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ALLES

Sieber Mitbürger! Wenn die
ehemaligen Berufssoldaten auf
Wunsch Deiner Regierung für-
derhin auf Deine Kosten eine
kleine Eension empfangen und
Du gegen den Vv illen^ Deiner
Regierung künftig der Sehul-

geldsorgen für Deine' Kinder enthoben bist, so ist
das noch kein Grund, der Geschäftsführung und
dem Aufsichtsrat der Firma „Rechts-, Kultur- und
Sozialstaat Bayern" mit irgendwelchem Mißtrauen
zu begegnen. Im Gegenteil, erfüllte das ehrwür-
dige Unternehmen doch hier eine elementare
nationale Pflicht, nämlich die Befolgung deutscher
Befehle gutzuheißen und zu belohnen, die Be-
folgung nicht-deutscher Befehle hingegen abzu-
lehnen oderv doch wenigstens zu umgehen. Und
sie tut es wiederum in Deinem Interesse, denn
wer» würde künftig zu den Waffen greifen wollen,
um für Dich zu marschieren, wenn der Dank des
Vaterlandes ausgeblieben ist, und wo kämen wir
hin, wenn wir uns erprobte Einrichtungen anderer
Länder, wie z. B. Hessens, aufdrängen lassen
wollten? Damit wäre ja jeder fortschrittlichen
Entwicklung Tor und Tür geöffnet.
Schließlich zahlst Du ja Steuern und Schulgeld,
damit Deine Kinder und nicht etwa die der An-
deren, irh rechten Glauben und zu guten bayeri-
schen Staatsbürgern erzogen werdepr. Und Du
wirst eingestehen müssen, daß Deine Regierung
nicht müßig geblieben ist, Deinem Wunsche ge-
treulich nachzukommen.

Sortierte sie nicht sorgfältig die Kinder in Recht-
gläubige und Ketzer, um Deine Kinder von aller
Gewissensnot zu befreien?

Führte sie nicht die Prügelstrafe wieder ein, um
Deine Kinder frühzeitig mit den Prinzipien der
Demokratie vertraut zu machen?
Führte sie nicht einen Teil der Lehrerinnenaus-
bildung in den Schoß der Klosterschulen zurück
und verhalf sie nicht der Klosterschule wieder zu
Recht und Ansehen, um Deinen Kindern den Weg
zur wahren Sittlichkeit zu ebnen?
Säuberte sie nicht ständig unter den verschieden-
sten Vorwänden den Lehrkörper von allzu libera-
len und freiheitsliebenden Lehrern und Studien-
räten, um Deine Kinder vor frühzeitiger Skepsis
zu bewahren?

Warf sie nicht die verheirateten Lehrerinnen rück-
sichtslos auf die Straße in der Einsicht, daß die
Jungfräulichkeit der Lehrerirfhen vorzüglich im
fortgeschrittenen Alter eine besondere Glaubens-
festigkeit und religiöse Linientreue garantiert, die
wiederum Deinen Kindern zugutekommt?
Und hat sie nicht eifersüchtig die Schulgeldpflicht
gehütet, weil das Schulgeld einmal zum Unter-
halt der Klosterschulen unerläßlich war und zum

Modernes Reisebüro. Ihre Idee halten wir für gut:
veranstalten Sie in der bewährten Art der KdF-Reisen
vei"billigte Gesellschaftsfahrten nach Rom für die Mit-
glieder der bayerischen Regierung, die diese Strecke
ungewöhnlich oft bewahren müssen.

Wieder Schwarzer Markt? Sie irren: was Sie an den
bekannten Münchner Schwarz-Verkaufsstellen, wie z. B.
Ecke Luisen-Elisensiraße, Isartorplatz und anderen
Ecken sehen, sind Folizeiagenten, die als Schwarz-
händler und DP's getarnt hier ihre Pflicht tun, um
vor allem einmal den Schwarz-Käufern an den Kra- v
gen zu gehen. Richtige Schwarzmarktnester hätte doch
unsere rührige Polizei längst ausgehoben!

Eine Aufgabe für "Graphiker. Die neuen Briefmarken
sollen nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen.
Also beeilen Sie sich, der Post Ihre prächtigen Vor-
schläge rechtzeitig vorzulegen. Derartige Ideen voll
Neuheit, Gefühlstiefe und christlicher Bodenverbun-
denheit werden sicher Beachtung finden. Wir können
uns sehr gut denken, daß Ihr „Landmann mit pflug-
ziehendem Pferd", Ihr „Bauer mit zwei pflugziehenden
Pferden", Ihr „Bauernjunge mit pflugziehendem
Ochsengespann" eine reizvolle Serie ergäben, ebenso
wie Ihre „Mädchen beim Kirchgang", Ihr „Mütterlein
im Beichtstuhl", Ihr „Familienvater mit der Haus-
postille". Besonders wirkungsvoll aber erscheint uns
die 2-Mark-Marke mit dem Dreigestirn „Arbeiter der
Stirn, der Faus; und des Sitzfleisches", sowie die Por-
trätmarken mit den Köpfen des soldatisch-humani-
tären-paziflstischen Dichters E. E. Dwyiger, des stets
„ahnungslosen, gemäßigt antisemitischen" Reichs-
pressechefs Dr. Dietrich und der künftigen Englände-
rin Winifred Wagner. An welcher Stelle Sie allerdings
Ihre Entwürfe einreichen müssen, können wir nicht
sagen. Neue Briefmarken werden seitens der deut-
schen Post hinter demokratisch verschlossenen Türen
geboren.

Warum so schnell vom Spielplan verschwunden? Ja,
es fällt auf, daß so teure Inszenierungen wie „Abraxas"
oder „Agnes Bernauer" trotz großen Interesses seitens
des Publikums rasch völlig verschwinden. Wir sind aber
nicht Ihrer Meinung, daß man solche Aufführungen
aus Prestigegründen zwar inszeniert, dann aber das
bayerische Volk vor ihrer Unsittlichkeit bewahren
will und die Aufführung einfach auf Repräsentations-
kosten schreibt. Stets sind es doch nur anderweitige
Verpflichtungen wichtiger Darsteller, die dem bereits
gereinigten Ballett-Spuk ein unumstößliches Ende
bereiten

GUTE KOMMT

anderen ein Bildungsprivileg für^Deine Kinder
garantiert?

Denn stell Dir doch einmal vor, wo wir mit un-
serem Schulsystem hinkämen, wenn auch eine
größere Zahl Kinder einfacher Leute in den aka-
demischen Stand aufrücken würden und auf diese
Weise sozialistisches Stroh in die staatlichen
Futterkrippen schmuggeln könnten?
Dies alles mußt Du Dir vor Augen halten, um
den heroischen Kampf Deiner Regierung gebührend
zu würdigen. Sie ließ wahrhaftig nichts unversucht,
um der dräuenden Gefahr einer radikalen Schul-
reform zu begegnen. Mit Hilfe von drei wohl-
durchdachten traditionsschwangeren Schulreform-
plänen verstand sie es, die Entscheidung zu Dei-
nem Nutzen und Frommen über viele Monate
hinauszuzögern. Als sie endlich die ..Kardinal-
frage" der Schulgeldfreiheit aus demokratischen
Rücksichten vor den Landtag bringen mußte,
scheute sie sich nicht, in Deinem Interesse den
früher errechneten Ausfall von 23 Millionen in
32 Millionen umzumodeln und die Finanzlage des
Staates in so schwarzen Farben zu schildern, daß
jeden Tag mit einem Staatsbankrott zu rechnen
war und die Schulgeldfreiheit völlig unannehmbar
erschien. Die Abgeordneten waren programm-
gemäß schier erschüttert und vertagten die Sache
folgerichtig auf den 1. Oktober. Nur das Enfant
terrible Dr. Dehler (FDP) konnte sich die Fest-
stellung nj>ht verkneifen, „daß der Ministerrat
den Landtag täusche, indem er" ein Gesetz vor-
lege, das er (der Ministerrat) in Wirklichkeit gar
nicht wolle". Doch wirst Du zugeben müssen, daß
solche Anzüglichkeiten nicht in die Presse gehören.
Aber auch dieser erneute Aufschub konnte nicht
das drohende Unheil der Schulgeldfreiheit von
Dir wenden, lieber Mitbürger, und so entschloß
sich das Kultusministerium, Dir noch schnell den
Kauf der lang erwarteten Schulbücher zu ermög-
lichen, bevor das Unglück über Dich hereinbrechen
würde, um Dir eben diese Bücher gratis vor die
Füße zu werfen. Deshalb erließ das Kultusmini-
sterium folgendes Rundschreiben:

Bayerisches -Staatsministerium
für Unterricht und Kultus .

