F. Lichtwitz: AM STADTRAND
WER MACHT WEHRMACHT?
Mr. Murphy erklärte, daß die von Dr. Eugen Kogon publizierten
Gerüchte über eine Remilitarisierung „übertrieben" seien . . .
Irgendwer macht heut in Wehrmacht,
denn sich wehren, das ist Pflicht!
Ist's der Osten? — Ist's der Westen?
Was Genaues weiß man nicht.
Sei dem, wie dem (Schießbaum)wolle,
irgendwie klingt's nach Hurrah.
Jemand braucht Kanonenfutter.
(Wozu sind die Deutschen da?)
Laßt uns wachsam sein im Lande,
denn man weiß ja, wie das geht;
weil aus dieser „Pflicht zum Wehren"
eine Wehrpflicht meist entsteht!
Aus Salut wird Trommelfeuer,
aus Appellen: Massenmord,
aus Paraden: Reihengräber
undsoweiter, undsofort...
Laßt uns Zivilisten bleiben
und Herrn Kogon recht versteh'n:
Lieber etwas übertreiben,
als nichts hören und nichts seh'n!
Lieber schon beizeiten warnen;
hinterher ist es zu spät.
Laßt euch nicht erneut umgarnen
und erkennt, um was es geht!
H. Hartwig
An Schönheitsköniginnen ist kein Mangel. Es gibt
sie wie Sand am Meer, mehr als schöne Mädchen.
Sie werden gewählt, bekommen eine Schleife als
Miß Soundso des Jahres Soundsoviel quer umge-
bunden, werden photographiert, lächeln über
einige Stockzähne hinweg und warten auf das
Engagement nach Hollywood oder wenigstens
nach Geiselgasteig zu einem neuen „Zeitfilm" von
Braun und Geis. Dabei verbleiben und verschwin-
den sie. Manchmal wird ihre Wahl verboten aus
religiösen, ethischen, sittlichen oder finanziellen
Gründen. Ich habe nichts gegen Schönheitskönigin-
nen. Sie sind nicht immer schön, nicht immer
königlich, aber wenn es ihnen Vergnügen macht,
im Badeanzug oder im Schleppenkleid vor Zu-
schauern, die halb gelangweilt sauren Wein in
sich hineingurgeln, über einen Laufsteig zu wan-
deln, Brust heraus und Bauch hineinzudrücken,
so kann ich keinen so ungeheuren moralischen
Verderb auf diese Vorstellung hin drohend heran-
nahen sehen. Denn die meisten Bewerberinnen
haben keineswegs so viel hinreißend düsteren
MISS FREMDENVERKEHR 1949
Sex Appeal oder rauschende Vamphaftigkeit, daß
es ihnen gelänge, die Zuschauer bis in ihre in-
timsten Träume zu verfolgen. Meinetwegen also
wählet und las.c°t euch wählen.
Warum jedoch wird bei solchen Gelegenheiten die
Geburt einer Venus gekoppelt mit der Geburt
wahrer Sprachungeheuer, wie sie nur dem Wellen-
schaum hemmungsloser Reklamefreude zu ent-
steigen vermögen? So ist beispielsweise zur Be-
lebung des Fremdenverkehrs nach Bayern und
zur Füllung der devisenbringenden Jeia-Hotels
die Einsetzung einer „Miß Fremdenverkehr 1949"
vorgesehen. Wer könnte noch etwas einwenden,
wenn daraufhin die Baufirmen eine „Miß Treppen-
geländer", die Pferdehändler ein „Fräulein Roß-
bolln", die Scherenschleifer eine „Miß Wetzstein"
zu Werbungszwecken herumschickten, wenn der
Tierpark durch „Miß Kamelschaf" einladen und
der Botanische Garten "durch „Miß Kaktus" ver-
treten sein würde? Warum sollen die Geschäfts-
leute nicht nach „Miß Mangelware", die Ver-
fassungsgeber nach „Miß Zentralföderation" und
die Industrie nach „Miß Aufbaudemontage" rufen?
Liegt bei dieser „Miß Fremdenverkehr" das
Hauptgewicht auf dem (ode* den) Fremden oder
auf dem Verkehr? Wird sie einem amtlichen
Reisebüro angegliedert, ist ihre Benutzung im
Fahrpreis inbegriffen oder wird sie den Fremden
nur flüchtig gezeigt, sozusagen zum Anwärmen?
Nein, nein, sie soll ja von den Fremden selber
erst gewählt, von den erhofften 700 000 Fremden
im Vorbeifahren aus der Masse der Schönen aus-
gesucht werden und ihnen eine bleibende Erinne-
rung an ihren Bavaria-Trip schenken. Möge die
Erinnerung bleibend sein und die Miß das einzige,
was von diesen Bayernreisenden Bleibendes im
Lande zurückgelassen wird. Dann mag sie im
hohen Alter noch den staunenden Enkeln er-
zählen: sie sei das Fräulein Fremdenverkehr 1949
gewesen, ein ganzes Jahr, dann habe sie sich aus
dem Verkehr gezogen und den Opa geheiratet. Vim
WER MACHT WEHRMACHT?
Mr. Murphy erklärte, daß die von Dr. Eugen Kogon publizierten
Gerüchte über eine Remilitarisierung „übertrieben" seien . . .
Irgendwer macht heut in Wehrmacht,
denn sich wehren, das ist Pflicht!
Ist's der Osten? — Ist's der Westen?
Was Genaues weiß man nicht.
Sei dem, wie dem (Schießbaum)wolle,
irgendwie klingt's nach Hurrah.
Jemand braucht Kanonenfutter.
(Wozu sind die Deutschen da?)
Laßt uns wachsam sein im Lande,
denn man weiß ja, wie das geht;
weil aus dieser „Pflicht zum Wehren"
eine Wehrpflicht meist entsteht!
Aus Salut wird Trommelfeuer,
aus Appellen: Massenmord,
aus Paraden: Reihengräber
undsoweiter, undsofort...
Laßt uns Zivilisten bleiben
und Herrn Kogon recht versteh'n:
Lieber etwas übertreiben,
als nichts hören und nichts seh'n!
Lieber schon beizeiten warnen;
hinterher ist es zu spät.
Laßt euch nicht erneut umgarnen
und erkennt, um was es geht!
H. Hartwig
An Schönheitsköniginnen ist kein Mangel. Es gibt
sie wie Sand am Meer, mehr als schöne Mädchen.
Sie werden gewählt, bekommen eine Schleife als
Miß Soundso des Jahres Soundsoviel quer umge-
bunden, werden photographiert, lächeln über
einige Stockzähne hinweg und warten auf das
Engagement nach Hollywood oder wenigstens
nach Geiselgasteig zu einem neuen „Zeitfilm" von
Braun und Geis. Dabei verbleiben und verschwin-
den sie. Manchmal wird ihre Wahl verboten aus
religiösen, ethischen, sittlichen oder finanziellen
Gründen. Ich habe nichts gegen Schönheitskönigin-
nen. Sie sind nicht immer schön, nicht immer
königlich, aber wenn es ihnen Vergnügen macht,
im Badeanzug oder im Schleppenkleid vor Zu-
schauern, die halb gelangweilt sauren Wein in
sich hineingurgeln, über einen Laufsteig zu wan-
deln, Brust heraus und Bauch hineinzudrücken,
so kann ich keinen so ungeheuren moralischen
Verderb auf diese Vorstellung hin drohend heran-
nahen sehen. Denn die meisten Bewerberinnen
haben keineswegs so viel hinreißend düsteren
MISS FREMDENVERKEHR 1949
Sex Appeal oder rauschende Vamphaftigkeit, daß
es ihnen gelänge, die Zuschauer bis in ihre in-
timsten Träume zu verfolgen. Meinetwegen also
wählet und las.c°t euch wählen.
Warum jedoch wird bei solchen Gelegenheiten die
Geburt einer Venus gekoppelt mit der Geburt
wahrer Sprachungeheuer, wie sie nur dem Wellen-
schaum hemmungsloser Reklamefreude zu ent-
steigen vermögen? So ist beispielsweise zur Be-
lebung des Fremdenverkehrs nach Bayern und
zur Füllung der devisenbringenden Jeia-Hotels
die Einsetzung einer „Miß Fremdenverkehr 1949"
vorgesehen. Wer könnte noch etwas einwenden,
wenn daraufhin die Baufirmen eine „Miß Treppen-
geländer", die Pferdehändler ein „Fräulein Roß-
bolln", die Scherenschleifer eine „Miß Wetzstein"
zu Werbungszwecken herumschickten, wenn der
Tierpark durch „Miß Kamelschaf" einladen und
der Botanische Garten "durch „Miß Kaktus" ver-
treten sein würde? Warum sollen die Geschäfts-
leute nicht nach „Miß Mangelware", die Ver-
fassungsgeber nach „Miß Zentralföderation" und
die Industrie nach „Miß Aufbaudemontage" rufen?
Liegt bei dieser „Miß Fremdenverkehr" das
Hauptgewicht auf dem (ode* den) Fremden oder
auf dem Verkehr? Wird sie einem amtlichen
Reisebüro angegliedert, ist ihre Benutzung im
Fahrpreis inbegriffen oder wird sie den Fremden
nur flüchtig gezeigt, sozusagen zum Anwärmen?
Nein, nein, sie soll ja von den Fremden selber
erst gewählt, von den erhofften 700 000 Fremden
im Vorbeifahren aus der Masse der Schönen aus-
gesucht werden und ihnen eine bleibende Erinne-
rung an ihren Bavaria-Trip schenken. Möge die
Erinnerung bleibend sein und die Miß das einzige,
was von diesen Bayernreisenden Bleibendes im
Lande zurückgelassen wird. Dann mag sie im
hohen Alter noch den staunenden Enkeln er-
zählen: sie sei das Fräulein Fremdenverkehr 1949
gewesen, ein ganzes Jahr, dann habe sie sich aus
dem Verkehr gezogen und den Opa geheiratet. Vim
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Am Stadtrand"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 4.1949, Nr. 1, S. 2.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg