GESANG ZUR LAUTE
VON EFFl HORN
Wem an gemütlichen Abenden und Gesprächen gelegen ist, der sei
vorsichtig beim Betreten von Wohnungen, an deren Wänden scheinbar
unbenutzt und rein dekorativ Lauten oder Gitarren mit oder ohne den
Schmuck bunter Bänder hängen. Wirklich ungefährlich sind solche In-
strumente nur, wenn mindestens vier von ihren sechs Saiten gerissen
sind und als staubige Kringel sich um Hals und Steg schlängeln- Weh
aber dem, der sich von einer gerissenen Saite täuschen läßt! Die wie
Tiger im Dschungel der Ateliers und bürgerlichen Wohnstuben lauern-
den Lautenschläger haben eine Saite zum Ersatz stets in der Tasche und
außerdem die Versicherung, daß Paganini auf einer einzigen Saite ganze
Bravourstücke zu fiedeln verstand, weshalb auch sie notfalls auf einige
der gedrehten Därme zu verzichten wüßten. Sie sind überhaupt groß
im Verzicht, wenn es gilt, andere in den Genuß ihrer Kunst zu setzen!
Sie verzichten auf das Abendessen, zu dem sie dich eingeladen, und
auf den Wein, unter dessen Vorspiegelung sie dich hergelockt haben.
Sie füttern dich mit neckischen Liebesliedern, berauschen dich mit ge-
sungenem Rheinwein und versetzen dir die falschen Landsknechtstritte
falscher Frundsberg-Lieder. Sie sind meist nicht mehr die Allerjüngsten,
es fehlt ihnen und ihren Liedern etwas an Nachwuchs, aber mit stürmi-
schem Temperament im grauen Lockenhaar suchen sie darüber hinweg-
zutäuschen, daß die Zeit ihres wandernden Frohsinns und kecken Bur-
schentums reichlich weit zurückliegt, daß ihr, ach, so lustiges und wohl-
einstudiertes Mienenspiel mit den Falten der Jahre seine Plage hat und
daß du ihnen die siegreiche Verführung unzähliger Jüngferlein, die in
ihren Liedern reihenweise gefällt, geküßt und zurückgelassen werden,
nur aus Höflichkeit noch zu glauben vorgibst. In Wahrheit liegen sie
fest an der Kette eines meist mattblonden Wesens, dessen dünnes Haar
von einem Reifen aus gehämmertem Messing gehalten wird und dessen
Gedächtnis sämtliche Vortragsstücke des Sängers alphabetisch geord-
net bereit hält, um ihn mit unermüdlichen Vorschlägen zum Weitersang
ermuntern zu können. Den einen Arm schon nach der Laute aus-
gestreckt, wehrt er mit der andern Hand diese Vorschläge noch ab und
fragt unschuldsvoll, was er denn und ob er denn wirklich singen sollte?
Marlene Dietrich als boxende, verführende Hafenpflanze ist ein echtes
Unschuldslamm gegen die verlogene Unschuld dieser rein rhetorischen
Frage. Komm ihm nicht zu Hilfe, er weiß längst, was er singen will! Er
will nur durch hochmusikalisches Klimpern und die Versicherung, sei-
ner aparten Stimmlage wegen sei das Instrument um ein Sechzehntel
gegenüber der absoluten Tonhöhe tiefer gestimmt, deine Achtung, Auf-
merksamkeit und Spannung erregen. Wenn er endlich mit dem Daumen
über alle Saiten reißt und einem entschwebenden h-moll-Akkord sin-
nend nachlauscht, so glaub' nicht, daß er jetzt endlich mit der bitteren
Kur seines Gesangs dein müdes Herz in Gang zu bringen gedenkt. Mit
leisem Kopfschütteln zupft er weiterhin „Mhm-dada-mhm-dada!" bis
ein Verzweifelter ihn endlich anfleht, doch was Richtiges zu spielen.
Diesen Zudringlichen wird der Amateursänger anschauen mit dem Blick
eines todwunden Rehs und wird ihm sagen, eigentlich spiele er ja nur
Bach, und keine sogenannten Vortragsstücke. Glaub nicht, daß hier die
Hoffnung auf Entfliehen leuchte, sei versichert, er spielt auch anderes,
und fünf Minuten später wird er dir knödelnd, schmetternd, flüsternd,
Augenbrauen hochziehend und Zähne fletschend versichern, er sei der
Mönch Waltramus, dem sel'ges Leid geschah, oder der Erzbischof von
Salzburg sei ein gar ein guter Mann oder vom Barette wehe die Feder
oder am Sonntag in da Fruah geh' der Wildschütz dem Gamsgebirg zua
oder grün sei die Heide, die Heide sei grün, eine Feststellung, auf die
seit Löns kein Lautensänger mehr freiwillig zu verzichten bereit ist
(obgleich kein Mensch die Heide je anders als braun gesehen hat). Echte
Lautensänger bevorzugen Lieder mit sechs bis zwölf Strophen, die sie
alle auswendig wissen. Höchstens gibt's während des Vortrags kleine
Kontroversen mit oben erwähntem weiblichem Wesen, das über eine
Strophenfolge anderer Meinung ist — statt endlich Kaffee zu kochen ■—
und daher auf einer Wiederholung des gesamten Liedinhalts besteht.
Das ist manchmal zermürbend für den, dem es ganz wurscht ist, ob der
„Narr des Königs an diesem Tag seine Mutter begrub" oder ob „Fräu-
lein Gigerlette ihn zum Tee lud", der das „Mexikolied" hinter „Sole
mio" dreinschmeißen möchte und nur einen Wunsch hat, die Laute in
tausend Stücken zu sehen, als sei sie von Picasso gemalt- Vergeblich.
Die Laute ist stärker, ihre Beherrscher haben eiserne Lungen und reich-
haltige Programmfolgen. Sie legen kleine Klimperpausen ein, aber aus
der Hand legen sie die Laute nicht. Das wäre auch dumm. Denn irgend-
einer der Zuhörer würde sich bestimmt längst vergangener Griffe er-
innern und seinerseits anfangen „Mhm-dada-mhm-dada" zu zupfen, bis
die Stimme eines ihm zugehörenden weiblichen Wesens schmelzend
sagen würde: „Ach, Egon, kannst du nicht mehr das Lied der Schneider
um Mitternacht — sing's doch mal..."
Es wundert mich, daß so wenig Leute Narben haben von Saiteninstru-
menten, die an ihrem Kopf zerschmettert wurden. Vielleicht, weil Dauer-
gesang zur Laute für die andern so viel Niederschmetterndes an sich
hat...
RÜCKWÄRTS - EINE BIOGRAPHIE, VERKEHRT HERUM!
Otto, knickebeinig und verblödet, hatte 78 Puls in der Minute und begnügte sich
mit drei, vier Stunden nächtlichen Schlummers. Das änderte sich mählich. Er fing
nicht gleich zu schnarchen an, wenn ihm jemand Zeitung vorlas. Das Gehör
besserte sich. Wenigstens verstand er all das, was nicht für seine Ohren bestimmt
war. Allerdings haperte es sehr mit den Augen, aber er verschusselte seine
Brille nicht mehr so häufig wie früher. Hing ein Bild schief, ließ er's hängen, wie
es hing. Ottos oft ins Kindische ausgeartete Pedanterie milderte sich. Plötzlich
war auch Ottilie wieder da, seine Gemahlin, und duldete willig, daß er sie
tyrannisierte. Stundenlang lauschte sie den Kindheitserinnerungen, in denen er
schwelgte. Doch neckte sie ihn, weil er fortwährend Medikamente schluckte und,
um der schwindenden Verkalkung zu frönen, die überflüssigsten Dinge stam-
melte. Staunend beobachtete sie, wie ihm ein Kranz schlohweißer Härchen um
die Glatze sproß. Die Zeit strich dahin wie im Fluge. Oft sagte Otto, der Tag
habe einst rechtschaffene 24 Stunden gehabt, jetzt aber werde man schandbar
Duft undSüsse
Eine
AMERICAN BLEM)
internationaler Klasse
VON EFFl HORN
Wem an gemütlichen Abenden und Gesprächen gelegen ist, der sei
vorsichtig beim Betreten von Wohnungen, an deren Wänden scheinbar
unbenutzt und rein dekorativ Lauten oder Gitarren mit oder ohne den
Schmuck bunter Bänder hängen. Wirklich ungefährlich sind solche In-
strumente nur, wenn mindestens vier von ihren sechs Saiten gerissen
sind und als staubige Kringel sich um Hals und Steg schlängeln- Weh
aber dem, der sich von einer gerissenen Saite täuschen läßt! Die wie
Tiger im Dschungel der Ateliers und bürgerlichen Wohnstuben lauern-
den Lautenschläger haben eine Saite zum Ersatz stets in der Tasche und
außerdem die Versicherung, daß Paganini auf einer einzigen Saite ganze
Bravourstücke zu fiedeln verstand, weshalb auch sie notfalls auf einige
der gedrehten Därme zu verzichten wüßten. Sie sind überhaupt groß
im Verzicht, wenn es gilt, andere in den Genuß ihrer Kunst zu setzen!
Sie verzichten auf das Abendessen, zu dem sie dich eingeladen, und
auf den Wein, unter dessen Vorspiegelung sie dich hergelockt haben.
Sie füttern dich mit neckischen Liebesliedern, berauschen dich mit ge-
sungenem Rheinwein und versetzen dir die falschen Landsknechtstritte
falscher Frundsberg-Lieder. Sie sind meist nicht mehr die Allerjüngsten,
es fehlt ihnen und ihren Liedern etwas an Nachwuchs, aber mit stürmi-
schem Temperament im grauen Lockenhaar suchen sie darüber hinweg-
zutäuschen, daß die Zeit ihres wandernden Frohsinns und kecken Bur-
schentums reichlich weit zurückliegt, daß ihr, ach, so lustiges und wohl-
einstudiertes Mienenspiel mit den Falten der Jahre seine Plage hat und
daß du ihnen die siegreiche Verführung unzähliger Jüngferlein, die in
ihren Liedern reihenweise gefällt, geküßt und zurückgelassen werden,
nur aus Höflichkeit noch zu glauben vorgibst. In Wahrheit liegen sie
fest an der Kette eines meist mattblonden Wesens, dessen dünnes Haar
von einem Reifen aus gehämmertem Messing gehalten wird und dessen
Gedächtnis sämtliche Vortragsstücke des Sängers alphabetisch geord-
net bereit hält, um ihn mit unermüdlichen Vorschlägen zum Weitersang
ermuntern zu können. Den einen Arm schon nach der Laute aus-
gestreckt, wehrt er mit der andern Hand diese Vorschläge noch ab und
fragt unschuldsvoll, was er denn und ob er denn wirklich singen sollte?
Marlene Dietrich als boxende, verführende Hafenpflanze ist ein echtes
Unschuldslamm gegen die verlogene Unschuld dieser rein rhetorischen
Frage. Komm ihm nicht zu Hilfe, er weiß längst, was er singen will! Er
will nur durch hochmusikalisches Klimpern und die Versicherung, sei-
ner aparten Stimmlage wegen sei das Instrument um ein Sechzehntel
gegenüber der absoluten Tonhöhe tiefer gestimmt, deine Achtung, Auf-
merksamkeit und Spannung erregen. Wenn er endlich mit dem Daumen
über alle Saiten reißt und einem entschwebenden h-moll-Akkord sin-
nend nachlauscht, so glaub' nicht, daß er jetzt endlich mit der bitteren
Kur seines Gesangs dein müdes Herz in Gang zu bringen gedenkt. Mit
leisem Kopfschütteln zupft er weiterhin „Mhm-dada-mhm-dada!" bis
ein Verzweifelter ihn endlich anfleht, doch was Richtiges zu spielen.
Diesen Zudringlichen wird der Amateursänger anschauen mit dem Blick
eines todwunden Rehs und wird ihm sagen, eigentlich spiele er ja nur
Bach, und keine sogenannten Vortragsstücke. Glaub nicht, daß hier die
Hoffnung auf Entfliehen leuchte, sei versichert, er spielt auch anderes,
und fünf Minuten später wird er dir knödelnd, schmetternd, flüsternd,
Augenbrauen hochziehend und Zähne fletschend versichern, er sei der
Mönch Waltramus, dem sel'ges Leid geschah, oder der Erzbischof von
Salzburg sei ein gar ein guter Mann oder vom Barette wehe die Feder
oder am Sonntag in da Fruah geh' der Wildschütz dem Gamsgebirg zua
oder grün sei die Heide, die Heide sei grün, eine Feststellung, auf die
seit Löns kein Lautensänger mehr freiwillig zu verzichten bereit ist
(obgleich kein Mensch die Heide je anders als braun gesehen hat). Echte
Lautensänger bevorzugen Lieder mit sechs bis zwölf Strophen, die sie
alle auswendig wissen. Höchstens gibt's während des Vortrags kleine
Kontroversen mit oben erwähntem weiblichem Wesen, das über eine
Strophenfolge anderer Meinung ist — statt endlich Kaffee zu kochen ■—
und daher auf einer Wiederholung des gesamten Liedinhalts besteht.
Das ist manchmal zermürbend für den, dem es ganz wurscht ist, ob der
„Narr des Königs an diesem Tag seine Mutter begrub" oder ob „Fräu-
lein Gigerlette ihn zum Tee lud", der das „Mexikolied" hinter „Sole
mio" dreinschmeißen möchte und nur einen Wunsch hat, die Laute in
tausend Stücken zu sehen, als sei sie von Picasso gemalt- Vergeblich.
Die Laute ist stärker, ihre Beherrscher haben eiserne Lungen und reich-
haltige Programmfolgen. Sie legen kleine Klimperpausen ein, aber aus
der Hand legen sie die Laute nicht. Das wäre auch dumm. Denn irgend-
einer der Zuhörer würde sich bestimmt längst vergangener Griffe er-
innern und seinerseits anfangen „Mhm-dada-mhm-dada" zu zupfen, bis
die Stimme eines ihm zugehörenden weiblichen Wesens schmelzend
sagen würde: „Ach, Egon, kannst du nicht mehr das Lied der Schneider
um Mitternacht — sing's doch mal..."
Es wundert mich, daß so wenig Leute Narben haben von Saiteninstru-
menten, die an ihrem Kopf zerschmettert wurden. Vielleicht, weil Dauer-
gesang zur Laute für die andern so viel Niederschmetterndes an sich
hat...
RÜCKWÄRTS - EINE BIOGRAPHIE, VERKEHRT HERUM!
Otto, knickebeinig und verblödet, hatte 78 Puls in der Minute und begnügte sich
mit drei, vier Stunden nächtlichen Schlummers. Das änderte sich mählich. Er fing
nicht gleich zu schnarchen an, wenn ihm jemand Zeitung vorlas. Das Gehör
besserte sich. Wenigstens verstand er all das, was nicht für seine Ohren bestimmt
war. Allerdings haperte es sehr mit den Augen, aber er verschusselte seine
Brille nicht mehr so häufig wie früher. Hing ein Bild schief, ließ er's hängen, wie
es hing. Ottos oft ins Kindische ausgeartete Pedanterie milderte sich. Plötzlich
war auch Ottilie wieder da, seine Gemahlin, und duldete willig, daß er sie
tyrannisierte. Stundenlang lauschte sie den Kindheitserinnerungen, in denen er
schwelgte. Doch neckte sie ihn, weil er fortwährend Medikamente schluckte und,
um der schwindenden Verkalkung zu frönen, die überflüssigsten Dinge stam-
melte. Staunend beobachtete sie, wie ihm ein Kranz schlohweißer Härchen um
die Glatze sproß. Die Zeit strich dahin wie im Fluge. Oft sagte Otto, der Tag
habe einst rechtschaffene 24 Stunden gehabt, jetzt aber werde man schandbar
Duft undSüsse
Eine
AMERICAN BLEM)
internationaler Klasse
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Der Arzt hat nämlich meinem Mann Höhenluft verordnet"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildbeschriftung: "Der Arzt hat nämlich meinem Mann Höhenluft verordnet."
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
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Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 5.1950, Nr. 1, S. 5.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg