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Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik: Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 5.1950

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https://doi.org/10.11588/diglit.6592#0006
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betrogen. Auch führte er ständig Sätze im Mund, die mit „Hätt ich damals . . ."
oder „Wär' ich damals . . ." begannen. Serienweise fielen ihm Unterlassungs-
sunden ein. Die Bibel, in der er zu blättern gewohnt war, blieb im Regal und
verstaubte. Ottos Gesichtsausdruck belebte sich; hin und wieder lächelte er
sogar. Eines Nachmittags hängte er den Schlafrock an den Haken und.unternahm
einen Spaziergang. Daraus entwickelte sich eine Art Brauchtum. Der Rotspon
schmeckte dem rüstiger werdenden Otto. Von Zigarren allerdings wollte er
nichts wissen. Selten mal eine Pfeife. Als man ihm in der Trambahn einen Sitz
anbot, barst er vor Stolz. Desgleichen ließ er sich gern in den Mantel helfen,
so oft er irgendwo zu Besuch weilte. Kino fand er albern und wetterte gegen
Unmoral und Geschmacksverwilderung. Nach halbwüchsigen Mädels drehte er
sich hemmungslos um und fühlte sich momentweise jung. Beim Zahnarzt be-
stellte er eine Prothese. Die markigen Mannen einer Speditionsfirma empfing
er freundlich und hatte nichts gegen einen Umzug einzuwenden.
Die neue Wohnung gefiel ihm leidlich. Er bekam ein eigenes Arbeitszimmer, las
die Druckbogen eines statistischen Werkes, verbrachte sodann elf Monate mit
der Niederschrift dieses Wälzers und hamsterte schließlich das Material dazu.
An einem Feldblumenstrauß labte sich sein Herz. Tante Velveta, auswärts
wohnend, nahte gratulierend. Otto und Ottilie feierten silberne Hochzeit. Selbst-
verständlich reiste die Tante zuvörderst ab, dann blieb sie vierzehn Tage, und
zuguterletzt mußte sie abgeholt werden. Sie hatte sich entschieden verjüngt und
behauptete, ihr bisheriges Totsein sei ihr famos bekommen. So oft Otto in der
„Morgenpost" eine Traueranzeige sah, schrak er zusammen und runzelte die
Stirn. Klassiker dienten ihm als Lektüre vorm Einschlafen. Jean Paul wärmte
Ottos Gemüt. Dann und wann erwarb er ein pornographisches Buch aus dem
Giitschrank eines befreundeten Antiquars, blätterte andächtig drin herum und
schmauchte dazu eine dicke Brasil. Am meisten schätzte er Gottes freie Natur,
und fast war er dem Herbst inniger zugetan als dem Frühling. Vorm Gebirge
empfand er Lampenfieber. Sein Lieblingskomponist wurde der verstorbene
Richard Wagner.

Von heut auf morgen blieb die Pension aus, er pilgerte ins Büro, saß die vor-
geschriebenen Stunden ab, legte Gewicht auf Bügelfalten und unauffällige
Krawatten, entsagte den Hämorrhoiden, interessierte sich brennend für Politik,
verbrachte höchst angenehme Abende beim Skat, verabscheute Romane, brauchte
neun Stunden Schlaf, warf die Zahnprothese weg und legte sich eine Brücke zu.
Trilysin benutzte er fleißig, hütete sich ängstlich vor Zugluft, achtete auf
geregelte Verdauung, protzte mit seinen schlechten Nerven, reiste ohne Ottilie
und später mit Ottilie ins Bad und hatte erotische Anwandlungen, so oft er sich
einer Maniküre unterzog. Zwiegeteilt war Ottos Brille: unten für die Nähe,
oben für die Ferne. Nach Tisch verübte er ein Viertelstündchen auf dem Sofa.
Unanständige Witze am Stammtisch bereiteten ihm königliches Vergnügen.
Lachte er, so erklang ein gedämpftes „Hihihi"! Er verfügte über ein mehr-
stelliges Bankkonto, über leicht angegrautes Haar, über Bauch und Doppelkinn
und über einen Schofför. Beim Treppensteigen machte sein Herz nicht so recht
mit. Zur Hochzeit ihrer Tochter tanzten Otto und Ottilie das erstemal.
Kurz danach widerfuhr ihm das einzige Abenteuer seines Lebens. Kaum aus der
Klinik entlassen, ward er ins Bett gesteckt (1. Klasse), da man ihn für tödlich ver-
letzt hielt. Das Ärztekonsilium, das leichte Quetschungen des Unterleibes fest-
stellte, zeigte dem das Bewußtsein erlangenden Patienten die schwere goldene
Uhrkette, ein Vermächtnis des Vaters, das infolge der abgeprallten Kugeln

in Stücke gerissen war. Daraufhin sank Otto in Ohnmacht. Sorgsam transpor-
tierte man ihn in sein Büro, wo ein Unbefugter mehrere Schüsse geschickt mit
dem Revolver auffing. Alsdann bemerkte Otto, wie die Waffe in der inneren
Rocktasche des Fremden verwahrt wurde und der Eindringling, ohne von seinem
Gegenüber die Pupille zu wenden, zum Ausgang schritt. Nachdem das Subjekt
die Tür geschlossen hatte, knöpfte sich Otto in Seelenruhe einen dringenden
Akt vor.

Es folgte eine Periode, wo er Stella, seine Freundin aus dem Hutsalon .Superb'
abwimmelte, weil sie ihm zum Hals herauswuchs. Im Laufe endlos hingedehnter
Wochen gewöhnte er sich an die oberflächliche Pute und verführte sie. Von da
an betrog er Ottilie systematisch. Bald trug er einen Schopf rostbrauner Locken
und tauschte die lästige Brücke gegen drei Jackettkronen ein. Seite an Seite mit
der ihr Fettpolster verlierenden Gattin erbaute er sich an den Köstlichkeiten
von Feld und Flur. Der Hornbrille gab er den Laufpaß. Dem Schofför dito. Otto-
kar, von Monat zu Monat elastischer, klemmte sich persönlich an den Volant.
Bronchitis? Wie weggeblasen! Sonntags ward knietief in Familienglück gewatet.
Wochentags mitnichten. Dedizierte er der Gemahlin eine Perlenkette, einen
Ring oder ein anderes Schmuckstück, so war sie genauestens im Bilde über den
Umfang seines schlechten Gewissens.

Die Tochter, längst im Besitz ihrer Unschuld, erhielt lange Zöpfe, erhielt Waden-
strümpfe, wurde kleiner und kleiner, und nach der Taufe erinnerten nur noch
Photos an ihr Erdenwallen. Ottilies Teint spottete kosmetischer Nachhilfe,
Ottilies Taille eines Korsetts. Mit Ottos Laufbahn ging es bergab. Dadurch, daß
seine Eltern wiedererstanden, büßte er die ansehnliche Erbschaft ein, man über-
siedelte in eine Dreizimmerwohnung am Stadtrand, die frischbackene Ehefrau
wurde mit Idealen gesegnet, sie exekutierte Mendelssohn am Flügel und las
Rilke und Hölderlin. Otto und Ottilie heirateten. O unvergeßliche Weihestunden
im Konzertsaal und Opernhaus! O beglückendes Beisammensein in verschwie-
genen Nachtlokalen! Sozusagen abrupt erwachte in Otto ein lyrischer Trieb.
Seite an Seite mit Ottichen erbaute er sich an den Köstlichkeiten von Feld und
Flur, diesmal jedoch ehrlich und ohne Verlogenheit. Welch harmonischer Ein-
klang mit Schwitzehändchen, Biegeärmchen und Schmiegeköpfchen! Otto schlük-
kerte Likör, qualmte Zigaretten, schielte hübschen Mädchen auf die Beine und
war seiner Braut treu wie Leander einer gewissen Hero. „Hahaha!" schallte sein
unbekümmertes Lachen. Im selben Augenblick, da er Ottilies Bekanntschaft
machte, entschwand sie für immer. Er kapierte, was Geldverdienen bedeutet.
Zusehends verengte sich sein Horizont. Vom Rasen auf lärmendem Motorrad
wurde ihm speiübel; er schaffte sich eins auf Stottern an. Die Leidenschaft für
Fußball siechte dahin mit dem dürftiger werdenden Bartwuchs. Aus heiterem
Himmel mied er den Barbier. Das weibliche Geschlecht bestand nur noch aus
Gänsen. Es vollzog sich ein Stimmwechsel sopranwärts, die langen Buxen wur-
den ersetzt durch kurze, Otto galt als berüchtigter Rüpel, er verschlang Sahne-
rollen und Karl May, in der Schule sank er von Klasse zu Klasse, verlernte
Schreiben und Rechnen, wollte partout Schornsteinfeger werden, trieb sich den
geschlagenen Tag auf der Gasse herum, log schamlos, die Zähne gingen ihm
flöten, in Diphtherie und Masern leistete er Hervorragendes, er lallte unartiku-
lierten Zimt, seines schwächlichen Untergestells halber packte man ihn in einen
Kinderwagen, ernährt wurde er mit Brei. Ottoleins Daseinszweck schien: sich
trockenlegen zu lassen. Puls hatte er 130 in der Minute. — Und hier brechen
wir ab, denn es wird heikel. Hans Reimann

P1ERO M1LANI COMPARETT1:

Ein neuer Maßstab der
menschlichen Zeit

„Auf Grund seiner Erfahrungen stellt Milani fest, daß es durch-
aus möglich ist, die Summe der Tagesstunden in körperlicher
und seelischer Hinsicht zugleich weit besser anzuwenden als
das allgemein der Fall ist. . . und zwar ohne jede Hast. Statt
immer rascher auf einem Wege vorwärts zu eilen, soll versucht
werden, verschiedene Wege gleichzeitig zu begehen, mit einer
tieferen und lebendigeren Teilnahme des Ichs an den einzelnen
Tätigkeiten, die den Kopf, das Herz oder die Hände in An-
spruch nehmen. Denn die Teile unseres Selbst haben verschie-
dene Möglichkeiten gleichzeitigen Lebens.

Wer die Zeit nach seinem Vorschlag bewerten lernt, wird ohne
Hast hundert statt 24 Stunden pro Tag leben können. Diese
Feststellung wird mancher als wissenschaftlich untragbar halten.
Dem ist aber nicht so. Der Verfasser redet aus Erfahrung und
bringt einleuchtende Beispiele. Die Methode ist praktisch, genau
und erfolgreich." Schweizer Zeitschrift iür Psychologie, Bern.

„Es ist erstaunlich, wenn man durch Anwendung der vom Ver-
fasser vorgeschlagenen Methode die Erfahrung machen muß,
wie ungeheuerlich eigentlich die Unkenntnis der einfachsten
Voraussetzungen, um die Zeit richtig anzuwenden, bei fast
jedem Menschen (einschließlich der meisten Psychologen) ist.

Der Verfasser ist ein bekannter italienischer Arzt, Psychologe
und Heilpädagoge, dessen wissenschaftliche Methoden zur Zeit
in der Schweiz und in England immer größere Anerkennung
in den Fachkreisen finden." Echo der Woche, München.

kartoniert DM 2.—

Freitag-Verlag G.m.b.H., München-Schwabing

EIN FEST IN IHREM HEIM

Am letzten Tage des alten Jahres sollten Sie sich
keine trüben Gedanken machen und sich nicht um
die Zukunft sorgen. Wenn »Kupferberg Gold« in den
Gläsern perlt,so wird bald die fröhliche,unbeschwerte
Silvesterstimmung eintreten, die Sie wie ein guter
Genius ins neue Jahr hinüberleitet. »Prosit Neujahr!«
mit »Kupferberg Gold« ist ein Hochgenuß.

KUPFERBERG GOLD S^^^^)

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