Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik (3.1948)

SEELEN-ANARCHISTEN

Sie werfen keine Handgranaten, bringen keine
Höllenmaschinen an, sprengen sich nicht selber
samt dem Wagen eines verhaßten Gegners in die
Luft — nein, sie treiben hübsche kleine Seelen-
Anarchie, Nihilisten des Alltags, erkennbar höch-
stens am gehässig abschätzenden Blick für andere.
Der große junge Mann mit der geschwungenen
Nase, den spöttischen Augen, den leicht aufgewor-
fenen Lippen beispielsweise ist einar. Er quetscht
sich mühsam duich die Tür der Straßenbahn und
denkt erbittert: Es sind noch zu viel Menschen da.
Da helfen nur Atombomben! Schau sich doch einer
die Visagen an — alles dritte Qualität. Dieses
Fiauenzimmer da, Brille und fünf Haare, und die
wie Schnittlauch herabhängend — und las Ganze
liest den „Kampf der Geschlechter". Der wär' bei
uns zwei gleich ausgekämpft, meine Liebe! Oder
da drüben, der Herr vom Büro — nie im Leben
eine eigene Idee, aber glaubend, um ihn drehe sich
die Welt, die Welt von acht bis zwölf und zwei
bis sechs. Na, and die Vollfamilie da — sowas
kriegt Lebensmittelkarten, der Malzkaffee kann
einem hochkommen! Oder wozu solche Jüngelchen,
wie der am Fenster dort, bloß auf der Welt sind?
Nehmen wohl Ruinenparade ab, junger Mann, wie?
Und der alte Ziegenbock — man hört ihn förmlich
Banalitäten meckern — zu viele, zu viele sage ich,
die Menschheit brüllt nach Atombomben, sie ver-
mehrt sich wider alle Vernunft und Qualität, wird
immer dreister, immer dümmer, dank der verfluch-
ten Hygiene, die keine Auslese mehr gestattet —
um wen in dieser Tram wäre es schad? Um keine
zwei, wahrhaftig

Der junge Herr rottet solcherart öfters größere
Menschenmengen aus, besonders wenn ihr Vor-
handensein ihn gerade daran hindert, einen Sitz-
platz zu kriegen, ohne zu warten ins ärztliche
Sprechzimmer zu kommen, beim Wohnungsamt so-
fort die erwünschten drei Zimmer zu erhalten Er
selbst pflegt bei seinen Atomunternehmungen
selbstverständlich übrigzubleiben und selbstver-
ständlich unbeschädigt.

Aber keine Sorgen. Andere Seelenanarchisten ha-
ben dem längst einen Riegel vorgeschoben, und da
immer der eine den anderen umschichtig zum Teu-

fel wünscht, ist der junge Herr von anderer Seite
her längst zur Vernichtung vorgemerkt. Auch hier
in der Straßenbahn wird er seitens einiger auf-
merksamer Mitfahrer selbstverständlich mit aus-
gerottet Wodurch wiederum ein anderer zum
Uebrigbleiben vorgesehen werden konnte, Vim

Es käme auf einen Versuch an!

Endlich gibt es einen Ausweg, wenn nicht den
Krieg, so doch den Atombombenkrieg absolut
sicher zu vermeiden, ein ganz einfacher Ausweg,
so einfach, daß man von einem Atom-Ei des
Kolumbus, -von einem gordischen Atomknoten
sprechen könnte: jeden, der mit Atombomben
umzugehen hat, unverzüglich sofort umgehend auf
der Stelle in ein Kloster zu stecken und zum
Missionar auszubilden. Beruhigen Sie sich, das ist
gar nicht so frivol und kirchenfeindlich, wie Sie
auf den ersten Blick meinen. Sehen Sie: Einer der
amerikanischen Flieger, die die Atombombe über
Hiroshima abwarfen, trat nach der Kapitulation
Japans in ein Kloster ein. Gegenwärtig befindet
er sich auf dem Wege nach Japan, aber diesmal
als Missionar. Er ist ins Kloster gegangen, nach-
d e m er das Unglück angerichtet hatte. Liegt es
nicht näher, ins Kloster zu gehen, bevor das
Unglück geschieht? Also. Man schlägt sogar zwei
Fliegen mit einer Klappe: Die Ruhe der Welt
wird nicht übermäßig gestört und auch nicht die
Seelenruhe derer, die gezwungen werden sollen.
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