M. Kaiiler
Kleines Minutenspiel 1947
Ansager: „Hochzuverehrendes Publikum! Meine Gesell-
schaft erlaubt sich untertänigst, Ihnen, hohe Herr-
schaften, eine skizzenhafte Schau des Jahres vorzu-
führen. Es ist nichts erfunden, es ist nichts phanta--
siert; so unglaublich es Ihnen, geschätzte Versammlung,
erscheinen mag. Ich sage nur: 1947! Den Schauplatz
zu erläutern, erübrigt sich; denn das Gezeigte gibt es
nur einmal, vielleicht kommt es wieder!"
*
Die Szene ist dunkel
Eine Stimme: „Der Winter ist überwunden! Wenn nun
noch die harten Monate bis zur Ernte überwunden
werden, ist die härteste Zeit überwunden!"
Eine Zweite: „Sie sind Optimist!"
Die Erste (etwas scharf): „Sie irren! Ich gehöre der
Sozialdemokratischen Partei an!"
*
Immer noch Dunkelheit
Eine Stimme (flüsternd): „Zigaretten 100; wer will?
Schoko 50; wer will?"
Eine Zweite (etwas lauter): „Fleischmarken, wer hat?
Fleischmarkcn, wer hat?"
Eine Dritte (schreiend): „Süßstoff nur 35! Süßstoff
nur 35!"
Eine Vierte (unbedeutend): „Zu hoch!"
*
Die Beleuchtung wird weiß-blau
Gedämpfte Stimme aus dem Radio: „Bei einer Razzia
wurden 80 000 Reißnägel beschlagnahmt, davon waren
50 000 geschlechtskrank . . ."
*
Es folgen noch belanglosere Nachrichten
Die Szene füllt sich mit Papier an
Einer (Zeitung lesend): „Die Resolution der Betreuungs-
stelle für Flüchtlinge und andere Kriegsbetroffene über
eine Zahnbürstenzuteilung wurde der zuständigen Stelle
des Wirtschaftsamtes vorgelegt und an einen Unter-
suchungsausschuß wcitergelcitet, der das Thema in
der Fraktionssitzung des Landtagsausschusses angeregt
debattierte und ein in diesem Sinne abgefaßtes Schrei-
ben nach Norden absandte. Die letzte Entscheidung
über diesen Passus ist über die Wirtschaftsfachstelle
der Zonenverwaltung, die sich im Gremium einer
Plenarsitzung damit befassen wird, vom Länderrat zu
erwarten." +
Rotes Licht
Säugling (quäkend): „Die Jugend will auch gehört
werden!"
Stimme (militärisch): „Ruhe! Das Windelparlament ist
aufgelöst!" #
Die Farben wirbeln regellos durcheinander
Ansager fliest aus einem Volksblatt): „Im Laufe der
vergangenen Woche wurden von der Kriminalpolizei
17 unerlaubte Morde und 28 weitere leichte Vergehen,
darunter eine nicht mißzuverstehende Notzucht an
einer leeren Camel-Schachtel, beobachtet."
Ministerielle Stimme de jure (aus dem Hintergrund):
„Dafür muß ein Exempel statuiert werden!"
Eine mehlbestaubte rathäusliche Stimme (schon mehr im
Mittelgrund): „So kann es nicht weitergehen!"
Tosender, Sekunden anhaltender Beifall
Im Orchester kracht eine Lederhose; auf der Galerie
jodelt ein Vogel
Ansager (spricht unbeirrt weiter): „Seit Kriegsende wur-
den 16 Todesurteile gefällt, von denen 21 im Gnaden-
wege restlos in Straffreiheit umgewandelt werden
konnten."
Choral im mittelalterlichen, fast primitiven Bizinium
(nur von einem Pedal begleitet, 16füßig): „Wenn das
Geld im Kasten klingt. . . düdülü... die Seele aus
dem Käfig springt... düdülü... düdülü..."
*
Immer noch alles äußerst bunt
Sicbcnmonatiger Fötus (im Absturz begriffen, piepsend):
„Ich will gar nicht gemeldet werden!"
*
Das Telephon klingelt
Stimme aus der Muschel (klingt wie aus der Vergangen-
heit): „Ich protestiere gegen den linken Flügel! Ich
protestiere gegen den rechten Flügel! Ich protestiere
gegen die Partei! Ich protestiere gegen jede Partei!
Ich werde gegen die Aufhebung der Immunität meiner
Person durch meinen rechtlichen Stellvertreter pro-
testieren lassen! Ich protestiere gegen alles! Ich pro-
testiere überhaupt! Ich protestiere! Ich protestiere! Ich
pro. . ." (Das weitere geht in einem Gurgeln unter.)
