Fr. Bilek
DER LANGHAXETE PAPA
VORSTRAHLUNGEN
VON SPASSAELTER
Auszüge aus noch nicht geschriebenen Tagebuch-
blättern als Parodie auf Ernst Jüngers „Strahlungen"
1. 6. 50. Das Heilige Jahr dieses Jahrhunderts er-
innert mich daran, daß ich das meine längst über-
schritten. Stilistisches Unbehagen: bin ich jetzt der
ältere Jünger, werde ich gar der alte Jünger? Fest
steht eins: jünger werde ich nicht.
Abends mit F. C, L. M., R. S., der Doctoresse und
Admiranda, die uns wohltuende katapeptische
Tränke kredenzt. Sprach über mein Lieblingsthema:
die Buprestiden des Kaiserstuhls. Stellte mit Ge-
nugtuung fest, daß niemand auch nur einen Schim-
mer davon hatte, was Buprestiden sind. Sammle
jetzt in Fachwörterbüchern ausgefallene Fremd-
worte für Tagebucheintragung und Gespräch. Der-
gleichen hebt einen selbst und erweckt Minderwer-
tigkeitsgefühle in anderen, eine subtile Strategie
der Konversation. Werde diesen Trick niemanden
verraten.
I. 7. 50. Ein häßliches Erwachen aus widrigen Träu-
men. Finde mein Schlafzimmer mit Stellaria media
geschmückt; auf meinem Nachttisch ein Büchlein,
„Der Kampf als inneres Erlebnis", das meinen
Namen trägt. Nur Lemuren können es mir her-
gelegt haben, denn es stammt aus dem Jahre 1925.
Was lese ich: „Scharf, wie von einer ganz anderen
Rasse hob sich der Landsknecht ab von den in
Waffen gesteckten Spießbürgern . . . das waren
Krämer oder Handschuhmacher, die Krieg ausübten
als staatsbürgerliche Pflicht, brave Leute, die, wenn
es sein mußte, auch Helden waren." Hm! Oder:
„Aber wenn man selbst voll Lust hinterm Maschinen-
gewehr hockt, dann ist das Gewimmel da vorn nicht
mehr als ein Mückentanz. Zum Dauerfeuer! Hei, wie
das spritzt! da kann gar nicht genug Blei aus der
Mündung fliegen ..." Hmmm!
Feststellung: ich, Jünger von Heute, bin kein Jün-
ger dieses Jünger von gestern.
Befürchtung: Sollte ich etwa Jünger unter denen
gehabt haben, die ich jetzt als Lemuren, Maureta-
nien Feuer-, Satans- und Schlangenmenschen so
vernichtend perhorresziere?
Vorsatz: Tagebuch hinfort nur mehr auf solche
Fremdworte und höchst persönliche Begebenheiten
hinrichten, die mutmaßlich auch dem grundlegend-
sten Wandel allgemeiner Anschauungen standhalten.
1. 8. 50. Habe mich jetzt endlich mal mehrere
Wochen intensiv mit Opuntia coccinellifera, jener
bekannten Nährpflanze der Cochenilleschildlaus
beschäftigen können. Gestern darüber einen Vor-
trag vor den Bauern meines Dorfe» gehalten, da
das Liebt auch in niedere Schichten leuchten soll.
Gebrauchte dabei nur leichtere Fremdworte, da
diese hier zum Nichtverstehen völlig ausreichen.
Erfolg: jeder glaubte, ich habe über das Thema
„West oder Ost" gesprochen. Lasse sie m dem
Glauben, da alle sich streiten, für welchen Teil ich
mich entschieden. Werde mich aber vor jeder kon-
kreten Prognose in acht nehmen, da so etwas spä-
ter in der Rückschau übel vermerkt werden kann.
Nur Simpel können so etwas neuerdings außer acht
lassen.
Bon mot: ich bin kein Simpel, ich bin ein Kompel.
Das klingt an Kumpel an, jene Prägung der Arbei-
terwelt, mit der ich also auch von diesem Aspekt
verbunden. Lasse die ganze Woche die Symbolik
der Konsonantenfolge: r, n, s, t, j, n, g, r, auf mich
wirken, dieses Meisterhafte, Vollendete, Stilvolle,
Hintergründige, Saecularisch-Geniale.
1. 9. 50. Lese in Emil Krauses „Liebe auf dem
Lande", wie der Stallschweizer zur Magd sagt:
„Komm' hierher!" Empfinde dabei das Tellurisch-
Vitale, das Heiß-Werbende, das Nehmen-Wollende.
Bin gespannt, ob die Magd kommt, was ich erst
morgen erfahre, da ich grundsätzlich mindestens
15 Bücher zugleich lese.
Bild: es ist leicht, einen Ball zu fangen. Wer aber
mit mehreren zu manipulieren weiß, kann sich für
Geld sehen lassen.
Abends setzt mir Admiranda prächtige Karyophyl-
laceen in mein Zimmer. Dies beflügelt meine Ar-
beit über die Familie der Papilionaceae; da jeder
weiß, daß dies Schmetterlingsblütler sind, macht
mich der Beflügelungsvorgang stutzig. Wer möchte
mir verübeln, daß ich mich magischen Vorgängen
zu entziehen trachte.
Esse dann einen halben Apfel und schlafe ein.
1. 10. 50. Mich die ganzen letzten Wochen mit dem
Gespräch beschäftigt, das ich mit W. C, L. H,
R. J. F., W. Z., O. D. und der Doctoresse über die
Frage führte, ob der Dichter Emilio Benjamino de
Putti ein literarisches Vorbild für d'Annunzio ge-
wesen sei. Bejahte diese Frage und überzeugte alle,
obgleich Thema nicht von mir inauguriert. Muß
aber nachträglich feststellen, daß Lemuren mir
üblen Streich gespielt, da es einen Dichter Putti
gar nicht gibt. Werde aus dieser ärgerlichen Be-
SED-PROPAGANDIST — STARK BEHINDERT
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DER LANGHAXETE PAPA
VORSTRAHLUNGEN
VON SPASSAELTER
Auszüge aus noch nicht geschriebenen Tagebuch-
blättern als Parodie auf Ernst Jüngers „Strahlungen"
1. 6. 50. Das Heilige Jahr dieses Jahrhunderts er-
innert mich daran, daß ich das meine längst über-
schritten. Stilistisches Unbehagen: bin ich jetzt der
ältere Jünger, werde ich gar der alte Jünger? Fest
steht eins: jünger werde ich nicht.
Abends mit F. C, L. M., R. S., der Doctoresse und
Admiranda, die uns wohltuende katapeptische
Tränke kredenzt. Sprach über mein Lieblingsthema:
die Buprestiden des Kaiserstuhls. Stellte mit Ge-
nugtuung fest, daß niemand auch nur einen Schim-
mer davon hatte, was Buprestiden sind. Sammle
jetzt in Fachwörterbüchern ausgefallene Fremd-
worte für Tagebucheintragung und Gespräch. Der-
gleichen hebt einen selbst und erweckt Minderwer-
tigkeitsgefühle in anderen, eine subtile Strategie
der Konversation. Werde diesen Trick niemanden
verraten.
I. 7. 50. Ein häßliches Erwachen aus widrigen Träu-
men. Finde mein Schlafzimmer mit Stellaria media
geschmückt; auf meinem Nachttisch ein Büchlein,
„Der Kampf als inneres Erlebnis", das meinen
Namen trägt. Nur Lemuren können es mir her-
gelegt haben, denn es stammt aus dem Jahre 1925.
Was lese ich: „Scharf, wie von einer ganz anderen
Rasse hob sich der Landsknecht ab von den in
Waffen gesteckten Spießbürgern . . . das waren
Krämer oder Handschuhmacher, die Krieg ausübten
als staatsbürgerliche Pflicht, brave Leute, die, wenn
es sein mußte, auch Helden waren." Hm! Oder:
„Aber wenn man selbst voll Lust hinterm Maschinen-
gewehr hockt, dann ist das Gewimmel da vorn nicht
mehr als ein Mückentanz. Zum Dauerfeuer! Hei, wie
das spritzt! da kann gar nicht genug Blei aus der
Mündung fliegen ..." Hmmm!
Feststellung: ich, Jünger von Heute, bin kein Jün-
ger dieses Jünger von gestern.
Befürchtung: Sollte ich etwa Jünger unter denen
gehabt haben, die ich jetzt als Lemuren, Maureta-
nien Feuer-, Satans- und Schlangenmenschen so
vernichtend perhorresziere?
Vorsatz: Tagebuch hinfort nur mehr auf solche
Fremdworte und höchst persönliche Begebenheiten
hinrichten, die mutmaßlich auch dem grundlegend-
sten Wandel allgemeiner Anschauungen standhalten.
1. 8. 50. Habe mich jetzt endlich mal mehrere
Wochen intensiv mit Opuntia coccinellifera, jener
bekannten Nährpflanze der Cochenilleschildlaus
beschäftigen können. Gestern darüber einen Vor-
trag vor den Bauern meines Dorfe» gehalten, da
das Liebt auch in niedere Schichten leuchten soll.
Gebrauchte dabei nur leichtere Fremdworte, da
diese hier zum Nichtverstehen völlig ausreichen.
Erfolg: jeder glaubte, ich habe über das Thema
„West oder Ost" gesprochen. Lasse sie m dem
Glauben, da alle sich streiten, für welchen Teil ich
mich entschieden. Werde mich aber vor jeder kon-
kreten Prognose in acht nehmen, da so etwas spä-
ter in der Rückschau übel vermerkt werden kann.
Nur Simpel können so etwas neuerdings außer acht
lassen.
Bon mot: ich bin kein Simpel, ich bin ein Kompel.
Das klingt an Kumpel an, jene Prägung der Arbei-
terwelt, mit der ich also auch von diesem Aspekt
verbunden. Lasse die ganze Woche die Symbolik
der Konsonantenfolge: r, n, s, t, j, n, g, r, auf mich
wirken, dieses Meisterhafte, Vollendete, Stilvolle,
Hintergründige, Saecularisch-Geniale.
1. 9. 50. Lese in Emil Krauses „Liebe auf dem
Lande", wie der Stallschweizer zur Magd sagt:
„Komm' hierher!" Empfinde dabei das Tellurisch-
Vitale, das Heiß-Werbende, das Nehmen-Wollende.
Bin gespannt, ob die Magd kommt, was ich erst
morgen erfahre, da ich grundsätzlich mindestens
15 Bücher zugleich lese.
Bild: es ist leicht, einen Ball zu fangen. Wer aber
mit mehreren zu manipulieren weiß, kann sich für
Geld sehen lassen.
Abends setzt mir Admiranda prächtige Karyophyl-
laceen in mein Zimmer. Dies beflügelt meine Ar-
beit über die Familie der Papilionaceae; da jeder
weiß, daß dies Schmetterlingsblütler sind, macht
mich der Beflügelungsvorgang stutzig. Wer möchte
mir verübeln, daß ich mich magischen Vorgängen
zu entziehen trachte.
Esse dann einen halben Apfel und schlafe ein.
1. 10. 50. Mich die ganzen letzten Wochen mit dem
Gespräch beschäftigt, das ich mit W. C, L. H,
R. J. F., W. Z., O. D. und der Doctoresse über die
Frage führte, ob der Dichter Emilio Benjamino de
Putti ein literarisches Vorbild für d'Annunzio ge-
wesen sei. Bejahte diese Frage und überzeugte alle,
obgleich Thema nicht von mir inauguriert. Muß
aber nachträglich feststellen, daß Lemuren mir
üblen Streich gespielt, da es einen Dichter Putti
gar nicht gibt. Werde aus dieser ärgerlichen Be-
SED-PROPAGANDIST — STARK BEHINDERT
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Der langhaxete Papa" "SED-Propagandist - stark berhindert"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Kommentar
Signatur: Torso
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 5.1950, Nr. 1, S. 7.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg