Malerei, Plastik und Schauspielkunst, wo es sich um eine direkte Nachahmung
oder Darstellung der Natur, also um eine Art von Täuschung, handelt.
Jch gehe dabei wieder von Bötticher und Semper aus. Wir haben gesehen,
daß Bötticher die Werkform und die Kunstform unterscheidet, und daß Semper
zur ..Idee" auch die „symbolische" Darstellung der materiellen Funktion rech-
net. Für die Werkform ist charakteristisch, daß sie für sich allein, ohne die
Kunstform imstande ist, die statische Funktion auszuüben, zu der sie an dem
tektonischen Gebilde dient. An Stelle einer Säulenreihe, die das Gebälk eines
Tempels trägt, würde auch eine Reihe aufwärts gerichteter Baukörper ohne die
Kunstform der Säule denselben Zweck erfüllen. Aber die Werkform ist an
sich tot. Soll sie zur Kunstform werden, so muß ihr in irgendeiner Weise
Leben verliehen werden. Das geschieht durch eine Analogie der Natur, da-
durch daß mit Hilfe von Formen, die an die Natur erinnern, die statische
Funktion des betreffenden Bauglieds allegorisch erklärt, symbolisch veran-
schaulicht wird. Die Kunstform sagt nach Bötticher dasselbe wie die Werk-
form, nur mit anderen Worten und in einer für die Anschauung klareren Weise.
Die Werkform ergibt sich wie gesagt aus der statischen Leistung und hat kein
außerhalb derselben befindliches Vorbild nachzuahmen. Die Kunstform da-
gegen knüpft an bestimmte Vorbilder in der Natur an. Sie erhält ihren alle-
gorischen oder symbolischen Charakter nur dadurch, daß sie „schon daseiende
Vorbilder1' nachahmt. Diese Vorbilder aber können nur in der Natur, außer-
dem hie und da in gewissen technischen Prozeduren gesucht werden. Und
dadurch wird die Kunstform zu einer Nachahmung, besser gesagt zu einer
Analogieschöpfung der Natur.
Diese Theorie Böttichers, die neuerdings mit ganz unzulänglichen Gründen
angefochten worden ist, trifft in bezug auf die Frage der Analogie der Natur-
formen ohne Zweifel das Richtige. Und es ist bekannt, daß Bötticher seine
Auffassung durch eine zwar im einzelnen nicht
immer stichhaltige, aber im ganzen eindringende
und feinsinnige Analyse der Kunstformen der
griechischen Architektur begründet hat. Allein
es ist ihm dabei ein großer und verhängnis-
voller Irrtum untergelaufen, ein Irrtum, der sich
bis in die neueste Zeit fortgeschleppt und die
Erkenntnis der Wahrheit hintangehalten hat.
Bötticher faßt nämlich die Kunstform als eine
Veranschaulichung der wirklichen statischen
Leistung auf, er nimmt an, daß sie die tat-
sächliche Funktion des betreffenden Bauglieds
allegorisch-symbolisch veranschauliche. Das
ist nun aber keineswegs der Fall. Vielmehr
ist hier wie bei allen künstlerischen Illusionen
ein Gegensatz zwischen der Wirklichkeit,
die man wahrnimmt, und der Vorstellung,
die man daran anknüpft, zu konstatieren.
Indem die Kunstform dem organischen Leben
angenähert wird, gibt sie Veranlassung zu einer
Illusion, einer Scheinvorstellung, die ge- Erich Kleinhempel in Dresden, Briefbeschwerer.
K. Lange,
Die Ent-
stehung
der deko-
rativen
Kunst-
formen.
D. Nr. 309.
85
oder Darstellung der Natur, also um eine Art von Täuschung, handelt.
Jch gehe dabei wieder von Bötticher und Semper aus. Wir haben gesehen,
daß Bötticher die Werkform und die Kunstform unterscheidet, und daß Semper
zur ..Idee" auch die „symbolische" Darstellung der materiellen Funktion rech-
net. Für die Werkform ist charakteristisch, daß sie für sich allein, ohne die
Kunstform imstande ist, die statische Funktion auszuüben, zu der sie an dem
tektonischen Gebilde dient. An Stelle einer Säulenreihe, die das Gebälk eines
Tempels trägt, würde auch eine Reihe aufwärts gerichteter Baukörper ohne die
Kunstform der Säule denselben Zweck erfüllen. Aber die Werkform ist an
sich tot. Soll sie zur Kunstform werden, so muß ihr in irgendeiner Weise
Leben verliehen werden. Das geschieht durch eine Analogie der Natur, da-
durch daß mit Hilfe von Formen, die an die Natur erinnern, die statische
Funktion des betreffenden Bauglieds allegorisch erklärt, symbolisch veran-
schaulicht wird. Die Kunstform sagt nach Bötticher dasselbe wie die Werk-
form, nur mit anderen Worten und in einer für die Anschauung klareren Weise.
Die Werkform ergibt sich wie gesagt aus der statischen Leistung und hat kein
außerhalb derselben befindliches Vorbild nachzuahmen. Die Kunstform da-
gegen knüpft an bestimmte Vorbilder in der Natur an. Sie erhält ihren alle-
gorischen oder symbolischen Charakter nur dadurch, daß sie „schon daseiende
Vorbilder1' nachahmt. Diese Vorbilder aber können nur in der Natur, außer-
dem hie und da in gewissen technischen Prozeduren gesucht werden. Und
dadurch wird die Kunstform zu einer Nachahmung, besser gesagt zu einer
Analogieschöpfung der Natur.
Diese Theorie Böttichers, die neuerdings mit ganz unzulänglichen Gründen
angefochten worden ist, trifft in bezug auf die Frage der Analogie der Natur-
formen ohne Zweifel das Richtige. Und es ist bekannt, daß Bötticher seine
Auffassung durch eine zwar im einzelnen nicht
immer stichhaltige, aber im ganzen eindringende
und feinsinnige Analyse der Kunstformen der
griechischen Architektur begründet hat. Allein
es ist ihm dabei ein großer und verhängnis-
voller Irrtum untergelaufen, ein Irrtum, der sich
bis in die neueste Zeit fortgeschleppt und die
Erkenntnis der Wahrheit hintangehalten hat.
Bötticher faßt nämlich die Kunstform als eine
Veranschaulichung der wirklichen statischen
Leistung auf, er nimmt an, daß sie die tat-
sächliche Funktion des betreffenden Bauglieds
allegorisch-symbolisch veranschauliche. Das
ist nun aber keineswegs der Fall. Vielmehr
ist hier wie bei allen künstlerischen Illusionen
ein Gegensatz zwischen der Wirklichkeit,
die man wahrnimmt, und der Vorstellung,
die man daran anknüpft, zu konstatieren.
Indem die Kunstform dem organischen Leben
angenähert wird, gibt sie Veranlassung zu einer
Illusion, einer Scheinvorstellung, die ge- Erich Kleinhempel in Dresden, Briefbeschwerer.
K. Lange,
Die Ent-
stehung
der deko-
rativen
Kunst-
formen.
D. Nr. 309.
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