München, den 20. 7. 48
Salvatorplatz 2
Um die z. Z. fertigen Lesebücher für die 3.14. und 7.IS.
Vvlksschulklasse und die in -den nächsten Wochen
fertig werdenden Lesebücher für die 1.12. und 5.16.
Volksschulklasse den Schülern zum Schulbeginn in die
Hand geben zv. können, muß der bayerische Schul-
buchverlag mit der Versendung dieser Bücher dem-
nächst, also noch während der Schulferien beginnen.
Die Schulämter werden aus diesen zwingenden Grün-
den angewiesen, dafür zu sorgen, daß die demnächst
angelieferten Schulbücher von den Volksschulen nicht
nur in Empfang genommen, sondern den Schülern
trqtz der Ferien gegen Entrichtung des Kaufpreises
schnellstens ausgehändigt werden. Spätestens acht Tage

EFKASTEN

Welche Filme darf man sehen? Das wissen wir auch
nicht, das kommt darauf an, welche Filme die als
„Selbstkontrolle des Films" aufgezogene Zensurinstanz
. uns zugesteht. Feststeht, daß ein Filmstrelfen sowohl
auf seine gewollte, wie auf seine ungewollte Wirkung
hin unter dje Lupe der Zensoren genommen wird.
Wir müssen be! diesen also auf das alte Sprichwort
vertrauen „Dem Reinen ist alles rein" und müssen
schroff sein Gegenstück zurückweisen, das da besagt
„Den Schweinen ist alles Schwein!"

Wozu einen Stellvertreter? Es ist ejne völlig veraltete
Ansicht, daß ein Stellvertreter stets zur Stelle sein
müßte, wenn def zu vertretende erste Mann abwesend
ist. Sie sehen das in der Praxis daran, daß Bayern
zwar einen stellvertretenden Ministerpräsidenten,
Dr. Ehard aber nie einen Stellvertreter hat, da dieser
zumeist mitreist

Was ist ein Kassenschlager? Ein Kassenschlager ist
die Sehnsucht der meisten Theaterdirektoren. Es ist
ein Stück, das mindestens fünfundzwanzig, besser
noch • vierzig Jahre alt und von sämtlichen Bühnen
einschließlich der Wander- und Liebhaberbühnen er-
probt ist. Junge Autoren haben selten begründete
Aussicht, einen Kassenschlager zu produzieren —
Qualität kann nur in der Tradition, im Gebrauch und
in der Anlehnung an alte Reißer gewonnen werden.

" Empörte Hausfrau in M. Die Preise zum Sinken brin-
gen Sie am besten dadurch, daß Sie Ihrem Manne
alles erreichbare Geld entreißen, alles, was irgend
möglich ist, kaufen und das übrige an Obst, Eiern
und Geflügel zertrümmern, zertrampeln und in der
Luft zerreißen. Sie helfen damit der Volkswirtschaft
und müssen sich nicht lang mit dem altbewährten
Mittel des Käuferstreiks aufhalten.

Aelterer Flüchtling auf dem Dorf. Keine Sorge, auch
Sie sollen nutzbringende Beschäftigung finden bei der
weiträumig eingeleiteten Heilkräutersammelaktion. So-
fern Sie eine der dafür vorgeschlagenen Pflanzen ken-
nen sollten, sammeln Sie davon mehrere Zentner,
trocknen diese in Ihren üppigen Wohnräumen, mel-
den das Ganze an und warten, ob die gesammelte
Menge der Firma groß genug erscheint, um sie ab-
holen zu lassen. Ist das der Fall, so ist das Ganze
eine durchaus einleuchtende, lohnende und zukunft-
weisende Sache.

Kleines Fräulein. Wenn Ihr Johnny sich plötzlich
versetzen läßt und keine Zeit mehr für Sie hat, heißt
das, daß er sich mit voller Absicht hinter die D-Mar-
kationslinie zurückzuziehen wünscht.

VON OBEN

X

naeh Eintreffen der Schulbücher ist der von der Buch-
verkaufsstelle in Rechnung gestellte Betrag an diese
zu entrichten. Wenn es den Schulleitern nicht möglich
ist, innerhalb einer Woche alle Schulbücher auszu-
geben, so muß der bis dahin eingenommene Betrag
an die Buchverkaufsstelle abgeführt und der Rest-
betrag nach abgeschlossener Ausgabe bezahlt werden.
Die neuen Schulbücher sind sofort abzuholen, sobald
die Schulleitungen von den Buchhandlungen oder
Büchverkaufsstellen vom Eintreffen' der Bücher be-
nachrichtigt werden. Die Schulleitungen sind, von vor-
stehender Anordnung unverzüglich in Kenntnis zu
setzen. i a.:, gez. Braun,

Regierungsdirektor

Sei es nun, daß sich der Schulbücherverkauf gün-
stig anließ, sei es auch nur, daß ein Wunder
geschah, jedenfalls war die Finanzlage des Staates
bis zum 31. 8. soweit hergestellt, um das Pen-
sionsgesetz für Berufssoldaten mitsamt seinen Un-
kosten vom Landtag annehmen zu lassen. Du
wirst einsehen, lieber Mitbürger, daß dieses Ge-
setz keinen Aufschub vertragen konnte, weil die
dazu vorhandenen Geldmittel womöglich die durch
efne Schulgeldfreiheit entstehenden Unkosten zum
Teil gedeckt hätten. Und dann geschah das Un-
erhörte: Die Militärregierung zeigte kein Ver-
ständnis für die wohlgemeinten Bemühungen un-
serer Regierung um Deine Interessen und führte
die Schulgeldfreiheit ex officio ein.
So, da hast Du nun die Schulgeldfreiheit, lieber
Mitbürger, und wenn dereinst Dein Sohn im
Abitur durchfallen sollte und Du den Sohn Deines
Millihändlers mit „Herr Doktor" anreden mußt,
so halte Dir stets vor Augen, daß Deine CSU-
Regierung völlig unschuldig daran gewesen ist,
und besinne Dich auf die Weisheit dieser Re-
gierung, die in ihrer Voraussicht Deinem Sohn
noch die Karriere des pensionsberechtigten Berufs-
soldaten offen ließ, für den Fall, daß wir wieder
einmal eine Wehrmacht haben sollten. DER SIMPL

REPETITORIUM

DEZ. 1946 — Die Schulgeldfreiheit wird in der
hessischen Verfassung verankert und bereits 1947
eingeführt.

JUNI 1947 — Der alliierte Kontrollrat erläßt am
26. Juni die Direktive Nr. 54 mit § 2: „Schulgeld,
Schulbücher und anderes Schulungsmaterial sollen
an allen Unterrichtsanstalten, die von öffentlicher
Hand unterhalten werden und die hauptsächlich
von Schülern schulpflichtigen Alters besucht wer-
den, kostenfrei gestellt werden ..."

SEPT. 1947 — Das bayerische Kultusministerrum
reicht auf Verlangen der Militärregierung seinen
zweiten Schulreformplan ein.

FEBR. 1948- — Anläßlich der Ablehnung des drit-
ten Schulreformplanes erklärt das Kultusministe-
rium sich, den Amerikanern gegenüber bereit, bis
zum Ende der Sommerferien (1. Sept.) u. a. die
Schulgeldfreiheit einzuführen.

14. JULI 1948 — Der Haushaltsausschuß des Land-
tages lehnt die Gesetzentwürfe über die Schul-
geldfreiheit mit dem Hinweis ab, die bedrohliche
Lage des Staatshaushaltes ließe die Einführung
der Schulgeldfreiheit völlig unannehmbar er-
scheinen. Er vertagt die Verhandlungen auf den
1. Oktober: die Schulferien gehen am 1. Septem-
ber zu Ende.

20. JULI 1948 — Das bayerische Kultusministe-
rium erläßt ein Rundschreiben zu dem Zwecke,
die vorhandenen Schulbücher umgehend in D-
Mark umzusetzen.

31. JULI 1948 — „Die- bedrohliche Lage des
Staatshaushaltes" hat sich seit dem 14. Juli so-
weit gebessert, daß ein Gesetz über „Unterhalts-
beiträge für Berufssoldaten" mit allen gegen die i
Stimme der SPD. angenommen werden kann. Nach
dieser Anstrengung geht der Landtag in die
Ferien.

4. AUGUST 1948 — Der amerikanischen Militär-
regierung wird das bayerisch-parlamentarische
Versteckspiel zu langweilig. Sie erläßt einen Be-
fehl zur Einführung der Schulgeld- und Lehr-
mittelfreiheit mit Avirkung vom 1. September.

*

— Ministerpräsident Ehardt bekommt einen Wut-
anfall. —

— Kultusminister Dr. Dr. Hundhammer errechnet,
daß die dem Staat erwachsenden Unkosten nicht
mehr 23, und auch nicht mehr 32, sondern schon
39 Millionen DM betragen.

— Der süddeutsche Blätterwald empört sich ein-
mütig, daß die Besatzungsmacht einen Befehl zum
Nutzen des Volkes zu erlassen wagt, und hält
die Schulreform für ein bedauerliches Hobby der
Amerikaner.

— Die bayerische Regierung ist nicht gewillt, die
Konsequenzen zu ziehen und bleibt auf ihrem
Posten.

— Die Kinder, — und nicht nur die Kinder —
spielen unbekümmert weiter.

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