autoritatis! Der König ohne Land, ohne Macht, ohne Krone,
ohne Szepter, ohne Purpur und ohne Diener, ja selbst ohne Schilfrohr
und ohne Dornenkrone. Ein Spottbild des Verspotteten noch! Nicht ein-
mal die Würdeinsignien des Leides beließ man ihm! In seine Hand drückte
man ihm den Fragebogen und den Antrag auf Daseinsberechtigung, um

die Schultern legte man ihm das Fahnentuch seiner Partei und auf das
Haupt setzte man ihm eine Papierkrone mit den Symbolen seiner Frei-
heit. Mit gefesselten Händen sitzt er auf dem Stuhl des allgemeinen
Wahlrechtes und wird von Polizisten und Portiers verhöhnt. „Bist du
der wahre König, so steh auf und tu ein Wunder!" rufen sie. Sie beugen
spöttisch das Knie vor ihm und drucken Zeitungsartikel. Sie breiten die
Zeitungsartikel wie Teppiche vor ihm aus und spucken ihm ins Gesicht.
Aber er tut kein Wunder, weil er nie eines getan hat. Er wundert sich
höchstens und auch das nicht mehr.

Fern sind die Zeiten der Sklaverei und der Leibeigenschaft. Die Väter
sind tot und die Jungen bauen neue Gefängnisse. Schuldig ist noch immer
der homo autoritatis vor dem Angesicht seiner Behörde, schuldig für den
Wechsel der Zeiten, schuldig für alles, was der Staat verbrach, schuldig
für alles, was Behörden verfehlten, schuldig diesmal oder das nächste
Mal. Einmal wird ihn das Damoklesschwert unentwirrbarer Gesetze
treffen. Einmal wird er auf Gnade und Ungnade dem großen Gott seines
Daseins ausgeliefert sein, dessen Tempel als öffentliche Gebäude heilig
und vordringlich, dessen Altäre die Opfertische blanker Schreibtisch-
platten sind und dessen Hierarchie der umfassende Beamtenapparat des
modernen Staates ist.

Vorhang zu! Es wandelt sich die Zeit. Neue Formen hat man bereits, uns
zu beglücken, neue Aufgaben harren des homo autoritatis. Er steht bereit,
Gewehr bei Fuß, Einheitsgesicht Nullachtfünfzehn unter dem grauen
Stahlhelm. Laßt euch nicht täuschen, wenn er im Zivilanzug hungert. Er
ist nur auf Urlaub und steht vor seinem Wirtschaftsamte stramm. Er ist
geistig noch in der Uniform und wartet auf den Marschbefehl. Ein Zettel
genügt, er kommt. Ein Aufruf in der Zeitung, letzte Seite, unter amtlichen
Bekanntmachungen in Petitdruck, genügt, er ist mobilisiert. Das Schalt-
brett und die Leitungen sind intakt, es kommt nur darauf an, wer zuerst
auf die Knöpfe drückt.

Das Theater geht inzwischen weiter. Wenn ihr den homo autoritatis sehen
wollt, so sucht ihn vor den hohen Türen mit der Aufschrift „Parteien-
verkehr ausnahmslos Dienstag, Donnerstag und Samstag vormittag!" Dort
bittet er um Zuzugsgenehmigung des Staates, für den er morgen sterben
wird. Dort bittet er um das Brot des Staates, für den er arbeiten darf.
Dort bittet er um die Gnade, für das Vaterland leben zu dürfen, nachdem
ihn der Zufall nicht für das Vaterland sterben ließ. Dort steht er gebückt
und gebeugt, der ewige Rücken für die tanzende Welthure, das stumme
Gesicht von gestern, heute und morgen, gezeichnet mit den unbekannten
Massengräbern vor und hinter ihm, ein wandelndes Fragezeichen nach
dem Warum und Wann-wieder. Das Leitmotiv der Phrase Vaterland, ein
Häuflein Nichts, aber doch genug, um seinen wechselnden Herren Amt,
Würde und Gesicht zu geben. Abgerichtet und gedrillt in Furcht und
Gehorsam, demütig und bescheiden, der Mensch der dauernden Freiheit,
der zugeteilten Ration und nicht der beglückenden Wahl des zugewiesenen
Arbeitsplatzes und nicht der schöpferischen Tätigkeit. Der hartgetretene
und festgestampfte Boden, auf dem das goldene Dach des Staates ruht,
unter dessen künstlerischer Wölbung auf Banketten und mit schönen
Worten alles vorbereitet wird, was er dann tun muß, alles versprochen,
was er erfüllen, und alles gesündigt wird, was er dann büßen muß. Das
stille Meer, aus dem die Dunstwolken politischer Gewitter aufsteigen, auf
das sie niederprasseln. Das Opfer aller Irrtümer, der Sündenbock aller
Schuld, das Objekt aller Handlungen, das Werkzeug aller Willkür, der
Hörer aller Sprüche, der Gläubige aller Lügen, der Folgsame allen Be-
fehlen, der Rohstoff für alle Macht, der Purpur für den Kaiser und die
Freude jedes Polizisten, die Bestätigung jedes Wahnsinns und der Gefolgs-.
mann jedes Narren, das Spielzeug aller Behörden und Versuchskaninchen
für alle Experimente, das Zeugnis seiner Gewalt für den Mann hinter
dem Schalter, der Rücken für jede Peitsche und die Wade für jeden
bissigen Hund, gefügig, widerspruchslos, willig, gehorsam, treu, mager,
schmalgesichtig, verkümmert, stumm, Schatten an Schatten, Nichts an
Nichts, in Reih und Glied, einer nach dem andern, nach Aufruf, Vor-
ladung und Karteiblatt kommend und verschwindend — ecce homo
autoritatis! Herbert Zoster

Diesmal kamen wir mit
zehn Jahren davon

Die Landwirtschaftsorganisation der UN sagte
voraus, daß die Brotrationierung mindestens bis
1949 aufrechterhalten werden müßte!
Ob wir uns noch solange aufrechterhalten
können, steht dahin. Es sind anscheinend zu-
viel Flinten ins Korn geworfen worden. Die
Kimme blieb — das Korn verschwand. Ergebnis:
Viel Steine gibt's und wenig Brot. Noch zwei
Jahre werden wir die Karte behalten und den
Brotkorb hochhängen müssen. Also etwa bis
zur 135. Periode! — Gottes Mühlen mahlen
langsam. Unsere Strafe muß abgesessen (und
in kleinen Rationen abgegessen) werden. Das
kommt davon.

„Deutschland erwache" — damit fing's an. Auf
das große Wecken folgten die kleinen „Wecken".
Und manchmal gar keine! Wenn die Menschheit
nun nicht endgültig aufwacht, wird es ewig
Brotkarten geben und Kalorien und Wirtschafts-
ämter und Bizonen — und nichts mehr zu essen.
Von dieser Erkenntnis sollten wir uns eine
Scheibe abschneiden. Und die muß länger rei-
chen als bis 1949. Heil Wittler! (Erfinder des
Vollkornbrotes. Nicht zu verwechseln mit Schwin-
delunternehmen ähnlichen Namens!) Heinz Hartwig

Croissant

Kader müssen rollen für den . . .
na, für wen?

17 000 Güterwagen vom amerikanisch besetzten
Deutschland kehrten aus der Sowjetzone nicht zu-
rück. Wie sollten sie auch? Sind doch im Osten
fast alle Strecken eingleisig ...
Der geforderte Rücktransport müßte zwangsläufig
zu Zusammenstößen führen und davon gibt es zwi-
schen den Besatzungsmächten ohnehin genug.
Es handelt sich durchweg (Durch! — weg!) um
offene Wagen. Jetzt ist der Verkehr eingestellt.
Es werden nur noch offene Worte gewechselt
zwischen den vier „Rangierern". Man fährt sich
gewissermaßen an den Wagen. W i r haben dabei
nicht mitzureden, denn wir sind nur das 5. Rad an
demselben. Sozusagen ein Puffer-Staat. Mit Mann
und Roß und (offenen Güter-)Wagen hat uns der
HERR geschlagen ...

Die Russen werden es sich (Essich!) wahrscheinlich
überlegen, ob sie nicht doch noch die Loren zurück-
geben. Denn bisher rollten immer noch mehr Güter
zum west-östlichen Iwan als umgekehrt. Aber Pott-
asche ist auch wichtig! Man sollte vielleicht die
Güter nicht zählen, sondern wägen. Erst wägen
— dann: Wagen!

In Süddeutschland sagt man allerdings: Wägen.
Also meinetwegen: Erst wagen — dann: Wägen!

H. H.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Stille Nacht"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Croissant, Eugen
Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Der Simpl, 2.1947, Nr. 24, S. 290.
 
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