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VÖLKERFRIEDE- von wenceslao fernandez florez

Mit einer vorbildlichen Wendung hatte sich Mr. Archibald Thompson von der
3. Riflemen Brigade am 8. Dezember 1917 vor dem hl. Petrus aufgepflanzt. In
dem schönen Gefühl absoluter Selbstsicherheit stand er vor dem greisen Heiligen
in jener gelockerten, leicht respektvollen Haltung, welche in der britischen
Armee im Verkehr mit Vorgesetzten zur nachahmenswerten Gepflogenheit ge-
worden ist.

Der weißhaarige Apostel saß an einem uralten Tisch und blätterte in einem
mächtigen Buch. Er schien den Ankömmling überhaupt nicht zu sehen.
Mr. Thompson wartete eine Anstandsminute. Der Heilige blieb in seinen Folian-
ten vertieft. Allmählich wurde es Mr. Thompson doch etwas zu lang. Er
räusperte sich leise und sagte mit militärischer Kürze:

„Leutnant Archibald Thompson von der II. Britischen Armee — soeben vor
Jerusalem gefallen."

Petrus schob seine Hornbrille auf die Stirn und blickte verdutzt auf seinen
englischen Besucher.

,,Vor Jerusalem? — Ja, wird denn dort auch gekämpft?"
Leicht gekränkt durch soviel Unkenntnis der sich auf Erden abspielenden Vor-
gänge, sagte Thompson mit leisem Vorwurf:

„Gewiß doch. Sollte man im Himmel über die Kämpfe um die heiligen Stätten
nicht unterrichtet sein?"

Petrus seufzte tief. „In solchen Zeiten verliert man den Überblick . . ."
Mr. Thompson lächelte nachsichtig. „Wir haben in Palästina zwei Armeen
stehen, um das hl. Grab den Händen der sündigen Ungläubigen zu entreißen."
Mr. Thompson echauffierte sich fast bei dem Thema. „Wir haben diesen Brüdern
tüchtig heimgeleuchtet und meine Wenigkeit darf sich rühmen, mehr als einem
dieser Satanssöhne den Schädel gespalten zu haben. Ihr hoher Vorgesetzter wird
das zu schätzen wissen."

Uber den Heiligen kam einer jener Temperamentsausbrüche, die uns aus der
Bibel sattsam bekannt sind. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, daß das
Tintenfaß mit dem Gänsekiel wie eine Bombe in die Luft flog, und mit fun-
kelnden Augen schrie er den wie atis den Wolken gefallenen Thompson an:
„So seid ihr alle! Ihr geht her und nehmt das gottgefällige Werk zum Vorwand,
euch gegenseitig zu massakrieren. Im Grunde ist es aber nichts als eure Raub-
lust, die euch zu solchen Taten verleitet. Wenn ich nur an die Sache der Spanier
mit den Mauren denke, wird mir heute noch grün und gelb vor den Augen
Oder an die Religionskriege. Jeder behauptet, er habe es Gott zuliebe getan . .
Genau wie der Deutsche, der gestern hier war . . ."

Mr. Thompson zuckte zusammen. „Habe ich recht verstanden? Hier werden auch
Deutsche zugelassen?" Petrus nickte mürrisch.

„In diesem Fall", sagte Mr. Thompson, „muß der Himmel auf die Ehre meiner
Gegenwart verzichten".

Machte seine elegante Wendung und ging schnurstraks zur Hölle. —

Aber das war, wie gesagt, im Jahre 1917 .. . Aus dem Spanischen: Helma Flessa

DIE TRAMBAHNSCHIENEN

Zwei Trambahnschienen in der Großstadt Mitte

Die liebten sich seit langer Zeit

O — welche Aussichtslosigkeit —

Denn ewig zwischen diesem Paar

Ein wohlvermessner Abstand war

Von sieben mittelgroßen Pflastersteinen —

Es schien der Fall so recht zum Weinen

Und völlig aussichtslos zu sein---

Da griff die Perspektive ein —

Der man das Leid der beiden hinterbracht —

Und siehe — in der nächsten Nacht

Als dienstentledigt jenes Schienenpaar

Gab sie den beiden ihr Geheimnis dar

Und führte leise sie mit sachter Hand

Zu jenem Punkte hin — der endlich sie verband!

Was quälst du dich mit Hoffnungslosigkeit —

Du kommst ans Ziel — und Gott weiß schon die Zeit. L. Murr

„SCHÖPFERISCHE" ERSCHEINUNGEN

Es gab einmal eine Zeit, da schrieben wir etwa: „Aus der Vielfalt der individuellen
Erscheinungen, aus dem Zusammenklang von werktätiger Arbeit, wissenschaftlicher
Forschung, künstlerischer Initiative und politischer Willensbildung können der Gesell-
schaft schöpferische Kräfte für Fortschritt, Höherentwicklung und — Demokratie zu-
fließen . . ." Damals wandten wir uns auch gegen jede geistige Uniformierung und den
Zwang als Mittel des Fortschritts.

Unsere Betrachtung hatte weder einen politischen noch einen plvlosophischen Akzent.
Sie war Tatsachenfeststellung und unspekulative Folgerung aus einem gewesenen
Zustand . . .

Inzwischen Ist manches geschehen:- Diktaturen sind entstanden und teilweise ver-
gangen, die Welt in einem Chaos der Begriffsverwirrungen und in einem Trümmer-
haufen gigantischen Ausmaßes zurücklassend. Geblieben ist die „schöpferische
deutsche Seele".

Das Wunder der deutschen Seele offenbart die alte Fülle an Buntheit und Vielfalt.
Im Realistischen zeigt sie sich in egozentrisch verdichtetem Streben kommerzieller Art.
Man nennt es schlicht „Geschäftsgründungen" und „händlerische Betriebsamkeit".
Das Volk spürt zwar im Positiven wenig von dieser schöpferischen Betätigung, sei es

daß es sich nur um einen Topf, einen ganz gewöhnlichen, mit und ohne Henkel, oder
um eine V12 Gramm schwere Nähnadel, oder einen Faden für die vielen, allzuvielen
Löcher handelt. Aber wir sind initiativ jind — schöpferisch. Im Geistigen wachsea
wahre Dome gegen den allzugrauen Himmel unserer Not, deren Buntheit scharfe Kon-
turen vermissen lassen. Im Politischen aber sind echte Wunder schöpferischer Initiative
zu verzeichnen:

In den gesegneten Gefilden unserer rein demokratischen Bizone sollen sich bis jetzt
38 Parteien um Zulassung beworben haben, neben den vielen unpolitisch-politischen
Organisationen, die sich dem Frieden, der Freiheit und dem Fortschritt verschrieben.
Unverkennbar wächst hier ein neues Geschlecht der Gründer heran, gegen das die
Männer der Gründerzeit und ihre Nachfahren der Weimar» Republik nur Waisen-
kinder sind. Tief im Busen hegen wir die Hoffnung, daß die Zeit das bunte Bild solch
„weltweiter" Geschäftigkeit noch farbiger und vielseitiger gestalten möge. Schließlich
verbürgt die Demokratie jedem Freiheit, auch nach Maß, wenn es sein muß. Inzwischen
aber ist die Welt aufgeteilt, die biologische Substanz des Volkes beginnt sichtbar zu
verfallen, aber — das wäre schon wieder ein Thema für Neugründungen. Dr. A. Hille

ZEITGEMÄSSE REZEPTE

DEUTSCHER PUDDING: Man nehme einige Löffel Kollektivschuld und verrühre
sie gut mit Speiseresten von 1933 bis 1945. Nach einer geringen Zugabe von Mei-
nungsfreiheit gerät das Ganze bald in Gärung, die durch Druck von oben geregelt
werden muß. Es entsteht auf diese Weise ein Pudding, der sich in jede gewünschte
Form bringen läßt und diese für einige Zeit beibehält.

MITLÄUFER-PASTETCHEN Zu einem halben Liter Dummheit gebe man einen
Eßlöffel Dreistigkeit und lasse die Mischung einige Zeit abseits stehen, bis sie
ihre braune Färbung verliert Sodann überzuckere man sie kräftig mit Unschuld
und garniere sie mit demokratischer Gesinnung. Im Spruchkammerbackofen bei
normaler Temperatur gebacken, entsteht ein appetitlich aussehendes, rein weißes
Gebäck. Mit Substanzverlusterj ist dabei zu rechnen.

MEINUNG-ERSATZ-CREME: Man drehe etwas willenlose Masse mehrmals durch
die Wahlpropaganda, mache sie unter reichlichem Zusatz von Versprechungen ge-
schmeidig und bringe sie durch Ueberbrühen mit Schlagwörter-Extrakt zur Wal-
lung. Es entsteht eine leichtaufbrausende Creme von begrenzter Haltbarkeit.

AMTSSCHIMMEL-KOTELETT: Spicke ein beliebig großes Stück faules Sitzfleisch
mit Pensionsberechtigung, lasse es in einer Lauge von Vorurteil und Anmaßung
möglichst lange ziehen und brate es dann in Steuerzahler-Fett. Nach diesem Rezept
zubereitete Kotelette sind auch in schwülsten Zeiten unbegrenzt lagerfähig.

Günther Elb

G. Schümpf : VOR DEM SPIEGEL

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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Vor dem Spiegel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Schrimpf, Georg
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 4, S. 41.

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