Mit infernalischem Gepolter füllt sich der Vordergrund
mit zwei seriösen Herren
Der Kahlköpfige: „Was wollen Sie? Ich bitte!"
Der Dauerwellige: „Du nix bitten! Nein, nein! Ich nix
wollen! Ruhig, ruhig! Besser geht immer ruhig, ganz
ruhig; verstehst!"
*
Vom Schnürboden
baumelt ein blaues Polizistenohr herab
Der Kahle (sein Kopf glüht jetzt wie — echter Rotwein
unter der Stirnhaut — ah!): „Also ruhig, ruhig. Gut.
Ich will Ihnen sagen: 12 000 mindestens. Der Wagen
steht absolut, ja, er fährt sogar; sicher, sicher! Mit
„Keine Angst, liebe Kinder, diesmal ist's nur der Nikolaus.
(Vom Hundhammer reden wir heuer nicht mehr.)
allen Papieren, tadellose Reifen übrigens, sagen wir . . .
hm... 20. Ja? — Also! Nur immer ruhig, ruhig!"
Der Wellige: „Vorsicht! Gut, ich machen!" (Er wirft
dem blauen Ohr eine Stange Lucky-Lucky ins Trommel-
fell, daß es dröhnt; aber es hört niemand etwas da-
von. Das Ohr zieht sich zufrieden in die Breite und
wird fast schwarz vor Freude.)
*
Und hier tritt eine Messerschneide ein, die fast das
ganze Theater um Haaresbreite auseinanderteilt
Am Vorhang stehen zwei magere (wie unseriös) Frauen
Die Schlechtangezogene (von sauren Kartoffelschluckern
und Heringsaufstößen — hup — unterbrochen): „Nur
ein Pfund; verlangen Sie ruhig zwanzig; ich brauch
das Mehl ja doch so notwendig fürs Kleine; die
Kindernährmittel reichen nie . . ."
Steffi Kohl
Die Besserangezogene (auf ihrer Zunge mischt sich
Monarch-Coffee-Geruch mit original Lucien-Lelong'-
Lippenstift-Ozon): „Na meinetwegen; es ist ja von
meinem eigenen Vorrat; aber fürs Kind..."
*
Aus dem Vorhang längt eine blaue Hand und zerrt
die beiden Frauen vor einen Schreibtisch
Das gewissenhafte Gesicht hinter dem Schreibtisch: „Nun,
Sie wissen, daß sie sich schwer an der Allgemeinheit
in rücksichtsloser Selbstsucht vergangen haben."
Unter dem Schreibtisch, eigenartigerweise zwischen
den beulen Beinen, blauen Beinen, strömt eine über-
süße Likörflasche aus
Wieder die Stimme hinter dem Schreibtisch: „Geldstrafe!
Können Sie zahlen? — Nein? — Dann muß die Ware
konfisziert werden und über Ihre Person werde ich
nach den Vorschriften verfahren!"
Eine Feder kreischt ganz fürchterlich
Nochmals die Stimme hinter dem Schreibtisch (etwas
Öliges mit penetrantem Alkoholgeruch schmiert sich
mit hinein): „Verdammt!" (ganz überzeugt) „Lebt es
sich in heutigen Zeiten schlecht!"
Im Keller des Gebäudes grunzt eine schwarze
Beschlagnahmesau
Langsam wird die Bühne wieder dunkel
Fette Stimme eines Sachverständigen: „Angesichts der
katastrophalen Ernährungslage sehen wir uns ge-
zwungen, unser wirtschaftliches Aufbauprogramm auf
der Basis der Demontagen zu verwirklichen."
Zwischenruf (sich überschlagend): „Wo bleibt die Reak-
tion?!"
Redner: „Keine Banalitäten bitte! Sonst bin ich ge-
zwungen, die Hilfe der Besatzungsmacht in Anspruch
zu nehmen!"
Im tiefsten Hintergrund raschelt in der Menge der
aufmerksamen und hingerissenen Abgeordneten
ein Butterbrotpapier
Zwanglos schnalzt eine Zunge: „Hört! Hört!"
Und gleich darauf eine andere: „Oho!"
*
Ansager (kommt mit einer eben verlöschenden Kerze
aus dem Vorhang): „Auf Grund einer unvorherge-
sehenen Stromrationierung sind wir gezwungen worden,
unser interessantes Programm im entscheidenden Augen-
blick zu unterbrechen und bitten das Publikum, unsere
herzliche und vollkommen ernstgemeinte Entschuldi-
gung entgegennehmen zu wollen. Gelöste Karten be-
halten, höherer Gewalt zu Folge, keine Gültigkeit.
Jedoch hoffen wir, meine Herrschaften, Ihnen im fol-
genden Jahre die Fortsetzung unserer Darbietungen
mit größtmöglicher Steigerung der Misere würzen zu
können. Vergessen Sie nicht, meine Damen und Her-
ren, beim Nachhauseweg Ihrer persönlichen Sicherheit
halber, die Mitte der Fahrbahn zu benutzen! Ent-
sichern Sie Ihre Krautstampferln!"
Die Zuschauer entfernen sich folgsam und ruhig
Johann Schöll
SCHAFTSTIEFEL
Wer einmal das längst fällige Buch „Von der
deutschen Seele" schreibt, dem schenke ich hier-
mit die folgende Geschichte.
Mein Freund Felix hatte im Krieg das Privileg,
hohe Schaftstiefel zu tragen und Stiefelhosen,
fein nach Maß gemacht.
Schön.
Manchmal trägt er selbige jetzt noch. Wenn's
Wetter schlecht ist. Wenn er aufs Land fährt ...
Auch neulich. Er war mit dem Fahrrad unter-
wegs. Plötzlich merkt er, daß das Vorderrad
keine Luft mehr hat. Felix steigt ab. Ist ratlos
Hat keine Luftpumpe. Guckt sich um. Entdeckt
nicht weit eine Luftpumpe mit einem Fahrrad
drumrum. Davor stehen zwei Mannsbilder und
unterhalten sich.
Felix geht hin. „Entschuldigen Sie", sagt er,
„können Sie mir vielleicht die Luftpumpe leihen,
mein Rad hat keine Luft mehr."
„Bitte!" antwortet der eine. Sehr von oben her-
ab. Und ganz, ganz von oben herab fügt er
hinzu: „Können mein Rad gleich mit aufpum-
pen." Im selben Augenblick erfaßt er an Felix
die Schaftstiefel und die Stiefelhosen, fein nach
Maß gemacht. Verbessert sich: „Ach so! Auch
Offizier gewesen! Brauchen selbstverständlich
meins nicht aufzupumpen!" fe.
293
Kleines Minutenspiel 1947
Ansager: „Hochzuverehrendes Publikum! Meine Gesell-
schaft erlaubt sich untertänigst, Ihnen, hohe Herr-
schaften, eine skizzenhafte Schau des Jahres vorzu-
führen. Es ist nichts erfunden, es ist nichts phanta--
siert; so unglaublich es Ihnen, geschätzte Versammlung,
erscheinen mag. Ich sage nur: 1947! Den Schauplatz
zu erläutern, erübrigt sich; denn das Gezeigte gibt es
nur einmal, vielleicht kommt es wieder!"
*
Die Szene ist dunkel
Eine Stimme: „Der Winter ist überwunden! Wenn nun
noch die harten Monate bis zur Ernte überwunden
werden, ist die härteste Zeit überwunden!"
Eine Zweite: „Sie sind Optimist!"
Die Erste (etwas scharf): „Sie irren! Ich gehöre der
Sozialdemokratischen Partei an!"
*
Immer noch Dunkelheit
Eine Stimme (flüsternd): „Zigaretten 100; wer will?
Schoko 50; wer will?"
Eine Zweite (etwas lauter): „Fleischmarken, wer hat?
Fleischmarkcn, wer hat?"
Eine Dritte (schreiend): „Süßstoff nur 35! Süßstoff
nur 35!"
Eine Vierte (unbedeutend): „Zu hoch!"
*
Die Beleuchtung wird weiß-blau
Gedämpfte Stimme aus dem Radio: „Bei einer Razzia
wurden 80 000 Reißnägel beschlagnahmt, davon waren
50 000 geschlechtskrank . . ."
*
Es folgen noch belanglosere Nachrichten
Die Szene füllt sich mit Papier an
Einer (Zeitung lesend): „Die Resolution der Betreuungs-
stelle für Flüchtlinge und andere Kriegsbetroffene über
eine Zahnbürstenzuteilung wurde der zuständigen Stelle
des Wirtschaftsamtes vorgelegt und an einen Unter-
suchungsausschuß wcitergelcitet, der das Thema in
der Fraktionssitzung des Landtagsausschusses angeregt
debattierte und ein in diesem Sinne abgefaßtes Schrei-
ben nach Norden absandte. Die letzte Entscheidung
über diesen Passus ist über die Wirtschaftsfachstelle
der Zonenverwaltung, die sich im Gremium einer
Plenarsitzung damit befassen wird, vom Länderrat zu
erwarten." +
Rotes Licht
Säugling (quäkend): „Die Jugend will auch gehört
werden!"
