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DER LEBENSSONNTAG

Am Totensonntag und zu Allerseelen gehen die Menschen
zu den Gräbern, um sich zu schämen, daß sie die Toten
vergessen haben. Doch das ist nicht das schlimme.
Schlimm ist, daß sie ein paar Tage, Wochen oder Jahre
später selbst dem Tod die Sense aus der Hand nehmen
und selbst töten. Und sie fühlen sich gottähnlich, da sie
auslöschen können wie er — Narren, die nicht merken,
daß sie sich selbst vernichten. ^

Sie achten und ehren den Tod — angeblich oder echt,
wer weiß? Jedenfalls fürchten sie ihn. Den eigenen. Ja,
das tun sie, denn man hat sie gelehrt, den Tod zu fürchten.
Aber niemand lehrte sie, das Leben zu lieben, das Leben
zu ehren. Einen Lebenssonntag haben wir noch nicht,
wo wir die Lebenden besuchen und vor den Lebenden
— wie sonst vor den Gräbern — bereuen, daß wir sie
vergessen haben. Denn wir haben sie vergessen. O ja.
Und das ist ja so schlimm: Einem Toten tut es nicht weh, wenn man auf
ihn vergißt, wohl aber einem beinlosen Schwerkriegsbeschädigten, der an
der Hauswand hilflos angelehnt, um Groschen betteln muß.
Um Kollektivschuld kann man streiten, aber es ist eine Kollektivschuld
der- ganzen Menschheit, daß jener Krüppel dort am Boden sitzt, denn
wenn Gott genauer nachdenkt, wird er finden, daß er jenes Wrack genau
so mit Armen und Beinen schuf, wie dich und mich und den Kriegs-
minister und das Parlament. Und ein advocatus dei wird leicht beweisen
können, daß man unmöglich behaupten kann, daß es Gottes Wille sei,
wenn die Menschheit aufeinander mit Kanonen schießt.
Dies deshalb, weil so viele Menschen zur Zeit glauben, daß es mit „Gottes
Wille" bald wieder so weit sei.

Seien wir offen: Solange das verfluchteste aller Worte „Volk" noch nicht
dem Begriff „Menschheit" gewichen ist, solange werden sich die Staats-
männer coram publico an die Gurgel fahren. Mögen sie, solange sie (und

M. Radler

(DENA) Den derzeitigen bayerischen Ernährungsminister Dr. Alois Schlögl nannte
Baumgartner einen „Briefträger für Frankfurt", der wöchentlich zweimal dorthin
fahre, „um Post abzuholen" und der zu allem „]a und Amen" sage.

VON G. W. BORTH

wir) gesund bleiben. Aber unter Welthandel und Inter-
essensphären, Pro- und Antikapitalismus und den anderen
tollen Scherzen sollten sich die Herren doch darüber klar
sein, daß alles Bemühen keinen Sinn hat, wenn wir nicht
alle am Leben bleiben.

Wo bleibt die Ehrfurcht vor dem Leben? Bei den Kon-
ferenzen bleibt sie scheinbar vor der Tür. Aber die
Großen dieser Erde sollten doch einmal darüber nach-
denken, wie schmählich ein Tod ist, den man sich selbst
mit einem Revolver beibringen muß, und wie so un-
dekorativ es wirkt, wenn man sich von den letzten
Gefolgsmännern mit Benzin übergießen und verbrennen
lassen muß. Wie jüngst gehabt. Und die Herren sehen
doch so aufs Dekorative. Weniger auf die Krüppel, die —
am Wegesrand bettelnd — ä conto Weltgeschichte gehen.
Werdet nicht wieder schuldig! Ehrfurcht vor dem Leben!
Geht am Lebenssonntag zu den Lebenden und seht, wohin sie gekommen',
sind, da man das Leben zu leben vergaß. Seht die Not, den Hunger, die
Schmerzen — ihr alle seid die „Betroffenen" und kein Gott kann euch
„entlasten". Das Leben kann doch so schön sein. Laßt ihm sein Recht und
dem Tod seine Sense. Er hat noch immer jeden zu früh geholt.
Auf dem einzigen Stern des Universums, wo Leben ist, mordet das Leben
sich selbst. Dabei ist das Leben —trotz Schiller — doch der Güter höchstes!

WAV * /

Wird Alfred verfolgt? Herr Meißner ließ im Landtag die Erklärung abgeben, er, sein
ehemaliger Meister, sei ein Gangster, Diktator u. dgl. m. Das war unfair, denn
Alfred war damals tatsächlich ein Verfolgter und abwesend dazu. Nachdem sicii
herausgestellt .hat, daß Gangster nie verfolgt, höchstens gezwungenermaßen oder
zufällig vorübergehend in Schutzhaft genommen werden, Diktatoren erst am Ende
ihrer mehr oder minder „ehrenvollen" Laufbahn eines unnatürlichen Todes sterben
und im übrigen kleine Rechtsbrecher amnestiert werden, steht einer Rückkehr des
verkannten Meisters nichts mehr im Wege — was Julius, der Cäsar und Vertreter des Meisters,
seiner Liebden vor kurzem verkündete. Kehre zurück, Alfred, alles vergeben! Der
Landtag wartet auf Dich: Deine Ansprachen an die Presse, Deine Huldigungen der
Hineingepreßten, Deine Analysen der Volksvertretung, Deine niegestellten Anträge,
Deine Belebung monoton verlaufender Sitzungen fehlen dem Landtag wie dem Koc'i
das Salz. Wir meinen es ehrlich mit Dir: es könnte sich sonst inzwischen Deine
Fraktion verflüchtigt haben, nachdem die Zweiteilung bei Abstimmungen sich bereiis
als Drei- und Vierteilung offenbarte. Julius, der Cäsar, kann infolge Deiner Stell-
vertretung das Amt des Dirigenten im Landtag nur unzureichend ausüben und mußte
sogar im Rundfunk Deine Stellvertretung einer würdigen Vertreterin des anderen
Geschlechtes übertragen. Außerdem geistert die Landtagsauflösung als Gespenst umher

und Deine Wiederwählbarkeit fordert den Nachweis......1 Deine Gemeinde rurt

Dich, im Glauben an die Ehrlichkeit Deines Wortes, wonach Du sie doch im Landtag
vertreten wolltest... A. H.

MISSVERSTÄNDNISSE

Die Politiker einer früheren Zeit ließen es sich Mühe kosten, für häßliche
oder peinliche Vorkommnisse kunstvolle, ja mitunter elegante Erklärun-
gen und Ausreden zu konstruieren, d. h., ihre Blöße mit fein ziselierten
Feigenblättern zu decken, die für den einzelnen Fall auf Maß gearbeitet
wurden. Da sich die Anlässe inzwischen derart vervielfältigt haben, daß
auch eine industrielle Feigenblattherstellung der Sachlage nicht mehr
gerecht würde, benützt man neuerdings schlichte Klebemarken in DIN-
Format. Eine Sorte trägt die Aufschrift: „Mißverständnis". Ihre Verwen-
dungsmöglichkeit mag durch nachfolgende "Aufzählung erläutert werden:

Als es ruchbar wurde, daß Herr von Kettelhort während der Kartoffel-
knappheit dem Generalsekretariat des Bayerischen Bauernbundes mit
200 Zentnern Kartoffeln liebevoll unter die Arme gegriffen hatte, blieb
nichts anderes mehr übrig, als den ungeschickten Herrn wegen unbefugter
Hilfsbereitschaft abzuservieren. Das Auftauchen von Dr. Schlögls Adresse
in dem Verteilerschlüssel beruhte selbstverständlich auf einem Miß-
verständnis, was wohl durch die Weitergabe der Kartoffeln an die Baywa
als einwandfrei erwiesen gelten kann.

Ein andermal erklärte Dr. Schlögl im Namen des bayerischen Landtags-
ausschusses zur „Untersuchung der Mißstände im Wirtschaftsministerium",
daß Exminister Erhard ein respektabler Theoretiker sein möge, aber seine
praktischen Fähigkeiten, sein Verwaltungsgeschick, kurz seine Eignung
zum Minister gleich Null seien. Da der respektable Theoretiker aber in-
zwischen zum Verwaltungsdirektor der deutschen Wirtschaft gewählt
wurde, ergab sich daraus fast zwangsläufig die Notwendigkeit, aus dem
ersten Untersuchungsergebnis ein Mißverständnis zu machen.

Ein peinliches Mißverständnis ist es ferner, wenn Herr Gouverneur van
Wagoner glaubt, in Bayern seien 1,4 Millionen Schweine spurlos ver-
schwunden und Herr Dr. Ehard meint, es fehlten nur 375 000 zarte
Spanferkel. Eine Million Schweine fielen dabei sozusagen unter den Tisch.

Ein ganz böses Mißverständnis war es auch, als ausgerechnet der Präsi-
dent des Wirtschaftsrates Dr. Köhler den "so oft zitierten amerikanischen
Steuerzahler vergaß und über das Mikrophon verkündete: Die ameri-
kanischen Lebensmittelimporte nach Deutschland seien geschenkt, brauch-
ten also nicht bezahlt werden. Der Schreck über seine eigenen Worte
warf ihn für acht Tage ins Bett.

Es war für bestimmte Kreise ein bedauerliches Mißverständnis, als fest-
gestellt wurde, Herr Geheimrat Professor Dr. Voßler habe den Aufruf
zum Deutschen Volkskongreß in Berlin nicht unterzeichnet.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der Lebenssonntag"; "Schlögl Post"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
Bildunterschrift: (DENA) Den derzeitigen bayerischen Ernährungsminister Dr. Alois Schlögl nannte Baumgartner einen "Briefträger für Frankfurt", der wöchentlich zweimal dorthin fahre, "um Post abzuholen" und der zu allem "Ja und Amen" sage.

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Radler, Max
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Schlögl, Alois
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 8, S. 92.

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