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POETISCHES TEST VERFAHREN

Der Berliner Magistrat hat — als erster, vermutlich
aber keineswegs als letzter — nunmehr endgültig be-
schlossen, alle Dichter, Schriftsteller und Drehbuch-
autoren, die länger als ein halbes Jahr nichts ver-
öffentlicht haben, einer, wie er es nennt, nützlichen
Arbeit zuzuführen. Endlich also eine Anordnung, die
eine längst gefühlte Lücke in der Erfassung von Ar-
beitskräften schließt, endlich eine Handhabe, auf dem
Wege eines poetischen Testverfahrens in sinnvollen
Prüfungsexperimenten den dichterischen Wert der. Her-
ren Skribenten (oder sagte man nicht besser „Schrei-
berlinge", wie noch bis vor ein paar Jahren?) tabel-
lenmäßig festzulegen. Heraus aus den ungeheizten,
regendurchlässigen Dachkammern, ihr Dichter, hinein
In die warmen und nützlichen Schreibstuben der Be-
hörden, wo infolge eines geradezu rasenden Um-sich-
selbst-Rotierens ein wahnsinniger Verschleiß und steter
Mangel an Arbeitskräften herrscht!
Es ist wirklich großzügig, den Poeten immerhin ein
halbes Jahr zum Beweis ihrer Nützlichkeit zu geben.
Man wird erst sehen müssen, ob sich nicht die Ein-
führung des wöchentlichen Nachweises als notwendig
erweist. Man schreibt zwar nicht grade einen „Faust"
oder eine „Göttliche Komödie" in einem halben Jahr,
auch keine „Versuchung des hl. Antonius", vor deren
dichterischer Gestaltung Flaubert immerhin an die 300
Bücher durcharbeitete, aber ein Novellchen wie die
„Marquise von O.", eine Roda-Roda-Anekdote, ein
Gedichtchen wie das „Lied von der Glocke" oder ein
paar „Gaselen", no, das könnte doch jeder in regel-
mäßigen Abständen veröffentlichen, dazu sind die Din-
ger noch kurz genug. Aber freilich, während die Be-
hörden in atemraubendem Tempo stürmische Wieder-
aufbauarbeit leisten, möchten die Herren Poeten viel-1
leicht faulenzen, wie es der Herr Pfarrer Mörike
als wichtigstes neben dem Dichten pries, oder sich fünf
Jahre als Taugenichts und Kneipengehcr herumtreiben,
wie der spätere Staatsschreiber und Dichter Gottfried
Keller, oder sieben Jahre keinerlei Gedicht von sich
geben, wie es sich der trotzdem nicht ganz unnütze
Rainer Maria Rilke geleistet hat! Ja, glauben die Her-
ren Dichter vielleicht, jedem von1 ihnen ginge es wie
l.ord Byron, der von sich sagen konnte: „Ich erwachte
eines Morgens und fand mich berühmt"? Nichts da, in

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Berlin geht man entweder berühmt (und beruhigt)
schlafen oder man erwacht in einer Amtsstube zur Un-
tersuchung des poetischen Geisteszustandes. Schöpferi-
schen Ruhegelüsten heißt es rechtzeitig einen Riegel
vorschieben. Schließlich erwartet man auch- von jedem
Fabrikanten und Lizenzträger ein geringes Maß von
Produktion. Aber während man diesen entgegenkom-
menderweise eine gewisse Hortung und Kompensation
erlaubt, können die Dichter zwar einen erheblichen Teil
ihrer Erzeugnisse zum Eigengebrauch cinbchalten, haben
aber immerhin ein vermutlich dem Kubikinhalt ihres
Wohnraums angemessenes Maß an Dichtung öffentlich
zu liefern. Schließlich war Goethe auch 'noch Minister
und Geheimrat, Lessing Bibliothekar und Grillparzer

M. Sitte

gar Finanzbeamter, der zwischen Zollabrechnungen -und
Revisionen seine „Medea" rasen und seine „Ahnfrau"
wandeln ließ. Seht, das ist die nützliche Arbeit neben
der unnützen Dichterei, während so Kerle wie Villon,
Grabbe oder Bellman vor allem daran zu Grunde gin-
gen, daß die Behörden ihre Genialität nicht vorsorglich
in die geordneten Bahnen der montags bis freitags von
8—12 und nachmittags von 14—18 (ohne Publikums-
verkehr) abzusitzenden Amtsstunden lenkten.
In Zeiten größter Unproduktivität ist Oscar Wilde im-
merhin soviel eingefallen, daß er einzelne Szenenideen
an vielerlei Theaterstückschreiber mehrmals verkaufte
und sich' von allen bezahlen ließ. Also kann man von
jedem, der ein Dichter sein will, halbjährig zumindest
ein Szenchen, einen Gag, ein Feuilleton oder ein paar
Verse verlangen. Man denke, wie" rasch der Führer sei-
nerzeit in der kurzen Landsberger Haft das allumfas-
sende Werk „Mein Kampf" geschrieben hat und lobend
sei die rasche Folge, in der etwa Hans Friedrich
Bluncks Werke auf dem NS-Markt erschienen, erwähnt.
Was aber der Reichsschrifttumskammer recht war, muß
der demokratischen Dichtkunst billig sein. Die Er-
ziehungsarbeit, in der ein grausames Geschick unsere
Kulturwarte unterbrochen hat, wird von cinsatzfrohen
Behörden weitergeführt. Rasch werden sich die nötigen
Sachbearbeiter finden lassen. Neue Ausschüsse, wenn nicht
gar neue Aemter, werden ins Leben gerufen und Berge
von Papier werden die Grabhügel ungedruckter Ge-
dichte, mißglückter fünfter Akte, nicht bezwungener
Roman-Fragmente werden.

Vermutlich wird wie im Spruchkammerverfahren den
der Unnützlichkeit angeklagten Dichtern die ganze Be-
weislast für ihre aufbauende poetische; Tätigkeit zu-
geschoben. Schwarzdruckereien werden aufblühen und
gegen geringes Entgelt die notwendigen „Abdrucke"
herstellen, die dann höchstens mittels eines schwierigen
chemischen Verfahrens und mit Hilfe bunter Brillen als
Falschdrucke erkannt werden könnten.
Und wieder ist so eine wichtige Strecke zurückgelegt
auf dem Weg des Menschen zum Maschinenbestandteil,
denn unser großes gemeinsames Ziel muß schließlich
sein, „Behördenzubehör" zu werden. Wenigstens so
lange, bis die ersehnte Aemtcr-Dämmerung' heraufzieht
und von den u n zähligen Behörden wenigstens die
über zähligen dem zugeführt werden, was man auch
in diesem Falle „nützliche Arbeit" nennen könnte. EffiHocn
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Fehltritt"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Sitte, Manfred
Bilek, Franziska
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Huhn <Motiv>
Hahn <Motiv>
Kuss <Motiv>
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 7, S. 78.

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