DER VOLKSKONGRESS
FREI NACH HEINE
Sie sprachen im Namen des Volkes,
Wir haben es deutlich gehört.
Dass vierzig Millionen fehlten,
Das hat sie wenig gestört.
Es malten die klugen Doktoren
Die Säumigen an die Wand
Und suggerierten der Masse:
Vollzähliges Vaterland!
Sie hieben in eine Kerbe,
Gesinnung war einerlei,
Und waren alle nur Deutsche —
Im Rahmen der Einheitspartei!
Wir „Reaktionäre" vom Westen,
Wie haben wir dorten gefehlt!
Wir hätten dem Kreise der Besten
Von unseren Zielen erzählt!
Die Trennung von Brüdern und Schwestern
Ist freilich auch unser Weh,
Doch wolFn wir die deutsche Einheit
Gern ohne die SED! l.Lengfeld
LITERARISCHER BEITRAG
Unter uns und im Vertrauen gesagt: Ich schreibe dies eigentlich nur, damit
ich auch einmal gedruckt werde und in der Zeitung stehe. Denn schließlich
haben wir ja Redefreiheit. Das ist genau so, wie wenn es etwas ohne Marken
gibt. Alles rennt hin und beteiligt sich, ob es Zweck und Verstand hat oder
nicht. Man muß es ausnützen, wo doch sonst alles rationiert ist.
Außerdem sagt meine Frau immer: „Was Otto kann, wirst du doch hoffent-
lich auch können!" Otto ist nämlich ein Bekannter von mir, der früher bei
der Müllabfuhr angestellt war und jetzt in der russischen Zone eine SED-
Zeitung redigiert. Er versichert mir, daß ihm der Branchcnwechsel gar nicht
schwer gefallen sei, und wer seine Artikel kennt,, muß bestätigen, daß er ganz
der alte ist. Es kommt ja heute auch weniger darauf an, was man schreibt.
Die Hauptsache ist, daß man entnazifiziert ist.
Trotzdem habe ich mich entschlossen, meinen Ausführungen ein ganz be-
stimmtes Thema zugrundezulegen. Ich bin nur noch nicht ganz im klaren,
welches. Zweckmäßigerweise sollte es ja mit Demokratie in Zusammenhang
stehen. Wegen der Papierzuteilung. Ganz abgesehen davon scheint mir Politik
ohnehin das dankbarste Gebiet zu sein. Man kann es dabei zu etwas bringen.
Denken Sie an meinen Freund Adolar, von dem neulich sogar in der Zeitung
geschrieben wurde. Er ist Parlamentsmitglied und es ist für solch einen
fähigen Kopf eine stolze Genugtuung, wenn beispielsweise sein Kommentar
zu einer Gesetzesvorlage in weitesten Kreisen Beachtung findet. Sein mar-
kanter Ausspruch: „Ich will nicht sagen, daß das Gesetz ein Unsinn ist. Es
ist ein Nonsens!" wurde leider von der Presse zu wenig gewürdigt.
Wie gesagt, es lohnt, sich mit Politik zu beschäftigen. Gerade sie nährt ihren
Mann. Darum wollte ich auch etwas Politisches schreiben. Zumal ich da einen
ganz ausgezeichneten Experten an der Hand habe. Es ist mein Friseur. Ein
Demokrat, der sich ganz dem Studium politischer Probleme hingibt. Daß er
es fertigbringt, nebenbei noch seine Kunden zu rasieren, zeugt von seiner
immensen Schaffenskraft. Ich bin sicher, er wird noch einmal ein hoher
Regierungsbeamter.
Aber zurück zu meiner literarischen Tätigkeit. Ich wollte also eigentlich über
Politik schreibert. Aber ich bin wieder davon abgekommen. Es geht mir wie
den meisten unserer heutigen Politiker: Ich weiß eigentlich nicht recht, wo
ich hinaus soll. Man muß sich ans Greifbare halten. Wie schön wäre es
beispielsweise, einmal Minister zu werden. Man bräuchte es ja gar nicht lange
zu sein. Nur so lange, bis man die Pension bekommt.
Vielleicht ist es besser, sich mit Kultur zu beschäftigen. Das ist ja heute
auch sehr aktuell. Wo wir jetzt doch sowieso lauter neue Kultur haben. Es ist
auch gar nicht schwer, auf diesem Gebiet etwas Lohnendes zu finden. Je
moderner, desto besser. Eine Theaterkritik zu
schreiben habe ich zum Beispiel nie für schwierig
gehalten. Man braucht sich nur zu erkundigen, ob
der Autor des Stückes ein Ausländer ist und schon
ist es ganz klar, daß man es mit einem hervor-
ragenden Künstler zu tun hat. Ich wollte mir trotz-
dem die Mühe machen und mir ein Stück ansehen.
Etwas, wo man für sein Geld möglichst viel zu
sehen bekommt. Das Stück spielte in jener Zeit,
wo seidene Schuhe nodi bezugscheinfrei waren. Im
Programm stand, es würde von der Liebe handeln.
Es ist wirklich eine sehr nützliche Einrichtung, daß
die Theaterbesucher immer gleich eine schriftliche
Erklärung der Vorgänge auf der Bühne in die Hand
gedrückt bekommen. Wenn man Zeit findet, diese
M. Radier
Thüringen:
DER HERR KOMMANDANT BRAUCHTE • SCHNELL EINMAL DIE
MASCHINE . . .
OSTZONEN-CDU
lc)
Stellt auf den Tisch die duftenden Re-SED-en,
die roten TULP-anows, tragt sie herbei,
und laßt uns nie mehr von der Freiheit reden
(wie einst im Mai ...).
2d)
Dein Schicksal ist be-sichelt und be-hämmert.
Nomen est omen: ERNST ist's und be-LEMMERt.
3u)
Wie hatte einst ein kluger Mann geschrieben?
„Der KAISER ging--die Generäle blieben!"
H. Hartwig
Instruktion vorher durchzulesen, kann man sich nnfnehes von dem, was ge-
spielt wird, erklären. Ich schreibe aber doch lieber keine Theaterkritik.
Mit der Malerei ist es auch nicht so einfach. Man kann ja schließlich nicht
verlangen, daß man bei einem Bild gleich sieht, was gemeint ist. Jeder
dahergelaufene Gemütsmensch würde sich Kunstverständnis anmaßen und die
Kunstkritiker wären brotlos. Ich finde, daß die Malerei heute viel produktiver
betrieben wird als in früheren Zeiten. Nicht nur rein mengenmäßig, sondern
auch was Herstellungsdauer und technischen Aufwand anlangt.
Ein sehr dankbares und gebräuchliches Thema wäre ja die Entnazifizierung
gewesen. Bewundernswert, was in dieser Hinsicht geleistet wird. Ich möchte vor
allem auf das Gebiet der demokratischen Umerziehung hinweisen. Man kann
sich nur freuen, wie sich die Menschen zur besseren
Einsicht wandeln. Wenn man sich zum Beispiel mit
einem Beamten unterhält, der einem mit anschau-
licher Beredsamkeit die ganze Schlechtigkeit der ver-
gangenen Epoche klarmacht und in konsequenter
Weise seine demokratische Gesinnung damit unter
Beweis stellt, daß er unermüdlich für kleine und
kleinste Nazis Stricke dreht, dann kann man mit
Sicherheit annehmen, daß er während der fraglichen
zwölf Jahre im Dienst war.
Ich habe es mir überlegt. Ich will mich lieber doch
nicht auf ein bestimmtes Thema festlegen. Etwas
Allgemeines ist einfacher und vor allem literari-
scher. Meine Frau sagt ohnedies, daß es jetzt
genügt. Rellop
9
FREI NACH HEINE
Sie sprachen im Namen des Volkes,
Wir haben es deutlich gehört.
Dass vierzig Millionen fehlten,
Das hat sie wenig gestört.
Es malten die klugen Doktoren
Die Säumigen an die Wand
Und suggerierten der Masse:
Vollzähliges Vaterland!
Sie hieben in eine Kerbe,
Gesinnung war einerlei,
Und waren alle nur Deutsche —
Im Rahmen der Einheitspartei!
Wir „Reaktionäre" vom Westen,
Wie haben wir dorten gefehlt!
Wir hätten dem Kreise der Besten
Von unseren Zielen erzählt!
Die Trennung von Brüdern und Schwestern
Ist freilich auch unser Weh,
Doch wolFn wir die deutsche Einheit
Gern ohne die SED! l.Lengfeld
LITERARISCHER BEITRAG
Unter uns und im Vertrauen gesagt: Ich schreibe dies eigentlich nur, damit
ich auch einmal gedruckt werde und in der Zeitung stehe. Denn schließlich
haben wir ja Redefreiheit. Das ist genau so, wie wenn es etwas ohne Marken
gibt. Alles rennt hin und beteiligt sich, ob es Zweck und Verstand hat oder
nicht. Man muß es ausnützen, wo doch sonst alles rationiert ist.
Außerdem sagt meine Frau immer: „Was Otto kann, wirst du doch hoffent-
lich auch können!" Otto ist nämlich ein Bekannter von mir, der früher bei
der Müllabfuhr angestellt war und jetzt in der russischen Zone eine SED-
Zeitung redigiert. Er versichert mir, daß ihm der Branchcnwechsel gar nicht
schwer gefallen sei, und wer seine Artikel kennt,, muß bestätigen, daß er ganz
der alte ist. Es kommt ja heute auch weniger darauf an, was man schreibt.
Die Hauptsache ist, daß man entnazifiziert ist.
Trotzdem habe ich mich entschlossen, meinen Ausführungen ein ganz be-
stimmtes Thema zugrundezulegen. Ich bin nur noch nicht ganz im klaren,
welches. Zweckmäßigerweise sollte es ja mit Demokratie in Zusammenhang
stehen. Wegen der Papierzuteilung. Ganz abgesehen davon scheint mir Politik
ohnehin das dankbarste Gebiet zu sein. Man kann es dabei zu etwas bringen.
Denken Sie an meinen Freund Adolar, von dem neulich sogar in der Zeitung
geschrieben wurde. Er ist Parlamentsmitglied und es ist für solch einen
fähigen Kopf eine stolze Genugtuung, wenn beispielsweise sein Kommentar
zu einer Gesetzesvorlage in weitesten Kreisen Beachtung findet. Sein mar-
kanter Ausspruch: „Ich will nicht sagen, daß das Gesetz ein Unsinn ist. Es
ist ein Nonsens!" wurde leider von der Presse zu wenig gewürdigt.
Wie gesagt, es lohnt, sich mit Politik zu beschäftigen. Gerade sie nährt ihren
Mann. Darum wollte ich auch etwas Politisches schreiben. Zumal ich da einen
ganz ausgezeichneten Experten an der Hand habe. Es ist mein Friseur. Ein
Demokrat, der sich ganz dem Studium politischer Probleme hingibt. Daß er
es fertigbringt, nebenbei noch seine Kunden zu rasieren, zeugt von seiner
immensen Schaffenskraft. Ich bin sicher, er wird noch einmal ein hoher
Regierungsbeamter.
Aber zurück zu meiner literarischen Tätigkeit. Ich wollte also eigentlich über
Politik schreibert. Aber ich bin wieder davon abgekommen. Es geht mir wie
den meisten unserer heutigen Politiker: Ich weiß eigentlich nicht recht, wo
ich hinaus soll. Man muß sich ans Greifbare halten. Wie schön wäre es
beispielsweise, einmal Minister zu werden. Man bräuchte es ja gar nicht lange
zu sein. Nur so lange, bis man die Pension bekommt.
Vielleicht ist es besser, sich mit Kultur zu beschäftigen. Das ist ja heute
auch sehr aktuell. Wo wir jetzt doch sowieso lauter neue Kultur haben. Es ist
auch gar nicht schwer, auf diesem Gebiet etwas Lohnendes zu finden. Je
moderner, desto besser. Eine Theaterkritik zu
schreiben habe ich zum Beispiel nie für schwierig
gehalten. Man braucht sich nur zu erkundigen, ob
der Autor des Stückes ein Ausländer ist und schon
ist es ganz klar, daß man es mit einem hervor-
ragenden Künstler zu tun hat. Ich wollte mir trotz-
dem die Mühe machen und mir ein Stück ansehen.
Etwas, wo man für sein Geld möglichst viel zu
sehen bekommt. Das Stück spielte in jener Zeit,
wo seidene Schuhe nodi bezugscheinfrei waren. Im
Programm stand, es würde von der Liebe handeln.
Es ist wirklich eine sehr nützliche Einrichtung, daß
die Theaterbesucher immer gleich eine schriftliche
Erklärung der Vorgänge auf der Bühne in die Hand
gedrückt bekommen. Wenn man Zeit findet, diese
M. Radier
Thüringen:
DER HERR KOMMANDANT BRAUCHTE • SCHNELL EINMAL DIE
MASCHINE . . .
OSTZONEN-CDU
lc)
Stellt auf den Tisch die duftenden Re-SED-en,
die roten TULP-anows, tragt sie herbei,
und laßt uns nie mehr von der Freiheit reden
(wie einst im Mai ...).
2d)
Dein Schicksal ist be-sichelt und be-hämmert.
Nomen est omen: ERNST ist's und be-LEMMERt.
3u)
Wie hatte einst ein kluger Mann geschrieben?
„Der KAISER ging--die Generäle blieben!"
H. Hartwig
Instruktion vorher durchzulesen, kann man sich nnfnehes von dem, was ge-
spielt wird, erklären. Ich schreibe aber doch lieber keine Theaterkritik.
Mit der Malerei ist es auch nicht so einfach. Man kann ja schließlich nicht
verlangen, daß man bei einem Bild gleich sieht, was gemeint ist. Jeder
dahergelaufene Gemütsmensch würde sich Kunstverständnis anmaßen und die
Kunstkritiker wären brotlos. Ich finde, daß die Malerei heute viel produktiver
betrieben wird als in früheren Zeiten. Nicht nur rein mengenmäßig, sondern
auch was Herstellungsdauer und technischen Aufwand anlangt.
Ein sehr dankbares und gebräuchliches Thema wäre ja die Entnazifizierung
gewesen. Bewundernswert, was in dieser Hinsicht geleistet wird. Ich möchte vor
allem auf das Gebiet der demokratischen Umerziehung hinweisen. Man kann
sich nur freuen, wie sich die Menschen zur besseren
Einsicht wandeln. Wenn man sich zum Beispiel mit
einem Beamten unterhält, der einem mit anschau-
licher Beredsamkeit die ganze Schlechtigkeit der ver-
gangenen Epoche klarmacht und in konsequenter
Weise seine demokratische Gesinnung damit unter
Beweis stellt, daß er unermüdlich für kleine und
kleinste Nazis Stricke dreht, dann kann man mit
Sicherheit annehmen, daß er während der fraglichen
zwölf Jahre im Dienst war.
Ich habe es mir überlegt. Ich will mich lieber doch
nicht auf ein bestimmtes Thema festlegen. Etwas
Allgemeines ist einfacher und vor allem literari-
scher. Meine Frau sagt ohnedies, daß es jetzt
genügt. Rellop
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Thüringen: Der Herr Kommandant brauchte schnell einmal die Maschine ..."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
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Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
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Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
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Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
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Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 1, S. 9.
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CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg