Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
4 Das Nachleben der Antike im Mittelalter.

gelenkt, dieses auch sonst auf zahlreichen Gebieten des geistigen
Lebens zur Grundlage genommen.

Zunüchst straubt sich noch unser Bewußtsein, die That-
sache wückhaltlos anzunehmen. Namentlich die Behauptnng,
der Einfluß der Antike erstrecke sich auch auf die Phantafiekreise
des Mittelalters, dürfte viele Unglaubige finden. Kein Wunder.
Unser Urtheil über das Mittelalter hat sich noch nicht abgeklart.
Das Mittelalter ragt vielfach in die unmittelbare Gegenwart
hinein und ist doch längst nicht mehr der Boden, welchem unsere
Anschauungen entkeimen. Dem Auge nicht fern genug, um einen
vollkommen freien Ueberblick zu gestatten und doch auch nicht
so nahe, daß alle Gegenstände glcich deutlich erscheinen, muß
fich das Mittelalter eine gar verschiedenartige Auffassung ge-
fallen lassen. Liebe und Haß, beide gern übertreibend, lenken
häufig den Blick und bestimmen das Urtheil. Jst es dann
wunderbar, wenn das letztere der unbefangenen Rnhe, ja nicht
selten sogar der Wahrheit ermangelt?

Es werden Eigenschaften an dem Mittelalter bewundert,
welche ihnr vollkommen frcmd sind; es werden Mängel betont,
welchc es ebenfalls nicht kennt. Man begeistert sich für die friedliche
und freie Ordnnng der öffentlichen Zustände, wührend doch in
Wahrheit ans dem Mittelalter der Kampf der Stämme nnd Stände
am lautesten entgegenschallt, persönliche Leidenschaften wenig be-
schrünkt walten. Man rühmt die Kraft der inneren religiösen
Ueberzeugung, wührend thatsüchlich die Gefahr drohte, daß das
religiöse Leben üußerlich gefaßt, die gläubige Hingebung in me-
chanische Werkthätigkeit verwandelt werde. Auf der anderen Seite
ergeht man sich in Klagen über die Rohheit des mittelalterlichen
Formensinnes und die mangelhafte Entwickelnng des Schönheits-
gefühles, obgleich zahlreiche Urkunden von der großen Nührigkeit
des Niittelalters anf allen Gebieten der Knnst sprechen. Nnr in
einem einzigen Punkte herrscht vollkommene Uebereinstimmung, eine
Eigenschast wird dem Mittelalter von Tadlern und Lobrednern
gleichmüßig zugeschrieben: Die Abkehr von der Antike, die
Verschlossenheit gegeniiber dem klassischen Alterthume.

Diesc Ueberzeugung hilft eben so sehr die allgemeine Natnr
des Aiittelalters bestimmen, wie sie die Ansichten von der Enll
wickelung der bildenden Kunst beherrscht und die Gliederung
der kunsthistorischcn Perioden regelt. Das fünfzehnte Jahrhun-
 
Annotationen