K. J. Büsch: VATERLÄNDISCHER GESCHICHTSUNTERRICHT
DIE LIEBE SONNE
Eine türkische Zeitung meldet, daß sowjetrus-
sische Wissenschaftler, die im Kaukasus an der
Erforschung der Sonnenstrahlen arbeiten,
aufsehenerregende Erfolge zu verzeichnen haben.
Ziel ihrer Arbeit ist es, aus der Radioaktivität
der Sonnenstrahlen sogenannte „Todesstrahlen"
zu entwickeln, deren vernichtende Wirkung die
amerikanische Atombombe geradezu „in den
Schatten" stellt.
Oesterreichische Biologen stellten fest, daß der
in den letzten Jahren bemerkte frühzeitige Ab-
schluß der geschlechtlichen Reife bei den Jugend-
lichen in fast allen europäischen Ländern auf
übermäßige Sonnenbestrahlung zurück-
zuführen ist. Als Folgen dieser anormalen Ent-
wicklung werden frühzeitige Unfruchtbarkeit,
rasches Altern, Verkürzung der Jugendzeit und
damit der Lernfähigkeit, kümmerliche Verstan-
desentwicklung, Herabsinken des kulturellen
Niveaus und schließlich drohendes Aussterben
des Menschengeschlechtes auf dem europäischen
Kontinent vorausgesagt.
Wissenschaftler in der ganzen Welt vermuten,
daß die zahlreichen Naturkatastrophen der letz-
ten Jahre, Ueberschwemmungen, Wirbelstürme,
Kältewellen, Vulkanausbrüche, Erdbeben und
Trockenheit ihre Ursache in den immer wieder
erneut zu beobachtenden Sonnenflecken
haben.
DIE MODISCHE KRANKHEIT
Was soll denn heutzutage schon eine modische Krank-
heit sein? Natürlich wird die allgemeine Antwort lauten:
Selbstverständlich die Unterernährung. Aber nein, das
stimmt ja gar nicht, denn Unterernährung ist heute in
Deutschland keine modische Krankheit mehr, auch keine
eigentliche Krankheit — es ist heute einfach der Nor-
malzustand für uns „Normal-Verbraucher".
Aber es gibt doch eine modische Krankheit. Neulich saß
ich in der Eisenbahn einem Herrn gegenüber, der im
Gegensatz zu seinen hohlwangigen Mitreisenden wahr
haftig sehr ordentlich genährt aussah. Als wir ins Ge-
spräch kamen, klagte er mir sofort sein Leid: er sei
schwer krank, er sei drüsenkrank. Selbstverständlich
konnte man den armen Mann nun wegen seines dicken
Bauches, dem Dreifach-Kinn und den Speckfalten im
Genick nur noch zutiefst bedauern.
Ich lernte einen, noch einen und schließlich einen dritten
Metzgermeister kennen, die sämtlich ganz erstaunlich gut
über den Winter gekommen waren. Als ich darauf an-
spielte, widersprach jeder heftig: „Das sieht nur so aus,
in Wahrheit geht es mir sehr, sehr schlecht — ich bin
drüsenkrank."
Ein Gastwirt von sehr unzeitgemäßem Aeußeren ver-
wahrte sich ebenfalls entschieden gegen die Unterstellung,
daß es ihm gut ginge. „Ich leide furchtbar, ich bin ein
todunglücklicher Mensch — ich bin drüsenkrank."
Fr. Bilek
Da haben wir sie: die modische, die hochaktuelle Drü-
senkrankheit! Gottseidank befällt sie jedoch ihre Opfer
nicht wahllos wie andere, ähnlich schlimme Seuchen.
Es heißt, sie sei in gewissem Sinne eine Berufskrank-
heit. Natürlich sind Metzger und Gastwirte, am anfäl-
ligsten dafür. Man behauptet jedoch auch, daß die
Krankheit bevorzugt auftrete bei Bürgermeistern und
Oberbürgermeistern, Ernährungsamtsleitcrn, Wohnungs-
kommissaren, Fahrbercitschaftsleitern und anderen ex-
ponierten Persönlichkeiten. Noch sind die wissenschaft-
lichen Untersuchungen nicht abgeschlossen, ob es sich
bei dieser Berufskrankheit um die Folgen von Ueber-
arbeitung handelt. Dann
allerdings müßte man um
die Zukunft dieser Be-
rufe ernstlich besorgt
sein. Denn wer sollte sich
dann noch bercitfinden,
einen solchen Posten zu
übernehmen? Es müßte ja
dann jeder Aspirant da-
mit rechnen, in kürzester
Frist ein drüsenkrankes
„Opfer seines Berufs"
zu werden. Es wäre nicht
auszudenken. Lucian
Es steht zu erwarten, daß aufschlußreiche For-
schungsergebnisse über den ursächlichen Zusam-
menhang von Regierungskrisen, Streiks, Erd-
beben, geplatzten Konferenzen und unfrucht-
baren Ministern einerseits und den mehr oder
minder schuldbefleckten Sonnenstrahlen
andererseits in Kürze verlautbart werden.
Gab es tatsächlich einmal eine ferne, unwirk-
liche Zeit, in der die Sonne ein Sinnbild für
Frohsinn, Wärme und alles Beglückende war?
Die Menschen brachten es an den Tag: selbst
die Sonne hat ihre Schattenseiten. Unsere Lage
zwischen Atombombe und Todesstrahlen ver-
spricht auf jeden Fall eine äußerst sonnige Zu-
kunft. So oder so. Hans Job
PROST NETJ.JAHR!
INFERNO - 35. GESANG
Noch tiefer führt Virgil mich in das Reich der Schatten,
Wo Grau'n dem Grau'n, und Laster Lastern sich vermählen.
Per me si va nella citä dolente!
Per me si va per Ia perduta gente.
Buhlinnen siehst du hier, mit eitel rotgeschminkten Nabeln,
Doch ihre Büstenhalter sind aus gift'gcr Vipernbrut geflochten,
Und ihre Straps, ein Stacheldraht, zerfetzen schneeig zarte Schenkel.
Aus ihren Mündern dampft, den Schlund bis in den Darm versengend,
Die Glut der Camel, die in Buhlschaft ward erworben.
So straft sich jedes Laster, wo es nicht Vergnügen. »
„Wer ist der fette Mann dort?", trug ich nun Virgilen,
„Der in der Sud von Schmalz gleich einer Kirchweihnudel schmoret?"
„Ein Gastwirt war er", sprach der Dichter und ward traurig.
„Zwölf Zentner Fett hat listig er den Gästen vorenthalten
Und muß nun rösten, bis durch eig'ner Marken dürft'ge Quanten
Der Raub beglichen, den sein feister Bauch am Volk begangen."
An andrem Ort der Hölle stand ich jetzt vor vollen Trögen,
Die mit Papier gefüllt den Schmatzenden die Nahrung bargen.
Voll Gier die bunten Lappen in den Mund sich stopfend und erbrechend
Beklagten Mann und Weib des Hungers beißend scharfe Qualen.
„Sieh, es sind Bauern!", sprach Virgil, „und ekler Fraß die Scheine,
Die sie zur Notzeit magern Städtern selbstisch abgenommen.
Sie kamen schon vor langem. Jene aber mit den quälend engen Stiefeln
Sind solche, die in list'gem Tausch ein Ei nur für das Schuhwerk gaben."
„Und jene Mißgeburt, halb Mensch, halb Sau?", frug staunend ich Virgilen.
„Ein Hamst'rer war's", sagt der, ,, und muß auf seinen Osterschinken laufen."
„Doch wer ist jener?", wollt ich wissen, „dess' Hände auf den Tisch genagelt?"
„Er war bestechlich", sagt Virgil, „doch sind's zu viele, um sie all' zu kennen."
In düstrer Ecke sah ich jetzt, von Spinnennetzen dicht behangen
Und modrig duftend wurmzerfressne Särge stehen.
Tiefernste Männer, deren Bart die Fledermaus zum Nest erkoren,
Erhoben sich daraus, mürrisch' Gezeter aus den Mündern stoßend.
„Sie sind die Unglücksel'gen", sprach Virgil, rasch d'ran vorübergehend,
„Die den Humor aus ihren trocknen Herzen ganz und gar verbannet
Und ein Geschenk des Himmels frevelnd in den Staub getreten haben."
August Dante
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DIE LIEBE SONNE
Eine türkische Zeitung meldet, daß sowjetrus-
sische Wissenschaftler, die im Kaukasus an der
Erforschung der Sonnenstrahlen arbeiten,
aufsehenerregende Erfolge zu verzeichnen haben.
Ziel ihrer Arbeit ist es, aus der Radioaktivität
der Sonnenstrahlen sogenannte „Todesstrahlen"
zu entwickeln, deren vernichtende Wirkung die
amerikanische Atombombe geradezu „in den
Schatten" stellt.
Oesterreichische Biologen stellten fest, daß der
in den letzten Jahren bemerkte frühzeitige Ab-
schluß der geschlechtlichen Reife bei den Jugend-
lichen in fast allen europäischen Ländern auf
übermäßige Sonnenbestrahlung zurück-
zuführen ist. Als Folgen dieser anormalen Ent-
wicklung werden frühzeitige Unfruchtbarkeit,
rasches Altern, Verkürzung der Jugendzeit und
damit der Lernfähigkeit, kümmerliche Verstan-
desentwicklung, Herabsinken des kulturellen
Niveaus und schließlich drohendes Aussterben
des Menschengeschlechtes auf dem europäischen
Kontinent vorausgesagt.
Wissenschaftler in der ganzen Welt vermuten,
daß die zahlreichen Naturkatastrophen der letz-
ten Jahre, Ueberschwemmungen, Wirbelstürme,
Kältewellen, Vulkanausbrüche, Erdbeben und
Trockenheit ihre Ursache in den immer wieder
erneut zu beobachtenden Sonnenflecken
haben.
DIE MODISCHE KRANKHEIT
Was soll denn heutzutage schon eine modische Krank-
heit sein? Natürlich wird die allgemeine Antwort lauten:
Selbstverständlich die Unterernährung. Aber nein, das
stimmt ja gar nicht, denn Unterernährung ist heute in
Deutschland keine modische Krankheit mehr, auch keine
eigentliche Krankheit — es ist heute einfach der Nor-
malzustand für uns „Normal-Verbraucher".
Aber es gibt doch eine modische Krankheit. Neulich saß
ich in der Eisenbahn einem Herrn gegenüber, der im
Gegensatz zu seinen hohlwangigen Mitreisenden wahr
haftig sehr ordentlich genährt aussah. Als wir ins Ge-
spräch kamen, klagte er mir sofort sein Leid: er sei
schwer krank, er sei drüsenkrank. Selbstverständlich
konnte man den armen Mann nun wegen seines dicken
Bauches, dem Dreifach-Kinn und den Speckfalten im
Genick nur noch zutiefst bedauern.
Ich lernte einen, noch einen und schließlich einen dritten
Metzgermeister kennen, die sämtlich ganz erstaunlich gut
über den Winter gekommen waren. Als ich darauf an-
spielte, widersprach jeder heftig: „Das sieht nur so aus,
in Wahrheit geht es mir sehr, sehr schlecht — ich bin
drüsenkrank."
Ein Gastwirt von sehr unzeitgemäßem Aeußeren ver-
wahrte sich ebenfalls entschieden gegen die Unterstellung,
daß es ihm gut ginge. „Ich leide furchtbar, ich bin ein
todunglücklicher Mensch — ich bin drüsenkrank."
Fr. Bilek
Da haben wir sie: die modische, die hochaktuelle Drü-
senkrankheit! Gottseidank befällt sie jedoch ihre Opfer
nicht wahllos wie andere, ähnlich schlimme Seuchen.
Es heißt, sie sei in gewissem Sinne eine Berufskrank-
heit. Natürlich sind Metzger und Gastwirte, am anfäl-
ligsten dafür. Man behauptet jedoch auch, daß die
Krankheit bevorzugt auftrete bei Bürgermeistern und
Oberbürgermeistern, Ernährungsamtsleitcrn, Wohnungs-
kommissaren, Fahrbercitschaftsleitern und anderen ex-
ponierten Persönlichkeiten. Noch sind die wissenschaft-
lichen Untersuchungen nicht abgeschlossen, ob es sich
bei dieser Berufskrankheit um die Folgen von Ueber-
arbeitung handelt. Dann
allerdings müßte man um
die Zukunft dieser Be-
rufe ernstlich besorgt
sein. Denn wer sollte sich
dann noch bercitfinden,
einen solchen Posten zu
übernehmen? Es müßte ja
dann jeder Aspirant da-
mit rechnen, in kürzester
Frist ein drüsenkrankes
„Opfer seines Berufs"
zu werden. Es wäre nicht
auszudenken. Lucian
Es steht zu erwarten, daß aufschlußreiche For-
schungsergebnisse über den ursächlichen Zusam-
menhang von Regierungskrisen, Streiks, Erd-
beben, geplatzten Konferenzen und unfrucht-
baren Ministern einerseits und den mehr oder
minder schuldbefleckten Sonnenstrahlen
andererseits in Kürze verlautbart werden.
Gab es tatsächlich einmal eine ferne, unwirk-
liche Zeit, in der die Sonne ein Sinnbild für
Frohsinn, Wärme und alles Beglückende war?
Die Menschen brachten es an den Tag: selbst
die Sonne hat ihre Schattenseiten. Unsere Lage
zwischen Atombombe und Todesstrahlen ver-
spricht auf jeden Fall eine äußerst sonnige Zu-
kunft. So oder so. Hans Job
PROST NETJ.JAHR!
INFERNO - 35. GESANG
Noch tiefer führt Virgil mich in das Reich der Schatten,
Wo Grau'n dem Grau'n, und Laster Lastern sich vermählen.
Per me si va nella citä dolente!
Per me si va per Ia perduta gente.
Buhlinnen siehst du hier, mit eitel rotgeschminkten Nabeln,
Doch ihre Büstenhalter sind aus gift'gcr Vipernbrut geflochten,
Und ihre Straps, ein Stacheldraht, zerfetzen schneeig zarte Schenkel.
Aus ihren Mündern dampft, den Schlund bis in den Darm versengend,
Die Glut der Camel, die in Buhlschaft ward erworben.
So straft sich jedes Laster, wo es nicht Vergnügen. »
„Wer ist der fette Mann dort?", trug ich nun Virgilen,
„Der in der Sud von Schmalz gleich einer Kirchweihnudel schmoret?"
„Ein Gastwirt war er", sprach der Dichter und ward traurig.
„Zwölf Zentner Fett hat listig er den Gästen vorenthalten
Und muß nun rösten, bis durch eig'ner Marken dürft'ge Quanten
Der Raub beglichen, den sein feister Bauch am Volk begangen."
An andrem Ort der Hölle stand ich jetzt vor vollen Trögen,
Die mit Papier gefüllt den Schmatzenden die Nahrung bargen.
Voll Gier die bunten Lappen in den Mund sich stopfend und erbrechend
Beklagten Mann und Weib des Hungers beißend scharfe Qualen.
„Sieh, es sind Bauern!", sprach Virgil, „und ekler Fraß die Scheine,
Die sie zur Notzeit magern Städtern selbstisch abgenommen.
Sie kamen schon vor langem. Jene aber mit den quälend engen Stiefeln
Sind solche, die in list'gem Tausch ein Ei nur für das Schuhwerk gaben."
„Und jene Mißgeburt, halb Mensch, halb Sau?", frug staunend ich Virgilen.
„Ein Hamst'rer war's", sagt der, ,, und muß auf seinen Osterschinken laufen."
„Doch wer ist jener?", wollt ich wissen, „dess' Hände auf den Tisch genagelt?"
„Er war bestechlich", sagt Virgil, „doch sind's zu viele, um sie all' zu kennen."
In düstrer Ecke sah ich jetzt, von Spinnennetzen dicht behangen
Und modrig duftend wurmzerfressne Särge stehen.
Tiefernste Männer, deren Bart die Fledermaus zum Nest erkoren,
Erhoben sich daraus, mürrisch' Gezeter aus den Mündern stoßend.
„Sie sind die Unglücksel'gen", sprach Virgil, rasch d'ran vorübergehend,
„Die den Humor aus ihren trocknen Herzen ganz und gar verbannet
Und ein Geschenk des Himmels frevelnd in den Staub getreten haben."
August Dante
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Vaterländischer Geschichtsunterricht" "Prost Neujahr"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 1, S. 10.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg