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DIE MACHT DES SCHICKSALS - von billy rose

Im allgemeinen ist es ein Gesetz der Pietät, über
den Tod eines Mitmenschen nicht zu lächeln.
Aber Tante Helens Ableben war mit Umständen
verknüpft, die einen solchen Frevel entschuldi-
gen. Sie werden ja sehen.

Tante Helen war trotz ihrer Habichtsnase und
ihres unvermählten Zustandes eine gute alte
Haut. Jeden Dienstag nachmittag gab sie ihren
Freundinnen im altmodischen Salon ihres ur-
alten Hauses einen Tee, und im Sommer, wenn
in ihrem Gärtchen die Beeren reiften und die
Bewirtung mit Johannisbeer-Eis eine ausschwei-
fende Aufbesserung erfuhr, durften die Kinder
ihrer engeren Nachbarschaft reihum den Spach-
tel der Eismaschine ablecken.
Für eine alte Jungfer war Tante Helen reich-

lich normal. Sie hatte nur eine einzige Schrulle.
Sie haßte das Militär. In corpore. Vom General-
feldmarschall bis zum lausigsten Rekruten, ja
sogar bis zu seinem Embryo, den Pfadfindern.
Und schließlich konnte man es ihr auch nicht
verdenken. Im Jahre 1918, als auf ihren Wangen
noch die Maienröslein der Jugend blühten und
sie auch noch echte Zähne im Munde hatte, war
Tante Helen mit einem Reserveleutnant der
69. Division verlobt gewesen. Am Hochzeitstag
jedoch schien sich's der Bräutigam anders über-
legt zu haben, er entschuldigte sich für einen
Augenblick und riß aus. Tante Helen wartete
zwei peinvolle Stunden in der Sakristei und er-
klärte dann der gesamten US-Army den Krieg.
Einen totalen Krieg. Wenn sie auf dem Gehsteig

DIE GRÄSSLICHE GESCHICHTE VOM PATENTSARG

Text: E. KLOTZ — Zeichnungen: M. RADLER

Wenn süchtige Gelüste, siegen,

Ist was am Schwarzen Markt zu kriegen.

Dem Mann wird mulmig, schlecht und schlechter,
Der Schnaps war zweifellos kein echter.

Als ihn die Polizei entdeckt,
Er alle viere von sich streckt.

Hier bringen ihn ein wenig später
Ins traute Heim die Sanitäter.

Ein Sarg aus Nägeln, Holz und Leim
Gilt unbedingt als Dauerheim.

Doch der Patent-Sarg, made in Sachsen,
Ist solchem Anspruch nicht gewachsen!

Ein jeder lebt so lang er kann,
Noch kommt ein Sühneopfer dran.

„Da bin ich wieder, Anni, schau--!

Nun mach' ein gutes Gulasch, Frau--!"

einen Soldaten kommen sah, ging sie schnur-
stracks auf die andere Seite und jeden Herbst
emigrierte sie nach Notre Dame, um dem Ge-
schnatter über die Beförderungen in West Point
auszuweichen.

Im Jahre 1941 aber streckte der Krieg seine
Fangarme sogar bis in Tante Helens unmittel-
bare Nachbarschaft aus. Als sie eines Morgens
erwachte, sah sie, daß in ihrer Gegend ein
Exerzierplatz angelegt wurde. Da der Weg von
diesem Platz zur nächsten Kneipe an ihrem
Hause vorüberführte, gab es für das arme Opfer
kein Entrinnen. Sie ließ zwar die Jalousien her-
unter und vertäute sie solid -am Fensterbrett,
aber die tKommandorufe und Trompetensignale
ließen vsich nicht aussperren. Versuchte sie, den
Lärm durch das Radio zu übertönen, hörte sie
nur Armeeberichte und Soldatenlieder. Zum
erstenmal zeigten sich in Tante Helens straffem
Gesicht Runzeln.

Ihre besorgte Sippe trat zu einer Beratung zu-
sammen. „Wie wäre es, wenn wir sie zur Base
nach Clifford schickten?" regte eines der Fami-
lienmitglieder an. „Dort besteht nicht der Schim-
mer von Wahrscheinlichkeit, eine Uniform zu
sichten*."

Tante Helen nahm den Vorschlag entgegen, ohne
sich dazu zu äußern. Als sie aber am gleichen
Abend ein Sergeant, der sich in der Telephon-
nummer geirrt hatte, mit „G'-schmacherl" apo-
strophierte und zu einem Rendezvous bestellte,
war ihr Widerstand gebrochen. Sie packte ihre
Koffer und reiste am nächsten Morgen nach
Clifford.

Nach vierzehn Tagen jedoch traf die Hiobsbot-
schaft ein, Tante Helen habe das Zeitliche ge-
segnet. Am Abend vorher hatte sie eine gesellige
Veranstaltung der Methodistenkirche besucht
und just als sie den großen Kuchen anschneiden
sollte, war eine Gruppe vergnügter GIs von
einem benachbarten Truppenübungsplatz auf-
gekreuzt, die von dem Pläsier auch ihr Schnip-
pelchen haben wollte. Das war für Tante Helen
zu viel. Ihr Herz streikte und — aus war's.
Tante Helens Schwester gab der Base in Clifford
telegraphische Weisung, den Leichnam in die
Heimat überführen zu lassen. Die Base drahtete
zurück, das Bestattungsunternehmen sei zwar
mit Aufträgen überhäuft, werde jedoch sein
Bestes tun, um Tante Helens sterblichen Resten
den Vorzug zu geben.

Schon nach zwei Tagep traf der Sarg ein und
wurde feierlich in Tante Helens Salon nieder-
gesetzt. Ihre Verwandten und besten Freunde
waren lückenlos zugegen. Mit salbungsvoller
Würde schlug der Geistliche den Deckel des Sar-
ges zurück. Er zuckte etwas zusammen, rieb sich
die Augen und blickte dann erschrocken noch
einmal hin.

Anstatt Tante Helens" zeitlicher Hülle lag in
dem Sarg der Leichnam eines Kommandierenden
Generals in der Pracht seiner drei Sterne und
seiner sämtlichen Auszeichnungen.
Ein Telephonanruf schreckte den Vorstand des
Clifforder Bestattungsinstituts aus seiner wohl-
verdienten Mittagsruhe. Er überschlug sich in
Entschuldigungen.

„Wir waren so überlastet — ich bin trostlos.
Aber begraben sie ihn nur, den General. Ihre
Tante Helen wurde heute früh unter einundzwan-
zig Salutschüssen und mit allen militärischen
Ehren auf einem Soldatenfriedhof beigesetzt."
Courtesy of „New York Herald Tribüne", 17. Nov. 1947.
Übersetzung aus dem Englischen: Helma Flessa.

BtHSKUCOCKTAIL

Es hat den Anschein, als würde Deutschland nicht länger
„draußen vor der Tür" stehen, unser „Weg zum Glück"
führt jedoch noch über eine „Wendeltreppe" mit mehr als
„39 Stufen".

„Das Leben geht weiter" „in unserer kleinen Stadt",
zwar nicht wie „in jenen Tagen", da „die Jahre dazwi-
schen" nicht ohne Spuren vorübergegangen sind. Aber im-
merhin kann man sich als „Lebenskünstler" einigermaßen
durchschlagen, obwohl trotzdem eine Straßenbahnf.ihrt
schon mehr einem „tropischen Abenteuer" gleicht und
mah sich im Bahnhof wie „Orpheus in der Unterwelt"
fühlt.

„Die Frau, von der man spricht", hat „Sprechstunden für
Liebe" nur für Besatzungsangehörige, denn sie liebt
nicht nur „Musik, Musik", sondern auch Schokolade und
Zigaretten.

'\ -

„Mit einem Fuß im Himmel" stehen wir momentan alle,
und wenn man uns „das grünende Korn" unserer Hoff-
nung vorzeitig schneidet, sterben wir wie „die Fliegen".
Hoffen wir, daß sich alles zum Besten wendet, vielleicht
erscheint noch ein „Herrn vom andern Stern", der zur
friedlichen Lösung der „russischen Frage" beiträgt, so daß
wir zum Schluß sagen können: „Hölle, wo ist dein Sieg". Fl.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die grässliche Geschichte vom Patentsarg"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Radler, Max
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
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Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 9, S. 98.

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