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Sondheim, Moriz
Gesammelte Schriften: Buchkunde, Bibliographie, Literatur, Kunst u.a. — Frankfurt a.M., 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.34388#0028

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Man hat oft die Uebersetzung eines Gedichtes mit der
Wiedergabe eines Oelgemäldes durch Radirung verglichen. Nur
ein wirklicher Künstler, in dessen Brust ein Funken des heiligen
Feuers glüht, welches den Meister begeisterte, kann in das Erz
ein treues Abbild des Gemäldes desselben graben. Ebenso
genügt es nicht Grammatik gelernt zu haben, um einen Dichter
zu übertragen; der Uebersetzer muss selbst ein Dichter sein,
sonst bringt er blos ein lebloses, mattes Bild, ein verzerrtes, dem
Original nur der Form nach ähnelndes Machwerk zu Stande.
Flerr Fasanotto ist kein Dichter und hat niemals auf diesen
Namen Anspruch gemacht. „Non aspiro al vanto di poeta"
sagt er in seiner Vorrede. Wir wollen ihm darum die mangel-
hafte Uebersetzung des „Büchlen der Lieder" verzeihen und
dankbar sein, dass er dies Gedicht, das lieb gewonnen ward,
soweit die deutsche Zunge klingt, und den Engländern schon
vor längerer Zeit durch eine schöne Uebersetzung bekannt
wurde, auch in Italien eingebürgert hat.

Volfaire's Dantestudien.
Die Göttliche Comödie Dante's, die wie ein ernster go-
thischer Münsterbau an der Grenze des Mittelalters und der
Renaissance steht, ist lange ein ungelöstes Räthsel geblieben.
Sie hat ein Heer von Commentatoren und Erklärern herauf-
beschworen, die sie fast noch unverständlicher gemacht haben,
als sie war, so dass sie der Menge nur das Gefühl der Ehr-
furcht vor einer unbegriffenen, gigantischen Grösse einflösst.
Auch Voltaire hat einen Augenblick sinnend vor ihr gestanden
und hat sich wieder abgewandt, ohne sie begriffen zu haben.
Voltaire war vielleicht der gebildetste Mann seines Jahr-
hunderts; zu den gelehrtesten gehörte er nicht. Wer sein ge-
sammtes Wirken aus der Ferne betrachtet und die unzähligen
Schriften aller Gattungen erblickt, welche er uns hinterlassen
hat, der schaut mit Ehrfurcht zu diesem Universalgeiste em-
por; wenn wir aber näher treten, dann schwindet der Glorien-
schein von seinem Haupte; wir sehen, daß sein Wissen nur
Stückwerk war, daß er, der Apostel der Wahrheit, oft die ver-
kehrtesten Ansichten hegte, der Pionier der Toleranz, mit den
lächerlichsten Vorurtheilen behaftet war.
Er war weniger ein Genie als ein großes Talent. Er hat
nicht wie Lessing, mit dem man ihn oft fälschlich vergleicht,
durch ernstes Wissen den Grundstein zu einer neuen Epoche
gelegt; er hat — ein beißender Spötter — sich damit begnügt,
das Bestehende umzustürzen, den späteren Generationen über-
lassend auf den Trümmern ein neues Gebäude zu errichten.
Mit der Liebenswürdigkeit und Oberflächlichkeit, die ihn zu
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