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GEIST UND MATERIE

O. Nückel

Die Deutschen verlören ihr Gedächtnis, es fehlen die
lebensnotwendigen Aminosäuren im Eiweiß, sagte kürzlich
Professor Kuhn vom Kaiser-Wilhelm-Institut in Heidelberg.
Ohne Phosphor kein Gedanke, meinten sinngemäß die alten
Griechen.

Nun braucht man weder Professor noch Weltweiser zu
sein, um zu wissen, daß in Kartoffeln und Kraut hoch-
wertiges Eiweiß nicht enthalten ist. Daher können fünf
Teller Gemüsepickelsteiner nicht eine Portion Schweine-
braten ersetzen. Wiederum ersparen drei Butterbrote rnit
Schinken" zum Frühstück das Hinabwürgen eines halben
Brotwecken ohne Belag.

Mit einem Wort, der Mensch hat eben keinen Sau- oder
Rindviehmagen. Deshalb reagiert der honio sapiens sehr
unangenehm auf die fortgesetzten vegetabilen Menüs. Trotz
aufgetriebenem Bauch und gasprallem Darm schwindet das
Gewicht. Durch den geringen Sättigungseffekt verwandeln
sich sanfte Familienväter zu gefürchteten Kaustyrannen,
chronische „Stammesser" zu gefährlichen Umstürzlern.
Stimmungen der Seele sind bekanntlich nur eine Magen-
frage. Daher sind Ostern mit Schinken und Eiern fest-
licher als ohne. Satte Menschen gehen auch nie auf Barri-
kaden, sagte Lenin.

Man würde nun glauben, all dies, sowie die Erfahrungen
dreijähriger Kartoffel-, Kraut- und Rübenwirtschaft würden
genügen, die deutsche Agrarpolitik entscheidend zu ändern.
Mit nichten. Das Gegenteil ist der Fall. Der Leitfaden für
den Anbauplan 1948 lautet: In der gegenwärtigen Notzeit
ist das Hauptgewicht auf die unmittelbare menschliche
Ernährung durch pflanzliche Nahrungsmittel zu legen und
deshalb zu ihren Gunsten die Veredelung über den Ticr-
magen einzuschränken.

Wiederum haben sich verknöcherte Agrarstrategen mit
ihrer Meinung durchsetzen können, daß Hackfrüchte ch;n
höchsten Nährwert pro Flächeneinheit bringen, obwohl die
ganze Nation diese über den Saumagen bevorzugen würde.

Der deutsche Klotz ist gegründet

DEUTSCHE, SEID EINIG IN DER NOT!

Ein solcher Aufruf macht sich immer gut. Da Einig-
keit in normalen Zeiten ohnedies nicht in Frage käme,
bietet die Not eine günstige Gelegenheit, um für sie
zu plädieren. Die Einigkeit soll Zustandekommen auf
der Basis gemeinsamen Deutschtums, mit anderen
Worten, auf völkischer Grundlage.

DER DEUTSCHE KLOTZ IST KEINE PARTEI
IM GEWÖHNLICHEN SINNE DES WORTES,
SONDERN DIE ERSTE POLITISCHE ORGANI-
SATION IN DEUTSCHLAND, DIE ÜBERPAR-
TEILICHE KANDIDATEN AUFSTELLT.

Nein, der Deutsche Klotz ist keine gewöhnliche Par-
tei, sondern eine Superpartei, d. h. ihr Ziel ist, sich
über alle bestehenden Parteien zu erheben, um letzten
Endes die einzige zu werden.

IN DEM EWIGEN STREIT DER PARTEIEN,
HERVORGERUFEN DURCH MACHTHUNGER
UND POSTENJÄGEREI UND DER DADURCH
VERURSACHTEN AUFSPALTUNG UND ZER-
SPLITTERUNG DES VOLKES ERBLICKEN
WIR DAS GRÖSSTE UNGLÜCK DIESER NOT-
ZEIT.

Wie weiland Wilhelm II. kennen wir keine Parteien
mehr, sondern nur noch Deutsche. Daß „deutsch sein"
an sich ein Programm darstellt und zwar, wie man
heute ruhig aussprechen darf, ein reaktionäres Partei-
programm, verschweigen wir.

DURCH PARTEIGEZÄNK UND UNEINIGKEIT
WERDEN WIR UNSER SCHICKSAL NICHT
GESTALTEN.

Sondern dadurch, daß wir darnach trachten, jede Mei-
nungsverschiedenheit im Keime zu ersticken. Wenn
nur eine Partei im Lande herrscht, gibt es kein Ge-
zänk, sondern nur Gehorsam. Das ist es, was wir
anstreben, denn unter solchen Verhältnissen fühlt sich
der Deutsche nachgewiesenermaßen am wohlsten.

VON UNSERER EIGENEN HALTUNG WIRD
ES ABHÄNGEN, OB WIR UNS NOCH EIN-
MAL ERMANNEN, UM ALS NATION GE-
MEINSAM DEN WEG DER EINIGKEIT, DER
REINEN VERNUNFT UND DES GESUNDEN
MENSCHENVERSTANDES ZU GEHEN!

Das Wort „ermannen" ist Musik in den Ohren aller,
deren Lebensanschauung auf „Mannentreue", „Männ-
lichkeit" oder „Mannesmann-Röhren" fußt. Die „reine
Vernunft", an der Kant ernst Kritik übte, dient dazu,
Deutsche daran zu gemahnen, daß man sich mit einem
Ausdruck wie etwa „Philosoph von Kaliningrad" nie-
mals abfinden darf. Beide, sowohl Treitschke als auch
der „gesunde Menschenverstand" lehren, daß Geschichte
nur von Männern gemacht wird.

Auf d'rum, laßt uns in Ermangelung von Geschichte
vorderhand wenigstens „G'schichten" machen! Tritt
gefaßt! Deutsche, seid deutsch! Werdet Mitglieder des
Deutschen Klotzes!

Auf einen deutschen Klotz gehört ein deutscher Keil!
Heil! Walter F. Kloeck

Aber ohne Phosphor kein Gedanke; deshalb
gleich erheblicher Mehranbau von Kartoffeln
und Gemüse, welche überwiegend aus Was-
ser bestehen und das Volk trotz vollen Ma-
gens biologisch verkümmern lassen.
Also ihr lebenden menschlichen Gasbehälter,
bohrt euch neue Löcher in die Gürtel und
ihr liebe Damen schneidert euch Korsetts
gegen die verunstaltenden Kartoffelbäuclie,
denn die pommerschen Kräutjunker a. D. in
Frankfurt sind von der Unhaltbarkeit ihrer
Antiveredelungstheorie nicht abzubringen.

Würde man heute einem Dachdeckermeister
eine Stellung in der Schweiz anbieten,
dürfte dieser sofort ja sagen. Freudig würde
er die Koffer packen und aus dem notigen
Deutschland abhauen. Wohl niemand könnte
es dem biederen Meister verübeln; selbst
ein hartgesottener Chauvinist würde ihm zu-
mindest innerlich beipflichten. Jeder will
sich doch seine Existenz verbessern.
Warum nicht auch ein Philosoph? Dieser
turnt zwar auch in großen Höhen, ist aber
kein Dachdeckermeister, welcher freudig Kof-
fer packt und dabei an volle Schüsseln
denkt. Wie vulgär? Nein, sein Weggang von
Heidelberg nach Basel muß mit philosophi-
scher Gründlichkeit erläutert werden.
Ich möchte mich unverschleiert zeigen, sagte
der Abreisende mit Hut und Mantel am
Bahnhof. Gleichzeit^ ließ er eine Achthun-
dertworteerklärung über die Hellschreiber der Dena klak-
kern. Er zitiert darin Ranke, Zuschriften einer Feundin,
erzählt vom unvergleichlichen genius loci Heidelbergs, wel-
cher ihm den Abschied so schwer machte, glaubt aber wie-
der, er tue das gleiche, ob er in Basel oder Heidelberg
sei. Einerseits meint er, wäre das Hierbleiben kein Be-
kenntnis, wie andererseits auch sein Fortgang nach Basel
kein Bekenntnis sei. Abschließend bittet er dann alle
Freunde und Wohlmeinenden, ihn nicht einem fremden

E. Stöcke

„Das ist kein Zahngeschwür, das sind Datteln!"

Maßstab zu unterwerfen, damit sein Fortgang nicht durch
abstrakte Vorstellungen und irreale Forderungen in eine
falsche objektive Bedeutung gezwungen werde.
Wir hungernd Zurückgebliebenen haben wirklich keine
abstrakte Vorstellung, Herr Professor Dr. med. et. Dr.
es lettres h. c. Jaspers. Im Gegenteil! Auch keine falsche
objektive Deutung, da heute nur ein Verrückter dem un-
vergleichlichen genius loci Heidelbergs, Sehwyzer Fränkli
und Basler Lebkuchen vorziehen würde. Adalbert Zech

fy>Li-,MUsr'

Aus unserer Romanmappe: DAS NATURKIND

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Das Naturkind"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Kommentar
Signatur: E. Stöcke

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Nückel, Otto
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 7, S. 79.

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