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Spranger, Peter
Der Geiger von Gmünd: Justinus Kerner und die Geschichte einer Legende — Schwäbisch Gmünd, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.43382#0087
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Jüngst kniet' ein feiner Knabe da.
Aufschmachtend, hingebeugt.
Welch hohes Wunder ihm geschah!
Die Heil'ge mild sich neigt.«
Aus Uhlands kurzgefaßtem Tagebucheintrag »Sagen von dem Geiger
u. von dem Grafen von Limburg« ist nicht mit Sicherheit zu entneh-
men, ob bei eben jenem Septemberspaziergang auch von der benach-
barten Stadt Gmünd die Rede war119. Denkbar wäre, daß sich Kerner
schon zuvor, denkbar auch, daß er sich erst im Anschluß an die Begeg-
nung mit Uhland auf Gmünd als Schauplatz seiner Geigerlegende fest-
gelegt hat. Was das Handwerkliche, die poetologische Technik betrifft,
so war beiden Freunden der bewährte »Kunstgriff« durchaus geläufig,
»durch Einführung eines fiktiven Monumentes die geschichtliche The-
matik einerseits mythisch-ätiologisch zu hinterlegen und andererseits
die Brücke zur Gegenwart des zeitgenössischen Betrachters zu schla-
gen, ja dieselbe noch in die Betrachtzeit des künftigen Lesers des Ge-
dichtes zu verlängern.« Geiger zu Schlechtbach120 - Geiger zu Gmünd,
im Hinblick auf diese in der Tat nicht ganz faire Alternative fiel die
Wahl nicht schwer: Gmünd kannte man, Schlechtbach nicht oder
kaum — ein winziges Dorf irgendwo im Schwäbischen Wald. Gmünd
war geeigneter, aber nicht nur des bekannteren Namens oder gar der
historischen Zusammenhänge wegen, von denen Kerner so nebenbei
erfahren haben mochte; aber darauf kam es ihm sicher nicht an.
Gmünd war profilierter, Gmünd war etwas Besonderes. Auf dem Le-
gendentext des zufällig entdeckten Kümmernisbildes hatte der Dichter
von einem goldenen Schuh gelesen: den nam er und trug in zum gold-
schmid (vgl. S. 26), so oder ähnlich mag es auch auf dem Schlechtba-
cher Bild geheißen haben. Zum Goldschmied! Wahrscheinlich war von
hier aus der Funken übergesprungen auf die benachbarte Gold- und
Silberstadt an der Rems. Wenn wir Theobald Kerner folgen (vgl. S. 75),
waren es zwei Gründe, die seinen Vater veranlaßten, die alte Reichs-
stadt zu wählen: ihre »Goldkunst« und ihr »Musiksinn«.

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