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AMTLICHE INITIATIVE

Es geht nichts über ein geordnetes Staatswesen,
darin alles seinen vorgeschriebenen Lauf nimmt.
Man fühlt sich sicher, man weiß sich behütet,
man wird mit Erlaubnis der Behörden geboren
und stirbt unter polizeilicher Aufsicht. Leute,
die alles besser wissen wollen, mucken manch-
mal auf gegen die staatliche Ordnung, aber das
sollten sie bleiben lassen, denn es ist, als hielte
ein Kind sein Patschhändchen ins Wunderwerk
eines Rädergetriebes, um es anzuhalten. Das
Wunderwerk hält nicht an, das Kinderhändcljen
wird zerquetscht.

Ich weiß nicht, wie lange der Mann, den das
Auto schwerverletzt auf den Randstein gewor-
fen hatte; schon auf dem Pflaster des Gehsteiges
lag. Die Leute sagten, fast eine Stunde. Sie stan-
den schweigend und in gehöriger Entfernung um
ihn herum und warteten, bis er in ärztliche Be-
handlung gebracht würde. Ein zweiter Kreis
hatte sich um den großen grünen Lautsprecher-
wagen der Polizei gebildet, an dem emsige Poli-
zisten herumkletterten und von den Umstehen-
den beharrlich gefragt wurden, wann denn der
Mann endlich abgeholt werde. Ein junger Poli-
zist mit einer dieser neuen runden Mützen, die
den jungen Gesichtern etwas so kindlich Unent-
schlossenes geben, sagte beschwichtigend, es sei
schon alles veranlaßt und es gäbe nur zwei Ret-
tungswagen in der ganzen Stadt. Die Leute Soll-
ten vernünftig sein, sie könnten auch nicht mehr
tun. Die Leute wollten nicht vernünftig sein.
Sie hätten es vernünftig gefunden, den Mann so
rasch als möglich in ein Krankenhaus zu brin-
gen. Sie erinnerten daran, wie schnell noch mit-
ten im Bombenangriff Sanitäter mit Tragbahren
dagewesen waren, sie meinten, mitten in der
Stadt könnte man doch die paar Schritte in eine
Klinik überwinden, sie verlangten, man sollte
etwas tun, nicht einfach dastehen und. warten.
Ein kleiner älterer Mann sagte immer wieder,

die Polizei könnte doch einen Wagen anhalten.
Es ständen ringsum so viele flache kleine Liefer-
wagen, auf denen läge es sich auch nicht
schlechter als auf dem Pflaster: Der Polizist sagte,
das sei gegen die Verordnungen. Der Mann sagte,
in Notzeiten seien solche Verordnungen nicht
viel wert. Der Polizist fragte mit erhobener
Stimme, ob er, der Mann, die Verantwortung
übernehmen wolle. Der Mann fragte, was für
eine Verantwortung? Der Polizist sagte, die
Verantwortung, die wo es bedeutet, den Mann
wegzubringen. Der ältere Mann fragte, ob es eine
Verordnung gebe, daß der Mann dableiben
müsse? Der Polizist sagte schärfer, ja, es gebe
Verordnungen. Aber keine Rettungswagen, mur-
melte das Volk. Ein anderer tat den respektlosen
Vorschlag, ein Auto des Sonderministeriums kom-
men zu lassen, ein zweiter wies auf die hand-
liche Größe des Polizeiwagens hin. Der Polizist
verlor an Freundlichkeit. Der ältere Mann setzte
ihm wieder zu, doch irgendetwas zu tun.
„Initiative muß man halt haben in so einem
Fall", sagte der ältere Mann. „Es müßt sich halt
einer was zutraun, statt .einen Menschen ver-
bluten zu lassen ... Initiative — das ist's, was
da fehlt ... wie überall!"

Den Polizisten schien, die Forderung nach Ini-
tiative zu beeindrucken. Er setzte zu Taten an.
„Sie", sagte er mit Nachdruck zu dem älteren
Mann, „tun' einmal Sie Ihren Ausweis her. Da
werden wir doch einmal Ihnen Ihre Personalien
feststellen, wenn Sie da so rumschimpfen ..."
Ein jüngerer Zuschauer sprang mit mütterlicher
Geduld dem Aelteren bei. „Geh weiter, Sie wer-

MAHNUNG

i

Ob ma auf dö Stern leben ko,
Woll'ns rauskriag'n mit Raketen.
Bringt's raus zerscht, wia ma leben ko
auf unserm Planeten! Braunsperger

den doch nicht den Mann verhaften wollen —
oder?" sagte er freundlich. „Der sagt ja nur, was
alle sagen — der ist des Volkes Stimme, sozu-
sagen!"

„Dem gib ich gleich eines Volkes Stimme", sagte
der- Polizist, wie ein abziehendes Gewitter grol-
lend. Andere mischten sich ein, beschwichtigten,
verlangten keine Streitereien, sondern Hilfe für
den Verunglückten. Der ältere Mann aber, im
Vollgefühl seiner demokratischen Rechte, sagte
aufrecht mit fester Stimme: „Ich will mich ja
gar nicht drücken. Ich stehe ja ein für das was
ich sage — da, notieren Sie meine Personalien —
bitte, hier ist meine Kennkarte, ich habe nichts
zu fürchten, ich habe nur gesagt, was recht ist!"
Das Volk blickte wohlwollend auf den Aufrech-
ten. Ganz richtig. Der hat auch nichts zu
fürchten. Unverschämt war er auch nicht. Sagen
'wird man doch noch dürfen, was man meint. Zu
.was hätten wir denn" eine Demokratie. Sagte das
Volk.

Der Polizist hatte einen Riesenakt aufgeschla-
gen, der Blätter in Fragebogen- bis Zeitungs-
format enthielt. Schon setzte er den Bleistift an.
Da kam ihm eine bessere Idee. Blitzschnell nahm
er die Kennkarte, die ihm der Aufrechte
ahnungslos entgegenhfelt, ließ sie in seiner Tasche
verschwinden und sagte in stolzem amtlichen
Triumph: „So — ünd die holen Sie sich wieder
auf der Polizei in der Ledererstraß'!" Der Auf-
rechte war eine Zeitlang vor Verblüffung stumm.
Im Volk wuchs das Gemurmel „Demokratie!"
zu größerer Lautstärke an. Der Verunglückte lag
schmerzverkrümmt auf dem Pflaster. Das Weg-
nehmen der Kennkarte jedoch war anscheinend
das einzige; was im Moment für ihn getan wer-
den konnte, der einzig sichtbare Ausdruck amt-
licher Tatkraft. Es machte großen Eindruck.
Denn, sehen Sie, so stellt man sich polizeiliche
Initiative bei Unglücksfällen vor: rasch zupacken
und in kühnem Entschluß auch das Unerwartete
tun! Effi Horn

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Frühjahrsbestellung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Wagner, Michel
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 8, S. 86.
 
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