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DER GERADE WEG

AUS: BEKENNTNISSE EINER DEMOKRATISCHEN SEELE

Sichart: Sitzen geblieben

WANDSPRÜCHE

Von Hermann Reiher

Ein Freund von mir, sonst brav und gut,
ist schwer erkrankt an Sammelwut
und stemmt sich störrisch gegen jeden
Versuch, sein Tun ihm auszureden.

Er sucht nicht Marken, Münzen, Sterne,
nicht Bandkeramik, Totenbeine,
von Ichthyosauriern nicht die Gräten
noch ähnliche Antiquitäten.

Sein Sammeln vielmehr ist geweiht
den Geistern der Vergangenheit;
er liebt es, sein Gehirn zu baden
in ihren Worten und Zitaten.

Jeglicher Spruch, auf den er trifft,
wird gleich in Schreibmaschinenschrift
(samt Autor und wann er gelebt)
hübsch sauber an die Wand geklebt.

Da hängen friedlich beieinander
Spinoza und Anaximander,
Lao-tse, Shakespeare, Hölderlin,
Rousseau und Thomas von Aquin,

Melanchthon, Sophokles, Voltaire,
Giordano, Bruno und Homer,
Cervantes, Knigge, Heraklit,
Mark Twain und ein gewisser Schmidt,

Kant, Buddha, Puschkin, Schleiermacher,
Karl Marx und seine Widersacher,
Walt Whitman, Dostojewskij, Hegel,
Lord Byron und Familie Schlegel,

Ortega, Lichtenberg und Swift,

die Edda und die Hl. Schrift,

selbst Kierkegaard und Nietzsche wissen

sich zu vertragen, weil sie müssen . . .

So sammelt er und fühlt sich wohl
in seinem Bildungsmonopol . . .
(Nur fürcht ich, ähnlich wirr und kraus
sieht es in seinem Kopfe aus . . .)

Wenn ich rückschauend mein Leben betrachte, er-
scheint es mir ein einziger Widerspruch. Es ist der
große Vorwurf, den ich dem SchicKsaL zu machen
habe: daß es mich als ausgesprochen machiavelli-
stische Natur in das Zeitalter der Demokratie hin-
eingeboren hat. Wäre ich nicht ejn überzeugter
Christ, was meine Gegner eh und je angezweifelt
haben, obgleich ich der von mir gegründeteil Union
ausdrücklich das Prädikat „christlich" gegeben
habe, dann möchte ich nach dem Glauben der
Seelenwanderung annehmen, daß in mir ein Fürst
der Renaissance oder ein Condotiere fröhliche Ur-
ständ erlebt hat. So blieb mir denn weiter keine
Wahl, als meine der eigenen Machtvollkommenheit
dienenden Gedanken und Handlungen demokra-
tisch zu verbrämen. Spätere Geschlechter, die weit-
blickender und scharfäugiger sind als das gegen-
wärtige, mögen mich als den Begründer der „ab-
solutistischen Demokratie" feiern. Nach außen war
ich stets ein guter Demokrat.

War schon mein Aeußeres in jenen Tagen dazu
angetan, einen biederen demokratischen Eindruck
zu erwecken, als Wohlbeleibtheit, Doppelkinn und
unverfänglich gemütliche Pfeife das Idol des Bür-
gers darstellen, so tat ein gutmütig spottender, aus
meinen Kindheitstagen in die Zeit meiner politi-
schen Tätigkeit überkommener, mein innerstes
Wesen freilich völlig yei kennender Spitzname im
Munde der gemeinen Masse ein übriges dazu.
Wenn ich jedoch die geistige Verwandtschaft all
derer, die auf mich hereingefallen sind, mit jenen
gehörnten Tieren in Rechnung setze, klingt mir die
Bezeichnung „Ochsensepp" noch heute fast schmei-
chelnd im Ohr. Vor allem aber fügte sich zu mir
trefflich eine Eigenschaft des Tieres, mit dem mich
mein Sinonym in unmittelbare Beziehung setzte:
meine Dickielligkeit hat sich immer als segens-
reich, besonders in Zeiten massierter Angriffe auf
mich als in jedem Fall die Wucht der gegnerischen
Schlagkraft lähmende Barriere erwiesen. Des wei-
teren bezeichnete ich mein Parteiorgan schlicht und
einfach als „Geraden Weg", geeignet, den Gut-
gläubigen Sand in die Augen zu streuen. Ein Blatt
dieses Titels war nämlich schon ehedem ein im
Kampf gegen die Nazis berühmtes demokratisches
Organ. Und ich war doch auch stets ein guter
Demokrat.

Canaris hieß der Mann, der, seines Zeichens
Admiral, mir kurzfristig Gelegenheit gab zur Ent-
faltung meiner Fähigkeiten, für die mich mein Be-
ruf als Rechtsanwalt prädestinierte. In seinem, des
„Himmlers der Wehrmacht" Gefolge stand ich in
der Zentrale der Abwehr während des Krieges,
hielt geheime Fäden in der Hand und brachte aus
Lust an der Macht, die mir gegeben, Verschwörer
zur Strecke. An die herrschende Staatsgewalt band
mich nichts; darum fiel es mir leicht, als ihr Stern
sich neigte, den Anschein zu erwecken, idi sei
gegen sie. Nur meines persönlichen Vorteils wegen
beteiligte ich mich an Friedensverhandlungen ille-
galer Kreise mit den Alliierten Denn dies brachte
mir, wie erwartet, die KZ-Haft und den unschätz-
baren Vorteil, in der Folgezeit allen Gegnern zum
Hohn den letzten unschlagbaren Trumpf ausspielen
zu können: „Was wollt ihr von mir? Ich stand
unter dem Galgen des Nazi-Regimes. Denn ich war
ein guter Demokrat."

*

Es gab einen Mann in meiner Partei, der war Er-
nährungsminister und von politischen Ambitionen,
die mir mißfielen. Auch war ich dazumal, als wir
den Frankfurter Wirtschaftsrat aushandelten, die
berühmte eine Hand, die die andere wäscht. Ich
wollte später deutscher Außenminister werden und
Adenauer sollte mir Steigbügelhalter sein. Darum
machte ich ihm einige Konzessionen. So wollte es
damals mein Prestige. Also stimmte ich zu, daß
ein Mann Adenauers, der sich Schlange-Schöningen
nannte, Direktor für Ernährung und Landwirtschaft
wurde Mein Mann aber, Baumgartner, ging ge-
kränkt zur Bayernpartei, und ich lachte mir ins
Fäustchen: denn hier war er unschädlich. Als aber
der zentralistische Kurs in meiner Heimat arg an-
gefochten und ich gezwungen wurde, mit den
Wölfen zu heulen, da trat ich wider Schlange-
Schöningen auf und forderte seinen Rücktritt. Ich
konnte das, denn ich hatte es zu diesem Zeitpunkt
zum stellvertretenden Ministerpräsidenten ge-
bracht, alle Türen standen mir offen Mein Prestige
aber war wieder gerettet. Die Meute des Politiker-
Proletariats aber hatte in Schlange ihr Opfer und
wurde dadurch vom Direktor für Wirtschaft, Er-
hardt, abgelenkt, der darob ziemlich ungestört die
von mir beabsichtigte Wirtschaftspolitik verfolgen

konnte. Armer Schlange! Ehre seinem Andenken!
Er war wie ich ein guter Demokrat.

Nur Parteiführer zu sein, befriedigte meinen Ehr-
geiz nicht. Ich wollte Ministerpiäsident werden.
Ein Teil meiner Parteigenossen aber — die Pest
noch nachtiäghch an ihren Bart — widersetzte sich
meinen Bestrebungen und wählte, vermehrt durch
die Stimmen der Fraktion eines fragwürdigen Sub-
jekts namens Loritz, dem dafür ein Ministerstuhl
unter den Hintern geschoben ward, Dr. Ehardt an
meiner Stelle. Beinahe drohte mich damals die Be-
herrschung zu verlassen und ich war nahe daran,
mein demokratisch Mäskchen fallen zu lassen. Ich
verließ mit meinen Anhängern den Sitzungssaal.
Zum Glück machte ich rechtzeitig wieder gute
Miene zum bösen Spiel. Ich begann erneut den
Marsch auf mein Ziel, und, beim Kuckuck, es ging
hochdemokratisch her. Bei der bestehenden Koa-
litionsregierung gab es immer Anlaß zu Verhand-
lungen der Parteiführer. Ich verhandelte die Koa-
lition zu Tode. Die Sozialisten schieden aus der
Regierung. Jener Loritz aber wurde geringfügiaer
Anschuldigungen amtsenthoben und damit in die
Opposition gezwungen. Nun war der Weg für
mich frei. Ehardt, vor der Aufgabe, aus der Partei
eine neue Regierung zu bilden, wäre zum Abtreten
reif gewesen, hätte er nicht mich als Justizminister
und Stellvertreter akzeptiert. Ich hatte es geschafft.
Und gut demokratisch.

Seit jenen Tagen der mißglückten Ministerpräsi-
dentenwahl war ich dem Loritz von Herzen gram.
Nun hatte aber mein Vorgänger als Justizminister
den Fehler begangen, ihn schwarzer Benzinkäufe
wegen einsperren zu lassen. Man ließ ihn eine
Weile im Gefängnis schmoren, bis er, schließlich
doch in ein Krankenhaus überführt, dem unerträg-
lichen Zustand durch Flucht ein Ende zu bereiten
gedachte Das war nun ganz in meinem Sinn: er
hatte sich ohne daß mir dabei irgend etwas übel
ausgelegt hätte werden können, selbst handlungs-
unfähig gemacht Zwar war ich mittlerweile selbst
Justizminister geworden und hätte von Rechts
wegen alles daransetzen müssen den F'üchtioen
ergreifen zu lassen. Ich aber gedachte ihn still-
schweigend in der Versenkung verschwinden zu
lassen und ohne Zweifel wäre mir dies bestens
geglückt, hätte nicht die Presse ungeschickterweise
dauernd gebohrt und die Geschichte immer wieder
aufgewärmt. So konnte ich nach Ablauf eines
Jahres nichts anderes tun, als diesen Loritz ur-
plötzlich doch auffinden und wieder verhaften zu
lassen und in einem ordentlichen sachlichen Prozeß
dem Zwischenspiel einen vorläufigen Abschluß zu
geben. Ganz nach der Art eines guten Demokraten.

Wäre noch ein Fall zu verzeichnen, daß einer ver-
suchte, an Herrschaft es mir gleichzutun. Er hatte
sich mit seinen Verfolgten einen Staat im Staate
aufgebaut und steckte seine Nase alsbald überall
hinein. Er hatte aber seine Rechnung ohne mich
gemacht Mir war es eins, ob Hirschfeld oder Auer-
bach. Er war Staatskommissar und mir im Weg.
Ich stellte deshalb im Ministerrat den Antrag,
nachdem es sich um Verfolgte handelte, die
Wiedergutmachung nicht zu trennen und sein Kom-
missariat der Landesstelle für Wiedergutmachung
anzuschließen. Ein Titelchen war bald gefunden,
das ihn trösten sollte. Als Generalanwalt aber
unterstand er dem Finanzministerium und was das
Wichtigste war, die Exekutive lag nun nicht mehr
in seinen sondern des Innenministeriums Hnnden.
Die bewährte langsame, mühsam den Dienstweg
humnelnde Ministerialhürokratie versetzte ihr un-
auffällig den gewünschten Todesstoß. Das war's
was ich gewollt. Und der Weg dazu war gut demo-
kratisch.

Ob es einen Staatssekretär amtszuentheben galt
oder die Delegierten meiner eigenen Partei um die
Löffel zu halbieren, da sie mich absetzen wollten:
mir war alles gleichviel. Gewalt und Intrige, oder
auf out demokratisch Renie und Taktik haben mir
allemal wieder auf die Beine und meiner Macht
zum Sieg verholfen, die ich so sehr geliebt. Zwar
trifft es zu, daß ich hin und wieder gerne einen
Walzer tanzte; malerisch hingegen war ich bis ins
hohe Alter so unbegabt, daß ich nie begreifen
konnte, weshalb gewisse Leute mich damals als
„bayerischen Churchill" bezeichneten. Doch weilte
ich zur fragwürdigen Zeit zu viel im Ausland, als
daß ich gegen jene Verleumder Beleidigungsklage
hätte erheben können. m-sch

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Sitzen geblieben"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Sichhart, Evi
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Creditline
Der Simpl, 4.1949, Nr. 4, S. 38.

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