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W. Schäfer

BaUHa^nnckel: DIE KEUSCHE JUNGFER

Ein Film, frei nach dem Kodex des Prinzen von Löwenstein.

VORSPRUCH (wird von Hans Moser in akzentuiertem Hochdeutsch langsam
und deutlich gesprochen):

Die Zeit der unsittlichen Filme ist endgültig vorüber. Die Blauen Engel mit
und ohne Saitenspiel sind in höhere Regionen abgeschwirrt; Christina Söder-
baum ist nach mehrfach gescheiterten Versuchen endgültig in die Gewässer
der goldenen Stadt gestiegen; und auch sonst droht niemand mehr erotische
Anfechtung durch den Film Dies alles ist dem im Auftrag der „Legion of
Decency" verfaßten Filmsittenkodex des Prinzen Hubertus von Löwenstein
zu verdanken, der besagt:

„Sittlichkeitsfragen: Liebesszenen sind zu vermeiden, es sä denn, daß sie
wesentlich zur Handlung gehören. Verführung und Vergewaltigung sind kein
passender Gegenstand für ein Lustspiel."
„Tanz: aufreizende Tänze sind verboten."

„Bekleidung: die vollkommene Nacktheit ist niemals erlaubt, auch nicht im
Umriß oder Schattenbild."

Auf Grund dieser Anregungen entstand, unter der Regie des berühmten
Spunt Spuntson, der erste deutsche Kodex-Film „Die keusche Jungfer".

1. AKT

Hannelore sitzt auf einer Bank im Park. Tiefverschleiert. Ihr Kleid reicht 10 cm über
den Erdboden. Sie sitzt steif und unbeweglich. Die Kamera fängt das liebliche Bild
von allen Seiten ein. Auf dem Kiesweg kommt Frank angeschlendert, erblickt die
Verschleierte, stutzt und lüftet sein Hütchen.

FRANK: Das Fräulein Hannelore, wenn ich nicht irre? Gestatten Sie wohl?
(Nimmt neben ihr Platz.)

HANNELORE (abweisend, aber unsicher): Der Herr Frank, der Leichtfuß. Das
ist aber nicht schicklich. (Wendet sich halb ab.)

FRANK (leise zu sich): Oh, wie ich diesen Augenblick herbeigesehnt habe.
Und jetzt? So bange? Der Engel, hier auf der Bank. Und ich? Mein Herz . . .,
was soll ich tun?
HANNELORE: Sagten Sie was?

FRANK (stammelt): Ich? Wie . i . . i . so? Ach so. Natürlich. Nein. Aber
wa . . a . . arum entfernen Sie nicht den Schleier? Ihr lieblicher Mund, die
große, oh, ich meine, die süße Nase, verborgen. Warum?
HANNELORE: Weil ich eine keusche Jungfer sein muß.
FRANK: Gewiß. Bestimmt. Aber warum?

HANNELORE: Mein Herr, Sie gehn zu weit. Fragen Sie den Regisseur.
REGISSEUR (taucht wie aus dem Erdboden gestampft auf): Wer ruft mir?
HANNELORE (erschreckt): Oh, Herr Spuntson. Stehen Sie mir bei. Man
attackiert mich, der Dreiste, wie abscheulich, das mir — der keuschesten
Jungfer.

REGISSEUR (grimmig): Sie sind Frank. Schweigen Sie. Ich weiß alles. Seit
Wochen steigen Sie dieser Jungfer nach. Kennen Sie nicht den Sittenkodex?
FRANK: Was faseln Sie da. Die Kleine gefällt mir und damit basta.
REGISSEUR: Ha.. Das war früher so. Als man noch erotisch sein durfte. Aber
jetzt junger Mann, wird weder geflirtet, noch verführt, noch vergewaltigt.
Jetzt . .

(In diesem Moment schlägt Hannelore ihren Schleier zurück und Frank sinkt betäubt
zu Boden, denn sie hat eine Hasenscharte und ihr Antlitz ist mit Sommersprossen
übersät.)

2. AKT

Hannelore und Frank sitzen in einer Bar. Sie hit ein hochgeschlossenes Abendkleid
und Stulpenhandschuhe an. Von Hasenscharte und Sommersprossen ist nichts mehr
zu sehen.

FRANK (gießt sich einen Appolinaris ein): Wollen wir tanzen? Ich liebe
diese Polonaise sehr.

HANNELORE: Aber gern. (Tanzen in einem Abstand von l'/s m. Frank will
näher ran, aber sie hält ihn sanft zurück.) Waren Sie sehr erschreckt über
die Scharte?

FRANK (schüttelt sich): Ich war halb tot. Es war abscheulich.
HANNELORE: Nichts als ein Trick von Spuntson, wegen der Jungfer. Es dauerte
zwei Stunden, bis ich die abscheulichen Sommersprossen abgewischt hatte.
FRANK: Wie entzückend Sie jetzt aussehn. Oh, ich möchte Ihnen soviel sagen.
HANNELORE (klappst ihn leicht auf die Hand): Aber, aber, vergessen Sie
nicht den Kodex.

FRANK: Ach was, bei mir gehört die Liebesszene eben wesentlich zur Hand-
lung. (Will sie rasch küssen, in diesem Moment taucht der Regisseur neben
ihnen auf.)

REGISSEUR: Also das ist die keusche Jungfer. Im fortgeschrittenen Stadium
der Verführung ertappt. Sagen Sie mal, sind Sie vielleicht wahnsinnig? Wozu
zahle ich Ihnen das zehnfache Honorar? Damit Sie sich jeder Gefühlsregung
enthalten. Verstanden? Reif bleiben und keusch werden, das ist die Parole.
Wir drehen einen Film nach dem prinzlichen Kodex.
(Ergreift beide und zerrt die Widerstrebenden aus der Bar.)

3. AKT

Hannelore sitzt wieder tiefverschleiert auf der gleichen Bank. Frank kommt genau
wie im ersten Akt langsam angeschlendert, erblickt sie und will rasch vorübergehen.
Sie stößt einen spitzen Schrei aus und Frank tritt auf sie zu.

HANNELORE: Unseliger Geliebter. Es ist alles entdeckt und aus. Ich werde
Gift nehmen, oder aus dem Fenster springen oder baden gehn oder . . . (bricht
in hemmungsloses Schluchzen aus.)

FRANK: Es ist deine Schuld. Warum hast du auch diese Hasenscharte ent-
fernt . . sonst wäre es nie passiert. Soll ich mich erdolchen oder in ein
Kloster gehn? (In diesem Augenblick taucht der Regisseur auf, sehr vergnügt.)
REGISSEUR: So gefallen Sie mir. Das entspricht dem Kodex. Verzicht und
Reue. Echt jüngferlich. Das will das Publikum sehn. Wie wär's mit einem
Volkslied zum Abschied, Herr Frank?

FRANK (erregt zu sich): Das kann ich nicht mit anseh'n. Mein Blut kocht.
Das ist zuviel. Dieser Rohling. (Laut ) Herr Spuntson, der Teufel soll Sie holen.
Hier haben Sie den Kontrakt. (Zieht ein Dokument aus der Tasche und zer-
reißt es.) So.

REGISSEUR: Aber erlauben Sie, das Publikum, der Kodex! Sie vergessen,
wir filmen doch die „keusche Jungfer".

FRANK: Ach was, Kodex, was keusche Jungfer, ich will meine Hannelore
haben. Ich kündige Ihnen, Herr Spuntson.

HANNELORE (jubelnd unter Tränen, reißt sich den Schleier und das enge
Kleid ab. Steht im reizenden Tüll-Neglige da): So, da haben Sie Ihre
keusche Jungfer. (Dreht sich, seitwärts.) Wie gefällt Ihnen mein Schattenbild?
REGISSEUR (hält sich die Hände vor die Augen, stöhnt): Oh. Tüll. Tüll auf
Nichts. Fort mit dem Tüll. Ich bin ruiniert, mein Ruf, der schöne Film, ach,
ach, oh.

FRANK (schließt Hannelore in die Arme): Und jetzt treten wir in die „Legion
of Decency" ein. ENDE.

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die keusche Jungfer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Schäfer, Wolfgang
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 24, S. 291.

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CC0 1.0 Public Domain Dedication
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