rr. Bilek
WEGE ZU NATURLICHEM LEBEN
Es gibt schöne, vielverbreitete Heftchen, die
für „natürliches Leben" werben. Natürliches
Leben ist gesundes Leben, und gesundes Leben
ist selbstverständlich nicht mit der Arbeit an
der Nähmaschine, am Hackstock oder am Spül-
kübel zu vereinen, nein, gesundes Leben spielt
sich erstens nackt und zweitens im Freien ab.
Aber man soll nun durchaus nicht glauben, na-
türliches Leben sei ein einfaches Leben. Weit
gefehlt. Es bedarf vielmehr unerhörten kör-
perlichen Trainings einerseits und umständ-
licher Vorbereitungen andererseits, bis ein
Mensch so natürlich zu leben vermag, wie es
diese reichbebilderten Blätter vorschreiben.
Nach ernsthaften Studien zahlreicher Titel-
seiten allüberall ausgehängter „Blätter zu na-
türlichem Leben" wird man erkennen, welch
mühevoller Weg dahin führt. Das einfachste
Rezept ist das folgende:
Man führt ein junges unbekleidetes Mäd-
chen von gut erhaltener Körperbeschaffenheit
zu einem irgendwo in der Natur gelegenen
Hügel, einer Düne, einem Berggipfel oder
sonst einem steilaufragenden Vorsprung, an
den es sich besonders natürlich anschmiegen
läßt. An diesem Steilgegenstand wird das
nackte, selbstverständlich gymnastisch gut vor-
geschulte Mädchen so befestigt, daß es bei ge-
strecktem rechten Bein auf dem linken zu knien
Mißlungenes Gedicht
Julielte Figueras wurde zur „Miß Europa" gewählt.
Vor Zeiten war es Miß Versfand,
die Siegerin geblieben.
Auch haben wir's mit Miß Kredit
und mit Miß Brauch getrieben.
Dann war's Miß Klang sowie Miß Ton,
die beiden Zwillingsschwestern,
und Miß Geschick und gar Miß Gunst
war'n Königin noch gestern.
Für heut ist Miß Europa dran,
und Pan Europa schnurrt.
Und in neun Monat hab'n wir dann
die schönste Miß Geburt. Heinz Hartwig
scheint, immer entlang dem Steilhang mit
leicht zitternden Muskeln.
Ebenso zwanglos-natürlich geht's auch beim
Oberkörper zu. Dieser wird mit erstaunlicher
Kreuzbiegsamkeit weit nach hinten gereckt.
Die Arme aber greifen über das zartumlockte,
traumselig zurückgelegte Haupt hoch hinauf in
den sicherlich blauen Himmel, dem dies natür-
liche Geschöpf ja um so vieles näher ist als
die armselig bekleideten, zwanglos daher-
gehenden Großstadtpflanzen. Durch den Griff
nach oben wird erfreulicherweise auch noch
die von Lebensmut schwellende Büste gestrafft
und sanft nach oben gezogen, so daß sich eine
köstlich natürliche Parallele ergibt zwischen
den anmutigen Formen im Vordergrund und
dem weiteren Hügelpanorama im Hintergrund.
Ob das jauchzend sich streckende Mädchen
zur Sicherung seiner zwanglosen Haltung
irgendwo an einem verborgenen Fleischhaken
hängt, ist auf den von solch natürlichen Stel-
lungen vielfach angefertigten Photos leider
nicht zu erkennen. Doch möchte man's fast an-
nehmen, da man ohne Sporen einen Menschen
kaum in gebäumter Haltung so lange verhar-
ren lassen kann, bis der Photograph die läs-
sige Anmut auf die Platte gebannt hat.
Während des Winters wird das natürliche
Leben in den Schnee verlegt, wobei Raffungen
und Straffungen aller Art auf Skiern vorge- .
nommen werden. Ein Skistock schützt dabei
vor neugierigen Blicken Unbefugter und ver-
deckt das Nötigste. Eine Bekleidung der Füße
durch Skischuhe ist jedoch dabei nicht zu um-
gehen, leider — denn wieviel natürlicher
wirkte es doch, wenn barfüßige Nackedeis
über die Gletscher rutschten! E. H.
DIE ERÖFFNUNG
Jede Kunstausstellung, die auf sich hält, sichert sich
als Eröffnungsredner einen Oberbürgermeister oder,
noch besser, einen Minister, der mit ein paar sub-
missest vorbereiteten Gedankengängen seines
Kunstreferenten und mit bedeutendem Augen-
aufschlag zum mindesten seine Frau Gemahlin in
der ersten Sitzreihe jach entzückt.
Sichert sich zwei Konzertflügel, die ein musikwis-
senschaftlich ungemein interessantes, ungemein
selten gespieltes, ungemein langweiliges Klavier-
stück über sich ergehen lassen müssen.
Sichert sich, last not least, eine markante oder
jedenfalls markant aussehende kunsthistorische
Persönlichkeit. Führt sich diese Persönlichkeit dann
mit den Worten ein: Ich will keine langen Reden
halten, oder: Ich will mich kurz fassen, oder gar: ich
will mich ganz kurz fassen — seien Sie mißtrauisch,
glauben Sie ihm nicht, schreiben Sie die nächste
halbe Stunde gleich ab. Denn der Markante hat so
sicher, wie zweimal zwei vier ist, eine tiefschür-
fende, grundsätzlich epochemachende Ansprache
vorbereitet, in der er haarscharf und temperament-
voll auseinanderanatomisiert und auseinander-
atomisiert, was in diesen unwissenden, dumpf rumo-
renden, tumben Maler- und Bildhauerhirnen vor
sich geht. Wenn nach fünf Minuten unter den Zu-
hörern die ersten geflüsterten Privatunterhaltungen
entstehen, wenn nach zehn Minuten ein Künstler
vom Fenster laut in den Hof hinunterflüstert: „Ihr
könnt noch draußen bleiben, er redet immer noch!",
wenn nach fünfzehn Minuten die Türen auf- und
zuknallen, wenn nach zwanzig Minuten in den hin-
teren Reihen ungeniert schallend gelacht wird — der
Markante forcht sich nicht. Er schürft und schürft.
Tief und tiefer. Bis er ganz unten am Boden kratzt.
Dagegen war in der Zeitung zu lesen, daß bei einem
südafrikanischen Negerstamm jeder nur so lange zu
seinem Nächsten sprechen darf, als er, auf einem
Bein stehend, das Gleichgewicht zu halten vermag.
Sobald er mit dem zweiten Bein die Erde berührt,
gilt die Rede als beendet. Großartig! Man siedle
diese sympathischen Ein-Bein-Steher umgehend
nach Europa um und engagiere sie zum Segen der
Menschheit als Eröffnungsredner für Kunstausstel-
lungen. Länger als ein paar Minuten werden sie
garantiert nicht auf einem Bein stehen und so kurze
Zeit wird es ihnen wirklich niemand verwehren,
über Kunst zu lallen. Kuppel
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WEGE ZU NATURLICHEM LEBEN
Es gibt schöne, vielverbreitete Heftchen, die
für „natürliches Leben" werben. Natürliches
Leben ist gesundes Leben, und gesundes Leben
ist selbstverständlich nicht mit der Arbeit an
der Nähmaschine, am Hackstock oder am Spül-
kübel zu vereinen, nein, gesundes Leben spielt
sich erstens nackt und zweitens im Freien ab.
Aber man soll nun durchaus nicht glauben, na-
türliches Leben sei ein einfaches Leben. Weit
gefehlt. Es bedarf vielmehr unerhörten kör-
perlichen Trainings einerseits und umständ-
licher Vorbereitungen andererseits, bis ein
Mensch so natürlich zu leben vermag, wie es
diese reichbebilderten Blätter vorschreiben.
Nach ernsthaften Studien zahlreicher Titel-
seiten allüberall ausgehängter „Blätter zu na-
türlichem Leben" wird man erkennen, welch
mühevoller Weg dahin führt. Das einfachste
Rezept ist das folgende:
Man führt ein junges unbekleidetes Mäd-
chen von gut erhaltener Körperbeschaffenheit
zu einem irgendwo in der Natur gelegenen
Hügel, einer Düne, einem Berggipfel oder
sonst einem steilaufragenden Vorsprung, an
den es sich besonders natürlich anschmiegen
läßt. An diesem Steilgegenstand wird das
nackte, selbstverständlich gymnastisch gut vor-
geschulte Mädchen so befestigt, daß es bei ge-
strecktem rechten Bein auf dem linken zu knien
Mißlungenes Gedicht
Julielte Figueras wurde zur „Miß Europa" gewählt.
Vor Zeiten war es Miß Versfand,
die Siegerin geblieben.
Auch haben wir's mit Miß Kredit
und mit Miß Brauch getrieben.
Dann war's Miß Klang sowie Miß Ton,
die beiden Zwillingsschwestern,
und Miß Geschick und gar Miß Gunst
war'n Königin noch gestern.
Für heut ist Miß Europa dran,
und Pan Europa schnurrt.
Und in neun Monat hab'n wir dann
die schönste Miß Geburt. Heinz Hartwig
scheint, immer entlang dem Steilhang mit
leicht zitternden Muskeln.
Ebenso zwanglos-natürlich geht's auch beim
Oberkörper zu. Dieser wird mit erstaunlicher
Kreuzbiegsamkeit weit nach hinten gereckt.
Die Arme aber greifen über das zartumlockte,
traumselig zurückgelegte Haupt hoch hinauf in
den sicherlich blauen Himmel, dem dies natür-
liche Geschöpf ja um so vieles näher ist als
die armselig bekleideten, zwanglos daher-
gehenden Großstadtpflanzen. Durch den Griff
nach oben wird erfreulicherweise auch noch
die von Lebensmut schwellende Büste gestrafft
und sanft nach oben gezogen, so daß sich eine
köstlich natürliche Parallele ergibt zwischen
den anmutigen Formen im Vordergrund und
dem weiteren Hügelpanorama im Hintergrund.
Ob das jauchzend sich streckende Mädchen
zur Sicherung seiner zwanglosen Haltung
irgendwo an einem verborgenen Fleischhaken
hängt, ist auf den von solch natürlichen Stel-
lungen vielfach angefertigten Photos leider
nicht zu erkennen. Doch möchte man's fast an-
nehmen, da man ohne Sporen einen Menschen
kaum in gebäumter Haltung so lange verhar-
ren lassen kann, bis der Photograph die läs-
sige Anmut auf die Platte gebannt hat.
Während des Winters wird das natürliche
Leben in den Schnee verlegt, wobei Raffungen
und Straffungen aller Art auf Skiern vorge- .
nommen werden. Ein Skistock schützt dabei
vor neugierigen Blicken Unbefugter und ver-
deckt das Nötigste. Eine Bekleidung der Füße
durch Skischuhe ist jedoch dabei nicht zu um-
gehen, leider — denn wieviel natürlicher
wirkte es doch, wenn barfüßige Nackedeis
über die Gletscher rutschten! E. H.
DIE ERÖFFNUNG
Jede Kunstausstellung, die auf sich hält, sichert sich
als Eröffnungsredner einen Oberbürgermeister oder,
noch besser, einen Minister, der mit ein paar sub-
missest vorbereiteten Gedankengängen seines
Kunstreferenten und mit bedeutendem Augen-
aufschlag zum mindesten seine Frau Gemahlin in
der ersten Sitzreihe jach entzückt.
Sichert sich zwei Konzertflügel, die ein musikwis-
senschaftlich ungemein interessantes, ungemein
selten gespieltes, ungemein langweiliges Klavier-
stück über sich ergehen lassen müssen.
Sichert sich, last not least, eine markante oder
jedenfalls markant aussehende kunsthistorische
Persönlichkeit. Führt sich diese Persönlichkeit dann
mit den Worten ein: Ich will keine langen Reden
halten, oder: Ich will mich kurz fassen, oder gar: ich
will mich ganz kurz fassen — seien Sie mißtrauisch,
glauben Sie ihm nicht, schreiben Sie die nächste
halbe Stunde gleich ab. Denn der Markante hat so
sicher, wie zweimal zwei vier ist, eine tiefschür-
fende, grundsätzlich epochemachende Ansprache
vorbereitet, in der er haarscharf und temperament-
voll auseinanderanatomisiert und auseinander-
atomisiert, was in diesen unwissenden, dumpf rumo-
renden, tumben Maler- und Bildhauerhirnen vor
sich geht. Wenn nach fünf Minuten unter den Zu-
hörern die ersten geflüsterten Privatunterhaltungen
entstehen, wenn nach zehn Minuten ein Künstler
vom Fenster laut in den Hof hinunterflüstert: „Ihr
könnt noch draußen bleiben, er redet immer noch!",
wenn nach fünfzehn Minuten die Türen auf- und
zuknallen, wenn nach zwanzig Minuten in den hin-
teren Reihen ungeniert schallend gelacht wird — der
Markante forcht sich nicht. Er schürft und schürft.
Tief und tiefer. Bis er ganz unten am Boden kratzt.
Dagegen war in der Zeitung zu lesen, daß bei einem
südafrikanischen Negerstamm jeder nur so lange zu
seinem Nächsten sprechen darf, als er, auf einem
Bein stehend, das Gleichgewicht zu halten vermag.
Sobald er mit dem zweiten Bein die Erde berührt,
gilt die Rede als beendet. Großartig! Man siedle
diese sympathischen Ein-Bein-Steher umgehend
nach Europa um und engagiere sie zum Segen der
Menschheit als Eröffnungsredner für Kunstausstel-
lungen. Länger als ein paar Minuten werden sie
garantiert nicht auf einem Bein stehen und so kurze
Zeit wird es ihnen wirklich niemand verwehren,
über Kunst zu lallen. Kuppel
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Wege zu natürlichem Leben"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 5.1950, Nr. 2, S. 14.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg