Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
DIE LETZTE REISE

Anno —-----

„Also, Mausi, hier liegt der Atlas vor mir, und nun wollen wir einen Plan
für unsere diesjährige Reise entwerfen! Skandinavien wieder, zum Nord-
kap hinauf? Oder Italien? Neapel, Palermo, Taormina? Kennen wir frei-
lich schon alles und wirkt allmählich etwas monoton."
„Ganz richtig, Rudi! Wenn ich hundertmal um den Königssee fahre, habe
ich eine Nordlandreise, und Sizilien kaufe ich mir auf einer blauglasierten
Ansichtskarte. Die Salzburger Nockerln in Sankt Bartholomä aber sind
besser als die Smörebröts in Trondhjem. Wie wäre eine Reise nach
Aegypten?"

„Nicht übel, aber snobistisch. Kenne das Land übrigens schon durch die
Dattel-Schachteln, und die Pyramiden würden mich nur an meine Schulzeit

erinnern: wie groß ist der Kubikinhalt--? Nein, Liebling, ich habe

einen anderen Plan: wir reisen durch die Sahara! München—Marseille—
Algier—Constantine—Tugurt. Hier auf das Kamel und durch die Wüste
nach Timbuktu geschaukelt. Nun den Niger hinab und über die Kana-
rischen Inseln nach München zurück."
„Großartig, Rudi, aber doch eine sehr weite Reise!"

„Keineswegs. In der Luftlinie kaum 13 000 Kilometer. Sagen wir also gut
gerechnet 17 000. Ein Ausflug, nicht viel mehr."
„Ein herrlicher Plan! Und wann wollen wir reisen?"

„Morgen, mit dem Expreß über Straßburg. Ich werde nun zum Reisebüro
gehen und die Fahrscheine zusammenstellen lassen. In einer Stunde bin
ich wieder hier."

„Gut, aber vergiß nicht, die Tickets für die Kamelreise beiheften zu
lassen, damit wir nicht unnötigen Aufenthalt haben!"

Anno-----

„Sag, Rudi, wohin wollen wir in diesem Jahr reisen?"
„Wollen ist gut! Ich wollte am liebsten nach der Insel Bali reisen, zum
Amazonas oder nach Sumatra. Meinetwegen auch nach Skandinavien oder
Italien. Aber Auslandsreisen sind den Oberen nicht erwünscht, und ich
brauche manchmal die .Oberen'. Wo das Hakenkreuz flattert, ist die Welt
am schönsten und sind die Menschen am edelsten. Jenseits der braunen
Grenze beginnt der Dreck und die Gaunerei."
„Gut, wie wäre es also mit einer Harzreise?"

„Ist durch Heine versaut. Nein, Mausi, wir wollen brav sein und das
Deutschtum an seiner gefährdeten Grenze repräsentieren. Auf in das
Riesengebirge zu unseren geknechteten sudetendeutschen Brüdern, und ein
donnerndes ,Heil!' Herrn Henlein hinübergeschmettert! Wem Gott will
rechte Gunst erweisen, den schickt er an die böhmische Grenze. Wird den
Oberen gut gefallen. Politik ist heute alles!"

Anno-----

„Was suchst du auf der Karte von Bayern?"

„Ich suche unser diesjähriges Reiseziel, die niederbayerische Ortschaft

„Herr Nachbar, was haben Sie denn in Ihrem Koffer?"

„Ein Weihnachtsgeschenk für meine Familie, ein weißes Pulver. Ich weiß zwar noch
nicht, was es ist, aber es war billig und ich hob es auf jeden Fall mal mitgenommen."

Dimpflkofen in der fruchtbaren Gegend von Straubing. Soll ein kleines
Bauernnest sein, aber von Schmalznudeln und Geräuchertem strotzen.
Fressen ist heute alles. Dürfte nur etwas schwer zu erreichen sein, dieses
Dimpflkofen."

„Wieso? Es kann doch kaum weiter als hundert Kilometer von München
entfernt sein?"

„Nein, doch fährt nur jeden zweiten Dienstag ein Zug, mit Ausnahme jener
Wochen, in denen er nur jeden dritten Mittwoch verkehrt. Beide aber
haben nur Anschluß am Sonntag."
„Wielange fährt man also nach Dimpflkofen?"

„Unter günstigen Verhältnissen und unter der Voraussetzung, daß man
Platz im Zug findet, einschließlich zweimaligen Umsteigens sechsundachtzig
Stunden."

„Wenn ich denke, wie einfach doch die Reise nach Timbuktu war!"
„Jawohl — damals! Nun gehe ich zum Bahnhof, die Fahrkarten zu be-
sorgen. Werde wohl etwas anstehen müssen, doch sehen wir uns auf alle
Fälle übermorgen wieder!"

Anno-----

„Was studierst du auf dem Stadtplan von München?"

„Ich suche nach der Fischbachauer Straße in Giesing. Will dort ein

Tauschgeschäft machen."

„Wie, bis nach Giesing willst du reisen? Das ist ja eine ungeheuere Ent-
fernung!"

„Nicht so sehr. Wenn ich für die Hinfahrt auf einem Trittbrett der Linie 8
und 17 Platz finden sollte, hoffe ich, vor Anbruch der Nacht wieder zu
Hause zu sein."

„Gott beschirme dich auf der weiten Fahrt vor einem Unglück!"

„Ich hoffe es, Liebling, und danke dir für alles Gute, das du in unserer

zwanzigjährigen Ehe an mir getan hast. Gegebenen Falles wünsche ich

eine Beerdigung II. Klasse im Nördlichen Friedhof. Von Kranzspenden ist

Abstand zu nehmen. Mein Testament liegt in der Mottenkiste links unten."

„Rudi, bleibe — ich beschwöre dich, reise nicht nach Giesing! Ich sehe

dich schon zermalmt unter einem Wagen der Linie 17."

„Fortes fortuna adjuvat! Ein halbes Pfund Butter gegen zwei Beißzangen,

das ist den Einsatz des Lebens wert."

„Der Herr halte seine Hand über dich, wenn du auf dem Trittbrett stehst!"
Anno-----

„Ich müßte Brot beim Bäcker holen. Ach Rudi — es ist furchtbar!"
„Weshalb furchtbar? Zum Bäckerladen ist doch gar nicht weit zu gehen?"
„Nein, aber ich habe keine Schuhe mehr und müßte barfuß durch den
Schnee laufen."

„Armes Kind! Ich würde dir gerne die Besorgung abnehmen, aber wie du
siehst, trage ich nur mehr hinten etwas Hemd am Leibe, und vorne ist es
zu kurz geworden. Wir leben auf einer Insel."

„So müssen wir denn verhungern?"
„Nein, Geliebte, doch wollen wir eine große Reise
machen. Sieh her! In diesem Fläschchen befindet sich
Zyankali. Es reicht für dich und mich, für unsere
letzte Reise."

„Gib her, Geliebter! Oh — Tim — buk — tu--

ahhhh--"

„Leb wohl, Geliebte! Oh — Sa — ha — ha — ha —
ra--ahhhh--" A. Wisbecfe

NacJits, in der grossen Stadt

Nachts, -

Wenn die andern alle schlafen, müde von des Tages Last,

Packt mich wie mit kalten Pranken eine ruhelose Hast

Ich stürze hinaus in das Trümmermeet,

Und ich irre mit heißen Gedanken umher —

Und weiß nicht mehr, wer ich bin.

Nachts,

Wenn mir der Wind dann Kühlung zufächelt
Und ein spätes Mädchen meinen Weg kreuzt und lächelt,
V/erde ich langsam ruhiger, werde ich innerlich stumm
Und ich geh dann oft stundenlang ziellos herum —
In der schlafenden Stadt. .

Nachts,

Wenn ich dann einsam durch Straßen und Gassen gehe,
Wenn ich auf den Plätzen unter den Bäumen im

Dunkeln stehe,
Wenn ich vom endlosen Wandern langsam, ganz

langsam müde werde,
Spür ich ein leises, verhaltenes Zittern der Erde —
Unter dem brüchigen Asphalt.

Nachts,

Wenn dann dieses Zittern unter den Sohlen bebt,
Wenn der Schmerz sein Antlitz aus den Ruinen erhebt
Und Elend und Grauen ihn stumm begleiten.
Wenn die Drei wie ein Totenzug durch die Gassen

schreiten —
Leg ich die heiße Hand
An eine graue Trümmerwand —

und suche Halt.

Und mit den heißen Händen auf den kalten, zer-
schlagenen Steinen
Fühl ich das stille, zitternde Weinen — das stille,
zitternde Weinen —

der großen Stadt...

Heinz Schneekloth

298
Image description

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Herr Nachbar, was haben Sie denn in Ihrem Koffer?"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
Bildunterschrift: "Herr Nachbar, was haben Sie denn in Ihrem Koffer? Ein Weihnachtsgeschenk für meine Familie, ein weißes Pulver. Ich weiß zwar noch nicht, was es ist, aber es war billig und ich hab es auf jeden Fall mal mitgenommen."

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsdatum
um 1947
Entstehungsdatum (normiert)
1942 - 1952
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 2.1947, Nr. 24, 298.

Beziehungen

Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
 
Annotationen