Stimme (militärisch): „Ruhe! Das Windelparlament ist
aufgelöst!" #
Die Farben wirbeln regellos durcheinander
Ansager fliest aus einem Volksblatt): „Im Laufe der
vergangenen Woche wurden von der Kriminalpolizei
17 unerlaubte Morde und 28 weitere leichte Vergehen,
darunter eine nicht mißzuverstehende Notzucht an
einer leeren Camel-Schachtel, beobachtet."
Ministerielle Stimme de jure (aus dem Hintergrund):
„Dafür muß ein Exempel statuiert werden!"
Eine mehlbestaubte rathäusliche Stimme (schon mehr im
Mittelgrund): „So kann es nicht weitergehen!"
Tosender, Sekunden anhaltender Beifall
Im Orchester kracht eine Lederhose; auf der Galerie
jodelt ein Vogel
Ansager (spricht unbeirrt weiter): „Seit Kriegsende wur-
den 16 Todesurteile gefällt, von denen 21 im Gnaden-
wege restlos in Straffreiheit umgewandelt werden
konnten."
Choral im mittelalterlichen, fast primitiven Bizinium
(nur von einem Pedal begleitet, 16füßig): „Wenn das
Geld im Kasten klingt. . . düdülü... die Seele aus
dem Käfig springt... düdülü... düdülü..."
*
Immer noch alles äußerst bunt
Sicbcnmonatiger Fötus (im Absturz begriffen, piepsend):
„Ich will gar nicht gemeldet werden!"
*
Das Telephon klingelt
Stimme aus der Muschel (klingt wie aus der Vergangen-
heit): „Ich protestiere gegen den linken Flügel! Ich
protestiere gegen den rechten Flügel! Ich protestiere
gegen die Partei! Ich protestiere gegen jede Partei!
Ich werde gegen die Aufhebung der Immunität meiner
Person durch meinen rechtlichen Stellvertreter pro-
testieren lassen! Ich protestiere gegen alles! Ich pro-
testiere überhaupt! Ich protestiere! Ich protestiere! Ich
pro. . ." (Das weitere geht in einem Gurgeln unter.)
Mit infernalischem Gepolter füllt sich der Vordergrund
mit zwei seriösen Herren
Der Kahlköpfige: „Was wollen Sie? Ich bitte!"
Der Dauerwellige: „Du nix bitten! Nein, nein! Ich nix
wollen! Ruhig, ruhig! Besser geht immer ruhig, ganz
ruhig; verstehst!"
*
Vom Schnürboden
baumelt ein blaues Polizistenohr herab
Der Kahle (sein Kopf glüht jetzt wie — echter Rotwein
unter der Stirnhaut — ah!): „Also ruhig, ruhig. Gut.
Ich will Ihnen sagen: 12 000 mindestens. Der Wagen
steht absolut, ja, er fährt sogar; sicher, sicher! Mit
„Keine Angst, liebe Kinder, diesmal ist's nur der Nikolaus.
(Vom Hundhammer reden wir heuer nicht mehr.)
allen Papieren, tadellose Reifen übrigens, sagen wir . . .
hm... 20. Ja? — Also! Nur immer ruhig, ruhig!"
Der Wellige: „Vorsicht! Gut, ich machen!" (Er wirft
dem blauen Ohr eine Stange Lucky-Lucky ins Trommel-
fell, daß es dröhnt; aber es hört niemand etwas da-
von. Das Ohr zieht sich zufrieden in die Breite und
wird fast schwarz vor Freude.)
*
Und hier tritt eine Messerschneide ein, die fast das
ganze Theater um Haaresbreite auseinanderteilt
Am Vorhang stehen zwei magere (wie unseriös) Frauen
Die Schlechtangezogene (von sauren Kartoffelschluckern
und Heringsaufstößen — hup — unterbrochen): „Nur
ein Pfund; verlangen Sie ruhig zwanzig; ich brauch
das Mehl ja doch so notwendig fürs Kleine; die
Kindernährmittel reichen nie . . ."
Steffi Kohl
Die Besserangezogene (auf ihrer Zunge mischt sich
Monarch-Coffee-Geruch mit original Lucien-Lelong'-
Lippenstift-Ozon): „Na meinetwegen; es ist ja von
meinem eigenen Vorrat; aber fürs Kind..."
*
Aus dem Vorhang längt eine blaue Hand und zerrt
die beiden Frauen vor einen Schreibtisch
Das gewissenhafte Gesicht hinter dem Schreibtisch: „Nun,
Sie wissen, daß sie sich schwer an der Allgemeinheit
in rücksichtsloser Selbstsucht vergangen haben."
