DIE GENOSSEN HAMLET UND FAUST
Shakespeare war ein talentierter Bursche, doch es
mangelte ihm an Voraussicht. In totaler Ver-
kennung der zukünftigen osteuropäischen Situation
verlieh er dem dänischen Prinzen Charakterzüge,
die kein fortschrittlich gesinnter Mensch akzep-
tieren kann. Besonders im Film und auf der Bühne
kann dieser „von des Gedankens Blässe angekrän-
kelte" Feudalherr keinen volksdemokratischen Zu-
schauer befriedigen, denn hinter dem Vorhang
gibt es nur ungebrochene, kraftvolle Naturen. Aus
diesem Grunde wurden Hamlets berühmte Worte:
„Die Zeit ist aus den Fugen; Schmach und Gram,
daß ich zur Welt, sie einzurichten kam!" in einer
Leningrader Aufführung in der Weise verändert,
daß der Held mit geballter Faust und erhobenem
Schwert deklamieren mußte: „Die Zeit ist aus den
Fugen; sie wieder einzurichten kam ich auf die
Welt!" Die russische Kritik motivierte diese Sinn-
entstellung mit dem Hinweis: Hamlets Zweifel
und Hemmungen, seine Passivität und Schlaffheit,
seine Illusionslosigkeit und sein Pessimismus, sind
der sowjetischen Auffassung völlig fremd. Shake-
speare ist überholt: im Gegensatz zum Prinzen
Hamlet ist sich der Genosse Hamlet sehr wohl
seiner volksbeglückenden Mission im Rahmen des
Wiederaufbauprogrammes bewußt.
Aehnlich liegt der Fall bei des Junkers von Goethe
plutokratischem „Faust". Dieser von Zweifeln ge-
schüttelte, äußerst gehemmte und pessimistische
Herr, der auf westlichen Bühnen immer noch eine
gewisse Popularität genießt, widerspricht in seiner
Gesamthaltung der sowjetischen Auffassung. Es
erscheint daher dringend geboten, eine Neuausgabe
des reaktionären Werkes auf fortschrittlich-volks-
demokratischer Basis vorzunehmen. Denn der
Genosse Faust muß sich radikal von seinem Vor-
gänger, der sich nicht scheute, Mädchen aus dem
Volk zu verführen, unterscheiden.
Bereits der erste Vers der „Zueignung" weist
Merkmale der Schlaffheit auf, denn „schwankende
Gestalten" gibt es nur in der zum Untergang be-
stimmten bürgerlich-kapitalistischen Welt, und
auch die Zeile „wie ihr aus Dunst und Nebel um
WUNSCHZETTEL
Ich wünsche mir vom Weihnachtsmann
in diesem Jahr 'ne Eisenbahn!
Die überall im deutschen Land,
(vom Rheine bis zum Oderstrand)
wie sie es früher hat getan,
Zwei Gleise hat — und einen Plan.
Mit der du ohne Paß und Angst
von München nach Berlin gelangst;
die wieder mal „Personen" fährt
und nicht mit Menschen-Fracht verkehrt.
Die keinen Deutschen deportiert,
an Zonengrenzen nicht rangiert,
die man nicht mehr mit Abfall reizt,
jedoch mit guter Kohle heizt,
die wir uns selber fördern nur
aus eig'nen Zechen an der Ruhr.
Mit Güterwagen, im plombiert,
wo nicht Fabriken „exportiert",
mit einem Postwaggon, der blinkt,
und unzensierte Briefe bringt.
Mit Personal, das gut entlohnt,
und Polstern, wie wir's mal gewohnt;
mit einem Speisewagen dran,
wo man zu speisen wagen kann.
'ne Bahn, die — wie es einst geplant —
uns wirklich einen Fortschritt bahnt,
die — wie man es von früher kennt —
verbindet unsern Kontinent!
So wünsch ich mir als reifer Mann
noch einmal eine Eisenbahn ...
(Doch leider ist's noch nicht so weit.
Sie liegt nicht recht „im Zug der Zeit").
11. llartwia
Schott rutscht er auf dem Ast daher,
der Vogel, der mißtraut ihm sehr.
mich steigt" ist ein typischer Verschleierungsver-
such, der von der dialektischen Methode scharf
abgelehnt wird. Es muß daher heißen: „Ihr naht
euch wieder, aufrechte Genossen, die früh sich
einst schon Engels Blick gezeigt. Und sind seitdem
Jahrzehnte auch verflossen, so seid ihr immer noch
dem Wahn geneigt. Ihr drängt euch vor! Für euch
gibt es kein Halten, wie ihr aus den Kolchosen
aufwärts steigt; mein Trommelfell fühlt sich
enorm erschüttert, vom Siegesruf, der euren Marsch
umwittert."
Der selbstmörderische Zweifel des Herrn Faust
wird besonders deutlich bei dem bekannten Aus-
spruch: „Da steh' ich nun, ich armer Tor! Und
bin so klug als wie zuvor." Dieser Satz steht in
diametralem Gegensatz zu der Lehre von der pro-
gressiven Fortentwicklung des Sowjetmenschen.
Genosse Faust muß daher mit optimistischer Ge-
bärde und zunehmender Lautstärke verkünden:
„Habe nun, ach! Marxismus, sowie die Lehre von
Lenin, und natürlich auch Materialismus! Durch-
aus studiert, mit heißem Bemühn. Da steh' ich nun
und brüll im Chor, wir sind viel klüger als zuvor."
Hemmungen und zwiespältiges Empfinden, die
mit der Klarheit des neuen Menschentyps unver-
einbar sind, liegen Fausts Worten an seinen Schü-
ler Wagner zu Grunde: „Du bist dir nur des einen
Triebs bewußt, oh, lerne nie die andern kennen!
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die
eine will sich von der andern trennen." In der
neuen Fassung hat der Genosse Faust mit sach-
licher, keinen Widerspruch duldender Bestimmt-
heit zu bemerken: „Du bist dir nur des Massen-
triebs bewußt und lernst die andern gar nicht
kennen! Nur eine Seele wohnt in meiner Brust,
die läßt sich nicht durch Marshallpläne hemmen."
Als Höhepunkt der Dekadenz kann aber zweifel-
los die Antwort Mephistos auf Fausts Frage:
„Nun, gut, wer bist du denn?" bezeichnet werden.
Denn diese Entgegnung: „Ich bin der Geist, der
stets verneint! Und das mit Recht; denn alles was
entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht", zeugt
mit aller Deutlichkeit von einer nihilistischen Ein-
stellung, wie sie nur bei Saboteuren anzutreffen
ist. Deshalb muß Mephisto mit gläubigem Augen-
aufschlag und sieghafter Stimme bekennen: „Ich
bin der Geist, der stets bejaht! Und das mit Recht;
denn alles was entsteht, ist wert, daß es nach
Moskau geht." Pius Pätt
Shakespeare war ein talentierter Bursche, doch es
mangelte ihm an Voraussicht. In totaler Ver-
kennung der zukünftigen osteuropäischen Situation
verlieh er dem dänischen Prinzen Charakterzüge,
die kein fortschrittlich gesinnter Mensch akzep-
tieren kann. Besonders im Film und auf der Bühne
kann dieser „von des Gedankens Blässe angekrän-
kelte" Feudalherr keinen volksdemokratischen Zu-
schauer befriedigen, denn hinter dem Vorhang
gibt es nur ungebrochene, kraftvolle Naturen. Aus
diesem Grunde wurden Hamlets berühmte Worte:
„Die Zeit ist aus den Fugen; Schmach und Gram,
daß ich zur Welt, sie einzurichten kam!" in einer
Leningrader Aufführung in der Weise verändert,
daß der Held mit geballter Faust und erhobenem
Schwert deklamieren mußte: „Die Zeit ist aus den
Fugen; sie wieder einzurichten kam ich auf die
Welt!" Die russische Kritik motivierte diese Sinn-
entstellung mit dem Hinweis: Hamlets Zweifel
und Hemmungen, seine Passivität und Schlaffheit,
seine Illusionslosigkeit und sein Pessimismus, sind
der sowjetischen Auffassung völlig fremd. Shake-
speare ist überholt: im Gegensatz zum Prinzen
Hamlet ist sich der Genosse Hamlet sehr wohl
seiner volksbeglückenden Mission im Rahmen des
Wiederaufbauprogrammes bewußt.
Aehnlich liegt der Fall bei des Junkers von Goethe
plutokratischem „Faust". Dieser von Zweifeln ge-
schüttelte, äußerst gehemmte und pessimistische
Herr, der auf westlichen Bühnen immer noch eine
gewisse Popularität genießt, widerspricht in seiner
Gesamthaltung der sowjetischen Auffassung. Es
erscheint daher dringend geboten, eine Neuausgabe
des reaktionären Werkes auf fortschrittlich-volks-
demokratischer Basis vorzunehmen. Denn der
Genosse Faust muß sich radikal von seinem Vor-
gänger, der sich nicht scheute, Mädchen aus dem
Volk zu verführen, unterscheiden.
Bereits der erste Vers der „Zueignung" weist
Merkmale der Schlaffheit auf, denn „schwankende
Gestalten" gibt es nur in der zum Untergang be-
stimmten bürgerlich-kapitalistischen Welt, und
auch die Zeile „wie ihr aus Dunst und Nebel um
WUNSCHZETTEL
Ich wünsche mir vom Weihnachtsmann
in diesem Jahr 'ne Eisenbahn!
Die überall im deutschen Land,
(vom Rheine bis zum Oderstrand)
wie sie es früher hat getan,
Zwei Gleise hat — und einen Plan.
Mit der du ohne Paß und Angst
von München nach Berlin gelangst;
die wieder mal „Personen" fährt
und nicht mit Menschen-Fracht verkehrt.
Die keinen Deutschen deportiert,
an Zonengrenzen nicht rangiert,
die man nicht mehr mit Abfall reizt,
jedoch mit guter Kohle heizt,
die wir uns selber fördern nur
aus eig'nen Zechen an der Ruhr.
Mit Güterwagen, im plombiert,
wo nicht Fabriken „exportiert",
mit einem Postwaggon, der blinkt,
und unzensierte Briefe bringt.
Mit Personal, das gut entlohnt,
und Polstern, wie wir's mal gewohnt;
mit einem Speisewagen dran,
wo man zu speisen wagen kann.
'ne Bahn, die — wie es einst geplant —
uns wirklich einen Fortschritt bahnt,
die — wie man es von früher kennt —
verbindet unsern Kontinent!
So wünsch ich mir als reifer Mann
noch einmal eine Eisenbahn ...
(Doch leider ist's noch nicht so weit.
Sie liegt nicht recht „im Zug der Zeit").
11. llartwia
Schott rutscht er auf dem Ast daher,
der Vogel, der mißtraut ihm sehr.
mich steigt" ist ein typischer Verschleierungsver-
such, der von der dialektischen Methode scharf
abgelehnt wird. Es muß daher heißen: „Ihr naht
euch wieder, aufrechte Genossen, die früh sich
einst schon Engels Blick gezeigt. Und sind seitdem
Jahrzehnte auch verflossen, so seid ihr immer noch
dem Wahn geneigt. Ihr drängt euch vor! Für euch
gibt es kein Halten, wie ihr aus den Kolchosen
aufwärts steigt; mein Trommelfell fühlt sich
enorm erschüttert, vom Siegesruf, der euren Marsch
umwittert."
Der selbstmörderische Zweifel des Herrn Faust
wird besonders deutlich bei dem bekannten Aus-
spruch: „Da steh' ich nun, ich armer Tor! Und
bin so klug als wie zuvor." Dieser Satz steht in
diametralem Gegensatz zu der Lehre von der pro-
gressiven Fortentwicklung des Sowjetmenschen.
Genosse Faust muß daher mit optimistischer Ge-
bärde und zunehmender Lautstärke verkünden:
„Habe nun, ach! Marxismus, sowie die Lehre von
Lenin, und natürlich auch Materialismus! Durch-
aus studiert, mit heißem Bemühn. Da steh' ich nun
und brüll im Chor, wir sind viel klüger als zuvor."
Hemmungen und zwiespältiges Empfinden, die
mit der Klarheit des neuen Menschentyps unver-
einbar sind, liegen Fausts Worten an seinen Schü-
ler Wagner zu Grunde: „Du bist dir nur des einen
Triebs bewußt, oh, lerne nie die andern kennen!
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die
eine will sich von der andern trennen." In der
neuen Fassung hat der Genosse Faust mit sach-
licher, keinen Widerspruch duldender Bestimmt-
heit zu bemerken: „Du bist dir nur des Massen-
triebs bewußt und lernst die andern gar nicht
kennen! Nur eine Seele wohnt in meiner Brust,
die läßt sich nicht durch Marshallpläne hemmen."
Als Höhepunkt der Dekadenz kann aber zweifel-
los die Antwort Mephistos auf Fausts Frage:
„Nun, gut, wer bist du denn?" bezeichnet werden.
Denn diese Entgegnung: „Ich bin der Geist, der
stets verneint! Und das mit Recht; denn alles was
entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht", zeugt
mit aller Deutlichkeit von einer nihilistischen Ein-
stellung, wie sie nur bei Saboteuren anzutreffen
ist. Deshalb muß Mephisto mit gläubigem Augen-
aufschlag und sieghafter Stimme bekennen: „Ich
bin der Geist, der stets bejaht! Und das mit Recht;
denn alles was entsteht, ist wert, daß es nach
Moskau geht." Pius Pätt
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Die Unentschlossene"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 24, S. 283.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg