Bele Bachem: Eine offenbar vergnügte Gesellschaft
REMBRANDT HAT ZU FRÜH GELEBT
Da waren solche, die etwas von der Kunst ver-
standen — und da waren solche, die etwas von der
Kunst verstanden, Kunst zu Geld zu machen. Und so
kam denn ein Stück nach dem anderen unter den
Hammer. Zahlen wurden genannt, die Experten
überboten sich an Sachkenntnis und Angeboten.
Als aber Rembrandts Radierung „Die Landschaft
mit den drei Hütten" vorgezeigt wurde und die
Gebote bis zweiundzwanzigtausend D-Mark empor-
getrieben worden waren, erhob sich in der Tiefe
des Saales ein homerisches Gelächter.
Ringsum verbreitete sich ein Gefühl peinlicher Be-
troffenheit. Der Lacher jedoch lachte ungeniert und
herzlich, er lachte und schlug sich mit den Händen
auf die Oberschenkel, daß es nur so klatschte
Der Auktionator erstarrte zu Stein. Er wolltewarten,
bis sich die ungebührliche Heiterkeit legen würde.
Wahrscheinlich, dachte er, sitzt da ein ganz großer
Banause und diesen darf ich nicht mit einer Rüge
verletzen, denn in der Kunst sind es die Banausen,
welche die dicken Brieftaschen haben.
Da stand der Lacher auf und als ihn alle betrachte-
ten, bemerkten die Kenner, daß jener Lacher aussah
wie sein Selbstbildnis, mit dem er aus dem Spiegel
grüßt, dionysisch, heiter, selbstbewußt, Liebling
Gottes und der Saskia —.
Er aber sprach in die staunende Menge: „Mjnheers
und Mefrouws ■— ich glaube — ich habe zu früh ge-
lebt." Da löste sich die Spannung der Menge in be-
geisterten Zurufen, denn es waren viele Surreali-
sten darunter, die sich über nichts mehr wunderten.
Ein Kunsthistoriker sprach: „Verehrter Meister,
seien Sie gegrüßt! Wir wußten gar nicht, daß Sie
doch unter uns weilen —."
„Ich bin", sagte Rembrandt, „aus meinem Halb-
dunkel emporgestiegen, um mich ein wenig zu amü-
sieren. Ich lachte immer so gerne. Laßt mich,
Freunde, auch jetzt ein wenig über das lachen, was
Sie heutzutage Kunst nennen. Denn wie ich an
dem und dem und dem Bild sehe, malen heutzutage
die Maler, wie zu meiner Zeit trunkene Bettler ge-
malt hätten, vorausgesetzt, sie hätten sich die Pinsel
zwischen die Zehen geklemmt natürlich — hahaha-
ha!" Und wieder brach er in sein aufreizend fröh-
liches Gelächter aus.
Der zufällig anwesende Staatssekretär der angeb-
lich schönen Künste zeigte sich so recht als Diplo-
mat. „Meister", schwärmte die demokratische Ex-
zellenz, „welches Glück für uns, Sie erneut am
Leben zu wissen. Wir werden Euer Gnaden mit
Staatsaufträgen überhäufen ■— Sie werden unsere
Galerien mit Porträts der Großen unserer Länder
schmücken — Bundeskanzler Adenauer mit Gold-
helm aus seinem Halbdunkel hervortretend — und
die anderen Halbdunkelmänner alle —."
„Hahahoho", lachte Rembrandt, „Sie wollen, daß
ich die NACHTWACHE noch einmal male — eine
Nachtwache, diesmal mit echten Nachtwächtern —
hohohoho!" Unerhört, was dieser Mensch lachen
konnte — in einer Zeit, da die Maler doch eigent-
lich gar nichts mehr zu lachen haben.
Eine Gänsehaut überlief den Staatssekretär. Er er-
kannte zum erstenmal das Problem der Unbere-
chenbarkeit eines Genies — bei Thomas Mann war
niemand darauf gekommen ■— und der Staatssekre-
tär fühlte Erleichterung bei dem Gedanken, daß
unsere Zeit wohl blaue Pferde, aber keine blauen
Genies produziert hatte
„Ich habe", wiederholte Rembrandt, „zu früh ge-
lebt. Was hätte ich für Millionen verdient, wenn
ich meine Bilder damals gemalt und heute verkauft
Den „Führer" hat er oft besungen
In langen Versen, reich an Reim:
Es ging dem Volk der Nibelungen
Hinunter glatt wie Honigseim.
Er pries den großen Friedenshelden,
Den Biedermann, den Gott der Schlacht —
Wie die Gazetten jüngst vermelden,
Weiß er auch heut' noch, wie man's macht.
hätte. Jeder Maler sollte einige Jahrhunderte
Winterschlaf halten, damit er die Früchte seiner
Arbeit genießen kann —,"
Der Staatssekretär rang — wie soviele offizielle
Persönlichkeiten — vergeblich nach einem geist-
reichen Witz. Das Ansehen der Bu-Republik stand
auf dem Spiel Doch der Meister aller Meister ließ
ihm keine Zeit. „Ich habe", sagte er, „nur wenig
Zeit, denn Ihre Welt gibt denen, die zu verehren
sie vorgibt, nur wenig Raum Doch bevor ich in
jenes andere Reich zurückkehre, möchte ich mich
noch ein wenig umschauen. Was hängt denn zum
Beispiel da für eine bepinselte Fläche? — Lofoten-
fischer sollen das sein? — Das Bild hängt wohl
falsch — nein — doch nicht? O Herr des Himmels,
so sieht ein Lofotenfischer vielleicht von innen aus
— bei Regenwetter — und Windstärke 9 — wenn
er über Bord gefallen ist — und ein Hai hat ihn
gefressen — und wieder ausgespien — hahahaha!"
Rembrandt lachte. Er lachte und lachte Er lachte
— bis er sich wieder totgelacht hatte. Danach nah-
men Auktionator und Versammlung von der Kunst
weitere planmäßige Absetzbewegungen vor.
Der Künstler ist tot — es lebe der Kunst(dünger)-
händler, G W. Borth
Er stimmt auf „innerlich" die Leier,
Ergriffen lauscht ihm das Parkett,
In Andacht mündet still die Feier
Und jeder findet's wundernett...
Der Führer starb. Doch, meine Lieben,
Die Fahne weht noch allerwärts!
Sein sanfter Heinrich ist geblieben
Und schenkt aufs neue uns sein Herz.
WIEDERKEHR- von marginalus
Der ehemalige Dichter des NS-Regimes HEINRICH ANACKER las auf seinem ersten
öffentlichen Leseabend nach dem Krieg eigene Gedichte über „inneres Heldentum" vor.
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REMBRANDT HAT ZU FRÜH GELEBT
Da waren solche, die etwas von der Kunst ver-
standen — und da waren solche, die etwas von der
Kunst verstanden, Kunst zu Geld zu machen. Und so
kam denn ein Stück nach dem anderen unter den
Hammer. Zahlen wurden genannt, die Experten
überboten sich an Sachkenntnis und Angeboten.
Als aber Rembrandts Radierung „Die Landschaft
mit den drei Hütten" vorgezeigt wurde und die
Gebote bis zweiundzwanzigtausend D-Mark empor-
getrieben worden waren, erhob sich in der Tiefe
des Saales ein homerisches Gelächter.
Ringsum verbreitete sich ein Gefühl peinlicher Be-
troffenheit. Der Lacher jedoch lachte ungeniert und
herzlich, er lachte und schlug sich mit den Händen
auf die Oberschenkel, daß es nur so klatschte
Der Auktionator erstarrte zu Stein. Er wolltewarten,
bis sich die ungebührliche Heiterkeit legen würde.
Wahrscheinlich, dachte er, sitzt da ein ganz großer
Banause und diesen darf ich nicht mit einer Rüge
verletzen, denn in der Kunst sind es die Banausen,
welche die dicken Brieftaschen haben.
Da stand der Lacher auf und als ihn alle betrachte-
ten, bemerkten die Kenner, daß jener Lacher aussah
wie sein Selbstbildnis, mit dem er aus dem Spiegel
grüßt, dionysisch, heiter, selbstbewußt, Liebling
Gottes und der Saskia —.
Er aber sprach in die staunende Menge: „Mjnheers
und Mefrouws ■— ich glaube — ich habe zu früh ge-
lebt." Da löste sich die Spannung der Menge in be-
geisterten Zurufen, denn es waren viele Surreali-
sten darunter, die sich über nichts mehr wunderten.
Ein Kunsthistoriker sprach: „Verehrter Meister,
seien Sie gegrüßt! Wir wußten gar nicht, daß Sie
doch unter uns weilen —."
„Ich bin", sagte Rembrandt, „aus meinem Halb-
dunkel emporgestiegen, um mich ein wenig zu amü-
sieren. Ich lachte immer so gerne. Laßt mich,
Freunde, auch jetzt ein wenig über das lachen, was
Sie heutzutage Kunst nennen. Denn wie ich an
dem und dem und dem Bild sehe, malen heutzutage
die Maler, wie zu meiner Zeit trunkene Bettler ge-
malt hätten, vorausgesetzt, sie hätten sich die Pinsel
zwischen die Zehen geklemmt natürlich — hahaha-
ha!" Und wieder brach er in sein aufreizend fröh-
liches Gelächter aus.
Der zufällig anwesende Staatssekretär der angeb-
lich schönen Künste zeigte sich so recht als Diplo-
mat. „Meister", schwärmte die demokratische Ex-
zellenz, „welches Glück für uns, Sie erneut am
Leben zu wissen. Wir werden Euer Gnaden mit
Staatsaufträgen überhäufen ■— Sie werden unsere
Galerien mit Porträts der Großen unserer Länder
schmücken — Bundeskanzler Adenauer mit Gold-
helm aus seinem Halbdunkel hervortretend — und
die anderen Halbdunkelmänner alle —."
„Hahahoho", lachte Rembrandt, „Sie wollen, daß
ich die NACHTWACHE noch einmal male — eine
Nachtwache, diesmal mit echten Nachtwächtern —
hohohoho!" Unerhört, was dieser Mensch lachen
konnte — in einer Zeit, da die Maler doch eigent-
lich gar nichts mehr zu lachen haben.
Eine Gänsehaut überlief den Staatssekretär. Er er-
kannte zum erstenmal das Problem der Unbere-
chenbarkeit eines Genies — bei Thomas Mann war
niemand darauf gekommen ■— und der Staatssekre-
tär fühlte Erleichterung bei dem Gedanken, daß
unsere Zeit wohl blaue Pferde, aber keine blauen
Genies produziert hatte
„Ich habe", wiederholte Rembrandt, „zu früh ge-
lebt. Was hätte ich für Millionen verdient, wenn
ich meine Bilder damals gemalt und heute verkauft
Den „Führer" hat er oft besungen
In langen Versen, reich an Reim:
Es ging dem Volk der Nibelungen
Hinunter glatt wie Honigseim.
Er pries den großen Friedenshelden,
Den Biedermann, den Gott der Schlacht —
Wie die Gazetten jüngst vermelden,
Weiß er auch heut' noch, wie man's macht.
hätte. Jeder Maler sollte einige Jahrhunderte
Winterschlaf halten, damit er die Früchte seiner
Arbeit genießen kann —,"
Der Staatssekretär rang — wie soviele offizielle
Persönlichkeiten — vergeblich nach einem geist-
reichen Witz. Das Ansehen der Bu-Republik stand
auf dem Spiel Doch der Meister aller Meister ließ
ihm keine Zeit. „Ich habe", sagte er, „nur wenig
Zeit, denn Ihre Welt gibt denen, die zu verehren
sie vorgibt, nur wenig Raum Doch bevor ich in
jenes andere Reich zurückkehre, möchte ich mich
noch ein wenig umschauen. Was hängt denn zum
Beispiel da für eine bepinselte Fläche? — Lofoten-
fischer sollen das sein? — Das Bild hängt wohl
falsch — nein — doch nicht? O Herr des Himmels,
so sieht ein Lofotenfischer vielleicht von innen aus
— bei Regenwetter — und Windstärke 9 — wenn
er über Bord gefallen ist — und ein Hai hat ihn
gefressen — und wieder ausgespien — hahahaha!"
Rembrandt lachte. Er lachte und lachte Er lachte
— bis er sich wieder totgelacht hatte. Danach nah-
men Auktionator und Versammlung von der Kunst
weitere planmäßige Absetzbewegungen vor.
Der Künstler ist tot — es lebe der Kunst(dünger)-
händler, G W. Borth
Er stimmt auf „innerlich" die Leier,
Ergriffen lauscht ihm das Parkett,
In Andacht mündet still die Feier
Und jeder findet's wundernett...
Der Führer starb. Doch, meine Lieben,
Die Fahne weht noch allerwärts!
Sein sanfter Heinrich ist geblieben
Und schenkt aufs neue uns sein Herz.
WIEDERKEHR- von marginalus
Der ehemalige Dichter des NS-Regimes HEINRICH ANACKER las auf seinem ersten
öffentlichen Leseabend nach dem Krieg eigene Gedichte über „inneres Heldentum" vor.
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Eine offenbar vergnügte Gesellschaft"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 4.1949, Nr. 25, S. 298.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg