Walter F. Kloeck: BEKANNTMACHUNG
Das Wiedergutmachungsgesetz, das eine Zahlung
von DM 150.— für jeden Monat erlittener KZ-
Haft an rassisch, religiös und politisch Verfolgte
vorsieht, ist vor einigen Wochen von den Ameri-
kanern gebilligt worden. In den Kreisen der Opfer
des Naziregimes wurde daraufhin von böswilligen
Gerüchtemachern das Märchen verbreitet, diese
Gelder würden in nächster Zeit tatsächlich zur
Auszahlung gelangen.
Es bedarf wohl kaum des Hinweises, daß derlei
Behauptungen völlig aus der Luft gegriffen sind
und jeder realen Grundlage entbehren. Noch lie-
gen keine Ausführungsbestimmungen vor, und bis
dieselben ausgearbeitet sind, wird noch viel Was-
ser ins Meer fließen. Zu Panik besteht somit kei-
nerlei Veranlassung.
Um jedoch denen, die nicht aufhören können, sich
als Geschädigte einer längst verflossenen Epoche zu
fühlen, menschliches Entgegenkommen zu beweisen,
hat sich die Regierung entschlossen, ihnen einst-
weilen moralisch unter die Arme zu greifen. Ab
15. September 1949 steht jedem ehemaligen politi-
schen Häftling das Recht zu, gegen Vorlage seines
KZ-Ausweises bei der für ihn zuständigen Nah-
rungsmittelkartenverteilungsstelle einen kräftigen
Händedruck abzuholen. Minderbemittelte erheben
nach erfolgter Schüttelung der Schwerthand die
Arme seitwärts in waagerechte Stellung, worauf
ihnen der Vorstand pflichtgemäß mehrmals unter
dieselben greifen wird. Kitzlige Personen, welche
befürchten, durch diese Sondervergünstigung zu
unangebrachtem Lachen gereizt zu werden, können
sich statt dessen wohlwollend auf die Schulter
klopfen lassen.
Das Anrecht auf die in Zukunft monatlich einmal
durchzuführende Unterstützung bleibt unbegrenzt
bestehen und erlischt auch nicht für den Fall, daß
die Kartenverteilungsstellen im Zuge des Wieder-
aufblühens unserer Wirtschaft aufgelöst werden
sollten. Die Wohlfahrtsarbeit würde dann einer
Zweigstelle des Amtes für Vermögensverwaltung
und Wiedergutmachung (in München voraussicht-
lich Raspstraße 67/0) übertragen werden.
Dem Beispiele der Landeshauptstadt folgend, wird
in größeren Städten der „Studentendienst" auf
Wunsch gerne die Zustellung des Händedruckes
an die Bezugsberechtigten übernehmen. Dem Über-
bringer, der als Vertreter der Behörde auch zu den
übrigen Amtshandlungen des Vorstandes befugt
ist, ist ein Botenlohn von 20 Pfg. pro Händedruck
auszuhändigen. Ausdrücklich sei davor gewarnt,
sich von den Übermittlern die Hand mehr als
einmal pro Zuteilungsperiode schütteln zu lassen!
Mißbrauch in dieser Hinsicht wird strafrechtlich
verfolgt und zieht Annullierung des KZ-Ausweises
nach sich!
Sonderbestimmungen gelten außerdem für KZler,
welche heute der Kommunistischen Partei angehö-
ren, sowie für Juden. Die ersteren erhalten an
Stelle des Händedruckes einen Tritt in den Hin-
tern; an die letzteren werden zusätzlich die in der
warmen Jahreszeit so willkommenen kalten Du-
schen und Abreibungen verabreicht.
AUSSCHUSS für WIEDERGUTMACHUNG
und NOCHBESSERMACHUNG
i. A. gez. (unleserlich)
E Croissant
C- ü
STRASSBURGER ENTTÄUSCHUNG
„Was mich betriiit, ist mir der Deutsche
nun einmal lieber in westlicher Uniform
als in östlicher Kominiorm."
DIE RETTUNG
Von A. Wisbeck
Mit der deutschen Kultur ging es zu Ende, die
Auflockerung der Markenwirtschaft schien sie zum
Untergang bestimmt zu haben. Denn: sollte man
vielleicht noch Geld für den Besuch eines Theaters,
eines Konzertes oder literarischen Vortrages
opfern, wenn sich jetzt für den gleichen Preis ein
Pfund saftigen Rollschinkens erstehen ließ? Immer
tiefer versank das Land in Barbarei. Schon nahm
der Metzger keinen Anstand mehr daran, Hammel-
gulasch in das Preislied der ..Meistersinger" zu ver-
packen, schon drehte der Obstler seine Zwetschgen-
tüten aus der „Iphigenie". In dieser entscheiden-
den Stunde taten sich sechs beherzte Männer mit
dem unbeugsamen Entschluß zusammen, mittels
eines Vereines die Kultur zu retten, koste es an
Spesen, was es wolle. Der Bund „Leuchtfeuer"
sollte diesem edlen Zweck dienen und durch die
regelmäßige Veranstaltung literarisch-musika-
lischer Abende einem kulturbedürftigen Publikum
wieder die Pforte zum Reich unvergänglicher
Schönheit öffnen. Vierhundert Einladungen gingen
hinaus und verkündeten das Programm:
GOETHE — KLEIST — HOELDERLIN
BACH — BEETHOVEN — MOZART
(in den Pausen wird Tee und Gebäck
gereicht).
Doch fand sich außer den sechs Bundesmitgliedern
nur noch ein Herr ein, der die Hausnummer ver-
wechselt hatte, und die Versammlung der „Ver-
einigten mittelfränkischen Selcherei G.m.b.H." be-
suchen wollte. Sollte die Werbung eine falsche
Fassung erhalten haben? Man entschied sich für
eine andere:
KNOCHERLSULZ DM 0.60
WELLFLEISCH MIT SAUERKRAUT DM 0.90
ZIGEUNERGULASCH MIT NUDELN DM 1.00
GEBR. KALBSZÜNGERL MIT GEM. SALAT DM 1.20
(in den Pausen: Goethe — Kleist — Hölderlin —
Bach — Beethoven — Mozart).
Schon frühzeitig mußte der Vortragssaal wegen
Überfüllung polizeilich gesperrt werden, und
nur schwer gelang es, die sich vor dem Haus an-
stauenden Massen in Nebenstraßen abzudrängen.
Die Kultur nahm mächtigen Aufschwung.
Provisorische Bundeshymne
Westland, Restland über alles,
Überfall es, große Welt,
wenn es fast in Trutz und Dalles
liederlich zusammenfällt.
Von der Maas bis an die Elbe,
von der Konfektion zum Belt,
Deutschland ist nicht mehr dasselbe,
über alles wacht die Welt.
Deutsche Frauen, deutsche Reue,
deutscher Wein und deutscher Lach
sind der unerhörte neue
nationale Almanach.
Sie allein soll'n uns begeistern
unser ganzes Leben lang.
Damit sollen wir es meistern:
Frau'n und Treue, Wein und Sang.
Kleinlichkeit, Unrecht, Unfreiheit
für den Vaterlands-Ersatz,
danach laßt uns alle leben,
brüderlich wie Hund und Katz.
Kleinlichkeit, Unrecht, Unfreiheit
sind des Unglücks Unterpfand.
Blüh im Glänze dieser Dreiheit,
blüh Fata-morgana-Land.
Nachspiel:
Die Panne hoch!
Die Reichen fest entschlossen.
Das Geld marschiert
im (schwarz-rot)-goldnen Schnitt.
Das Blut, das einst
die armen Armen hab'n vergossen,
pariert und kreist
in ihren Ad(enau)ern mit. H. H.
230
Das Wiedergutmachungsgesetz, das eine Zahlung
von DM 150.— für jeden Monat erlittener KZ-
Haft an rassisch, religiös und politisch Verfolgte
vorsieht, ist vor einigen Wochen von den Ameri-
kanern gebilligt worden. In den Kreisen der Opfer
des Naziregimes wurde daraufhin von böswilligen
Gerüchtemachern das Märchen verbreitet, diese
Gelder würden in nächster Zeit tatsächlich zur
Auszahlung gelangen.
Es bedarf wohl kaum des Hinweises, daß derlei
Behauptungen völlig aus der Luft gegriffen sind
und jeder realen Grundlage entbehren. Noch lie-
gen keine Ausführungsbestimmungen vor, und bis
dieselben ausgearbeitet sind, wird noch viel Was-
ser ins Meer fließen. Zu Panik besteht somit kei-
nerlei Veranlassung.
Um jedoch denen, die nicht aufhören können, sich
als Geschädigte einer längst verflossenen Epoche zu
fühlen, menschliches Entgegenkommen zu beweisen,
hat sich die Regierung entschlossen, ihnen einst-
weilen moralisch unter die Arme zu greifen. Ab
15. September 1949 steht jedem ehemaligen politi-
schen Häftling das Recht zu, gegen Vorlage seines
KZ-Ausweises bei der für ihn zuständigen Nah-
rungsmittelkartenverteilungsstelle einen kräftigen
Händedruck abzuholen. Minderbemittelte erheben
nach erfolgter Schüttelung der Schwerthand die
Arme seitwärts in waagerechte Stellung, worauf
ihnen der Vorstand pflichtgemäß mehrmals unter
dieselben greifen wird. Kitzlige Personen, welche
befürchten, durch diese Sondervergünstigung zu
unangebrachtem Lachen gereizt zu werden, können
sich statt dessen wohlwollend auf die Schulter
klopfen lassen.
Das Anrecht auf die in Zukunft monatlich einmal
durchzuführende Unterstützung bleibt unbegrenzt
bestehen und erlischt auch nicht für den Fall, daß
die Kartenverteilungsstellen im Zuge des Wieder-
aufblühens unserer Wirtschaft aufgelöst werden
sollten. Die Wohlfahrtsarbeit würde dann einer
Zweigstelle des Amtes für Vermögensverwaltung
und Wiedergutmachung (in München voraussicht-
lich Raspstraße 67/0) übertragen werden.
Dem Beispiele der Landeshauptstadt folgend, wird
in größeren Städten der „Studentendienst" auf
Wunsch gerne die Zustellung des Händedruckes
an die Bezugsberechtigten übernehmen. Dem Über-
bringer, der als Vertreter der Behörde auch zu den
übrigen Amtshandlungen des Vorstandes befugt
ist, ist ein Botenlohn von 20 Pfg. pro Händedruck
auszuhändigen. Ausdrücklich sei davor gewarnt,
sich von den Übermittlern die Hand mehr als
einmal pro Zuteilungsperiode schütteln zu lassen!
Mißbrauch in dieser Hinsicht wird strafrechtlich
verfolgt und zieht Annullierung des KZ-Ausweises
nach sich!
Sonderbestimmungen gelten außerdem für KZler,
welche heute der Kommunistischen Partei angehö-
ren, sowie für Juden. Die ersteren erhalten an
Stelle des Händedruckes einen Tritt in den Hin-
tern; an die letzteren werden zusätzlich die in der
warmen Jahreszeit so willkommenen kalten Du-
schen und Abreibungen verabreicht.
AUSSCHUSS für WIEDERGUTMACHUNG
und NOCHBESSERMACHUNG
i. A. gez. (unleserlich)
E Croissant
C- ü
STRASSBURGER ENTTÄUSCHUNG
„Was mich betriiit, ist mir der Deutsche
nun einmal lieber in westlicher Uniform
als in östlicher Kominiorm."
DIE RETTUNG
Von A. Wisbeck
Mit der deutschen Kultur ging es zu Ende, die
Auflockerung der Markenwirtschaft schien sie zum
Untergang bestimmt zu haben. Denn: sollte man
vielleicht noch Geld für den Besuch eines Theaters,
eines Konzertes oder literarischen Vortrages
opfern, wenn sich jetzt für den gleichen Preis ein
Pfund saftigen Rollschinkens erstehen ließ? Immer
tiefer versank das Land in Barbarei. Schon nahm
der Metzger keinen Anstand mehr daran, Hammel-
gulasch in das Preislied der ..Meistersinger" zu ver-
packen, schon drehte der Obstler seine Zwetschgen-
tüten aus der „Iphigenie". In dieser entscheiden-
den Stunde taten sich sechs beherzte Männer mit
dem unbeugsamen Entschluß zusammen, mittels
eines Vereines die Kultur zu retten, koste es an
Spesen, was es wolle. Der Bund „Leuchtfeuer"
sollte diesem edlen Zweck dienen und durch die
regelmäßige Veranstaltung literarisch-musika-
lischer Abende einem kulturbedürftigen Publikum
wieder die Pforte zum Reich unvergänglicher
Schönheit öffnen. Vierhundert Einladungen gingen
hinaus und verkündeten das Programm:
GOETHE — KLEIST — HOELDERLIN
BACH — BEETHOVEN — MOZART
(in den Pausen wird Tee und Gebäck
gereicht).
Doch fand sich außer den sechs Bundesmitgliedern
nur noch ein Herr ein, der die Hausnummer ver-
wechselt hatte, und die Versammlung der „Ver-
einigten mittelfränkischen Selcherei G.m.b.H." be-
suchen wollte. Sollte die Werbung eine falsche
Fassung erhalten haben? Man entschied sich für
eine andere:
KNOCHERLSULZ DM 0.60
WELLFLEISCH MIT SAUERKRAUT DM 0.90
ZIGEUNERGULASCH MIT NUDELN DM 1.00
GEBR. KALBSZÜNGERL MIT GEM. SALAT DM 1.20
(in den Pausen: Goethe — Kleist — Hölderlin —
Bach — Beethoven — Mozart).
Schon frühzeitig mußte der Vortragssaal wegen
Überfüllung polizeilich gesperrt werden, und
nur schwer gelang es, die sich vor dem Haus an-
stauenden Massen in Nebenstraßen abzudrängen.
Die Kultur nahm mächtigen Aufschwung.
Provisorische Bundeshymne
Westland, Restland über alles,
Überfall es, große Welt,
wenn es fast in Trutz und Dalles
liederlich zusammenfällt.
Von der Maas bis an die Elbe,
von der Konfektion zum Belt,
Deutschland ist nicht mehr dasselbe,
über alles wacht die Welt.
Deutsche Frauen, deutsche Reue,
deutscher Wein und deutscher Lach
sind der unerhörte neue
nationale Almanach.
Sie allein soll'n uns begeistern
unser ganzes Leben lang.
Damit sollen wir es meistern:
Frau'n und Treue, Wein und Sang.
Kleinlichkeit, Unrecht, Unfreiheit
für den Vaterlands-Ersatz,
danach laßt uns alle leben,
brüderlich wie Hund und Katz.
Kleinlichkeit, Unrecht, Unfreiheit
sind des Unglücks Unterpfand.
Blüh im Glänze dieser Dreiheit,
blüh Fata-morgana-Land.
Nachspiel:
Die Panne hoch!
Die Reichen fest entschlossen.
Das Geld marschiert
im (schwarz-rot)-goldnen Schnitt.
Das Blut, das einst
die armen Armen hab'n vergossen,
pariert und kreist
in ihren Ad(enau)ern mit. H. H.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Strassburger Enttäuschung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildunterschrift: "Michel nach Westen gewandt: "Über dem Zaun wohnen auch Leute - ""
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 4.1949, Nr. 20, S. 230.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg