HAUSMUSIK
O. Nückel
Der Stuhl kam auf ganz gewöhnliche Weise in die
Wohnung von Tante Irene und Onkel Wolfgang.
Eines Tages ging Onkel Wolfgang über den Ober-
anger und kehrte bei der Tändlerin Körösy ein. Er
plauderte mit-ihr von den Preisen, griff nach einem
alten Stich oder einem Bayreuther Kruge und saß
währenddessen in der Sonne vor dem Lädchen in einem alten Sessel, den Frau
Körösy hinausgestellt hatte, teils um ihn zu verkaufen, teils um von ihm aus
das Leben auf der Straße zu beobachten und zu sehen, was drüben bei der
Konkurrenz los war. Onkel Wolfgang wollte gerade wieder gehen, da bemerkte
er, daß er in dem alten Lehnstuhl ganz vorzüglich gesessen hatte, er paßte
ihm wie angegossen Das war der richtige Sessel für Abendstunden, sogar für
Lebensabendstunden. In solchen Sesseln pflegten Staatsmänner, indem sie die
nimmermüden Hände in den Schoß legten oder auch das für die Menschheit
rastlos arbeitende Gehirn, sanft zu entschlummern. Nun hatte Onkel Wolf-
gang ganz gewiß nicht mit rastlosem Hirn oder nerviger Faust ausgerechnet
für die Menschheit gearbeitet und an einen repräsentativen Tod dachte er auch
nicht, aber er saß halt gern bequem. Für ein paar Mark erwarb er den Stuhl
und ließ ihn nach Hause schaffen. Tante Irene war mit dem Möbel ganz ein-
verstanden, meinte aber, es müsse erst mal neu überzogen werden. Sie ging
deshalb zu Bernheimer und suchte einen Chintz für den Ueberzug aus. In-
zwischen freute sich Onkel -Wolfgang auf den Stuhl. Er wollte In ihm als
erstes Meichelbeck's Geschichte des Klosters Benediktbeuern lesen, 'dazu ge-
legentlich einen kleinen Grog trinken und bulga-
rische Zigaretten rauchen. So war sein Plan.
Der Stuhl kam ,vom Tapezierer zurück, frisch über-
zogen mit dem weißen Chintz, in dem blaue Porzellan-
muster kringelten. Er war jetzt ein sehr nobler Stuhl
geworden, und sofort bestimmte Tante Irene, daß der
weiße Ueberzug geschont werden müsse. Für dunkle
Herrenanzüge war er überhaupt zu empfindlich. Nun
konnte Onkel Wolfgang sich nicht, so oft er den Stuhl
beniitzen wollte, eine helle Tennisnose anziehen oder
sich sonst zweckmäßig verkleiden. Auch das hätte
ihm eigentlich nichts genutzt, denn Tante Irene be-
hauptete, daß Männer überhaupt Stühle beschmutz-
ten, sie ließen immer Kuchenkrümel oder Zigaretten-
asche zwischen ihren Beinen vorn auf den Stuhl
fallen. Bei Frauen sei das viel besser, die hätten
zwischen den Knien einen Rock, der als Aschc-
und Krümelfänger diene. Wenn es nach ihr* ge-
gangen wäre, hätten eigentlich nur Kommunikantin-
nen in weißen Kleidern den Stuhl benutzen dürfen, .
AUS DES AUTORS JUGENDMAPPE
DER PARADIESSTUHL
VON WALTER FOITZICK
H. Huth
aber du lieber Gott, der Zulauf an Erstkommuni-
kantinnen war in OnkeJ Wolfgangs Haus keines-
wegs stark, und' Koreaner, die bekanntlich zur
■ Trauerzeit weiße faltige Gewänder tfagen und für
den Stuhl geradezu wie geschaffen waren, konnten
überhaupt nicht beigebracht werden.
Kurz und gut, der Stuhl war für Onkel Wolfgang verloren und so kam es, daß
der Meichelbeck nicht gelesen wurde, und auch^Grog und bulgarische Zigaretten
fielen auf dem heut nicht mehr ungewöhnlichen Wege der Weltgeschichte aus.
Inzwischen wurde der Sessel vW Tante Irene pfleglichst behandelt. Es wurde
darauf geachtet, daß Onkel Wolfgang niemals Gegenstände aus der wilden,
staubigen Welt hier niederlegte, seien es nun Hüte, Mäntel, Bücher, Zeitungen
oder Hausschlüssel. Nie hatte Onkel Wolfgang vorher geahnt, daß die Welt so
schmutzig sei. Die Tante gab' sich ganz der Schonung des Stuhles hin, und der
Onkel behauptete, sie hielte sich manchmal in dem Zimmer nur zu dein Zweck
auf, um den Stuhl zu schonen.
Der Sessel ist nun einer von denen geworden, wie man sie in Schlössern trifft,
wo sie mit keines Menschen Gesäß in Berührung kommen und von einer
Schnur zwischen den Armlehnen geschützt sind. Er gleicht jenem Thronsessel
im Rathaus zu Regensburg, auf den sich zu setzen dem Publikum verboten ist,
ausgenommen den Kaisern. Aber mein Gott, wieviel Kaiser gibt's heute noch,
und wer setzt sich von den Restierenden noch freiwillig auf einen Thron.
Also so ein Sessel ist das geworden.
Er könnte auch mitten im Paradiese stehen, mit der
Vorschrift, daß es erlaubt sei, sich auf alle Sessel
des Paradieses * zu setzen, nur auf diesen einen
nicht. Nun würde aber Tante Irene den Adam ganz
*gewiß nicht verführen, hier Platz zu nehmen, wenn
er auch noch so müde von der ewigen Untätigkeit
im Paradies heimkäme, sondern sie zöge ein kleines
Hockerl herbei und sagte: Setz dich hierhin, Adam,
der Sessel ist zu unbequem.
So steht die Sache heute. Onkel Wolfgang ist auf
den Stuhl dressiert und achtet ihn. Zwar kann Tante
Irene ihn nicht mit ins Grab nehmen, aber man
könnte ihn auf den Grabhügel stellen, obwohl der
helle Ueberzug darunter sehr leiden würde. Sicher
aber wird es bald ein Gesetz geben, daß Sitz-
möbel nicht zweckentfremdet werden dürfen, und
dann wird sich irgendein Testamentvollstrecker im
dunklen Mantel auf den Stuhl setzen und der
erste Aschenfleck wird vorn an der Sitzkante zu
sehen sein.
HB H»
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O. Nückel
Der Stuhl kam auf ganz gewöhnliche Weise in die
Wohnung von Tante Irene und Onkel Wolfgang.
Eines Tages ging Onkel Wolfgang über den Ober-
anger und kehrte bei der Tändlerin Körösy ein. Er
plauderte mit-ihr von den Preisen, griff nach einem
alten Stich oder einem Bayreuther Kruge und saß
währenddessen in der Sonne vor dem Lädchen in einem alten Sessel, den Frau
Körösy hinausgestellt hatte, teils um ihn zu verkaufen, teils um von ihm aus
das Leben auf der Straße zu beobachten und zu sehen, was drüben bei der
Konkurrenz los war. Onkel Wolfgang wollte gerade wieder gehen, da bemerkte
er, daß er in dem alten Lehnstuhl ganz vorzüglich gesessen hatte, er paßte
ihm wie angegossen Das war der richtige Sessel für Abendstunden, sogar für
Lebensabendstunden. In solchen Sesseln pflegten Staatsmänner, indem sie die
nimmermüden Hände in den Schoß legten oder auch das für die Menschheit
rastlos arbeitende Gehirn, sanft zu entschlummern. Nun hatte Onkel Wolf-
gang ganz gewiß nicht mit rastlosem Hirn oder nerviger Faust ausgerechnet
für die Menschheit gearbeitet und an einen repräsentativen Tod dachte er auch
nicht, aber er saß halt gern bequem. Für ein paar Mark erwarb er den Stuhl
und ließ ihn nach Hause schaffen. Tante Irene war mit dem Möbel ganz ein-
verstanden, meinte aber, es müsse erst mal neu überzogen werden. Sie ging
deshalb zu Bernheimer und suchte einen Chintz für den Ueberzug aus. In-
zwischen freute sich Onkel -Wolfgang auf den Stuhl. Er wollte In ihm als
erstes Meichelbeck's Geschichte des Klosters Benediktbeuern lesen, 'dazu ge-
legentlich einen kleinen Grog trinken und bulga-
rische Zigaretten rauchen. So war sein Plan.
Der Stuhl kam ,vom Tapezierer zurück, frisch über-
zogen mit dem weißen Chintz, in dem blaue Porzellan-
muster kringelten. Er war jetzt ein sehr nobler Stuhl
geworden, und sofort bestimmte Tante Irene, daß der
weiße Ueberzug geschont werden müsse. Für dunkle
Herrenanzüge war er überhaupt zu empfindlich. Nun
konnte Onkel Wolfgang sich nicht, so oft er den Stuhl
beniitzen wollte, eine helle Tennisnose anziehen oder
sich sonst zweckmäßig verkleiden. Auch das hätte
ihm eigentlich nichts genutzt, denn Tante Irene be-
hauptete, daß Männer überhaupt Stühle beschmutz-
ten, sie ließen immer Kuchenkrümel oder Zigaretten-
asche zwischen ihren Beinen vorn auf den Stuhl
fallen. Bei Frauen sei das viel besser, die hätten
zwischen den Knien einen Rock, der als Aschc-
und Krümelfänger diene. Wenn es nach ihr* ge-
gangen wäre, hätten eigentlich nur Kommunikantin-
nen in weißen Kleidern den Stuhl benutzen dürfen, .
AUS DES AUTORS JUGENDMAPPE
DER PARADIESSTUHL
VON WALTER FOITZICK
H. Huth
aber du lieber Gott, der Zulauf an Erstkommuni-
kantinnen war in OnkeJ Wolfgangs Haus keines-
wegs stark, und' Koreaner, die bekanntlich zur
■ Trauerzeit weiße faltige Gewänder tfagen und für
den Stuhl geradezu wie geschaffen waren, konnten
überhaupt nicht beigebracht werden.
Kurz und gut, der Stuhl war für Onkel Wolfgang verloren und so kam es, daß
der Meichelbeck nicht gelesen wurde, und auch^Grog und bulgarische Zigaretten
fielen auf dem heut nicht mehr ungewöhnlichen Wege der Weltgeschichte aus.
Inzwischen wurde der Sessel vW Tante Irene pfleglichst behandelt. Es wurde
darauf geachtet, daß Onkel Wolfgang niemals Gegenstände aus der wilden,
staubigen Welt hier niederlegte, seien es nun Hüte, Mäntel, Bücher, Zeitungen
oder Hausschlüssel. Nie hatte Onkel Wolfgang vorher geahnt, daß die Welt so
schmutzig sei. Die Tante gab' sich ganz der Schonung des Stuhles hin, und der
Onkel behauptete, sie hielte sich manchmal in dem Zimmer nur zu dein Zweck
auf, um den Stuhl zu schonen.
Der Sessel ist nun einer von denen geworden, wie man sie in Schlössern trifft,
wo sie mit keines Menschen Gesäß in Berührung kommen und von einer
Schnur zwischen den Armlehnen geschützt sind. Er gleicht jenem Thronsessel
im Rathaus zu Regensburg, auf den sich zu setzen dem Publikum verboten ist,
ausgenommen den Kaisern. Aber mein Gott, wieviel Kaiser gibt's heute noch,
und wer setzt sich von den Restierenden noch freiwillig auf einen Thron.
Also so ein Sessel ist das geworden.
Er könnte auch mitten im Paradiese stehen, mit der
Vorschrift, daß es erlaubt sei, sich auf alle Sessel
des Paradieses * zu setzen, nur auf diesen einen
nicht. Nun würde aber Tante Irene den Adam ganz
*gewiß nicht verführen, hier Platz zu nehmen, wenn
er auch noch so müde von der ewigen Untätigkeit
im Paradies heimkäme, sondern sie zöge ein kleines
Hockerl herbei und sagte: Setz dich hierhin, Adam,
der Sessel ist zu unbequem.
So steht die Sache heute. Onkel Wolfgang ist auf
den Stuhl dressiert und achtet ihn. Zwar kann Tante
Irene ihn nicht mit ins Grab nehmen, aber man
könnte ihn auf den Grabhügel stellen, obwohl der
helle Ueberzug darunter sehr leiden würde. Sicher
aber wird es bald ein Gesetz geben, daß Sitz-
möbel nicht zweckentfremdet werden dürfen, und
dann wird sich irgendein Testamentvollstrecker im
dunklen Mantel auf den Stuhl setzen und der
erste Aschenfleck wird vorn an der Sitzkante zu
sehen sein.
HB H»
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Hausmusik"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 9, S. 99.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg