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ZWEI UHR NACHMITTAGS

An jenein Tage, an dem ich mich entschloß, endgültig
dieser herrlichen Welt zu entfleuchen, schlug jemand im
Keller, daß das ganze Haus erzitterte. Meine liebe Frau
ging hinunter. Ich-muß mich schon in einem transzen-
dentalen Zustand befunden haben, denn ich hörte den
Mann unten sagen, daß ihm das alles wurst sei, er
brauchte Kleinholz. Es verwunderte mich aber nicht
weiter. Der Mann war sieben Jahre Soldat gewesen,
was kümmerte den schon ein Leben, noch dazu eines,
das nicht mehr allzulange/dauern würde.
Dann kam eine gute Nachbarin, die sich ernstlich be-
mühte, etwas Wasser in die Augen zu bekommen. Als
meine Frau hinausging, lächelte sie etwas. Ihr Mann
war bei einem Angriff zugrunde gegangen. Wahrschein-
lich beneidete sie mich, daß ich so normal von hinnen
gehen durfte.

Genau um zwei Uhr nachmittags konnte ich mich nicht
mehr bewegen. Es war ein sonderbares Gefühl, wie in
der Trambahn. Aber denken konnte ich noch. Mein
Gehirn war noch intakt. Spezialisten werden ja wieder
behaupten, daß das nicht ganz stimmen könne. Sie
wissen es aber nicht, denn sie waren ja noch nicht tot,
aber ich.

Abends kam ein älterer Mann in einem schäbigen
Mantel. Er leuchtete mir mit einer Taschenlaterne (wo
er nur die Batterie her hatte?) in die Augen hinein
und machte sonst noch allerlei Krimskrams. Zu meiner
lieben Frau sagte er, daß er es sich nicht erklären
könne, warum ich nicht mehr lebte. Ich kannte mich
schon aus. Er wollte seinem Kollegen die Gebühren
für die gerichtliche Sektion nicht entgehen lassen. Jetzt
war mir der Mann um ein Bedeutendes sympathischer,
schon seines herrlichen Gemeinschaftsgefühls wegen.
Später kam dann eine fremde Frau, die mich auszog.
Merkwürdig, ich genierte mich gar nicht vor ihr. Ihre
langen Hände waren naßkalt und ich zuckte bei jedem
ihrer gewohnten Griffe zusammen, denn ich hatte noch
etwas Wärme in mir. Meine Frau gab ihr den schönen,
nadelgestreiften Anzug aus dem Schrank, den die kalte
Person gefühllos hinten aufschnitt. Ich ärgerte mich
maßlos darüber, weil es \ der alte Bratenrock, den ich
noch kurz vorher bei einer Faschingsgaudi anhatte, für
diesen Zweck auch getan hätte. Für den Nadelgestreiften

Spätes Glück

Die Telegrafenstange stand
Im Dienst der Postverwaltung
Und außerdem am Waldesrand
In denkbar strammer Haltung.

Die Tanne, die daneben steht,
Fing an, den Mast zu lieben,
Und ist, wie das dann meist so geht,
'Nicht ganz passiv geblieben.

Sie wiegt sich säuselnd hin und her
Und bei dem sanften Wiegen
Versucht sie wie von ungefähr
Ganz leis' sich anzuschmiegen.

Und auch ihr Wurzelhändchen sucht
Das seine zu ertasten,
Doch täuscht sie sich da ganz verflucht
In solchem trockenen Masten.

Der kann als echter Bürokrat
Ganz ohne Wurzeln leben
Und was er summt auf seinem Draht,
Ist dienstlich durchgegeben

Und gilt durchaus nicht ihrem Charme
Und ihrem Liebeswerben,
So muß sie wegen ihrem Schwärm
Vor Liebeskummer sterben!

Sie wurde welk und wurde braun,
Lag bald gefällt am Boden,
Den Mast beschloß man abzubau'n
Und gänzlich auszuroden.

Man fällt auch ihn, aus welchem Grund
Steht hier nicht zur Debatte.
Sie liegen nun wie Gattin und
Getreuer Ehegatte

Auf weichem Moose doch vereint.
Die Tann' ihn eng umzweigte.
Selbst der Gendarm hat laut geweint,
Wie's ihm der Förster zeigtet E. Klotz

hätte meine liebe Frau. bei Schewynskis um die Ecke
gut ein Pfund Bohnenkaffee bekommen. Und den hätte
ich ihr von Herzen gern gegönnt nach den aufregenden
Tagen.

Noch später kamen zwei Männer mit Mützen, dunklen
Röcken und metallenen Knöpfen daran. Ich mußte
lächeln, weil ich mir dachte, es gibt bei uns fast keinen
Beruf ohne Uniform. Sie brachten eine rohe Kiste mit.
Einer der Männer sagte zu meiner lieben Frau, wenn
sie einige Eier gehabt hätte, hätte man die Bretter
anstreichen können. Nicht mit den Eiern, aber er hätte
dafür Farbe besorgt. Der kleinere Mann muß noch
einen kurzen Fuß gehabt haben, denn ich rutschte immer
nach links ab und hatte das unangenehme Gefühl, über
das Treppengeländer zu fallen.

Im ersten Stock stand eine junge Frau, die fast dank-
bar nach mir hinblickte. Sie wird morgen auf das Amt
gehen, um ein Zimmer in unserer Wohnung zu bekom-
men. Es^ beruhigte mich ungemein, selbst jetzt noch
einem lieben Mitmenschen einen guten Dienst erwiesen
zu haben.

Hinter dem großen Schaufenster dachte ich noch an
meine lieben Freunde Emmi und Martin. Sie werden
keine Zeit haben zu kommen. Sie besitzen ein gut-

K. Staudinger

gehendes Geschäft und müssen fleißig kompensieren.
Aber sie werden bestimmt ein Angebinde mit Papier-
rosen schicken.

Der Mann vom Einäscherungsverein sagte schöne Worte
über mich, obwohl er mich gar nicht gekannt hatte. Er
machte seine Sache gut, fast wie ein Pfarrer. Eher
sprach er zu lang für den geringen Monatsbeitrag.
In dem Schamotteofen flog der schöne Nadelgestreifte
wie Zunder zum Kamin hinaus. Kleine blaue Flämmchen
zuckten über mich hin. Es tat mir sehr wohl, denn es
war kalt draußen. Ehe das Kleinhirn ganz zerschmolzen
war, konnte ich noch einmal kurz denken.
Die paar Menschen, die erschienen waren, weil sie
sehen wollten, ob meine Frau immer noch den alten
Mantel hatte und was sie für ein Gesicht macht, saßen
jetzt in einem Gasthaus und redeten über mich, meist
nichts Gutes. Auch dieses verzieh ich ihnen noch, was
kann man denn bei Molke schon Schönes sagen.
Dann fühlte ich nur noch ein prickelndes Kitzeln, als
mich "ein Mann mit einem Eisenscharrer aus dem Ofen
räumte.

Anderntags erzählte ich einem mir bekannten Psycho-^
logen diesen seltsamen Traum. Er meinte, es wären
Auswirkungen großen Hungers. Ludwig Neuser

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Wenn ich nicht bestimmt wüßte, daß er im Zuchthaus sitzt, würde ich meinen, es sei mein Bruder"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
Bildunterschrift: "Wenn ich nicht bestimmt wüßte, daß er im Zuchthaus sitzt, würde ich meinen, es sei mein Bruder."

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Staudinger, Karl
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 7, S. 76.

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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