M.V.Gosen: TIERSTUDIE
Klopfen wie an einen alten Wecker zustande
bringst) — und es hat überhaupt nur — Schwarz
und Weiß gegeben, keine Schattierungen, keine
Zweifel, keine Ebene des Geistes, auf der man
sich ohne törichte Gesten verständigt hätte, kein
Zwischen-den-Zeilen-Lesen und kein Zwischen-
Gefahren-Leben. Kurz, es war alles so furchtbar
billig, diese zwölf Jahre durch, es hätte von der
Birch-Pfeiffer erfunden sein können, das Ganze,
und es ist nicht einzusehen, warum es uns so
furchtbar teuer zu stehen kam.
Wenn nian aus diesem Film kommt, gedrückt
über den Niedergang, unseres geistigen Lebens,
das eintönig wird wie unsere Speisekarte und
immer auf den gleichen fünf Tasten klimpert,
dann fehlt einem nur noch — „Und über uns
Hans Albers — Verzeihung —, der Himmel!"
um endgültig am Esprit, am Takt, an der Film-
Kunst zu verzweifeln.
IV.
Nun, der Streit, ob Film Kunst sei oder nicht, ist
alt und unentschieden. Wenden wir uns darum
kurzerhand der Klein-Kunst zu, gehen wir, uns
zu trösten, zu erheitern, neue Pointen heimzu-
tragen, ins Kabarett. Wir in München sind gut
daran, wir haben ein literarisches, eines, das uns
schon erheitert, getröstet und wieder Hoffnung
gegeben hat, die „Schaubude".
Aber was ist das?
Wo du, mißleiteter Volksgenosse, einmal, ein
einziges Mal nur die Gewißheit zu haben glaub-
test, Vergnügliches, Satirisches, Unterhaltliches
zu bekommen, wirst Du unversehens überfallen
von Mystik und Belehrung und wiederum mit
erhobenem Zeigefinger auf den Weg der Pflicht
zurückgewiesen. '
Zunächst soll in Dir schon ein gewisses Schuld-
gefühl erweckt werden durch eine den Ober-
körper jäh entblößende, ihr sozial-erotisches
Elend hinausschreiende „Lustige Witwe", die mit
wehem Mund den schokoladenen Brunftschrei
sozusagen nochmal zurücknehmen, dann aber die
unter der sündig-schwarzen Unterwäsche tönende
bessere Stimme überklappern möchte durch
elektrische Musik. (Im Gegensatz zur Politik be-
deutet bei Damenwäsche die Farbe „Schwarz"
stets das Symbol sündigen Lebenswandels!) Auch
wenn Du nie der warst, der den „Zaster in den
Kasten" steckte, fühlst Du Dich doch leicht an-
geschuldigt, an dem durch die Gesellschafts-
Unordnung bedingten ausschweifenden Unter-
gang dieser Dame beteiligt zu sein, und das
schmerzt Dich, denn Du hast das Gefühl, diese
Dame treibt es schon seit den Jahren nach dem
ersten Weltkrieg und ihre Blütezeit war damals
am Kurfürstendamm. Aber kaum hast Du eini-
gen versonnen-bitteren, sehr gescheiten und fein
formulierten Märchen der Zeit gelauscht, und
Dich wieder hinführen lassen ans Wesen echten
literarischen Kabaretts, da wird Dir ein „Jeder-
mann-Mysterienspiel" um die Ohren geschlagen,
das auf seltsam mystische, existenzialistische,
gleichsam seitenverkehrte Art Dich wiederum
mit härtesten Forderungen und Anschuldigun-
gen überfällt. Dieser „Jedermann", eine Nach-
dichtung von Nachmann, hat unerhört packende
Szenen und ist durchaus ernster Diskussion wert.
Aber nicht im Rahmen eines Kabaretts, wo —
unter anderm — kurz vorher besagte „Lustige
Witwe" sich zum Kaufe bot. Es ist schlechter-
dings unerträglich, nach den ins Ohr und in den
Verstand gehenden Songs der Anfangsszenen
plötzlich zur Abwehr der Gespenster der Zeit
das „Vaterunser" mit allen Bitten zelebriert zu
bekommen, auch wenn der, der es spricht, ein
hervorragender Schauspieler ist. Herr Jeder-
mann, der sich seiner als Notwehr-Waffe be-
diente, wird bald darauf belehrt, daß „der Him-
mel leer ist" und Gott derzeit wo anders weilt.
Ich finde, es ist eine ziemlich plumpe Vertrau-
lichkeit, mit der neuerdings allerorten der liebe
Gott angesprochen wird, er ist stark in Mode
gekommen.
Alle aber sind sich einig, daß Herr Jedermann
am Leben zu bleiben und beim Aufbau zu helfen
hat. Vielleicht beim Schutträumen oder im Berg-
bau oder als Erfasser in der Landwirtschaft,
kurzum, als etwas sehr Zeitgemäßes, vermutlich.
Zur Buße natürlich, denn zu leben ist nämlich
nur noch eine Strafe. Daß dieses Leben auch
nur die kleinste Freude noch böte, ist kaum an-
zunehmen, wird auch nirgends gesagt. Geschieht
uns recht — unserem wilden Optimismus, unse-
rer überschäumenden Lebensfreude gehört hin
und wieder eins mit dem erzieherischen Holz-
hammer auf den Kopf.
Darum aber bemühen sich mit Erfolg sämtliche
Kultursparten im Rahmen eines großangelegten
erziehungsfreudigen Aufbauprogramms, nicht
zuletzt der Film und das mysterien-spielende
Kabarett!
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Klopfen wie an einen alten Wecker zustande
bringst) — und es hat überhaupt nur — Schwarz
und Weiß gegeben, keine Schattierungen, keine
Zweifel, keine Ebene des Geistes, auf der man
sich ohne törichte Gesten verständigt hätte, kein
Zwischen-den-Zeilen-Lesen und kein Zwischen-
Gefahren-Leben. Kurz, es war alles so furchtbar
billig, diese zwölf Jahre durch, es hätte von der
Birch-Pfeiffer erfunden sein können, das Ganze,
und es ist nicht einzusehen, warum es uns so
furchtbar teuer zu stehen kam.
Wenn nian aus diesem Film kommt, gedrückt
über den Niedergang, unseres geistigen Lebens,
das eintönig wird wie unsere Speisekarte und
immer auf den gleichen fünf Tasten klimpert,
dann fehlt einem nur noch — „Und über uns
Hans Albers — Verzeihung —, der Himmel!"
um endgültig am Esprit, am Takt, an der Film-
Kunst zu verzweifeln.
IV.
Nun, der Streit, ob Film Kunst sei oder nicht, ist
alt und unentschieden. Wenden wir uns darum
kurzerhand der Klein-Kunst zu, gehen wir, uns
zu trösten, zu erheitern, neue Pointen heimzu-
tragen, ins Kabarett. Wir in München sind gut
daran, wir haben ein literarisches, eines, das uns
schon erheitert, getröstet und wieder Hoffnung
gegeben hat, die „Schaubude".
Aber was ist das?
Wo du, mißleiteter Volksgenosse, einmal, ein
einziges Mal nur die Gewißheit zu haben glaub-
test, Vergnügliches, Satirisches, Unterhaltliches
zu bekommen, wirst Du unversehens überfallen
von Mystik und Belehrung und wiederum mit
erhobenem Zeigefinger auf den Weg der Pflicht
zurückgewiesen. '
Zunächst soll in Dir schon ein gewisses Schuld-
gefühl erweckt werden durch eine den Ober-
körper jäh entblößende, ihr sozial-erotisches
Elend hinausschreiende „Lustige Witwe", die mit
wehem Mund den schokoladenen Brunftschrei
sozusagen nochmal zurücknehmen, dann aber die
unter der sündig-schwarzen Unterwäsche tönende
bessere Stimme überklappern möchte durch
elektrische Musik. (Im Gegensatz zur Politik be-
deutet bei Damenwäsche die Farbe „Schwarz"
stets das Symbol sündigen Lebenswandels!) Auch
wenn Du nie der warst, der den „Zaster in den
Kasten" steckte, fühlst Du Dich doch leicht an-
geschuldigt, an dem durch die Gesellschafts-
Unordnung bedingten ausschweifenden Unter-
gang dieser Dame beteiligt zu sein, und das
schmerzt Dich, denn Du hast das Gefühl, diese
Dame treibt es schon seit den Jahren nach dem
ersten Weltkrieg und ihre Blütezeit war damals
am Kurfürstendamm. Aber kaum hast Du eini-
gen versonnen-bitteren, sehr gescheiten und fein
formulierten Märchen der Zeit gelauscht, und
Dich wieder hinführen lassen ans Wesen echten
literarischen Kabaretts, da wird Dir ein „Jeder-
mann-Mysterienspiel" um die Ohren geschlagen,
das auf seltsam mystische, existenzialistische,
gleichsam seitenverkehrte Art Dich wiederum
mit härtesten Forderungen und Anschuldigun-
gen überfällt. Dieser „Jedermann", eine Nach-
dichtung von Nachmann, hat unerhört packende
Szenen und ist durchaus ernster Diskussion wert.
Aber nicht im Rahmen eines Kabaretts, wo —
unter anderm — kurz vorher besagte „Lustige
Witwe" sich zum Kaufe bot. Es ist schlechter-
dings unerträglich, nach den ins Ohr und in den
Verstand gehenden Songs der Anfangsszenen
plötzlich zur Abwehr der Gespenster der Zeit
das „Vaterunser" mit allen Bitten zelebriert zu
bekommen, auch wenn der, der es spricht, ein
hervorragender Schauspieler ist. Herr Jeder-
mann, der sich seiner als Notwehr-Waffe be-
diente, wird bald darauf belehrt, daß „der Him-
mel leer ist" und Gott derzeit wo anders weilt.
Ich finde, es ist eine ziemlich plumpe Vertrau-
lichkeit, mit der neuerdings allerorten der liebe
Gott angesprochen wird, er ist stark in Mode
gekommen.
Alle aber sind sich einig, daß Herr Jedermann
am Leben zu bleiben und beim Aufbau zu helfen
hat. Vielleicht beim Schutträumen oder im Berg-
bau oder als Erfasser in der Landwirtschaft,
kurzum, als etwas sehr Zeitgemäßes, vermutlich.
Zur Buße natürlich, denn zu leben ist nämlich
nur noch eine Strafe. Daß dieses Leben auch
nur die kleinste Freude noch böte, ist kaum an-
zunehmen, wird auch nirgends gesagt. Geschieht
uns recht — unserem wilden Optimismus, unse-
rer überschäumenden Lebensfreude gehört hin
und wieder eins mit dem erzieherischen Holz-
hammer auf den Kopf.
Darum aber bemühen sich mit Erfolg sämtliche
Kultursparten im Rahmen eines großangelegten
erziehungsfreudigen Aufbauprogramms, nicht
zuletzt der Film und das mysterien-spielende
Kabarett!
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Tierstudie"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 3, S. 35.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg