Fr. Bilek: AUSEINANDERSETZUNG
ZUSAMMENSCHLUSS DES WELTBÜRGERTUMS
Endlich ist die in den Großstädten fast schon wie-
der vergessene Idee des Großraum-Bürgertums nun
auch in unsere: Ortschaft, dem am kleinen
Flüßchen Bredouille gelegenen Markt Plädling,
spruchreif geworden. Mehrere Einwohner gaben
den Auftakt, indem sie ihre Haushaltspässe mit
ziemlich rüden Worten dem Gemeindesekretär an
den Kopf warfen, sich nicht mehr an der Spenden-
sammlung für ein neues Geläut unserer Pfarrkirche
beteiligten und erklärten, sie verzichteten von
nun ab auf jede Betreuung durch deutsche Be-
hörden, Polizei und Finanzämter. Sofort gründete
der Brauereigehilfe Säueriem, bekannt als Mann
der Tat, einen Weltbürger-Tarock-Klub. Der Vor-
stand des Trachtenerhaltungsvereins gliederte
seinem Verband eine Abteilung „Weltbürgerdirndl
und Kosmosbuam" an, indeß der Rauch- und
Sterbeverein „Eigenbau und Eigengrab" Listen
auslegte, darin man sich für Weltgräber vormerken
lassen konnte, sofern man nicht die moderne
Atomzerstäubung vorzog.
Bei der ersten Versammlung künftiger Blädlinger
Weltbürger hielt der hiei ansässige Lehrer
Stäckerl, der erst vor drei Wochen zum Mitläufer
herabgestuft worden war, eine zündende Rede,
worin er dartat, daß der Weg vom Arier zum
Planet-arier kurz und gerade sei. Er betonte, daß
jeder Mensch ein Vaterland bräuchte, weshalb ge-
rade wir Deutschen aus unserer Enge heraus die
gegebenen Weltraumbürger und Planetenpatrioten
abgeben würden. Denn nicht Bürger auf dem bald
überfüllten Raum der Erdkugel sollten wir wer-
den, nein, es gelte den gesamten Kosmos zu er-
obern und so mit Erfolg an die totale Bebürgerung
des Weltenraums zu gehen.
Dort gebe es kein V/ohnungs- und kein Flüchtlings.-
problem. Der Lastenausgleich bliebe endgültig im
luftleeren Raum hängen und könnte schlimmsten-
falls nur noch weiterhin um sich selber kreisen,
das schöne deutsche Wort aber, einen Gegner
„durch Sonne, Mond und Sterne hauen", bekäme
erst wieder echtes Gewicht, Sinn und Geltung.
Um nicht lange im engen Raum hängen zu bleiben,
wurde anschließend eine Stratosphärenpartei ge-
gründet mit dem Ziel der Durchdringung des luft-
leeren Raums mit christlich-abendländischer Kul-
tur noch im Goethejahr 1949. Das prächtige Goethe-
plakat des Fremdenverkehrs sollte dazu ins Welt-
all geschleudert werden Weitere Mittel seien
nicht nötig. Die Kultur erhält sich bekanntlich
selbst und muß nur hier und da durch Verbote ge-
stützt werden.
LIEBER SIMPL
Ein Trupp Berliner Jungen kam vor Kurzem nach
der Jugendherberge Steinkirchen. Dort erscheint
bald ein englischer Offizier mit Dolmetscherin,
macht sich beliebt durch Verteilung von Schoko-
lade und unterhält sich dann mit den Jungen.
Einer erlaubt sich die Frage:
„Wie lange sollen wir denn eigentlich hier blei-
ben?"
Der englische Offizier läßt sagen: „Nun, bis die
Blockade beendet ist und ihr dort wieder unter
normalen Bedingungen leben könnt."
Darauf sagt ein kleiner etwa zwölfjähriger Knirps:
„Wat denn, wat denn, ick dacht, hier war ne
Jugendherberge und keen Altersheim!"
Bedauerlicherweise hielt sich wie immer die
Jugend der Großraumbürger-Großkundgebung fern,
abgelenkt durch ein Fußballspiel Blädling gegen
Unterblädling (Ergebnis 3:2). Zum Schlüsse der
Veranstaltung sang man gemeinsam „Ich bin ein
Weltler, will ein Weltler sein" und ging über zu
fröhlichem Geschunkel bei den Klängen des alten
Liedes „Ein weltliches Mädchen, bei weltlichem
Wein, das muß ja des Weltbürgers Himmel sein."
Leider endete die erhebende kosmische Verbrüde-
rungsfeier, die zu einer Erweiterung des poli-
tischen und menschlichen Horizontes führen sollte,
mit einem Mißklang, indem die leidige Frage an-
geschnitten wurde, ob künftig Blädling oder Unter-
blädling die Gemeinde ;n der vorgesehenen kos-
mischen Regierung vertreten sollte. Da hierbei
keine Einigung erzielt werden konnte, kamen
gleich alle den Gemeinderat seit langem ent-
zweiende Fragen aufs Tapet, wie die Stauung des
Mühlbaches bei Blädling zum Schaden der Unter-
blädlinger Mühle, die Grenzregulierung beim vor-
gesehenen Straßenbau, die Höhe der für den Bau
des Leichenhauses nötigen gemeindlichen Umlagen
und einige private Probleme, die zu heftigen
gegenseitigen Beschimpfungen im weltbürgerlich
noch ungeschulten Stil führten. Es gab sehr heiße
Köpfe. Das beherzte Eingreifen des Landjäger-
postens Fingerklöpferl — der sich als Beamter der
Versammlung ferngehalten hatte, durch den an-
schwellenden Lärm jedoch angezogen worden
war — machte dem Kampf ein Ende, ehe außer
der Gaststube auch noch das Nebenzimmei demo-
liert war, und bewies damit deutlich, daß auch im
künftigen Großraum auf eme geschulte Polizei und
ein zuverlässiges Beamtentum nicht verzichtet wer-
den kann. Vim
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ZUSAMMENSCHLUSS DES WELTBÜRGERTUMS
Endlich ist die in den Großstädten fast schon wie-
der vergessene Idee des Großraum-Bürgertums nun
auch in unsere: Ortschaft, dem am kleinen
Flüßchen Bredouille gelegenen Markt Plädling,
spruchreif geworden. Mehrere Einwohner gaben
den Auftakt, indem sie ihre Haushaltspässe mit
ziemlich rüden Worten dem Gemeindesekretär an
den Kopf warfen, sich nicht mehr an der Spenden-
sammlung für ein neues Geläut unserer Pfarrkirche
beteiligten und erklärten, sie verzichteten von
nun ab auf jede Betreuung durch deutsche Be-
hörden, Polizei und Finanzämter. Sofort gründete
der Brauereigehilfe Säueriem, bekannt als Mann
der Tat, einen Weltbürger-Tarock-Klub. Der Vor-
stand des Trachtenerhaltungsvereins gliederte
seinem Verband eine Abteilung „Weltbürgerdirndl
und Kosmosbuam" an, indeß der Rauch- und
Sterbeverein „Eigenbau und Eigengrab" Listen
auslegte, darin man sich für Weltgräber vormerken
lassen konnte, sofern man nicht die moderne
Atomzerstäubung vorzog.
Bei der ersten Versammlung künftiger Blädlinger
Weltbürger hielt der hiei ansässige Lehrer
Stäckerl, der erst vor drei Wochen zum Mitläufer
herabgestuft worden war, eine zündende Rede,
worin er dartat, daß der Weg vom Arier zum
Planet-arier kurz und gerade sei. Er betonte, daß
jeder Mensch ein Vaterland bräuchte, weshalb ge-
rade wir Deutschen aus unserer Enge heraus die
gegebenen Weltraumbürger und Planetenpatrioten
abgeben würden. Denn nicht Bürger auf dem bald
überfüllten Raum der Erdkugel sollten wir wer-
den, nein, es gelte den gesamten Kosmos zu er-
obern und so mit Erfolg an die totale Bebürgerung
des Weltenraums zu gehen.
Dort gebe es kein V/ohnungs- und kein Flüchtlings.-
problem. Der Lastenausgleich bliebe endgültig im
luftleeren Raum hängen und könnte schlimmsten-
falls nur noch weiterhin um sich selber kreisen,
das schöne deutsche Wort aber, einen Gegner
„durch Sonne, Mond und Sterne hauen", bekäme
erst wieder echtes Gewicht, Sinn und Geltung.
Um nicht lange im engen Raum hängen zu bleiben,
wurde anschließend eine Stratosphärenpartei ge-
gründet mit dem Ziel der Durchdringung des luft-
leeren Raums mit christlich-abendländischer Kul-
tur noch im Goethejahr 1949. Das prächtige Goethe-
plakat des Fremdenverkehrs sollte dazu ins Welt-
all geschleudert werden Weitere Mittel seien
nicht nötig. Die Kultur erhält sich bekanntlich
selbst und muß nur hier und da durch Verbote ge-
stützt werden.
LIEBER SIMPL
Ein Trupp Berliner Jungen kam vor Kurzem nach
der Jugendherberge Steinkirchen. Dort erscheint
bald ein englischer Offizier mit Dolmetscherin,
macht sich beliebt durch Verteilung von Schoko-
lade und unterhält sich dann mit den Jungen.
Einer erlaubt sich die Frage:
„Wie lange sollen wir denn eigentlich hier blei-
ben?"
Der englische Offizier läßt sagen: „Nun, bis die
Blockade beendet ist und ihr dort wieder unter
normalen Bedingungen leben könnt."
Darauf sagt ein kleiner etwa zwölfjähriger Knirps:
„Wat denn, wat denn, ick dacht, hier war ne
Jugendherberge und keen Altersheim!"
Bedauerlicherweise hielt sich wie immer die
Jugend der Großraumbürger-Großkundgebung fern,
abgelenkt durch ein Fußballspiel Blädling gegen
Unterblädling (Ergebnis 3:2). Zum Schlüsse der
Veranstaltung sang man gemeinsam „Ich bin ein
Weltler, will ein Weltler sein" und ging über zu
fröhlichem Geschunkel bei den Klängen des alten
Liedes „Ein weltliches Mädchen, bei weltlichem
Wein, das muß ja des Weltbürgers Himmel sein."
Leider endete die erhebende kosmische Verbrüde-
rungsfeier, die zu einer Erweiterung des poli-
tischen und menschlichen Horizontes führen sollte,
mit einem Mißklang, indem die leidige Frage an-
geschnitten wurde, ob künftig Blädling oder Unter-
blädling die Gemeinde ;n der vorgesehenen kos-
mischen Regierung vertreten sollte. Da hierbei
keine Einigung erzielt werden konnte, kamen
gleich alle den Gemeinderat seit langem ent-
zweiende Fragen aufs Tapet, wie die Stauung des
Mühlbaches bei Blädling zum Schaden der Unter-
blädlinger Mühle, die Grenzregulierung beim vor-
gesehenen Straßenbau, die Höhe der für den Bau
des Leichenhauses nötigen gemeindlichen Umlagen
und einige private Probleme, die zu heftigen
gegenseitigen Beschimpfungen im weltbürgerlich
noch ungeschulten Stil führten. Es gab sehr heiße
Köpfe. Das beherzte Eingreifen des Landjäger-
postens Fingerklöpferl — der sich als Beamter der
Versammlung ferngehalten hatte, durch den an-
schwellenden Lärm jedoch angezogen worden
war — machte dem Kampf ein Ende, ehe außer
der Gaststube auch noch das Nebenzimmei demo-
liert war, und bewies damit deutlich, daß auch im
künftigen Großraum auf eme geschulte Polizei und
ein zuverlässiges Beamtentum nicht verzichtet wer-
den kann. Vim
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Auseinandersetzung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 4.1949, Nr. 8, S. 94.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg