bringt. Die englische Kunstbewegung war eben nur ein Teil einer großen H. Muthe-
geistigen Strömung, die auf Abstreifung der Aeußerlichkeiten, auf Aufrichtigkeit sius, Das
der Gesinnung, Wahrhaftigkeit und vertieftes Seelenleben abzielte, eine Be- englische
wegung, deren erster Vertreter Carlyle war, und die Ruskin durch seine Haus,
glänzenden Schriften in die weitesten Kreise des Volkes trug.
Entsprechend dem Geiste dieser Bewegung, der in einen Gegensatz zu den
vorhergegangenen klassischen Beeinflussungen trat, entwickelte sich das eng-
lische Haus in den letzten 30 Jahren eigentlich in direktem Widerspruch zu
dem, was vorher die klassizistische Richtung vertreten hatte. Man wollte
keinen Palazzo mehr, bei dem die abgewogenen Verhältnisse, die durch-
geführten Achsen und ein äußerliches Streben nach Großartigkeit für den
Mangel an Komfort entschädigen mußte, sondern man wollte ein Haus ohne
jede Prätension, man wollte den Komfort in reiner Form. Statt des Archi-
tektonischen erstrebte man das Zweckmäßige und Wohnliche. Mit der Phrase
wurde selbst die gebundene künstlerische Form aufgegeben und nach dem
Palast-Ideal, dem man vorher selbst in der kleinen Villa ergeben war, kam
jetzt das Ideal der Hütte zur Geltung. Es ist höchst bezeichnend, wie sich
mit dieser Aenderung der Anschauungen die Bedeutung des Wortes ..Villa" in
England geändert hat. „Villa" hatte im Englischen früher dieselbe Bedeutung
wie jetzt bei uns. Heute hat es einen verächtlichen Sinn und wird nur noch
für jene erbärmlichen kleinen Häuser gebraucht, mit denen der Unternehmer die
Vorstädte der ärmeren Stadtgegenden bedeckt. Der Engländer nennt heute
seine Wohnstätte mit Stolz wieder „house". Er bildet es nicht mehr in Nach-
ahmung des italienischen Palazzo, sondern eher im Sinne der heimischen
Bauernhütte. Er verlangt, daß das freistehende Haus unter allen Umständen
ein ländliches Gepräge haben müsse, er entwickelt es daher in die Breite,
statt in die Höhe, betont das Dach, das stets die Form eines weit herunter-
reichenden Satteldachs hat und verwendet für das Aeußere stets die natür-
lichen Materialien. Vor allem verlangt er Ruhe und unauffällige Wirkung. In
dieser Beziehung herrscht der auffallendste Gegensatz zwischen dem englischen
Landhause und der deutschen Villa. Wie wenig Villen gibt es bei uns, denen
man nicht eine gewisse Gefallsucht anmerkt, das Bestreben, dem Straßen-
besucher zu imponieren. Da wird eine willkürliche Gruppierung bewerkstelligt,
ein Giebel herausgezogen, ein Turm angebracht, der keinen weiteren Zweck
hat, als eine schöne Gruppe zu schaffen. Das Dach wird mit Dachluken und
Ausbauten ..belebt'1, die Umfassungswände zeigen drei oder vier verschiedene
Materialien an demselben Bau. Alles zielt darauf ab, eine sogenannte inter-
essante Architektur zu entwickeln, ein Ziel, das man am sichersten zu erreichen
glaubt, wenn man den Bau „malerisch" gestaltet, d. h. ihn künstlich wild macht.
Selbstverständlich kehrt er seine Schauseite der Straße zu, an der er Parade
zu stehen scheint. Unsere Villen kokettieren durchweg mit dem Straßen-
Publikum. Wie anders betätigt sich hier die englische Auffassung. Dem Eng-
länder liegt nichts ferner, als eine Gefallsucht nach dieser Seite hin, im Gegen-
teil, er läßt sein Haus der Straße stracks den Rücken kehren. Die Hauptfront
des Hauses, wenn es eine solche gibt, ist stets die Gartenseite. Gegen die
Straße schließt er sich ab durch einen undurchdringlichen Zaun, eine Hecke
°der eine hohe Mauer. So kommt es, daß, wenn man englische Landhaus-
bezirke durchwandert, man eigentlich nichts von Häusern merkt. Man sieht
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geistigen Strömung, die auf Abstreifung der Aeußerlichkeiten, auf Aufrichtigkeit sius, Das
der Gesinnung, Wahrhaftigkeit und vertieftes Seelenleben abzielte, eine Be- englische
wegung, deren erster Vertreter Carlyle war, und die Ruskin durch seine Haus,
glänzenden Schriften in die weitesten Kreise des Volkes trug.
Entsprechend dem Geiste dieser Bewegung, der in einen Gegensatz zu den
vorhergegangenen klassischen Beeinflussungen trat, entwickelte sich das eng-
lische Haus in den letzten 30 Jahren eigentlich in direktem Widerspruch zu
dem, was vorher die klassizistische Richtung vertreten hatte. Man wollte
keinen Palazzo mehr, bei dem die abgewogenen Verhältnisse, die durch-
geführten Achsen und ein äußerliches Streben nach Großartigkeit für den
Mangel an Komfort entschädigen mußte, sondern man wollte ein Haus ohne
jede Prätension, man wollte den Komfort in reiner Form. Statt des Archi-
tektonischen erstrebte man das Zweckmäßige und Wohnliche. Mit der Phrase
wurde selbst die gebundene künstlerische Form aufgegeben und nach dem
Palast-Ideal, dem man vorher selbst in der kleinen Villa ergeben war, kam
jetzt das Ideal der Hütte zur Geltung. Es ist höchst bezeichnend, wie sich
mit dieser Aenderung der Anschauungen die Bedeutung des Wortes ..Villa" in
England geändert hat. „Villa" hatte im Englischen früher dieselbe Bedeutung
wie jetzt bei uns. Heute hat es einen verächtlichen Sinn und wird nur noch
für jene erbärmlichen kleinen Häuser gebraucht, mit denen der Unternehmer die
Vorstädte der ärmeren Stadtgegenden bedeckt. Der Engländer nennt heute
seine Wohnstätte mit Stolz wieder „house". Er bildet es nicht mehr in Nach-
ahmung des italienischen Palazzo, sondern eher im Sinne der heimischen
Bauernhütte. Er verlangt, daß das freistehende Haus unter allen Umständen
ein ländliches Gepräge haben müsse, er entwickelt es daher in die Breite,
statt in die Höhe, betont das Dach, das stets die Form eines weit herunter-
reichenden Satteldachs hat und verwendet für das Aeußere stets die natür-
lichen Materialien. Vor allem verlangt er Ruhe und unauffällige Wirkung. In
dieser Beziehung herrscht der auffallendste Gegensatz zwischen dem englischen
Landhause und der deutschen Villa. Wie wenig Villen gibt es bei uns, denen
man nicht eine gewisse Gefallsucht anmerkt, das Bestreben, dem Straßen-
besucher zu imponieren. Da wird eine willkürliche Gruppierung bewerkstelligt,
ein Giebel herausgezogen, ein Turm angebracht, der keinen weiteren Zweck
hat, als eine schöne Gruppe zu schaffen. Das Dach wird mit Dachluken und
Ausbauten ..belebt'1, die Umfassungswände zeigen drei oder vier verschiedene
Materialien an demselben Bau. Alles zielt darauf ab, eine sogenannte inter-
essante Architektur zu entwickeln, ein Ziel, das man am sichersten zu erreichen
glaubt, wenn man den Bau „malerisch" gestaltet, d. h. ihn künstlich wild macht.
Selbstverständlich kehrt er seine Schauseite der Straße zu, an der er Parade
zu stehen scheint. Unsere Villen kokettieren durchweg mit dem Straßen-
Publikum. Wie anders betätigt sich hier die englische Auffassung. Dem Eng-
länder liegt nichts ferner, als eine Gefallsucht nach dieser Seite hin, im Gegen-
teil, er läßt sein Haus der Straße stracks den Rücken kehren. Die Hauptfront
des Hauses, wenn es eine solche gibt, ist stets die Gartenseite. Gegen die
Straße schließt er sich ab durch einen undurchdringlichen Zaun, eine Hecke
°der eine hohe Mauer. So kommt es, daß, wenn man englische Landhaus-
bezirke durchwandert, man eigentlich nichts von Häusern merkt. Man sieht
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