ZEITGENOSSEN
DREI VARIATIONEN ÜBER EIN THEMA
Er war „Offizier des Führers". Und immer sehr
Stolz. Nicht nur darauf, sondern auch im allge-
meinen. Flakartillerist gewesen. Tadelloser
Flugzeugerkenner. Hat sich um die Heimatfront
verdient gemacht. In der Flakstellung und so.
Neulich traf ich ihn an einer Haltestelle der
Trambahn wieder. Einwandfreie Rasur. Vor-
gesetztenblick aus leuchtenden Augen. Leicht
angelumpt. Aeußerlich.
Was er mache? „Studieren, Schwarzhandel und
so." Was „und so" war, wagte ich nicht zu fra-
gen. Ich kam auch nicht dazu. Ich wurde bis
zur Abfahrt meiner Trambahn laufend belehrt.
Er schien das nötig zu haben. 4
Einige Flugzeuge über uns. Lässiger Flugzeug-
erkennerblick seinerseits nach oben. Genügte
vollkommen. Nicht nur für ihn. Er schnurrte
wie ein Grammophon: „Type; Tanderpolt. Vier-
motorig. Acht Mann Besatzung. Höchstgeschwin-
digkeit: 800 km Bombennutzlast 12 Tonnen."
Usw., usw.
Betroffen über derartig umfangreiche Kenntnisse
stieg ich in meine Bahn.
Woher weiß der Mann das?
Warum interessiert er sich dafür?
Beschäftigt er sich noch damit?
Oder schon wieder?
• II.
Sie saß in der Eisenbahn. Fensterplatz, Kissen
unter dem Hintern, Wurstbrot, Kriminalroman.
Distanziert, aber keineswegs unfreundlich.
Volksgemeinschaftlich.
In Pasing geriet auf dem Nebengleis ein Mann
unter den .Zug. Der Rücken wurde ihm auf-
gerissen. Die Gedärme hingen heraus. Die Schau-
lustigen drängten sich an den Fenstern.
Sie würgte ihr Wurstbrot hinunter, starrte auf-
geregt in die Blutlache. Wurde langsam bleich.
Weiß im Gesicht. Sie schluckte mühsam und
dann mußte sie kotzen.
Ein Mann im Abteil sagte ruhig: „Wir leben in
einer, schlechten Zeit, nicht wahr?"
Sie schnappte mühsam nach Luft.
„Haben Sie Angehörige draußen verloren, — im
Krieg?"
Sie nickte. Eifrig. „Zwei. Zwei Söhne." Sie be-
ruhigte sich sichtlich. Mühsam verborgener Stolz
kam auf. Heldenmutter!
Der Mann wurde jetzt leise. Bedrohlich leise.
„Und damals! Haben Sie damals auch gekotzt?"
III.
Ihn traf ich auf dem Bahnsteig in Ulm.
Selig lächelnd lehnte er, seine Trompete im
Arm, gegen einen Mast. Ein gewöhnlicher, —
kein Fahnenmast. (Daß das nur ein Zufall war,
merkte ich erst später.) Was ihn beglückt habe?
Beglückt? Es sei erhebend gewesen!
Er komme soeben vom 13. Landesposaunentag.
Der Ruf seines Bezirksposaunenführers habe ihn
rechtzeitig erreicht. Er habe — vermutlich Auge
in Auge — dem Reichsposaunenwart gegenüber-
gestanden. Und gemeinsam blus er mit dem
Landesposaunenwart beim Posaunenkonzert der
3800 Posaunisten vor dem Ulmer Münster. „Nun
danket alle Gott!" (Wofür eigentlich? Für die
Freiheit der Posaunenchöre?)
Ueberhaupt — sagte er wieder — die Bewegung
der Posaunisten sei ständig im Wachsen.
Früher...
Ich wollte zu bedenken geben, daß früher die
SA-Blasorchester
Aber dann kamen mir starke Zweifel.
In welcher Zeit leben wir eigentlich?
Reichsposaunenwart?
Wie hieß das damals doch? „Ein Volk, ein Reich,
— ein Posaunenchor?" Oder doch so ähnlich,
Kilian
Fr. Bilek
SCHNAPPSCHUSS AUS DER VERTEILUNG DES KOPFGELDES AN DIE MÜNCHENER BEVÖLKERUNG
!43
DREI VARIATIONEN ÜBER EIN THEMA
Er war „Offizier des Führers". Und immer sehr
Stolz. Nicht nur darauf, sondern auch im allge-
meinen. Flakartillerist gewesen. Tadelloser
Flugzeugerkenner. Hat sich um die Heimatfront
verdient gemacht. In der Flakstellung und so.
Neulich traf ich ihn an einer Haltestelle der
Trambahn wieder. Einwandfreie Rasur. Vor-
gesetztenblick aus leuchtenden Augen. Leicht
angelumpt. Aeußerlich.
Was er mache? „Studieren, Schwarzhandel und
so." Was „und so" war, wagte ich nicht zu fra-
gen. Ich kam auch nicht dazu. Ich wurde bis
zur Abfahrt meiner Trambahn laufend belehrt.
Er schien das nötig zu haben. 4
Einige Flugzeuge über uns. Lässiger Flugzeug-
erkennerblick seinerseits nach oben. Genügte
vollkommen. Nicht nur für ihn. Er schnurrte
wie ein Grammophon: „Type; Tanderpolt. Vier-
motorig. Acht Mann Besatzung. Höchstgeschwin-
digkeit: 800 km Bombennutzlast 12 Tonnen."
Usw., usw.
Betroffen über derartig umfangreiche Kenntnisse
stieg ich in meine Bahn.
Woher weiß der Mann das?
Warum interessiert er sich dafür?
Beschäftigt er sich noch damit?
Oder schon wieder?
• II.
Sie saß in der Eisenbahn. Fensterplatz, Kissen
unter dem Hintern, Wurstbrot, Kriminalroman.
Distanziert, aber keineswegs unfreundlich.
Volksgemeinschaftlich.
In Pasing geriet auf dem Nebengleis ein Mann
unter den .Zug. Der Rücken wurde ihm auf-
gerissen. Die Gedärme hingen heraus. Die Schau-
lustigen drängten sich an den Fenstern.
Sie würgte ihr Wurstbrot hinunter, starrte auf-
geregt in die Blutlache. Wurde langsam bleich.
Weiß im Gesicht. Sie schluckte mühsam und
dann mußte sie kotzen.
Ein Mann im Abteil sagte ruhig: „Wir leben in
einer, schlechten Zeit, nicht wahr?"
Sie schnappte mühsam nach Luft.
„Haben Sie Angehörige draußen verloren, — im
Krieg?"
Sie nickte. Eifrig. „Zwei. Zwei Söhne." Sie be-
ruhigte sich sichtlich. Mühsam verborgener Stolz
kam auf. Heldenmutter!
Der Mann wurde jetzt leise. Bedrohlich leise.
„Und damals! Haben Sie damals auch gekotzt?"
III.
Ihn traf ich auf dem Bahnsteig in Ulm.
Selig lächelnd lehnte er, seine Trompete im
Arm, gegen einen Mast. Ein gewöhnlicher, —
kein Fahnenmast. (Daß das nur ein Zufall war,
merkte ich erst später.) Was ihn beglückt habe?
Beglückt? Es sei erhebend gewesen!
Er komme soeben vom 13. Landesposaunentag.
Der Ruf seines Bezirksposaunenführers habe ihn
rechtzeitig erreicht. Er habe — vermutlich Auge
in Auge — dem Reichsposaunenwart gegenüber-
gestanden. Und gemeinsam blus er mit dem
Landesposaunenwart beim Posaunenkonzert der
3800 Posaunisten vor dem Ulmer Münster. „Nun
danket alle Gott!" (Wofür eigentlich? Für die
Freiheit der Posaunenchöre?)
Ueberhaupt — sagte er wieder — die Bewegung
der Posaunisten sei ständig im Wachsen.
Früher...
Ich wollte zu bedenken geben, daß früher die
SA-Blasorchester
Aber dann kamen mir starke Zweifel.
In welcher Zeit leben wir eigentlich?
Reichsposaunenwart?
Wie hieß das damals doch? „Ein Volk, ein Reich,
— ein Posaunenchor?" Oder doch so ähnlich,
Kilian
Fr. Bilek
SCHNAPPSCHUSS AUS DER VERTEILUNG DES KOPFGELDES AN DIE MÜNCHENER BEVÖLKERUNG
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Schnappschuss aus der Verteilung des Kopfgeldes an die Münchner Bevölkerung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 12, S. 143.
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Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg