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F. Bleyer

I>AS FLEISSBILLETT

(Ein Klassenzimmer. Am Pult der strenge Leh-
rer. In den vorderen Bänken die Musterschüler
Hans und Josef, dahinter die Durchschnitts-
schüler Alois' und Johannes. Auf der Eselsbank
die beiden Nachhilfeschüler Sepperl und Xaverl.
Der Lehrer ist sehr aufgebracht.)

LEHRER: Ich werde euch schon common sense
beibringen! Anständigen Leuten die Fenster ein-
werfen-und die ganze Nachbarschaft in Verwir-
rung bringen! Das hat aufgehört, sage ich euch!
Wo sind wir in der letzten Stunde stehengeblie-
ben? .Ach so, bei dem demokratischen Grund-
recht. Ich habe euch erklärt, wie die drei For-
derungen der französischen Revolution zu den
vier Freiheiten der Atlantic-Charta erweitert ...
da fällt mir gerade ein: Alois, hast du deine
Strafarbeit zur Schulreform gemacht? Zeig sie
mal har! /

ALOIS (nimmt sein Heft, geht halb schüchtern,
halb trotzig zum Katheder): Gemacht habe ich
sie schon, aber ...

LEHRER: Schweig! Du sollst nicht immer wieder
Einwände machen! (Blickt auf die Arbeit, wü-
tend.) Damned, wollte sagen Himmelherrgott
noch einmal! Diese Arbeit ist genau so un-
geschickt, wie deine letzte. Da ... da ... keine
meiner geäußerten Bedenken beachtet! Wenn du
mir bis zum 1. März die Arbeit nicht zu meiner
Zufriedenheit ausgeführt hast, dann ... (droht
heftig mit dem Finger).

ALOIS: Wie Sie meinen! (Geht trotzig, mit er-
hobenem, etwas schiefgelegtem Haupt auf seinen
Platz zurück.)

LEHRER: Setzen! Ich fahre fort: Die vier Frei-
heiten der Atlantic-Charta bestehen bekannt-
lich ... Johannes, was hast du da hinten zu
tuscheln? Steh auf, wenn ich mit dir spreche!

JOHANNES: Herr Lehrer, ich meinte bloß, daß
der Mais als Hühnerfutter ...

LEHRER: Du hast nichts zu meinen! Setzen!

JOHANNES: Herr Lehrer, ich meine aber doch ...

LEHRER: Was, du meinst noch immer? Komm
heraus! Stell dich in die Ecke! So. Mit dem Ge-
sicht zur Wand. Ich will dich nicht mehr sehen.
Die drei Grundforderungen der französischen
Revolution sagte ich, wurden zu den vier Frei-
heiten der Atlantik-Ctoarta .. . good heaven, jetzt
wird es mir aber doch zu bunt! Hans und Josef,
ich habe euch genau beobachtet! Was habt ihr
dem Johannes zu winken und zu deuten, wenn
ich ihn in die Ecke stelle? Das möchte ich wis-
sen! Ihr beide kommt nach der Stunde ^sofort zu
mir auf mein Zimmer! Ich werde euch helfen.
Und jetzt fahren wir fort: Die vier Freiheiten
der Atlantic-Charta lauten: Freiheit der Mei-
nungsäußerung ...

+

(Dasselbe Zimmer. Die Musterschüler Hans und
Josef sitzen schüchtern und bedrückt, nieder-
geschlagen in den vorderen Bänken; Alois allein,
da Johannes wegen unerlaubten Widerspruchs
aus der Schule verwiesen wurde. Sepperl und
Xaverl wie immer uninteressiert, gleichgültig.
Sie lesen unter der Bank einen Kriminalroman.)
LEHRER (tritt ins Zimmer, setzt sich ans Pult.
Für sich): Gosh, habe die Boys gestern doch
ziemlich scharf angefaßt. Schadet nichts, müssen

WIRTSCHAFTLICHE WIRTSCHAFT

hart angefaßt werden, wenn sie nützliche Glie-
der der westlich-demokratischen Gesellschaft
werden sollen. Möchte ihnen aber wohl doch
heute wieder eine Chance geben, daß sie rnir
die Freude nicht verlieren. (Zur Klasse:) Ich gebe
euch jetzt euere Hausaufgaben über die Ge-
meindewahlordnung zurück. Sehr gute Arbeiten
darunter: Die beste hat Hans geliefert. Aus-
gezeichnet! Eins mit Stern! Ich freue mich, daß
unsere Schule so schöne Ergebnisse zeitigt. Hier,
Hans, hast du deine Arbeit zurück. Und zur Be-
lohnung nimm dieses Fleißbillett! <

(Nach.der Stunde. Hans, Josef und Alois stehen
freudig erregt beieinander. Sepperl und Xaverl
etwas abseits davon, die Gruppe betrachtend.)

HANS: Mensch, ein Fleißbillett haben wir be-
kommen! Das muß sofort in die Schülerzeitung!

Hört ihr? Auf die Schlappe mit dem Johannes
hin macht das einen guten Eindruck.

JOSEF: Dem Rundfunk müssen wir es auch mit-
teilen.

ALOIS:-Tut nur nicht gar so! Ihr wißt ganz
gut, daß das erste Fleißbillett ich bekommen
habe, für die Verfassungsschulaufgabe.

JOSEF: Das ist ja auch bekanntgegeben worden
damals. Sei bloß nicht so neidisch ...

SEPPERL: Ha, Xaverl, was moanst jetzt du
dazua?

XAVERL: I sag gar nix mehr.

SEPPERL: Gestern ham sie sich z'sammschimpf'n
lass'n müass'n nach der Stund', daß s' in koan
Schlappschuah mehr neipaßt ham, und heut'
protz'n s' scho wieder mit dem Fleißbillettl.

SEPPERL: Geh zua, Xaverl, lass' ma s' spinna!
Geh'n mir wieder hintere! Unser Schwart'n is
grad so interessant. —m—

SIMPL-BRIEFKASTEN

Nicht doch eine Schweinerei? Seien Sie etwas vor-
sichtiger in der Wahl Ihrer Worte und stellen Sie nicht
so hinterhältig-zersetzende Fragen bezüglich der
Schweinezucht. Wenn die Hälfte aller Schweine auf
den Schwarzen Markt wandert, so geht es Sie gar
nichts an, wo die andere Hälfte geblieben ist!
Dr. Ehard hat in seiner Erwiderung auf die Zahlen-
angaben der Militärregierung erklärt, daß keinesfalls
1 400 000 Schweine, sondern höchstens 375 000 Stück
verschwunden seien. Diese aber wurden verschoben
nicht als Vollsäue, sondern im zarten, rosigen Span-
ferkelalter, ehe sie auch nur eine Kartoffel verzeh-
ren konnten, die leichten, unbedeutenden Schweine-
kinderchen. Auch wenn diese Klein-Schweine der
ordentlichen Bewirtschaftung zugeführt worden
wären, hätte es sich höchstens um ein paar Gramm
gehandelt, die der einzelne Normalverbraucher mehr
bekommen hätte. Also ist es doch besser, es sind
wenigstens 375 000 Spanferkelschieber satt geworden,
Menschen, deren Arbeitskraft aufs höchste bean-
sprucht wird und die es verdient hätten, nicht nur
mit Spanferkeln, sondern mit dicken, fetten, ordent-
lichen Säuen gefüttert zu werden.

Hans Wimmerl in A. Nein. <Als Angehöriger eines
christlichen Jungmännervereins brauchen Sie einen
Film, ein Theaterstück oder ein Buch gar nicht zu
kennen, um sich spontan darüber moralisch entrüsten
zu können. Wozu sich erst mühsam ein eigenes Urteil
bilden, wenn man einfach von oben seine Richtlinien
bekommen kann, nach denen man sich sittlich em-
pören, spontan protestieren und zuletzt gar Stink-
bomben schmeißen darf! Es gibt nichts Schöneres,
als Schulter an Schulter mit Gleichgerichteten sich
besser zu fühlen als Andersdenkende und im gelenk-
ten Takt moralischer Sittenrichterei zu grollen. War-
um wollen Sie selber unmoralischen Darstellungen
irgend welcher Art fernbleiben? Nein, da heißt's
grad erst: hinein — und die andern dafür hinaus, die
nicht über den starken sittlichen Rückhalt Ihres Ver-
eins verfügen! Der beste Grundsatz ist immer noch
der: „Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag
ich dir den Schädel ein!" Es ist eine längst überholte
Ansicht alter Kulturnationen, an die Vieldeutbarkeit
des Lebens zu glauben. Unsinn! Hitler hat uns ja
bewiesen, daß es auch ohne die Aufgeschlossenheit
allen Strömungen des Geistes gegenüber geht. Also
bleiben wir schön in den Fußstapfen unserer alten
Marschierer vom 9. November, arbeiten wir weiter
mit Verboten und Zensuren, protestieren wir gegen
alles, was uns nicht gefallen darf und unterdrücken
wir alles, was wir nicht verstehen!

Zu viel Familiel Sie sind doch wirklich undankbar!
Was meinen Sie, wie viele Familien darum kämpfen
wieder zusammenleben zu dürfen — und Sie be-
schweren sich, daß Sie als junger Mensch mit Ihren
lieben Eltern, Ihrem Großmütterlein, Ihrer Frau
Tante und zwei Schwesterchen in einem Zimmer und
einer halben Küche leben müssen! Gibt es denn
etwas Schöneres, als all seine Lieben recht nah um
sich zu haben? Daß es auf einmal so viel Reibereien
gibt, wird wohl an Ihrem unleidlichen Wesen liegen
und nicht daran, daß es Ihrem Wohnungsinhaber ge-
lungen ist, Ihnen für seine plötzlich aufblühende
,,Süßwarenfirma" ein Zimmer wieder zu entreißen
und der für seine unvermutet erkrankte Trau not-
wendigen Haustochter das Kämmerehen zuzuschanzen!
Also nehmen Sie sich zusammen und denken Sie
nicht immer an die vielen Wackeren, die mehr Platz
haben, ■ sondern an die vielen, vielen, die genau so
leben müssen wie Sie!

Hat mein Gehör gelitten? Selbstverständlich ist es
möglich, daß die Feinheit Ihres Gehörs gelitten hat
durch den jahrelangen Krach von Lautsprechern,
Marschmusik und Bombendetonationen. Anderseits
ist die Tatsache, daß Sie weder im Theater noch im
Kino zusammenhängende Sätze des Textes verstehen,
nicht auf das Nachlassen Ihrer Hörfähigkeit, sondern
auf das völlige Verschwinden jeder Sprechtechnik bei
unseren Schauspielern zurückzuführen. Die berühmte
„Abkehr vom geschraubten Bühnendeutsch der alten
Hoftheaterschule" wird nämlich neuerdings so weit
getrieben, daß vor lauter Natürlichkeit des Sprechens
kein Wort mehr zu verstehen ist, wodurch ein un-
gemein lebendiges Spiel garantiert und die Phantasie
des Zuschauers zu begeisterten Sprüngen angeregt
wird. Man hudelt und schnoddert sich so durch! Und
die Schauspieler, Rundfunksprecher und Synchroni-
sierer rächen sich für ihre zulagelosen Lebensmittel-
rationen dadurch, . daß sie unentwegt Silben ver-
schlucken, Worte zerkauen und Sätze verächtlich in
die Gegend spucken!

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Wirtschaftliche Wirtschaft"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Kommentar
Signatur: F. Bleyer

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Radler, Max
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 6, S. 65.

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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