Unter dem Schreibtisch, eigenartigerweise zwischen
den beulen Beinen, blauen Beinen, strömt eine über-
süße Likörflasche aus
Wieder die Stimme hinter dem Schreibtisch: „Geldstrafe!
Können Sie zahlen? — Nein? — Dann muß die Ware
konfisziert werden und über Ihre Person werde ich
nach den Vorschriften verfahren!"
Eine Feder kreischt ganz fürchterlich
Nochmals die Stimme hinter dem Schreibtisch (etwas
Öliges mit penetrantem Alkoholgeruch schmiert sich
mit hinein): „Verdammt!" (ganz überzeugt) „Lebt es
sich in heutigen Zeiten schlecht!"
Im Keller des Gebäudes grunzt eine schwarze
Beschlagnahmesau
Langsam wird die Bühne wieder dunkel
Fette Stimme eines Sachverständigen: „Angesichts der
katastrophalen Ernährungslage sehen wir uns ge-
zwungen, unser wirtschaftliches Aufbauprogramm auf
der Basis der Demontagen zu verwirklichen."
Zwischenruf (sich überschlagend): „Wo bleibt die Reak-
tion?!"
Redner: „Keine Banalitäten bitte! Sonst bin ich ge-
zwungen, die Hilfe der Besatzungsmacht in Anspruch
zu nehmen!"
Im tiefsten Hintergrund raschelt in der Menge der
aufmerksamen und hingerissenen Abgeordneten
ein Butterbrotpapier
Zwanglos schnalzt eine Zunge: „Hört! Hört!"
Und gleich darauf eine andere: „Oho!"
*
Ansager (kommt mit einer eben verlöschenden Kerze
aus dem Vorhang): „Auf Grund einer unvorherge-
sehenen Stromrationierung sind wir gezwungen worden,
unser interessantes Programm im entscheidenden Augen-
blick zu unterbrechen und bitten das Publikum, unsere
herzliche und vollkommen ernstgemeinte Entschuldi-
gung entgegennehmen zu wollen. Gelöste Karten be-
halten, höherer Gewalt zu Folge, keine Gültigkeit.
Jedoch hoffen wir, meine Herrschaften, Ihnen im fol-
genden Jahre die Fortsetzung unserer Darbietungen
mit größtmöglicher Steigerung der Misere würzen zu
können. Vergessen Sie nicht, meine Damen und Her-
ren, beim Nachhauseweg Ihrer persönlichen Sicherheit
halber, die Mitte der Fahrbahn zu benutzen! Ent-
sichern Sie Ihre Krautstampferln!"
Die Zuschauer entfernen sich folgsam und ruhig
Johann Schöll
SCHAFTSTIEFEL
Wer einmal das längst fällige Buch „Von der
deutschen Seele" schreibt, dem schenke ich hier-
mit die folgende Geschichte.
Mein Freund Felix hatte im Krieg das Privileg,
hohe Schaftstiefel zu tragen und Stiefelhosen,
fein nach Maß gemacht.
Schön.
Manchmal trägt er selbige jetzt noch. Wenn's
Wetter schlecht ist. Wenn er aufs Land fährt ...
Auch neulich. Er war mit dem Fahrrad unter-
wegs. Plötzlich merkt er, daß das Vorderrad
keine Luft mehr hat. Felix steigt ab. Ist ratlos
Hat keine Luftpumpe. Guckt sich um. Entdeckt
nicht weit eine Luftpumpe mit einem Fahrrad
drumrum. Davor stehen zwei Mannsbilder und
unterhalten sich.
Felix geht hin. „Entschuldigen Sie", sagt er,
„können Sie mir vielleicht die Luftpumpe leihen,
mein Rad hat keine Luft mehr."
„Bitte!" antwortet der eine. Sehr von oben her-
ab. Und ganz, ganz von oben herab fügt er
hinzu: „Können mein Rad gleich mit aufpum-
pen." Im selben Augenblick erfaßt er an Felix
die Schaftstiefel und die Stiefelhosen, fein nach
Maß gemacht. Verbessert sich: „Ach so! Auch
Offizier gewesen! Brauchen selbstverständlich
meins nicht aufzupumpen!" fe.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Kleines Minutenspiel 1947"; „Keine Angst, liebe Kinder"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildunterschrift: "„Keine Angst, liebe Kinder, diesmal ist's nur der Nikolaus. (Vom Hundhammer reden wir heuer nicht mehr.)"
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 2.1947, Nr. 24, S. 293.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg