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J. Hüther: MÜNCHENER VORSTADT

DIE WUNDERBARE NASE

Ein halb Dutzend Männer etwa standen vor dem
Schutthaufen der Ruine, die der Sturm eine
Woche vorher zusammengeweht hatte. Das zer-
bröselte Gemäuer roch schlecht, es stank nach
Moder, Krankheit, Elend und Verwesung. Die
Sonne stach jäh in den greulichen Geruch, sog
ihn hervor und ließ ihn rings in der Luft tan-
zen, zur Freude der Ratten, die boshaft und neu-
gierig hinter den Steinen hockten. Die Männer
berieten unlustig, wo man in dem Schutt an-
fangen sollte, nach Verunglückten zu suchen.
Auf einmal nämlich war das Gerücht dagewe-
sen, daß ein Mensch gerade vorbeigerannt sei
als die Mauer krachend zusammenbrach. Eine
Augenzeugin, oder doch eine, die es so halb oder
vierteis gesehen haben wollte, stand nun dabei
und stach mit dem Finger immer wieder auf-
munternd in die Luft: „Dort war so ein Schat-
ten — glaub ich wenigstens — wenn mich nicht
alles täuscht — und so." Ein blasser, schmäch-
tiger, grünlich angehauchter Mann in einem
ledernen Motorradanzug nickte dazu eifrig und
sagte, er sei nun schon fast vier Tage hier an
der Stelle tätig uncT könne nur sagen, es muß
was da sein.

Der blasse Mann trug eine enganliegende Leder-
kappe mit hechgestellten Ohrenklappen und
sah trübselig aus wie eine kranke Eule. Er
lächelte unentwegt verschämt-verbindlich, nickte
und schüttelte den Kopf und erweckte mit Eifer
den Eindruck, als wisse er viel mehr, als er
sagen könne. Aus der nahen Kirche kam der
Mesner im schwarzen Rock auf den grünlichen

Mann zu. Sie schüttelten sich die Hände, auch
der Mesner nickte vielmals mit dem Kopf, ein
wenig salbungsvoller und so; als sei er über all
die verschwiegenen Kenntnisse des andern zu-
tiefst im Bilde. -Dann winkte ein Polizist. Der
Mann im Lederanzug lief eilfertig und dienst-
bereit zu ihm, nickte wiederum vielmals, wan-
delte seinen Trübsinn in beschwingten, fast
leuchtenden Stolz und ging mit langsamen,
spürenden Schritten an den Schuttberg heran,

auf ihn hinauf, in ihn hinein--einer allem An-'

schein nach von seiner windend erhobenen Nase

vorgezeichneten Route nach.

„Was ist das für ein Mann?" fragte jemand den

Mesner.

„Ein Leichenriecher", sagte der Mesner und
schob sich Schnupftabak ins rechte Nasenloch.
„Ein — was?"

„Ein Leichenriecher, ein Architekt mit einer
wunderbaren Nase, Im Krieg war er viel be-
schäftigt bei den Bergungsarbeiten. So drei, vier
Tage nach einem Angriff hat er das Schnuppern
angefangen. In unserm Haus hat er auch gehol-
fen. Eine wahre Gottesgabe, so eine Nase."
Der Mann mit der Gottesgabe winkte von der
Höhe des Schuttberges herab mit den Armen.
Zwei Polizisten eilten zu ihm, alle drei stiegen
auf der andern Seite hinunter, verschwanden im
aufstäubenden Grau, als seien sie in eine Höhle
aus zerbrochenen Mauerziegeln gerutscht.
Der Mesner erzählte den Zuschauern viel Rüh-
mendes aus der Vergangenheit des grünlichen
Mannes. Leichen, dunklen Gräbern entrissen,
säumten den Weg seiner Nase. Auch ein Haus-
meister von gegenüber kannte ihn und pries

seine Fähigkeiten mit. Besonders lobten die bei-
den, daß er so billig arbeite. Nur grade seine
Auslagen und ein geringes Entgelt für die auf-
gewendete Zeit lasse er sich geben. Er tue alles
nur, weil es ihn, seinen eigenen Worten nach,
freute. Es sei halt eine Spezialität, sagte der
Hausmeister.

Zwei Arbeiter mit Grabschaufeln gingen über
den Schuttberg.

„Was ist?" rief der Hausmeister.

„Er hat schon was geschmeckt", sagte einer der

Arbeiter.

„Da sehen Sie's, seine Nase ist einzigartig", sagte
der Mesner. „Um einen so guten Leichenriecher
muß man dankbar sein in der heutigen Zeit ..."
Die Sonne zog stärker am modernden Schutt. Der
Gestank des Elends erhob sich über den der
Moderpilze, Stäubchen drehten sich, drehten
sich, flimmernd und verwirrend .über dem
Schutt, immer schneller, immer schneller vor
den Augen ...

Der Leichenriecher stand jetzt auf dem Elends-
berg wie auf einem Feldherrnhügel und lenkte
mit geschäftigen Handbewegungen die Arbeiter.
Weiter links, sagte selbstgefällig ein Schnörkel
seiner Linken, etwas tiefer, befahl sein Zeige-
finger — und dann flatterten seine Arme immer
aufgeregter: da — da — jetzt gleich — so nur
weiter ... Seine Nase stieß dabei immer wieder
vor, ward nach oben geworfen, nach unten ge-
führt, sie schnupperte, windete, sog sich voll,
sah aus wie ein gefräßiger trauriger Vogel-
schnabel. Die Nase, die wunderbare Nase, führte
ein gespenstisches Eigenleben, genoß in vollen
Zügen ihre Begabung, schlürfte Moder, Armut,

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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Münchner Vorstadt"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Hüther, Julius
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 5, S. 50.

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Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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