Die neue Hortungswelle
Plauderei im Krankensaal
„Oh mei', Herr Feineigl, dös war wieder a Nacht,
die NacliL, heut' Nacht! Koa Aug' hab' i zua-
g'macht z'wegen mein' Rheumatiss. Jeden Tag
a Quartel Rizinusöl, jeden zwoaten a Einlauf, je-
den dritten 's Bluat aus die Finger 'rauspickt —
hilft alles nix. Es werd und werd net besser mit
mein' Kreiz."
„Sagn S' amoi, Herr Wiesmayer, is dös ganz
g'wiß, daß Sie bloß an' Rheumatiss hab'n?"
„Freili is' g'wiß. Wann's der Herr Chefarzt, der
Herr Stationsarzt, der Herr Oberarzt, drei Assi-
stenzarzt' und sechs Medizinstudenten sag'n,
werd's scho' stimma."
„Geh' lassen S' mi aus, mit die Aerzt'! Die wis-
sen ja aa nix. Warum? Weil's nix anders g'lernt
hab'n, als wia an die Kranken vadeana. Braucht
so oana nur sag'n ,Sie haben einen Bronchial-
katarrh' — kost's di scho' zwanz'g Mark, und bal
er's lateinisch sagt, fimfadzwanz'g. I aber bin a
G'müashandler und muaß reell sei'."
„Wann's aber koa Rheumatiss net is, was
kunnt's denn nacha sei'?"
„Herr Wiesmayer, i sag's, wia's is: Ehana Aus-
sehen deutet auf Krebs. Bai das akutane Stadium
chronisch werd und sich eine Diagnose dazua
schlagt, entsteht eine, Indikation, und dahi' geht's
mit die Füaß voraus nach Sixtminimmer. No ja,
für Ehana Witwe und die Waiserln is ja g'sorgt.
Da kann sich ein Mensch beruhigt in den Sarg
legen."
„Aber Herr Feineigl, i hab' ja bloß an Rheu-
matiss!"
„Sö san harmlos! Dös, was Ehana weh tuat, san
die Ausstrahlungen vo' sellanem Nerfus Symti-
matikus, der wo auf die Lymphdrüsen druckt.
Sehgn S' da hab i oan kennt, den habn's auf Platt-
füaß' behandelt, und an Scharlach is er g'storb'n.
Oh mei', die Aerzt'!"
„Ja, und gibt's denn da gar koa Mittel? Tat'
mi's glei a Pfund Peneszillin kosten lassen."
„Hilft nix, dös Glump, is bloß a Bluff vo' die
Apotheker. Liaba 's Geld spar'n für a bessere Be-
erdigung mit G'sang und Musi!"
„Sie, Herr Feineigl, Sie g'fall'n ma aber heut' aa
gar net.' Sie schaug'n so blaß aus. Wia a Hand-
tuach nach der Wasch!"
,,Blaß? Davo' merk' i nix. Fühle mich sauwohl,
wia ma so sagt. Hab' scho' lang koane Schmerzen
mehr im Mag'n."
„Dös is ja g'rad das Bedenkliche an Ehanerm
Zustand. Im Bluat hat ma koane Schmerzen net."
„Was soll denn mit mein' Bluat sei'?"
„Djös kann i Ehana ganz genau erklär'n: In oam
Kubikzentimeter Bluat derfa net mehr als wia
fimfadzwanz'g Stück Leukoplasten sei'. Bai i
Ehana aber so o'schaug, hab'n Sie guat und gern
fimfasiebz'ge vo' dene Luada im Kubikzenti-
meter."
„No, und was is nacha?"
„Da stirbt man dro'. Den Herrn, wo vor Ehana
in Ehaner'm Bett g'leg'n is, hab'n aa die Leuko-
plasten dahingerafft. War aber net so blaß wia
Sie. Da, auf dem Stuhl is' g'sessen, sei' Witwe.
Hinterbichler Josef hat er si gschrieb'n, der Herr.
Naa, daß i net lüag', Anton hat er g'hoaßen."
„Ja, wia is denn dös nacha? Morg'n soll 1 als
geheilt entlassen werd'n."
„Glaub' i scho', indem daß der Herr Chefarzt net
gern Leichen in der Anstalt hat. War net guat für
sei' Renommeh. Kurz und guat, Herr Feineigl,
macha S' Ehana Testament, handschriftlich und
mit Datum, nacha kann's dahi' geh'n."
„Sagn S' amoi, Herr Wiesmayer, hab'n Sie ein
Familiengrab?"
„Naa, hab' koans. I lass' mi vabrenna."
„Jetzt sehgn S', dös tua i wieder net. Warum?
Hätt's net gern, daß meine zwoa Zentner Lebend-
g'wicht auf zwanzig Gramm Asche z'samma-
schrumpfen, und 's ander' zum Rauchfang außi
dampft. Denn eine gewisse Hoffnung auf ein
Ewiges Leben besteht. Aus a paar Aschen-
faderln aber kann mi koaner mehr rekon-
struier'n."
„Glaub'n Sie an die Ewige Seligkeit?"
„Bai i g'sund bin, net, aber bal i krank bin, scho'."
„Sehr gut beobachtet! Nix G'wiß woaß ma net,
und schaden kann's ja auf koan Fall, bal i glaub',
daß a Engerl aus mir werd." A. Wisbeck
APHORISMEN
Es spricht nicht für die Kirche, daß neben ihr
überhaupt jemals eine soziale Bewegung aufkom-
men konnte.
Es gibt nichts Neues, auf das nicht längst schon
seine Vertreter warten. Die Welt hat einen Man-
gel an Ideen und einen Ueberfluß an Funktionären.
Die sogenannten Menschenrechte werden fast
immer nur dann feierlich verkündet, wenn man
außer ihnen nichts zu vergeben hat.
Wer nach einem Umsturz auf Nachsicht rechnen
will, darf vor ihm die Vorsicht nicht zu weit
treiben. Sigmund Cvaff
DIE MITARBEITER DES HEFTES
soweit sie in den bisherigen Heften noch nicht er-
schienen sind: Wolfram Eisner, 10. 3. 1913, Dresden;
Gerhard Lüdtke, 20. 5. 1910, Hamburg; Rolf Hansler,
17. 6. 1900, Stuttgart; A. v. d. Borch, Daten folgen.
„DER SIMPL" erscheint im Monat zweimal
Bezugspreis im Vierteljahr DM 3.— zuzügl. 25 Pfg. Zustellgebühr.
Verlag „DER SIMPL" (Freitag-Verlag), München 23, Werneck-
straße 15a. Fernruf: 362072. Postscheckkonto: DER SIMPL, Mün-
dien Nr. 91999. — Herausgeber: Willi Ernst Freitag. — Red.
M. Schrimpf. — Sprechstunden: Dienstag und Donnerstag von
9 bis 12 Uhr. — Für unverlangt eingesandte Manuskripte und
Zeichnungen wird keine Gewähr übernommen. Freiumschlag ist
beizulegen. — Anzeigen nach Preisliste 1 vom 1. 9. 1948. An-
zeigen-Verwaltung: Neue Haasenstein & Vogler Gesellschaft für
Wirtschaftswerbung m.b.H., München 1, Roman-Mayr-Haus (Kau-
fingerstr. 1/2). — Klischees: Brend'amour, Simhart & Co., Gra-
phische Kunstanstalt, München. — Druck: Süddeutscher Verlag
GmbH., München 2, Sendlinger Str. 80. — Auflage: 77 000. —
Copyright by Freitag-Verlag 1946. — Published under Military-
Government Information Control License No US-E-148.
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Plauderei im Krankensaal
„Oh mei', Herr Feineigl, dös war wieder a Nacht,
die NacliL, heut' Nacht! Koa Aug' hab' i zua-
g'macht z'wegen mein' Rheumatiss. Jeden Tag
a Quartel Rizinusöl, jeden zwoaten a Einlauf, je-
den dritten 's Bluat aus die Finger 'rauspickt —
hilft alles nix. Es werd und werd net besser mit
mein' Kreiz."
„Sagn S' amoi, Herr Wiesmayer, is dös ganz
g'wiß, daß Sie bloß an' Rheumatiss hab'n?"
„Freili is' g'wiß. Wann's der Herr Chefarzt, der
Herr Stationsarzt, der Herr Oberarzt, drei Assi-
stenzarzt' und sechs Medizinstudenten sag'n,
werd's scho' stimma."
„Geh' lassen S' mi aus, mit die Aerzt'! Die wis-
sen ja aa nix. Warum? Weil's nix anders g'lernt
hab'n, als wia an die Kranken vadeana. Braucht
so oana nur sag'n ,Sie haben einen Bronchial-
katarrh' — kost's di scho' zwanz'g Mark, und bal
er's lateinisch sagt, fimfadzwanz'g. I aber bin a
G'müashandler und muaß reell sei'."
„Wann's aber koa Rheumatiss net is, was
kunnt's denn nacha sei'?"
„Herr Wiesmayer, i sag's, wia's is: Ehana Aus-
sehen deutet auf Krebs. Bai das akutane Stadium
chronisch werd und sich eine Diagnose dazua
schlagt, entsteht eine, Indikation, und dahi' geht's
mit die Füaß voraus nach Sixtminimmer. No ja,
für Ehana Witwe und die Waiserln is ja g'sorgt.
Da kann sich ein Mensch beruhigt in den Sarg
legen."
„Aber Herr Feineigl, i hab' ja bloß an Rheu-
matiss!"
„Sö san harmlos! Dös, was Ehana weh tuat, san
die Ausstrahlungen vo' sellanem Nerfus Symti-
matikus, der wo auf die Lymphdrüsen druckt.
Sehgn S' da hab i oan kennt, den habn's auf Platt-
füaß' behandelt, und an Scharlach is er g'storb'n.
Oh mei', die Aerzt'!"
„Ja, und gibt's denn da gar koa Mittel? Tat'
mi's glei a Pfund Peneszillin kosten lassen."
„Hilft nix, dös Glump, is bloß a Bluff vo' die
Apotheker. Liaba 's Geld spar'n für a bessere Be-
erdigung mit G'sang und Musi!"
„Sie, Herr Feineigl, Sie g'fall'n ma aber heut' aa
gar net.' Sie schaug'n so blaß aus. Wia a Hand-
tuach nach der Wasch!"
,,Blaß? Davo' merk' i nix. Fühle mich sauwohl,
wia ma so sagt. Hab' scho' lang koane Schmerzen
mehr im Mag'n."
„Dös is ja g'rad das Bedenkliche an Ehanerm
Zustand. Im Bluat hat ma koane Schmerzen net."
„Was soll denn mit mein' Bluat sei'?"
„Djös kann i Ehana ganz genau erklär'n: In oam
Kubikzentimeter Bluat derfa net mehr als wia
fimfadzwanz'g Stück Leukoplasten sei'. Bai i
Ehana aber so o'schaug, hab'n Sie guat und gern
fimfasiebz'ge vo' dene Luada im Kubikzenti-
meter."
„No, und was is nacha?"
„Da stirbt man dro'. Den Herrn, wo vor Ehana
in Ehaner'm Bett g'leg'n is, hab'n aa die Leuko-
plasten dahingerafft. War aber net so blaß wia
Sie. Da, auf dem Stuhl is' g'sessen, sei' Witwe.
Hinterbichler Josef hat er si gschrieb'n, der Herr.
Naa, daß i net lüag', Anton hat er g'hoaßen."
„Ja, wia is denn dös nacha? Morg'n soll 1 als
geheilt entlassen werd'n."
„Glaub' i scho', indem daß der Herr Chefarzt net
gern Leichen in der Anstalt hat. War net guat für
sei' Renommeh. Kurz und guat, Herr Feineigl,
macha S' Ehana Testament, handschriftlich und
mit Datum, nacha kann's dahi' geh'n."
„Sagn S' amoi, Herr Wiesmayer, hab'n Sie ein
Familiengrab?"
„Naa, hab' koans. I lass' mi vabrenna."
„Jetzt sehgn S', dös tua i wieder net. Warum?
Hätt's net gern, daß meine zwoa Zentner Lebend-
g'wicht auf zwanzig Gramm Asche z'samma-
schrumpfen, und 's ander' zum Rauchfang außi
dampft. Denn eine gewisse Hoffnung auf ein
Ewiges Leben besteht. Aus a paar Aschen-
faderln aber kann mi koaner mehr rekon-
struier'n."
„Glaub'n Sie an die Ewige Seligkeit?"
„Bai i g'sund bin, net, aber bal i krank bin, scho'."
„Sehr gut beobachtet! Nix G'wiß woaß ma net,
und schaden kann's ja auf koan Fall, bal i glaub',
daß a Engerl aus mir werd." A. Wisbeck
APHORISMEN
Es spricht nicht für die Kirche, daß neben ihr
überhaupt jemals eine soziale Bewegung aufkom-
men konnte.
Es gibt nichts Neues, auf das nicht längst schon
seine Vertreter warten. Die Welt hat einen Man-
gel an Ideen und einen Ueberfluß an Funktionären.
Die sogenannten Menschenrechte werden fast
immer nur dann feierlich verkündet, wenn man
außer ihnen nichts zu vergeben hat.
Wer nach einem Umsturz auf Nachsicht rechnen
will, darf vor ihm die Vorsicht nicht zu weit
treiben. Sigmund Cvaff
DIE MITARBEITER DES HEFTES
soweit sie in den bisherigen Heften noch nicht er-
schienen sind: Wolfram Eisner, 10. 3. 1913, Dresden;
Gerhard Lüdtke, 20. 5. 1910, Hamburg; Rolf Hansler,
17. 6. 1900, Stuttgart; A. v. d. Borch, Daten folgen.
„DER SIMPL" erscheint im Monat zweimal
Bezugspreis im Vierteljahr DM 3.— zuzügl. 25 Pfg. Zustellgebühr.
Verlag „DER SIMPL" (Freitag-Verlag), München 23, Werneck-
straße 15a. Fernruf: 362072. Postscheckkonto: DER SIMPL, Mün-
dien Nr. 91999. — Herausgeber: Willi Ernst Freitag. — Red.
M. Schrimpf. — Sprechstunden: Dienstag und Donnerstag von
9 bis 12 Uhr. — Für unverlangt eingesandte Manuskripte und
Zeichnungen wird keine Gewähr übernommen. Freiumschlag ist
beizulegen. — Anzeigen nach Preisliste 1 vom 1. 9. 1948. An-
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Wirtschaftswerbung m.b.H., München 1, Roman-Mayr-Haus (Kau-
fingerstr. 1/2). — Klischees: Brend'amour, Simhart & Co., Gra-
phische Kunstanstalt, München. — Druck: Süddeutscher Verlag
GmbH., München 2, Sendlinger Str. 80. — Auflage: 77 000. —
Copyright by Freitag-Verlag 1946. — Published under Military-
Government Information Control License No US-E-148.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Die neue Hortungswelle"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
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Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
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Der Simpl, 3.1948, Nr. 22, S. 258.
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Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg